Ziemlich schnell nähert sich das grosse Border Control Boot der Portugiesischen Küstenwache von hinten an sea magiX. Am Bug steht ein Officer mit einem lächerlich kurzen Fischkescher, in dessen Netz der kleine wasserdichte Sack mit unseren Bootsdokumenten und Pässen baumelt, die sie vor 15 Minuten bei uns eingefordert und auf gleiche Weise abgeholt haben. Obwohl sea magiX unter Autopilot mit etwa 3kn Fahrt sehr stabil auf Kurs liegt, hat der Steuermann der Küstenwache Mühe, das grosse Boot bei der Geschwindigkeit und der Dünung auf geradem Kurs zu halten. Das Boot ist nun nahe, so nahe, dass ich an den Wanten hängend gerade den Sack mit den Dokumenten packen kann, da schiebt sich die Seite des grossen Bootes über sea magiX und kracht in der nächsten Welle auf uns herab. Rummsss! Mir gelingt noch rechtzeitig ein Sprung, mit dem ich mich geistesgegenwärtig mit dem Dokumenten-Sack auf dem Kajütdach in Sicherheit bringe. Eine Sekunde später ist schon alles wieder vorbei, aber unsere Reling (der Seezaun) ist weg, respektive die Stützen sind zusammengestaucht und fast flach an Deck gebogen.
Ich spüre mich schon fast nicht mehr vor Ärger, besonders weil sie auf dem Küstenwach-Boot nun doch über Funk kommunizieren können, während sie zuvor meine Verbindungsversuche für eine Absprache des Ablaufs strikt ignoriert hatten. Für sie auf dem Boot hat es wohl ausgesehen, dass ich getroffen wurde – einen so schnellen Flug auf das Dach habe ich gemacht – und verletzte Touristen sind wohl auch bei der portugiesischen Küstenwache mit Ärger verbunden. Ich gebe Entwarnung zu Verletzungen und wir verabreden uns in sehr schwierigem English um 16 Uhr in der Marina von Vila Real de San Antonio (VRSA), dem Ort im Grenzfluss zu Spanien.
Für Anita ein steiler Einstieg an ihrem zweiten Tag auf dem Boot. Sie war zuvor noch nie auf einem kleinen Segelboot und lernt nun Schritt für Schritt zu leben und zu fahren auf sea magiX.
Angefangen hat unser gemeinsamer Törn letzten Samstag mit der frühen Abreise von Verena und Markus. Ich nutze die Infrastruktur von Albufeira Marina für Wäsche waschen, Einkauf, Wasser auffüllen und die Montage des neuen Solarpanels. Nach dem Mittag tuckere ich gemütlich, es hat wieder kaum Wind, Richtung Lagune von Faro, wo ich mich vor Monaten
an einer Klassenzusammenkunft meiner Grundschule für Montagabend mit Anita verabredet hatte. In der Einfahrt zur Lagune steht bei meiner Ankunft ein gewaltiger Ebbstom mit beachtlicher Brandungswelle. Sofort ist klar, dass ich da nicht hineinkomme. Der Anker fällt darum kurz später im Schwell-Schutz der langen Molen vor dem Leuchtturm der Lagunenabschlussinsel Culatra. Rasch ein Bad, die Wassertemperatur ist nun 23-24 Grad, prächtigen Sonnenuntergang mit dem obligatorischen Drink geniessen und in die Koje, da ich nun vor dem nächsten Hochwasser um 5Uhr morgens mit einlaufendem Wasser in die Lagune will.
Um 4 Uhr ist es stockdunkel ohne Mond, aber die Einfahrt in die Lagune und weiter 3 Meilen zum Ankerfeld vor Culatra sind dank ein paar Leuchttonnen und Richtfeuern (das sind 2 standortversetzte Leuchtfeuer, die in eine Line gebracht werden) problemlos. Das Ankerfeld ist gut besetzt, aber alle Boote führen ihr Ankerlicht, so dass ich mich auch in dunkelster Nacht gut orientieren kann. In der Lagune hat es zu dieser Zeit 4 Meter Gezeitenunterschied. Mein Anker fällt darum für 3 Tage bei einer Niedrigwassertiefe von 3 Metern ausserhalb des starken Gezeitenstroms, dafür ein paar hundert Meter vom Dorf und Ferrypier entfernt. Der Platz ist ein Volltreffer: vom Cockpit aus habe ich bei auflaufendem Wasser die Morgensonne im Blick, bei ablaufendem Wasser den Sonnenuntergang und nebenan erscheint und verschwindet im Gezeitentakt eine lange Sandbank und dahinter die etwas höher liegenden Salzmarschen vor dem etwas entfernten Hintergrund des Städtchens Olhao.
Am Montag, da sollte Anita gegen 17:30h in Faro landen, fahre ich dann mit dem Dinghi nach Culatra und mit der Fähre weiter nach Olhao. Die Retourfahrt mit der Fähre kostet sensationelle 3.2 Euro und gibt bei Niedrigwasser einen prima Überblick über die Priele, Kanäle und Salzmarschen der Lagune. In Olhao versuche ich zuerst auf der Post das alte, defekte Solarpanel an SVB in Bremen für die Garantieabwicklung zurück zu schicken. Die Kosten von 71 Euro für den Versand von Schrott lassen mich dann unverrichteter Dinge wieder abziehen. Eine kurze Internetrecherche gibt den Preis bei UPS mit 100 Euro und Fedex noch höher an. Portugal scheint für die Kurierdienste kein Markt zu sein. DPD verlangte für den Versand des neuen Panels und weiterer Artikel von Bremen nach Lagos gerade mal 8.90 Euro. Die Recherche habe ich auf einer Strassenbank im Schatten gemacht. Gleich dahinter sehe ich ein Schild „Salon Fatima“, das mich an die mittlerweile störenden, über 2 Monate gewachsenen Haare erinnert (na ja, dort, wo noch welche wachsen). Ana, eine aus Malaga transferierte Spanierin, hat Zeit, sich meinem Kopf anzunehmen. Wir einigen uns in English und Handzeichen auf Waschen, Schneiden mit der Schere (not with the machine) und ich bekomme eine Rückenmassage vom Stuhl und eine Kopfmassage beim Waschen von Ana. Dann wird rund um geschnippelt und wir haben viel Spass, zusammen die gewünschte Länge zu finden. Für 12 Euro gehe ich jederzeit gerne wieder zu Ana, kein Vergleich mit dem 30 CHF Service zuhause vom Albaner (ohne Kopfmassage, wär mir aber sowieso nicht recht vom Albaner).
Nach diesem entspannten Erlebnis gibt’s eine Glace am Bahnhof Olhao bevor ich mit der „Bimmelbahn“ entlang der Salinen und Marschen nach Faro fahre. Beim Ausstieg vergesse ich mein Paket mit dem Solarpanel. Ich bin nicht traurig, habe so doch auf etwas unelegante Weise ein Entsorgungsproblem gelöst. Faro gefällt mir auf Anhieb sehr gut, ein kleines historisches Provinzstächen voller Leben. Einziger Wermutstropfen sind laufend anfliegende Flugzeuge über die Lagune für die Algarve Touristen. Die ca 15Mio Portugaltouristen p/a teilen sich in gleiche Teile auf Lisboa und die Badestrände an der Algarve.
Prompt hat Anitas Flieger Verspätung. Ich fahre darum mit dem Vorortszug zurück nach Olhao, während Anita vom Flughafen direkt mit dem Taxi zur Fähre in Olhao kommt. Die letzte Fähre des Tages, vollgestopft mit Insulanern vom Grosseinkauf am Festland, bringt uns bequem bei Sonnenuntergang nach Culatra und von da geht es weiter mit dem Dinghi zu sea magiX. Mit Anita bin ich zusammen im gleichen Dorf aufgewachsen, wir sind vom Kindergarten bis zum Schulabschluss zusammen in der Klasse gewesen und haben uns in den folgenden 40 Jahren nicht mehr als 1-2 Mal getroffen. Es gibt also gegenseitig viel zu erzählen für uns beide.
Der nächste Tag ist ausgefüllt mit Kennenlernen und Einweisung der Sicherheitsausrüstung, der Bordtoilette, Küche und erste Crashlektion im Dinghi fahren. Am Nachmittag spazieren wir durchs Dorf und bestaunen einen hohen, die Häuser weit überragenden Baum, der scheinbar über Nacht stark gewachsen ist (ich: den sehe ich zum ersten Mal, war gestern wohl noch nicht da). Dann geht es an den Strand auf der Aussenseite der Lagune und nach der obligaten Glace zurück auf sea magiX.
Am nächsten Morgen, es ist nun schon Mittwoch, geht es früh Anker auf und mit ablaufendem Wasser aus der Lagune. Obwohl noch früher Ebbstrom und kein Wind bläst, brodelt und schäumt es schon gewaltig in der Einfahrt, das macht dann schon Eindruck. Bei heissem Wetter und ohne Wind tuckern wir unter Motor Richtung spanische Grenze mit den ersten Steuer- und Motormanövern für Anita. Kurz vor Mittag, bereits in der Nähe des Grenzflusses Rio Guardiana nähert sich genau von hinten ein grosses Motorboot. Es hat kein AIS Signal und reagiert nicht auf Funkaufrufe mit seiner aufgemalten Kennung LIV 41 – dann fängt der eingangs beschriebene Ärger an.
Im Marina Office in Vila Real hat man viel Verständnis für meine Situation, macht mir aber nicht wirklich Hoffnung auf eine gütliche Regelung mit Border Control, heisst da GNR, und weist uns einen einfachen Liegeplatz aussen am Steg zu, bei dem wir auf einer Seite keine Fender brauchen – die Reling fehlt, um welche anzuhängen. Zu meiner Überraschung taucht genau um 16 Uhr der Skipper des GNR Bootes mit seinem Vorgesetzten auf. Er entschuldigt sich glaubhaft und meint, sowas sei ihm in 20 Jahren Patrouillenerfahrung noch nie passiert. Die beiden inspizieren, in Uniform und schweren schwarzen Stiefeln, den Schaden und erklären die Formalitäten zur Schadenregulierung. Das ist natürlich kompliziert: er macht einen Report, ich mache einen Report beim Hafenkapitän, der dann mit seinem Report zur GNR lokal und weiter in die Zentrale nach Lissabon geht. Zusammen mit einer Offerte eines Reparaturbetriebs wird es in der Zentrale beurteilt und dann allenfalls Auftrag zur Reparatur und Zahlung derselben erteilt. Bis zum Abschluss dieses Prozesses darf ich selber nichts machen was kostet und muss dableiben. Ein Witz, aber leider genau, was ich erwartet habe und was mir die Marina Leute schon versuchten, klar zu machen.
Beim Zusammenstoss hatten wir Riesenglück: es war anscheinend kein Zusammenstoss, sondern die massive Scheuerleiste des Bootes hat einfach beim Runterkrachen von der Welle die Relingstützen gestaucht und platt gebogen. Der Rumpf hat keine Abzeichen und sogar die Relingsfüsse scheinen ok. «Nur» 3 Stützen sind hin und der obere Draht ist etwas zerknittert. Ich erkläre den beiden, dass ich vor allem Hilfe bei der Reparatur brauche und dann weiter will. Carlos, der Skipper, fährt mich dann mit dem Auto in den Fischerhafen zu einem Reparaturbetrieb und erklärt unterwegs sehr freundlich die Architektur und Geschichte von Vila Real. Das Städtchen ist wirklich hübsch, schachbrettartig aufgebaut nach dem grossen Erdbeben 1780 und vom gleichen Architekten, der auch Lisboa neu aufgebaut hat. Dazu mit viel gepflasterten Strassen und Trottoirs mit Mosaiken war es anscheinend den Portugiesen wichtig, mit einer gepflegten Stadt die Spanier auf der anderen Flussseite zu beeindrucken und vor allem draussen zu halten. Die Stadt selbst ist auch sehr belebt mit einer grossen Fussgängerzone, in der vor allem Spanische Touristen günstig in Portugal einkaufen – so etwa wie in Konstanz oder Weil am Rhein, nur dass es dort nicht Spanier sind ☹.
Beim Reparaturbetrieb schaut sich Alexandre die Fotos an, und meint, da müsse man sicher bei X-Yachts bestellen. Er will am nächsten Tag gegen Mittag aufs Boot kommen und sich die Sache ansehen und dann «asking for a Quote» – oje! Carlos fährt mich dann mit einem Schlauchboot der GNR über den Fluss zurück in die Marina, nicht ohne vorher stolz ihre Beute der letzten Monate zu zeigen. Das sind Schmugglerboote (Drogen), ca 12-15m lange Schlauchboote mit Festrumpf, ganz in schwarz, sehr flach und motorisiert mit je 3 Mal 350PS Aussenbordern. Solche Boote habe ich noch nie in einem Katalog gesehen. Carlos meint auch, sie seien genau für den Zweck gebaut, vom Radar nicht zu erfassen und ca 55kn (100kM/h) schnell. Auf meine Rückfrage, wie sie die den fassen würden, meinte er nur lachend, sein Patrouillenboot sei auch sehr schnell und tippt dabei gleichzeitig noch auf seine am Gürtel baumelnde Pistole. Kein Wunder hatte er Mühe mit seinem Geschoss bei 3Knoten parallel neben sea magiX zu fahren und musste dauernd am Rad drehen und Motorhebel bedienen – Da konnten wir ihn am Aussensteuerstand gut dabei beobachten.
Am Donnerstag früh mache ich mich selber an die Reparatur, alle Relingstützen abgebaut, Draht ausgefädelt und dann kommt der grosse Hammer und rohe Kraft zum Zug. Nach zwei Stunden Ziehen, Biegen und kalt Schmieden sind die Stützen soweit hergerichtet, dass sie wieder in ihre Füsse (die Halterungen an Deck) passen und der Draht wieder da gespannt ist, wo er seine Funktion als Seezaun und Fenderhalterung wahrnimmt. Just als die letzte Schraube angezogen ist, kommt Carlos nochmals vorbei mit der Meldung er hätte seinen Report abgeschickt und nun müsse ich zum Hafenkapitän. Meine Frage zur Sinnhaftigkeit beantwortet er mit einer Wiederholung der formellen Vorschriften und meine Rückfrage nach seiner persönlichen Meinung dazu lässt ihn wieder anfangen, von der Geschichte und Architektur erzählen…. Und zwischenzeitlich lässt Alexandre vom Yachtservice ausrichten, er würde erst nachmittags vorbei kommen.
Da meine Reparatur zwar alles andere als schön ist, aber den Zweck erfüllt, lasse ich den offiziellen Teil der Angelegenheit sausen, bestelle bei SVB in Bremen 4 neue Relingsstützen (nicht original X-Yachts, dafür zu einem Viertel des Preises) und bespreche mich mit Sandra, der Rezeptionistin in der Marina. Sie hat viel Herzblut für mich und meine Sorgen und lässt mich das Ersatzmaterial von Bremen zu ihr schicken und bewahrt das Paket auf, bis wir auf dem Rückweg von Cadíz vorbeikommen. So melde ich uns in der Marina ab für eine Flussfahrt unter der grossen Hängebrücke durch zu einem Steg mit Museum und römischen Ausgrabungen etwa 20 SM Fluss aufwärts. Beim bereit machen für das Auslaufen kommt endlich etwas Wind auf, so dass wir kurzentschlossen flussabwärts auslaufen und mit einem leichten Amwindkurs 25 Meilen entlang der Küste in den Rio Odiel bei Mazagon segeln. Da gibt es hinter der 7 Meilen langen Mole einen wunderbaren und geschützten Ankerplatz, von dem aus wir wieder den glühenden Sonnenuntergang geniessen.
Im Lauf des Tages gab es seit mehr als 3 Wochen wieder einmal einen Grenzübertritt Richtung Cadíz und den Wechsel der Gastlandflagge von Portugal zu Spanien. Ich habe also nun die ganze Portugiesische Küste abgefahren und erlaube mir eine kurze Beurteilung:
Im RCC Pilot steht: this coast is best avoided – das hat etwas, aber ist auch bei weitem nicht ganz richtig. Schwierig und auch für uns anspruchsvoll waren an der Atlantikküste die Wassertemperaturen, Nebel, mal keinen und mal sehr viel Wind, viel Schwell und die allgegenwärtigen und kaum sichtbaren Fischerbojen – auch in der Algarve. In der Algarve dann bessere Temperaturen aber gar kein Wind mehr (ist das immer so?), sündhaft teure Marinas und Touristen/Tourboote ohne Ende. Auf der Plusseite dagegen vorab die sehr freundlichen und hilfsbereiten Menschen, die neben ihrer Geheimsprache meist auch etwas oder auch mehr English sprechen. Viele schöne und blitzsaubere Städte mit langer Geschichte, allen voran Porto und Lissabon aber auch kleinere an der Südküste. Und dann viele gute Ankerplätze, die meist sehr schön und natürlich budgetschonend sind. Beim Auswärts-Essen werden die glücklich, die gerne frischen Fisch vom Grill mögen, alles andere ist eher einfach bis einfallslos, auch die viel gerühmten Pasteis de Nata. Fazit: vermeiden sicher nicht, aber am Atlantik eher einen seglerisch anspruchsvollen Urlaubstörn erwarten und an der Algarve sünnele, bädele…