Wandern beim Segeln

«Ich glaub, ich komme heute nicht zum Wandern” meldet Michelle noch im Pyjama aus der Achterkoje. Auf Deck schüttet und «chuttet» es genau wie der Wetterbericht vorhergesagt hat. Und eine Ausrede hat Michelle auch noch zur Hand – «meine Wanderschuhe sind kaputt, die Schuhsole löst sich.» Wir vier stürzen uns begeistert auf die Reparatur, denn es ist niemandem drum, bei dem Wetter entlang einer Levada, auch nicht einer, die sowieso im Regenwald verläuft, zu wandern. So bleibt es an diesem Tag bei einem Ausflug mit dem Auto nach Funchal. Aber sogar dieser Ausflug endet bald in einer Beiz. Später wird es trocken und wir schlendern durch die Gassen und der Seafront entlang, aber man hat Funchal dann doch auch rasch mal gesehen.

Gegen Abend lockert es auf und es wird wieder schön, wenn auch ziemlich kühl im Vergleich zu den letzten 2 Wochen, in denen ich nun auf Madeira bin. Zwei Wochen mit Wandern statt Segeln und das mit mehreren Crewwechseln.

Gerade angekommen vor 2 Wochen unternahmen wir, die Ueberführungscrew Manfred, Kurt und ich, eine erste Wanderung zum Punta Sao Lorenço ganz im Osten der Insel. Wir sind begeistert von den tollen Farben des kargen Vulkangesteins und den schroffen Klippen an der Nord- und Ostküste der Insel. Nach 4h auf und ab fahren wir zur Belohnung mit dem Bus nach Caniçal und nehmen in einer vor allem von Lokalen frequentierten Beiz ein spätes und feines Mittagessen. Das Pescadore wird dann auch so etwas wie unsere Stammbeiz, in der wir von Mariana, Joana, Laura und Luci immer wieder verwöhnt werden und die wissen, welchen Vinho Verde wir mögen und wie der Caffe con Cirinjo aufgepeppt werden muss. Dann steigt Kurt aus, der mit Ruth, die frisch eingeflogen ist, für 2 Wochen vom Hotel aus in Madeira wandert. Als nächstes fliegt Manfred heim, dafür kommt Uschi, die sich spontan für eine Woche Zeit nehmen kann.

Uschi: Als die Idee meines Kurzbesuchs auf Madeira am Telefon erstmals aufgekommen war, hatte ich sie zuerst automatisch als Träumerei beiseite gewischt. Zu tief war ich nach einigen Wochen schon wieder ins Arbeitsleben eingetaucht. In den Stunden nach dem Gespräch meldeten sich jedoch die Zweifel an meiner Priorisierung und der Annahme, dass meine Präsenz in der Schweiz im angegebenen Zeitraum wichtig wäre. Unverrückbare geschäftliche Termine gab es bei genauerer Reflexion nämlich keine in der besagten Woche und so kam ich zu meiner eigenen Überraschung in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober auf der Blumeninsel an und konnte meinen Skipper wieder einmal umarmen. 🙂

Es folgte eine wunderbare, intensive Woche auf einer unglaublich abwechslungsreichen und faszinierenden Insel. Madeira ist viel kleiner als ich ohne auf eine Karte zu schauen angenommen hatte. Die Hauptinsel ist nur gerade 57 km lang und 22 km breit und vulkanischen Ursprungs, etwa 900 km von Festlandportugal, ca. 700 km von Afrika und etwa 450 km von den Kanarischen Inseln entfernt. (https://www.madeira-web.com/en/ ) Die südliche Lage kombiniert mit ihrer Geographie geben der Insel ihren Ruf als «Insel des Ewigen Frühlings», da es auf Meeresniveau meist zwischen 21 und 26° C warm ist – auch nachts, im Sommer und im Winter. Mit ihren Bergen von immerhin ca. 1850 m Höhe hat sie aber auch diverse Mikroklimas, so dass es z.B. im Norden, wo die Wolken ihre mitgebrachte Feuchtigkeit abladen, sehr grün ist, und im Osten beim Cabo Sao Lorenço hingegen pure Wüstenlandschaft zu finden ist. Man merkt – die kleine Insel hat mich in der kurzen Zeit meines Besuchs richtig fasziniert. (Vielleicht hatte ja die schöne Zweisamkeit nach der wochenlangen Trennung auch ein klein wenig Einfluss auf das begeisterte Bild – wer weiss!)

Unser erster Ausflug ging nordwärts und dann ins Landesinnere zum dritt-höchsten Berg der Insel, auf den Pico do Arieiro, mit seinem gut ausgebauten und mit Drahtseil geschützten Bergweg.

Wir unternahmen diverse Wanderungen, teils zu zweit, teils gemeinsam mit Kurt und Ruth, testeten immer wieder mal die Grenzen meiner Schwindelfreiheit (die haben sich leider nicht merklich verschoben, aber Ablenkung oder auch Sichtschutz durch Nebelbänke helfen ungemein), beanspruchten sowohl die Motorleistung unseres Mietautos im 1. Gang auf den steilen Strassen aufwärts, als auch die Widerstandsfähigkeit unserer Kniee auf den steilen Weglein abwärts, und genossen in regelmässigen Abständen feine Fisch-Essen im Pescadore’s bei Laura und Co. Dass nie die Rede davon war, unsere Klappvelos auszupacken, hat mich nur so lange verwundert, bis ich erstmals die steilen und engen Strässchen sah – es hätte garantiert in viel mehr Wadenmuskel- und Schiebetraining ausgeartet, als wir in Porto erlebten.

Beim Ausflug an die Nordküste wurde klar, warum die so grün ist. Dort kommt das Wetter an.

Die Wanderung auf der Hochebene Paul da Serra fiel dem Nebel zum Opfer. Stattdessen spazierten wir entlang einer Levada im Westen, zwischen Prazeres und Raposeira.

Die Marina von Calheta wirkte etwas schwellig. Sie muss kürzlich einen schweren Steinschlag von der Felswand erlebt haben; einige der Gebäude am Fels sind zerstört und auch der Steg ist noch nicht repariert.

In Funchal finden wir Kurt und Ruth beim Platzkonzert der Funchaler Stadtmusikanten. Die bemalten Türen von hier sind bekannt.

Unsere nächste Levadawanderung, diesmal mit Ruth und Kurt, führte direkt in den Regenwald. Oder jedenfalls fühlte es sich bei leichtem Nieselwetter so an, auch ohne, dass man all zu lange unter dem Wasserfall verharrte.

Danach hatten wir noch nicht wirklich genug und suchten noch einen Abschnitt an der Sonne des Südufers, von Machico nach Caniçal, wo «zufällig» dann auch das Pescadore’s ist.

Unsere letzte gemeinsame Route war die öfters diskutierte «Route 14» von Caniçal nach Porto da Cruz, welche in unserem Wanderführer unter Anforderungen recht abschreckend wirkte: «… für den Weiterweg auf dem Küstensteig sollte man absolut trittsicher und schwindelfrei sein. Nicht bei stürmischem Wetter und Regen begehen.» Nun, ich hatte mir vorgenommen, einfach umzudrehen, wenn es mir zu unheimlich würde. Und dass es wieder nieselte, als wir starteten, war halt einfach Pech. Andererseits zeigte sich, wie schon erwähnt, dass Nebelbänke helfen können, Abgründe zu verschleiern und so meinem Bauch das Kribbeln zu nehmen. Auch diese Wanderung war faszinierend und schön. Und da der Weg jeweils meist breit genug war und die Handläufe an den ausgesetzten Stellen vorhanden sind, war die Beschreibung doch abschreckender als die Realität. Jedenfalls mussten wir zu Kurt’s Enttäuschung zuletzt ein Taxi zurück nehmen, da niemand unterwegs umgekehrt war und das Auto hätte bringen können.

Und so entdeckte ich nicht nur eine faszinierende für mich neue Insel mit vielfältiger, auch im Oktober blühender Flora (aber übrigens wenig Fauna), sondern auch noch eine neue Seite meines Skippers, der in diesen Tagen wohl freiwillig so viel gewandert ist, wie in unseren bisherigen 27 gemeinsamen Jahren insgesamt nicht. Viel zu schnell war meine Woche schon wieder vorbei. Am Mittwochabend kam Tom als Vorhut der Überführungscrew an und in aller Herrgottsfrühe am Donnerstagmorgen brachte mich Bänz wieder zum Flughafen für die Rückreise in die inzwischen herbstlich-kühle Schweiz.

Bänz: Und nun sind wir wieder zu viert mit Alexandra, Michelle und Tom – der Ueberführungscrew auf die Kanaren. Gleich am ersten Tag zusammen nehmen wir uns die Wanderung entlang einer Levada vom Canical-Tunnel zu einem Pass an die Nordküste vor. Weiter geht es entlang eines schmalen Pfades entlang der Klippen hoch über der schäumenden Brandung. Bestes Wetter, das die tollen Farben von Meer, Wald und Vulkangestein leuchten lässt, begleitet uns und der Klippenweg bietet tolle Ausblicke nach oben und unten. Es ist Samstag mit einem ausgedünnten Fahrplan, so dass wir nach einer kurzen Pause mit einem grossen Bier ein Taxi zum Ausgangsort zurück nehmen.

Michelle und Alexandra haben noch nicht genug, sie nehmen noch die Wanderung zur Punta Sao Lorenço in Angriff, während ich mich mit Tom ins Einkaufscenter für den Grosseinkauf stürze. Zurück in der Marina treffen wir die Damen im Bikini, direkt aus dem Pool – die zweite Wanderung in der Nachmittagssonne war dann doch zu viel und wurde zugunsten von Baden und Faulenzen stark abgekürzt. Für den folgenden Sonntag ist eine Wetteränderung vorhergesagt. Die kommt dann auch mit starkem Südwestwind und vielen Regenböen. Kein Wunder, dass die Wanderbegeisterung vom Vortag weg ist und so bleibt es beim Ausflug nach Funchal als Abschluss der zwei Wanderwochen, in denen das Boot als sanft schaukelnde Basisstation gedient hat. Am Montag muss das Mietauto zurück auf den Flughafen, letzte Einkäufe und dann wollen wir nach Süden zu den Kanaren. Auch ein Zwischenstopp auf den sehr entlegenen Ilhas Selvagens ist vorgesehen, diesmal haben wir sogar eine Bewilligung der Naturschutzbehörde.     


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter: