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Dominica – Paradies mit Kratzern

Vom Samstag, 26. April bis Donnerstagmorgen, 1. Mai, waren wir auf Dominica. Die „Emerald Isle“ macht ihrem Namen alle Ehre: sie ist nochmals grüner als Guadeloupe. Dies einerseits wohl wegen ihrer Topografie, und andererseits, weil sie (noch?) nicht stark bebaut ist. Und das wohl auch wieder wegen ihrer Topografie. Dominica hat sieben Vulkane und es sind die geologisch jüngsten dieses Inselbogens. Das gibt der Insel die typisch steilen, schroffen Berge vulkanischen Ursprungs. Und wegen ihrer Höhe regnen sich die Passatwolken sehr regelmässig an ihr ab. Sowohl im Luv, als auch im Lee 😉. Man sagt, Dominica sei das regenreichste Land in dieser Region. Wir glauben das sofort. Das Klima im Moment erinnert uns stark an Surinam und die Guyanas. Mit den häufigen Regenschauern kommen aber auch ebenso häufige Regenbogen. So häufig, dass wir kaum mehr reagieren, wenn sich einer über der Insel aufbaut. Wunderschön.

Mit ihrer im Inneren schwer zugänglichen Topografie macht die Insel es ihren Bewohnern sicher nicht einfach, geeignete Orte für das Bauen von Häusern zu finden. Die beiden Haupt-Orte, Portsmouth im Nordwesten und Roseau im Südwesten liegen beide an Flussdeltas an der Küste. Und wurden – wie auch der ganze Rest der Küstenregionen – beim direct hit von Hurricane Maria im Jahr 2017 fast vollständig zerstört. Die Insel kämpft also nicht nur mit den Herausforderungen ihrer schwierigen Topografie, sondern auch mit regelmässigen Naturkatastrophen in Form von Hurricanes und Erdbeben.

Quasi einzige Einkommensquelle von Dominica ist der Tourismus. Es gibt keine lokale Industrie und jeder Nagel, jede Schraube muss vom Ausland importiert werden. Die fast vollkommene Abhängigkeit vom Ausland ist bemerkenswert. Auffällig die Strassenschilder in chinesischer Schrift bei einigen Baustellen für neue Hotels oder beim riesigen Projekt einer Seilbahn, die die weniger wanderlustigen Touristen zu den „Boiling Lakes“ bringen soll (mehr als 1.5 Stunden Fahrzeit pro Weg, sollen es dann mal sein. Wer wird das je buchen und zahlen?). Wo jahrzehntelang alles auf die USA ausgerichtet war, mit Preisangaben sowohl in USD als auch in ECD, Amtssprache Englisch, und allen älteren Fahrzeugen eindeutig aus den Staaten, nehmen auch hier allmählich die chinesischen Interessen immer mehr Raum ein, während sich der amerikanische Einfluss zurück zieht.

Dass der Tourismus ihre einzige Industrie ist, haben die Menschen auf Dominica schon lange erkannt und deshalb einen grossen Teil der Insel zum Nationalpark erklärt.

Es gibt gut unterhaltene Wanderwege (die auch dann noch recht anspruchsvoll zu begehen sein können im ewig nassen Regenwald) und die Tour- und Guide-Industrie ist sehr weit entwickelt und stark auf die Kreuzfahrtindustrie ausgerichtet. Ende April ist Saisonende auch für die Cruise Ships. Während unseres Aufenthalts kam keines an und das nächste ist erst etwa in einer Woche auf dem Plan. Trotzdem wurden die hohen Preise zu unserer Enttäuschung nicht angepasst. Das lag wohl auch daran, dass wir nicht gut sind im Verhandeln. Wo wir eine eingebaute schweizerische Scheu davor haben, jemandem statt seinem erstgenannten Preis mal gleich weniger als die Hälfte zu bieten, fühlen wir uns ver…äppelt, wenn der Anbieter von 250 auf 180 USD für eine Tagestour runter kommt. Der Skipper nur trocken: „dann wollte der uns mal gleich zum Start um 70 USD über den Tisch ziehen?“

Andererseits wurden wir wohl nirgends so freundlich von allen Einheimischen begrüsst wie hier. Und zwar nicht „nur“ von den Boat Boys, Verkäufern, Touranbietern und Herumhängern, sondern auch – das gibt’s eigentlich gar nicht – von den Zoll- und Immigrationsbeamtinnen und -Beamten. Da staunten wir nicht schlecht! Die Regierung hat hier offensichtlich erkannt, dass sie mit einfachem Klarierungsprozedere ihre Buchten für die Segler attraktiv machen kann. Man klariert gleichzeitig ein und aus und kann ganze zwei Wochen bleiben, und der Stempel im Pass ist nicht obligatorisch, kann aber als Souvenir bei der sehr freundlichen Polizistin in Portsmouth in 5 Minuten (plus zwei fürs Trocknen der Stempeltinte 😉) geholt werden. Da könnten sich die ultra-arroganten Beamten in Jolly und English Harbour auf Antigua mal eine Scheibe abschneiden!

Am Sonntag blieben wir in Portsmouth, genossen den Tag an Bord und am Strand (und beim Zoll) und freuten uns, wieder zwei holländische Schiffe und ihre Crews zu treffen, die wir zuletzt in Surinam gesehen hatten. Abends gabs die PAYS Barbeque Party. All you can eat and drink (!) for 60 ECD per person. (Also ca. 20 CHF/pP). Wir genossen es, andere Cruiser hier zu treffen und uns über das Erlebte und unsere unterschiedlichen Seglerleben auszutauschen. Es wurde klar: es sind alle auf dem Weg. Entweder nach Norden, um im Sommer nach Europa zurück zu kehren, oder nach Süden, um dort ausserhalb des Hurricane Belts die Sturmsaison zu verbringen, so wie wir es ja auch planen.

PAYS ist die Organisation der Boat «Boys» (sie sind alle inzwischen etwas in die Jahre gekommen) in Portsmouth. Das Prinzip funktioniert und macht es für die Yachties auch angenehmer: wenn man beim Ankommen sagt, mit welchem PAYS-Mitglied man zusammen arbeiten will, dann lassen einen alle anderen sofort in Ruhe. Und der dann «Zuständige» kümmert sich um alles, was man via ihn organisieren will und bringt einen zu einer von seinen Bojen, für die man ihn dann bezahlt, wenn man nicht ankert. PAYS steht für Portsmouth Association of Yacht Security. Seit es die Organisation gibt (jetzt seit 20 Jahren), ist die Sicherheit in der Bucht von Portsmouth tatsächlich viel grösser und Nachrichten über Diebstähle hier sind viel seltener geworden.

Eigentlich hatten wir gehofft, dass wir am Montag gemeinsam mit den beiden holländischen Crews einen Ausflug buchen könnten. Das hätte die Kosten stark reduziert. Da sie jedoch am Montag das Sonntagsbbq «verdauen» wollten, entschlossen wir uns, gemütlich ein paar Meilen südwärts nach Mero weiter zu segeln. Dort ist ursprünglicher Strand, ein paar Strandbeizen und sonst nichts – traumhaft! Für uns Touristen wirklich das Paradies. Für die Locals wohl eine Situation ohne viel Perspektive.

Am Dienstag gab es nochmals einen so gemütlichen Tümpeltag; bei knappen 5-6 Knoten halbem «Wind» glitten wir im glatten Wasser dahin, bis wir Roseau erreicht hatten.

Weil es dort bis nah ans Ufer sehr tief ist, plädierte ich dafür, eine Boje von «Marcus» zu nehmen, der vom Doyle Pilot als besonders vertrauenserweckend und Sicherheit bietend angepriesen wird. Auch Marcus ist inzwischen wohl etwas in die Jahre gekommen, seit ihn Doyle das letzte Mal gesehen hatte, und vielleicht hat er inzwischen auch etwas viel Gras geraucht. Trotzdem – wir liessen uns (bzw. diesmal ging vor allem ich die Verhandlungen zu wenig hart an) überreden, eine Tagestour bei Marcus’ Kollegen Justin zu buchen. Erst zu spät kamen wir auf die Idee, die 5 Frauen auf dem Kat neben uns zu fragen, ob sie eventuell eine Reise teilen möchten. Sie hatten soeben auch eine gebucht. Schade! Dafür verbrachten wir einen gemütlichen und interessanten Abend beim Apero mit ihnen an Bord von Gail’s Kat «Love A’Fayre», nachdem wir in Roseau ein wenig umherspaziert und dann zum Aussichtspunkt über die Stadt bei der früheren britischen Garnison aufgestiegen waren. Es ist hier inzwischen sehr drückend heiss und schwül geworden, und 20 Minuten einen kleinen Hügel hinauf zu wandern fühlt sich an, wie eine halbtägige Wanderung in den Bergen, bei der einem der Schweiss in Bächen herunter läuft. Der Sommer naht. Einziges Mittel gegen den Flüssigkeitsverlust: Wasser mitnehmen und die winzigen Bars unterwegs besuchen.

Wir wollten unbedingt einen Guide auf unseren Wanderungen dabei haben, der uns unterwegs zeigen konnte, wo wir für Tiere, Vögel und Pflanzen hinschauen sollten, und der uns unsere Fragen zu seinem Land beantworten konnte. Justin organisierte uns seinen Neffen Caleb, der mit seinen 21? Oder doch 24? Jahren fit genug war, um uns bei der Wanderung zu den Middleton Falls und auch beim Schwimmen in der berühmten Titou Gorge zu begleiten. Viele unserer Fragen konnte der junge Mann jedoch nicht beantworten und leider hatte er auch wenig Interesse daran, uns sein Land näher zu bringen. Seine Guide Certification hatte er letztes Jahr gemacht. Sie beinhaltet einen 10-tägigen Kurs, der auch einen Teil Nothelfer enthält, plus danach 3 Monate unfallfreie Arbeitstätigkeit. Wahrscheinlich reicht das für viele seiner Kunden vollauf. Unsere Fragen zum Funktionieren des Staates, der Wirtschaft, der medizinischen Versorgung, zum Bildungssystem, zum Wiederaufbau nach Hurricane Maria (der auch nach 7 Jahren noch immer in den ersten Schritten steckt), zu den Möglichkeiten und Träumen seiner jungen Generation, aber auch zu den 36 umgesägten Lampenpfählen unterwegs – auf solche und ähnliche Fragen hatte ihn seine Ausbildung offensichtlich nicht vorbereitet.

Die Lampenpfähle sind ein perfektes Beispiel für das zwiespältige Bild, das wir von dieser Insel mit ihrer so paradiesischen, üppigen Natur mitnehmen. Entlang der schmalen, gewundenen Strasse von Roseau ganz ans Südkap der Insel, nach Scott’s Head, liegen auf einer Distanz von ca. 5 km sage und schreibe 36 umgesägte Metall-Lampenpfosten am Strassenrand. Die Konsequenz: wer jetzt nachts mit schlechtem Licht oder zu Fuss auf dieser Strasse unterwegs ist, lebt sehr gefährlich. Ein Schritt über den Rand und der Absturz geht tief hinunter. Der Hintergrund: die Pfosten wurden umgesägt, um an die Solarzellen zu gelangen, mit denen das Licht gespiesen worden war. Unser Staunen: wie ist es möglich, dass nicht 2 oder 3, sondern ganze 36 solcher Lampenpfähle umgesägt werden können, ohne dass man das rechtzeitig stoppt und die Übeltäter erwischt?? Und – was passiert jetzt mit diesen 36 «Leichen» am Strassenrand? Unsere Fragen blieben grossteils unbeantwortet. Einzig wofür die Solarzellen genutzt werden sollten, wusste Caleb: für die Beleuchtung und Heizung von Marihuana-Plantagen… Alles klar?

Dominica ist wirklich eine wunderschöne Insel mit ihrer vielfältigen Natur, den unzähligen Vögeln, vielen Wasserfällen, Bächen, Seen und Schluchten (und wenigen Stränden, weshalb sie wohl vom Massentourismus abgesehen von den Kreuzfahrtschiffen nicht profitieren kann). Wir haben die Wanderungen zu den Middleton Falls, aber auch das Schwimmen im überraschend kalten Wasser bei der Titou Gorge unter ihrem grün überwachsenen Überhang hindurch zum Wasserfall in der Höhle, und auch die kurzen Spaziergänge zu den Trafalgar Falls und zum Scotts Head sehr genossen.

Und gleichzeitig konnten wir die Augen nicht verschliessen vor den grossen strukturellen Problemen, mit denen diese Insel zu kämpfen hat. Eben – ein Paradies mit Kratzern.

Müde und voller Eindrücke erreichten wir abends das Boot wieder, genossen noch einen Sundowner und beschlossen, am Donnerstag, 1. Mai, früh abzulegen, um mit dem wenigen angesagten Wind weiter südwärts nach Martinique zu segeln.