Fertig Go West – ab jetzt gilt Go (South)East

Wir sind also inzwischen um den westlichsten Punkt des europäischen Festlands herum; Cabo Toriñana mit ca. 9°20’ West haben wir heute Sonntag, 4.8. gerundet. Ab jetzt sollte unser genereller Kurs nebst der starken Süd-Komponente eigentlich keine West-Anteile mehr haben.

Seit Freitagmittag, 2.8. sind wir wieder unterwegs. Das Wetter ist sommerlich: morgens hängen jeweils tiefe Wolken, dann gewinnt die Sonne an Kraft und löst die hohe Luftfeuchtigkeit auf und nachmittags ist Sommerwetter mit blauem Himmel. Leider gehört dazu im Moment nur sehr wenig Wind. Frohen Mutes waren wir von A Coruna losgesegelt, aber schon bald nach dem Herkules-Turm ging dem Wind die Puste aus. Wir brummten um die nächste Ecke nach Corme und fanden dort eine hübsche Bucht zum Ankern; gut geschützt und ruhig. Die Buchten oder «Rias» hier im Norden Galiziens gefallen uns ungemein. Sie wirken nordisch mit dem kargen Granit(?) und den dunklen Wäldern. Dazwischen sind hell leuchtende Sandstrände und immer wieder mal ein malerisches Häuschen als Fotosujet. In Corme wurde mindestens der eine Strand morgens sogar von einer Putzequipe mit Strandbuggy gesäubert. Auch hier wird gepflegt, obwohl der Tourismus hier weniger stark entwickelt zu sein scheint.

Eigentlich hatten wir hier unsere erste Bekanntschaft mit Viveros erwartet. Im Hafenhandbuch sind sie explizit erwähnt und auch auf dem Plotter ist eingetragen, wo sie sein sollten. Aber die grünen Bojen welche in dieser Angewöhnungsphase in den Nördlichen Rias den Neulingen noch helfen, ihren Weg an den Flössen vorbei zu finden, sind zwar noch da, nur keine Viveros dahinter. Naja, uns ist das noch so recht. So ist mehr Platz fürs Ankern. Die Viveros werden in diversen Hafenhandbüchern und Seglerberichten etwas abschreckend beschrieben. Man müsse sich den Weg jeweils dazwischen hindurch-suchen und es sei «not always evident», wo es lang gehe. Ich stelle mir das etwa wie die Lachsnetze in Irland vor, die an der Oberfläche mit Tennisballgrossen Bojen gekennzeichnet sind und oft zu «Manövern des letzten Augenblicks» führen, da sie über viele Meter quer zur Küste gespannt sind. Bisher haben wir aber hier keine solche Erfahrungen gesammelt und sind sehr froh darüber.

Vorbeitreibende grosse Kelp-Haufen regen unsere Fantasie an, sobald wir den ersten Schreck, dass so nah beim Schiff ein Fels auftauchte, verarbeitet haben. In einem Krimi wäre sicher unter dem einen Haufen eine Leiche mitgetrieben. Und als etwas später beim Dinghi-Ausflug ein einsamer Handschuh vorbeitreibt, ist das Bild vollständig.

Am Strand planschen Kinder, und wieder werfen wir einen Blick aufs Wasserthermometer. Das Ergebnis war jedoch noch eindeutiger als zuvor: 14.9°. Neee, nix für mich! Die Bord-Dusche, angenehm von der Sonne gewärmt, genügt uns da vollkommen.

Als sich am Samstag ein erster Windhauch regte, legten wir wieder mit grossen Erwartungen los, gaben den Segelversuch dann aber bald wieder auf und einigten uns, dass wir für räumliche Kurse (d.h. Kurse mit Wind von hinten) in Zukunft wohl mindestens 5-6kn Wind benötigen und vor allem eine einigermassen ruhige See. Das Problem im Moment war nämlich nicht unbedingt der sehr leichte Wind, sondern die Wellen, die vermischt mit der grossen Atlantikdünung völlig kreuz und quer daherkommen und Sea magiX so richtig durchschaukeln. Das bewirkt dann, dass die Segel mit viel Anlauf von rechts nach links durchschwingen, jegliche Windströmung, die vielleicht geherrscht hätte, abbrechen, mit einem lauten Knall in die Schoten fahren und dann wieder zurückschwingen. Sea magiX sagt sich da wohl jeweils «Du mir auch» und bleibt einfach stehen. Und uns gehen nach 20-30 Minuten Geknalle irgendwann die Nerven durch, denn jeder Knall schwächt die Segel. Drum: brumbrumbrum…

So motorten wir eben auch am Samstag wieder, diesmal bis nach Camariñas, bzw. in die Ria de Camariñas. Auch da fanden wir einen wunderschönen Strand, etwas abseits der anderen Boote. Wir hatten ihn fast wieder für uns, bis auf einen Franzosen, der mit seiner First 27 zielstrebig dahergesegelt kam und dann für unsere Begriffe ziemlich nah am Strand unter Segel ankerte. Abends, als das Wasser wieder sank, hob er dann – noch immer unter Segel – wieder den Anker und verlegte hinüber vor den Hafen von Camariñas. Ob das war, weil ihm plötzlich die Wassertiefe aufgefallen war, oder weil er die Nähe zum Dorf suchte – wir werden es wohl nie wissen.

Die Ria de Camariñas gefällt uns auch wieder sehr. Sie ist weitläufig und verwinkelt, ähnlich wie die Fjorde Norwegens, aber die Hügel rundum sind nicht so hoch wie dort. Grüne Wälder, wenige bebaute noch grünere Felder, dazwischen karge Felslandschaften und kleine Häusergruppen.

Mit dem Dinghi erforschten wir einen Fluss-Arm in der Nebenbucht, bis es nicht mehr weiter ging. Etwas unheimlich, da von unter Wasser ab und zu Holzpfosten, Wracks oder sonstige Hindernisse hochragten, die mit etwas Pech unser Dinghi aufschlitzen könnten. Auch sind die grossen Algenpflanzen (sorry, liebe Biologen, ich kenne ihre korrekte Bezeichnung nicht) hier bemerkenswert. Wenn sie frei treiben, können sie einen Dinghimotor in Bedrängnis bringen und auch bei Sea magiX ums Ruder gewickelt stören sie spürbar. Zudem ist nie ganz klar, ob es nur eine Algenpflanze ist, oder vielleicht doch ein Stein, auf dem die Pflanze wächst… Später merken wir, dass wir den falschen Flussarm erwischt hatten. Eins weiter rechts wären wir in ein Dorf mit «bars and shops» gekommen.

Camariñas selbst war vom Hafenführer als very picturesque gelobt worden. Vielleicht sind wir von A Coruna einfach schon zu verwöhnt, oder auch von Cedeira. Jedenfalls waren wir nicht besonders beeindruckt und hielten den Besuch recht kurz; einfach lang genug für ein Helado von der wie immer sehr freundlichen Cafe-Bar-Besitzerin. Wie üblich entsteht über das «einfache» Bestellen von zwei Glacé-Cornets ein lustiges Sprachen-durchmischtes Geplapper, an dem sich auch die junge Frau hinter dem Tresen beteiligt, und wir trennen uns mal wieder mit viel fröhlichem Lachen, mit den richtigen Cornets in den schon etwas klebrigen Händen. Diese Offenheit und Lebensfreude hier ist einfach schön.

Auch heute Sonntag fehlte der Wind zum grössten Teil des Tages. Am Start konnten wir noch aus der Bucht kreuzen, dann jedoch schlief die Brise bald wieder ein und das erwähnte Knall-Schwing-Schlag-Knall-Spiel begann von neuem. Auch Versuche mit dem Gennacker wurden bald abgebrochen. So brummten wir unter Motor am westlichsten Punkt des Festlandes, am Cabo Toriñana vorbei und ebenfalls unter Motor bis zum Cabo Finisterra. Wir wurden wohl zum Fotomotiv für unzählige Touristen, die dort oben beim Leuchtturm die Aussicht genossen. Der Punkt ist viel-besucht, da er als Endpunkt des Jakobswegs vom nahen Santiago di Compostela gilt. Und eben – eine wunderbare Aussicht bietet. Heute sogar mit schönem Segelboot im Vordergrund, wenn auch die Segel erst kurz danach hoch kommen. So symbolträchtig und beeindruckend der Name, so lieblich und brav lag es bei diesem Wetter heute da. Kaum hatten wir es jedoch gerundet, um dahinter in der Bucht zu ankern, änderten die Windverhältnisse. Plötzlich hatten wir quasi ruhiges Wasser und 10-12kn Wind. Sofort wurde der Plan geändert und wir konnten doch noch bis um die nächste Ecke, in die Ria de Muros segeln. Als wir in diese Ria kamen, nahm der Wind nochmals aufs Doppelte zu, und plötzlich waren wir mit dem Genni wieder überbesegelt. Wahrscheinlich gibt es bei diesen Bedingungen in den Rias mehr Wind als draussen, aus einer Kombination von Thermik, Fallwind- und Düsenwirkung. Na, jetzt wissen wirs.

Die Bucht von Finisterra ist ebenfalls wunderschön. In dem Nachmittagslicht schienen die hier richtig bergigen kargen Granithügel rosa zwischen den Wäldern. Entlang der einen Seite zieht sich ein ewiglanger, heller Sandstrand. Und für uns gab es endlich mal wieder eine Brise bei fast ruhigem Wasser. Allmählich gehen mir die Synonyme für «wunderschön» aus.

Der Ort Muros und die Ria war vom Hafenführer hoch gelobt worden. So waren unsere Erwartungen vielleicht zu hoch, nach den schönen Plätzen der letzten Tage. Vielleicht war es aber auch der Eindruck, den wir vom vorbeirasenden Motorboot mit drei splitternackten Jungs bekamen, die mit obszönen Gesten ihre Kronjuwelen feierten. Jedenfalls hielt/hält sich unsere Begeisterung für Muros bisher etwas in Grenzen, auch wenn die farbigen Häuschen im Abendlicht hübsch anzusehen sind und wir am Anker von einer Gruppe kleiner Delphine besucht worden sind. Das Dinghi haben wir jedenfalls nicht ausgepackt. Wir geniessen es sehr, dass wir in dieser Gegend so oft ankern können und nicht in die – für andere Verhältnisse sicher auch hilfreichen Marinas – müssen. Diesmal haben wir sogar unsere kleine Ankerboje als Trippleine gesetzt, weil im Hafenhandbuch stand, dass es möglicherweise unrein sei am Grund, d.h. dass sich der Anker hinter alten Bojenleinen oder sonstigem Müll am Boden verhängen könnte. Zwei spanische Boote, die hier ebenfalls geankert haben, haben jedoch keine Trippleine gesetzt, nur die Ausländer. Offensichtlich lesen die einen anderen Hafenguide und die Guide-Schreiber kopieren einander gegenseitig. Mal sehen, ob wir unsere Trippleine benötigen werden oder nicht – der Test folgt dann morgen Montag.

Inzwischen haben wir den Wetterbericht studiert und festgestellt, dass das schöne Wetter möglicherweise am Donnerstag und Freitag eine Pause macht. Nun wollen wir morgen und übermorgen möglichst noch die Nationalpark-Inseln südlich von hier besuchen. Hoffentlich haben wir etwas Wind, der uns dorthin segeln lässt. Eine Bewilligung fürs Befahren des Nationalparks hat Bänz schon von der Schweiz aus organisiert. Nun hat er auch noch eine fürs Ankern für 3 Nächte beantragt. Wir freuen uns auf den Nationalpark – kann der denn noch schöner sein als die bisherigen Rias?


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