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Strömungen im offenen Wasser

11.1. Die Wache von 03h bis 06h mag ich eigentlich sehr, weil ich dann meistens die ersten Dämmerungszeichen beobachten kann. Wie der Himmel im Osten allmählich heller wird und die Wolken, die immer eine Schicht am Horizont bilden, allmählich in ganz feinen Pastelltönen zu schimmern beginnen.

Heute fand dieses unvergleichliche Schauspiel weitgehend ohne mich als Zuschauerin statt. Einerseits, weil es wegen unserer westlichen Position erst spät begann und andererseits, weil ich sehr mit steuern, Leonie justieren, Leonie von Algen befreien und gelegentlichem Schimpfen beschäftigt war. Morgens kurz vor der Dämmerung ist es am kühlsten im Tagesverlauf und so bilden sich dann am meisten Wolken, wenn die Feuchtigkeit in der kühleren Luft kondensiert. Und jede Wolke hat ihren eigenen Wind, mit teils markanten Schwankungen sowohl in Stärke als auch in der Richtung.

An diesem Morgen flaute der Wind öfters bis auf 8 Knoten, d.h. 2-3 Bft ab. Das ist auch für ein leichtes Boot wie sea magiX auf diesem Kurs nun doch sehr wenig. Wenn wir bei so leichter Windstärke in ruhigem Wasser unterwegs sind, kann es noch immer klappen. Aber wenn die Wellen sea magiX zum Rollen bringen, dann schlägt die Genua mit lautem Knallen immer wieder hin und her und lässt Schiff und Crew bis ins Mark erzittern. So war es denn auch heute Morgen. Mit einem steileren Winkel zum Wind kann man versuchen, das Schlagen zu minimieren und auch wieder mehr Fahrt ins Schiff zu bekommen. Aber das macht nur so lange Sinn, wie der Wind wirklich so schwach ist. Sobald er wieder zulegt, fährt sea magiX ruhiger, wenn sie wieder auf räumlicherem Kurs unterwegs ist. Also stellt man Leonie wieder zurück. Und wieder vor… und wieder zurück… Handsteuerung wäre da wohl einfacher und zielführender.

Was heute Morgen besonders dazu gekommen war, war die für die leichten Windstärken unpassend raue See. Die hatte sich wahrscheinlich gebildet, weil wir uns gerade an einer Stromkante befanden. Zu meiner immer wieder neuen Überraschung bewegen wir uns hier nämlich ständig durch unterschiedlich strömendes Wasser. Momentan haben wir zum Beispiel etwa einen halben Knoten Gegenstrom. Gestern half uns stundenlang ein halber bis ein Knoten Strom. Die Karte zeigt den „Northern Equatorial Current“ etwas nördlich von 10° Nord. Südlich davon und weiter im Westen ist ein „Equatorial Counter Current“ eingezeichnet.

Ich hatte mir vorgestellt, dass wir hier wie auf grossen Förderbändern unterwegs seien. Aber die Realität zeigt uns etwas anderes: die Förderbänder sind immer wieder unterbrochen, haben vielleicht so etwas wie grosse Wirbel, ziehen auf wenigen hundert Metern in unterschiedlichen Richtungen aneinander vorbei und sorgen generell für sehr abwechslungsreiche, aber teils auch schwierig zu segelnde Wellenbilder. Besonders eindrücklich war gestern Nachmittag ein Moment, als wir bei glattem Wasser mit angenehmer, ruhiger Dünung an einer Stromkante vorbei segelten.

Während bei uns das Wasser unverändert blieb, kochte es nur wenige Meter entfernt von uns, wie wir das von Gegenden wie dem Pentland Firth oder den Kanalinseln gut kennen. (Das ist auf dem Foto nur schwer an den kleinen Schaumkronen am Horizont zu sehen.) Mit dem Unterschied, dass dort die Geografie mit Meerengen, Untiefen und Kaps die Strömungen vorhersehbar machen. Hier aber bewegen wir uns auf ca. 4000m Wassertiefe, mit gelegentlichen „Untiefen“ von 2500m. Dass die Ströme, die hier vor allem durch Temperaturunterschiede entstehen, trotzdem so spür- und sichtbar sind hier „draussen“, das fasziniert mich sehr. Und natürlich hoffe ich, dass wir bald wieder in ein mitlaufendes Förderband kommen.

Momentan begleiten uns gerade einige Vögel (sie klingen nicht wie Möwen, sondern quietschen eher wie Gelbschnabelsturmtaucher, sehen aber schlanker aus und sind doch zu gross für Seeschwalben – ich wage keine genauere Bezeichnung für sie anzugeben). Vielleicht ist das ja ein Zeichen, dass wir bald wieder ins „Südwestwärts-Förderband“ kommen werden?