Bordleben in den letzten Tagen vor Amerika

Ich melde mich nochmals, denn soeben sind von Uschi weitere zwei ihrer sensationellen Berichten eingetroffen. Lest selbst, was sich so alles in den zwei letzten Tagen vor dem Landfall in Barbados auf sea magiX so alles zugetragen hat. Viel Spass!:

So., 22.12., Tag 19; Sonntagssegeln

Sonntagssegeln – einfach schoen. Passt ja auch fuer den heutigen vierten Advent. Wenn auch die Vorstellung von Skifahren im Wallis oder sonstwo, oder von Samichlaus-Kostuemen, oder auch von Weihnachtsguetzli oder Mohnstrudel hier gerade nicht so ins Bild passen. Trotzdem – danke an alle fuer die diversen Nachrichten aus einer anderen Welt. Wir sind sehr froh zu hoeren, dass es nicht nur uns gut geht.

Der Dresscode an Bord hat sich stark gelockert zu vor einigen Tagen: Bikini bzw. Badehose sind angesagt. Der Himmel ist blau, es weht ein E-Passat mit 4-5 Beaufort, im Schiff haben wir 31 Grad und das Wasser ist weiterhin bei 27 Grad. Die Sonne ist daran, unseren Energiebedarf mit 3 Solarpanels zu decken; die Batterie ist wieder voll, der Kuehlschrank kuehl (vielleicht gibt’s heute ausnahmsweise eine Buechse Sonntagsbier zu zweit) und der Wassermacher fuellt den Wassertank bis zum Ueberlaufen. Seit unserem Start in Teneriffa mussten wir noch nie den Motor fuer unseren Energiebedarf zu Hilfe nehmen, sondern konnten bisher alles durch die geschaeftige Gisela, unseren Wassergenerator, und die zwei fixen und zwei mobilen Solarpanels decken. Solange Sicherungen und Controller ok sind, ist dies ein super Gefuehl. Und ein Weihnachts- bzw. Geburtstagsgeschenk fuer den Skipper weiss ich jetzt auch schon; irgendwie werden wir wohl einen groesseren Controller mit mehr Kapazitaet fuer mehr Solarpanels bestellen und aufs Schiff bringen.

Die Wellen sind passend zur tieferen Windstaerke ebenfalls weniger hoch, wenn auch kuerzer geworden. Ab und zu kommt Sea magiX noch immer so richtig ins Schaukeln, dass alles von links nach rechts und dann wieder nach links fliegt. Seit gestern haben wir an der Segelstellung nichts mehr geaendert: nach wie vor haengt die ganze Genua ausgebaumt an Backbord und zieht uns immer ungefaehr nach 270 Grad, ab und zu auch suedlicher, wie erwuenscht. Auch die Parasailor-Frage eruebrigte sich schnell, als gestern sehr bald wieder die gewohnten ca. 17-21kn Wind zurueck kamen. Und die Nacht? einfach wunderschoen. Gelegentliche Woelkchen kamen immer wieder vorbei und machten das Sternebild-Entdecken spannender, wenn Teile ploetzlich fehlten. Aber sie brachten nie mehr als 2-3kn mehr Wind und wenn ueberhaupt, dann wenige kleine Regentroepfchen. Eine duenne Scheibe Mond ging ? auf dem Ruecken liegend um 03.30h im Osten auf. Sobald er etwas hoeher stand, reichte sein Licht schon wieder, um Schatten zu werfen. Trotz seiner inzwischen stark abgemagerten Form. Eigentlich haette ich spannende E-Books zum Lesen, aber heute Nacht verbrachte ich die meiste Zeit wieder mit Schauen und Staunen.

Von der anderen Segelyacht, sie heisst Luca und hat ein Callsign, das mit FA beginnt (ist das Frankreich?) sehen wir im Moment nichts mehr – weder im AIS noch von Auge. Gestern versuchten wir noch, sie fuer einen Schwatz per VHF zu erreichen, als sie noch in Sichtweite war. Aber wie wir hatte die Crew wohl ihr VHF auch nicht staendig eingeschaltet und unsere Rufe verhallten im unendlichen Blau. Nun, vielleicht treffen wir sie ja dann auf Barbados und koennen das Gespraech dann nachholen. Auch im AIS begegneten wir gestern einer riesigen Boje, mit mehr als 800 Fuss Laenge und 150 Fuss Breite. Sie war mehr als 7SM suedlich von uns, aber trotzdem recht ueberraschend, denn in der Karte hatten wir dort nichts und die ist nun doch recht gross, wenn die AIS-Angaben stimmten.

Heute Morgen noch meinte Baenz, es fehle eigentlich nur noch, dass endlich mal ein Fisch anbeisse. Nun, Neptun ist momentan wohl bei guter Laune. Es dauerte nicht lange, da tanzte tatsaechlich ca. 50m hinter uns ein grosser Fisch hin und her im Wasser. Sofort begann das Spiel mit dem Einziehen. Aber ganz so toll gelaunt ist Neptun dann wohl doch wieder nicht. Oder er sah vielleicht ebenfalls, dass fuer uns zwei ein kleinerer Fang deutlich besser passen wuerde. Jedenfalls hatten wir etwa die Haelfte der Leine eingezogen, als der Zug weg war. Und als der Koeder dann wieder an Bord kam, war sein Verbindungsauge zur Leine aufgebogen und der Haken fehlte. Nur der etwas traurig blickende kleine rosa Pulpo hing noch da. Ich hoffe, der Fisch konnte den Haken auch wieder loswerden. Und stelle mich wieder auf ein Kartoffel-Linsen-Gemuese-Znacht ein, das wohl eher mit Speckwuerfelchen aufgepeppt wird, als mit Fisch-Stuecken. Wobei – die Leine haengt wieder draussen und des Skippers Jagdinstinkt wurde geweckt?

Mo., 23.12., Tag 20: Land im Weg

Bis zum Waypoint noerdlich von Barbados, wo es um die Ecke und dann suedwaerts in einen der beiden Haefen fuer die Zollformalitaeten geht, sind es gemaess Plotter jetzt noch 60SM. Das sind etwa 10 bis 12 Stunden, wenn es so weiter faehrt wie im Moment. Es ist heiss, die Sonne scheint zwischen den Passatwolken hindurch, wir haben ca. 4-5 Bft Passat aus Ost, die Genua ist ausgebaumt an Backbord, und eigentlich wissen wir noch gar nicht so recht, wieso das schon so bald aufhoeren soll, ausser weil eben Land im Weg liegt.

Vorhin haben wir unseren fast letzten frischen Salat (Gurkensalat — sorry Tom!) genossen (noch bin ich nicht sicher, was wir mit dem Rotkohl machen, der noch immer im Netz vor sich hin mueffelt), Wassertank und Batterie sind voll, der Kuehlschrank ist kuehl und noch immer gut gefuellt, lang haltbares Brot haben wir noch 3.5 kg plus 6 Aufbackbaguettes und dann noch viel Mehl und Hefe, Aepfel und Orangen haengen ebenfalls noch im Netz ? warum also diesen Reiseabschnitt so hastig beenden? Und doch ? wir sind sehr dankbar, dass die drei letzten Wochen bis jetzt so gut gelaufen sind. Man soll den Tag ja nicht vor dem Abend loben, und deshalb ziehen wir hier sicher noch kein Fazit, aber bisher ist wirklich nichts Schlimmes passiert, das Schiff und die Crew sind in bestem Zustand und es waere super, wenn wir das auch morgen Abend sagen koennen, wenn wir irgendwo vor Anker liegen und vielleicht einen noch kuehl zu stellenden Cava zum Anstossen oeffnen.

Natuerlich freuen wir uns auch darauf. Der Cruising Guide von Doyle wurde schon ausgiebig studiert, die Papierkarten sind im Kartentisch bereit (es wird wohl Nacht sein, wenn wir in die Naehe kommen) und wir haben uns schon gefragt, worauf wir uns am meisten freuen. Fuer Baenz ist es eindeutig Glac‚. Fuer mich? Schwimmen in dem so schoen warmen, weichen Wasser, das uns bis hierher getragen hat. Bezueglich Essen haben wir momentan – abgesehen von dem erwaehnten Eis, das ich auch ganz gerne geniessen wuerde, keine wirklichen Sehnsuechte. Vielleicht am ehesten nach einem feinen Fisch-Essen, denn da waren wir bisher ja wie erwaehnt eher weniger erfolgreich. Inzwischen haben wir noch drei weitere Haken verloren und ein Koeder aus Metall hat Kratzspuren von kleinen Zaehnen und ein Auge verloren? Anscheinend sind die Koeder tatsaechlich ansprechend fuer gewisse Fische, aber Haken, Vorlauf oder sonst etwas scheint dann nicht zusammen zu passen. Und das seit einigen Tagen staerker vorhandene Sargassum, das in recht grossen Buescheln an Schiff, Leonie, Leine und wohl auch am Koeder haengen bleibt, hilft sicher auch nicht. Nun, mal sehen ob in den letzten Meilen noch ein Erfolg zu verbuchen sein wird. Unsere Fischer-Karriere steht ja erst am Anfang. Obwohl – jetzt haben wir nur noch einen einzigen letzten Haken – wie lange der noch halten wird? 

Wir freuen uns auch darauf, uns wieder anders zu bewegen, als «nur» die staendigen Ausgleichsbewegungen zu machen, Turnuebungen zum Festhalten und Verkeilen, oder mein persoenliches Nachtwache-Bewegungsprogramm abzuspulen. Als Bewegungsmensch war dies eines meiner groessten Fragezeichen vor dieser Reise; wie denn das sein wuerde, wenn ich nicht wie sonst mindestens 10km pro Tag laufen oder Velofahren koenne. Zu meiner Ueberraschung und Erleichterung klappte das aber ganz gut. Ich habe in jeder Nachtwache mehrmals ein paar Serien Kniebeugen, Knieheben, Fersenheben, Wadenstrecken, etc. durch-exerziert. Das half einerseits immer, den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen und mich so wach zu halten – gleich in Kombination mit dem ausgiebigen Rundumblick – und andererseits gab es mir zumindest das Gefuehl, ich bewege mich auch noch anders als nur vom Cockpit ins Schiff hinunter und wieder hoch.

Gespannt schauen wir also dieser moeglicherweise letzten Nacht dieses Abschnittes entgegen. Sie koennte nochmals recht anspruchsvoll werden; die Luftfeuchtigkeit ist extrem hoch und die Wolken viel zahlreicher als an den letzten beiden Tagen. Lieber waere uns aber nochmals eine Sternen-Nacht?

Inzwischen sind wir bei der Bordzeit UT-4 angelangt, also 5 Stunden hinter der Schweizer Zeit. Falls der Plan aufgeht und wir tatsaechlich morgen gegen Mittag Karibische Zeit irgendwo anbinden koennen, werden in den Schweizer Stuben wohl gerade die Heilig-Abend-Essen serviert. Wir wuenschen deshalb allen schon jetzt schoene, friedliche und ruhige Weihnachten! 


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