Von den Kap Verden und insbesondere von Mindelo, der „heimlichen Hauptstadt“ der Inselgruppe, hatten wir diverses gehört. Familienmitglieder waren vor einigen Jahren dort in ihrer Bleibe bestohlen worden, Freunde hatten die sehr sichtbare Drogendealerei und Prostitution beschrieben. Andererseits hatten wir auch viel Schönes über die Inselgruppe gelesen, insbesondere über ihre Landschaften. Wir wollten uns unser eigenes Bild machen, wie üblich, und wir haben es nicht bereut. Die acht Tage, die wir in dem Archipel verbrachten, waren eindrücklich, wunderschön, manchmal etwas anstrengend – einfach unvergesslich.
Wir kamen – wie von Paddy vorausgesagt – am 24.12. dort an. Pünktlich für Heilig Abend, aber wie erhofft im Verlauf des Vormittags. Die letzten Meilen hatten wir ein wenig getrödelt. Einerseits weil wir nicht zu früh da sein wollten. Und andererseits weil wir bei zuletzt wenig Wind trotzdem nur die Genua draussen hatten, in Anbetracht der von allen Revierführern angesagten Winddüse zwischen Santo Antao und Sao Vicente. Die kam aber nicht. Nur ziemlich viel Strom, der uns südwärts spülte und den Jachten, die uns entgegen kamen, das Vorankommen wohl schwer machte.
Beim Anmelden über Funk erhielten wir von der Marina, bzw. dem Marinero sofort die Antwort, dass es Platz habe für uns und er würde uns mit dem Dinghi zum Platz voraus fahren. Wir sahen, dass er uns mit einer Boje im Luv gegen den Seitenwind an einen Platz weisen wollte, in den wir bei diesen Windverhältnissen nicht hinein gekommen wären. Es folgte etwas Diskussion und schliesslich verfing das Argument, dass wir kein Bugstrahlruder haben und er mit dem Hartschalendinghi uns nicht stossen könne, dann doch. Plötzlich durften wir dann doch an einen Platz mit Mooringleine vorwärts parkieren. Und siehe da – wir hatten das Glück, auch noch direkt neben der SY Maxi mit unseren Freunden Baba und Röbi zu landen. Manchmal lohnt es sich doch, wenn man sich ein wenig wehrt und „Theater macht“…
Die Marina wirkte professionell und gut ausgerüstet auf uns. Im Marina-Office merkten wir schnell, dass die bevorzugtere Touristensprache Französisch ist, und nicht Englisch. Das dann dafür einwandfrei. Zur Marina gelangt man durch zwei Gittertüren, von denen die Äussere nachts geschlossen wird und für Spätheimkehrer vom Marinero manuell geöffnet wird, und die Innere zwar nie abgeschlossen ist, aber daneben das Wachhäuschen der Marineros liegt, die da auch drin sitzen. Wir haben uns in der Marina sehr sicher gefühlt und hatten keine Bedenken, sea magiX dort ein paar Tage liegen zu lassen, um die Nachbarinsel Santo Antao zu besuchen.
Mit den Access Cards, die man beim Einchecken erhält, öffnet man wie erwähnt keine Tore, sondern bezahlt damit das gebrauchte Wasser. Man lässt vom Marina-Staff x Liter Wasser für 170 Escudos pro Liter (d.h. CHF 1.50 für 100 Liter) darauf laden und kann jederzeit nachladen. Um zu duschen, oder das Boot abzuspritzen, oder den Wassertank zu füllen, muss die Karte im Card Reader eingesteckt werden und die Liter werden abgezogen. Ein sinnvolles Prinzip in einem Land, wo Süsswasser rar ist. Die Wasserqualität, wie auch sonst die sanitären Einrichtungen, fanden wir gut, und auch das Preis-Leistungsverhältnis stimmte in unseren Augen. Wie das alles funktioniert, wenn die ARC-Schiffe da sind, können wir nicht beurteilen. Das könnte dann vielleicht die Marina an ihre Grenzen bringen. In unserem Fall waren jedenfalls noch viele Plätze frei. Die meisten davon auf der Luvseite mit Bojen…
Nur zwei kritischere Anmerkungen gibt es noch zu machen zur Marina: der Schwell ist beachtlich und Ruckdämpfer, sowie mehrfache Leinen und genug Abstand zum Steg unbedingt nötig. Einer unserer Ruckdämpfer hat der Belastung nicht standgehalten und ist gerissen. Und wegen der nötigen Distanz zum Steg war das Ein- und Aussteigen über den Bug, bzw. via Anker, für mich jedes Mal ein Abenteuer.
Der zweite Punkt, an den wir uns gewöhnen mussten, war die bemerkenswert laute Musik, die abends vom Land her direkt zur Marina schallte. Die Bässe waren auch noch im Schiff physisch spürbar. Das beeindruckte uns zwar in der ersten Nacht nach unserer Ankunft nicht besonders, war dann aber danach doch gewöhnungsbedürftig. Wir lernten dabei gleich einen Aspekt der Kapverdischen Kultur kennen: sie mögen es gerne sehr lang sehr laut hier, und zwar jeweils ab etwa 23h bis in die frühen Morgenstunden. Davon zeugten auch die riesigen Boxen-Anlagen, die für die viertägige Silvesterparty aufgestellt wurden.
Von unserem ersten Spaziergang ins Städtchen auf noch etwas wackeligen Beinen nach 6 Tagen Überfahrt kamen wir mit dem Eindruck von vielen Farben, viel Lautstärke, vielen Menschen (vor allem Männern), die im Schatten den Tag vorbei ziehen liessen, viel Armut und Betteln und viel Verkehr zurück.
Bei späteren Besuchen der Stadt begann sich das Bild etwas zu differenzieren. Es gibt das Gebiet um den fröhlich farbigen Afrikanischen Markt, wo die Armut sehr deutlich sichtbar ist. Vielleicht tun wir dem Gebiet unrecht, aber wir hatten beide den Eindruck, dass wir dort wohl nachts besser nicht auftauchen sollten.
Dort sitzen tagsüber aber auch die Frauen mit ihren Körben von Gemüse und Obst am Strassenrand, bei denen man direkt und meist günstiger als am afrikanischen Markt und sicher günstiger als im Mercado Municipal frisches, schönes Gemüse findet. Bänz perfektionierte mit der Zeit seine Einkaufstechnik und stellte fest, dass es am besten klappte, wenn er die Tomaten auswählte und dann einen geschätzt realistischen Geldbetrag übergab. Das umgekehrte Vorgehen, bei dem ich vorher um den Kilopreis fragte (und immer 400 Escudos angegeben bekam), der Sack dann (sehr kurz!) gewogen wurde und ich einen Preis genannt bekam, wurde wahrscheinlich jedes Mal teurer für uns. Gleichzeitig sagten wir uns aber, dass wir in Santo Antao gesehen hatten, wie hart für dieses Gemüse gearbeitet worden war, und dass wir deshalb den Touristenzuschlag gerne bezahlten.
Der grosse Mercado Municipal ist etwas teurer mit der ungefähr gleichen Auswahl an Angeboten. Er macht vor allem mit nach aussen gerichteten Boxen, aus denen sehr laute Musik schallt, auf sich aufmerksam.
Ein anderes Thema war die Bettelei. Besonderen Eindruck machte uns das Beispiel eines jungen Mannes, der uns vor dem Fragata-Supermarkt, der am nächsten zur Marina liegt, abfing, uns ungefragt den Eingang zeigte (den wir wohl auch so gefunden hätten…)und mich quasi im Gegenzug für seine „Hilfe“ anflehte, „one bottle milk for my son“ zu kaufen. Dabei hatten wir eigentlich nur einen Blick in den Laden werfen wollen, wie es darin überhaupt aussah. Wir kauften nichts, auch keine Milchflasche (unter anderem, weil wir keine sahen), aber als wir wieder herauskamen, passte uns der junge Mann wieder ab. Diesmal führte er uns in den Laden (nach einem schnellen Blick zum Security Guard, der wohl dort angestellt war, um zu verhindern, dass Menschen wie unser junger Mann in den Laden gelangten) und zeigte auf eine grosse Packung Milchpulver. Ach so! „milk powder“, nicht bottle! Ich liess mich erweichen und stellte mich in die Schlange fürs Bezahlen mit meiner Milchpulverpackung. Kaum draussen, nahm der junge Mann mir die Packung ab und zog eiligen Schrittes von dannen – inzwischen mit zwei Packungen unter dem Arm, er hatte also noch jemand anderes gefunden, der sich hatte erweichen lassen. Im Vorbeigehen fragte ich ihn, wie alt denn sein Sohn sei. Da lächelte er und meinte „five“. Ich, etwas erstaunt, weil ich für einen Fünfjährigen eher weniger auf Milchpulver getippt hätte „Five years old?“. Nein, meinte der junge Mann. Er habe fünf Kinder und der jüngste Sohn sei drei Monate alt… Ok, das machte mehr Sinn. Aber es verdeutlichte auch gleich das Thema Armut und Bettelei: wie so viele der Menschen auf den Kap Verden war dieser junge Mann wohl noch keine 25 Jahre alt. Und hatte fünf Kinder und keine Arbeit, um sie zu ernähren. Nachdenklich zogen wir weiter.
Tante Emma-Läden gibt es neben dem Mercado Municipal und den Geschäften der Fragata-Kette viele in der Stadt. Sie sind nicht immer alle gut angeschrieben, aber führen oft erstaunlich grosse Sortimente. Wir waren besonders erfreut und erstaunt, als wir einen mit verschiedenen Kartonweinen in diversen Grössen fanden. Obwohl wir für die Überfahrt sicher keinen Wein suchten, war uns auch klar, dass solches in der Karibik schwierig zu finden sein kann. Und wir bevorzugen an Bord jede Möglichkeit, Glasflaschen zu vermeiden. Wie erwartet konnten wir kaum frische Milchprodukte finden. Diesbezüglich hatten wir ja noch auf den Kanaren in weiser Voraussicht aufgestockt. Was wir aber erstmals fanden und gleich kauften, waren Jogurts, die ungekühlt gelagert werden können. Es ist wohl pure Chemie, aber für unsere Müesli sicher eine gute Idee. Nebst den Lebensmittelläden gibt es unzählige «Chinesenläden»: Supermärkte oft ungeahnter Grösse mit allerlei Non-Food Artikeln, vor allem aus Plastik. Sie alle sind sehr fest in chinesischer Hand in Mindelo.
Ein weiterer Eindruck, der sich ebenfalls im Verlauf der Zeit differenzierte, aber trotzdem unser Bild von Mindelo und den Kap Verden prägte, war die Ernstheit, mit welcher die Menschen hier zumindest in unserer Wahrnehmung in die Welt blicken. Kaum ein spontanes Lächeln war ihnen zu entlocken. An der Kasse im Laden, von der Bedienung im Café oder Restaurant, oder auch die junge Frau mit untypisch hell blondierten kurzen Haaren im «Tourist Office», einer winzigen Holzbude am zentralen Kinderspielplatz – es gelang uns nur ganz selten, bei diesen Menschen einen in unserer Wahrnehmung fröhlichen oder freundlichen Gesichtsausdruck zu erhaschen. Was sich jedoch dann schnell ändern konnte, wenn wir echtes Interesse an ihnen zeigten und zum Beispiel nach ihrem Namen fragten. Aber das macht man in unseren gewohnten Breitengraden ja auch nicht mit jeder Mitarbeitenden im Service, und sie lächeln trotzdem zurück wenn man sie freundlich anspricht… Es gab aber Ausnahmen, die uns gerade deshalb besonders in Erinnerung geblieben sind. Zum Beispiel die Mitarbeiterin im Restaurant Algarve, die jeden fröhlich begrüsste und jedem Gast das Gefühl gab, willkommen zu sein. Und nein, sie war nicht aus Portugal eingewandert. Wir haben sie gefragt… 😊
Bezüglich der Bürokratie fürs Ein- und Ausklarieren empfanden wir Mindelo als sehr entspannt. Da wir an einem Feiertag, dem 24.12. angekommen waren, konnten wir erst am 26.12. die Formalitäten angehen. Das war aber für niemanden ein Problem. Die Policia Maritima befindet sich beim Eingangstor zum kommerziellen Hafen, wo übrigens alle paar Tage auch Kreuzfahrtschiffe festmachen.
Die Büros der Einwanderungsbehörde und der Policia Maritima liegen direkt nebeneinander. Bezeichnend die Papierstapel an der Wand des einen. Wer die wohl je sortieren und archivieren wird? Trotzdem – in der Immigration musste der Skipper nur ein einseitiges Formular mit unseren Angaben ausfüllen und die üblichen Fragen nach «woher, wohin» beantworten. Dann erhielten unsere Pässe einen – wegen der fast trockenen Stempelfarbe kaum lesbaren – Eintrittsstempel und schon waren wir am Weg um die Ecke zur Policia Maritima, bei der es nicht um die Personen sondern ums Schiff geht. Wir wurden im Gang vor den Büros von der zuständigen Beamtin empfangen und auch dort ging es darum, das entsprechende Formular auszufüllen. Hinter dem kleinen Holztisch, an dem Bänz schrieb, lehnte ein sehr schönes, hochmodernes Rennvelo an der Wand. Die Beamtin taute sofort auf, als ich sie darauf ansprach. Nein, es sei nicht ihres, aber es gefalle ihr auch sehr. Es gehöre einem ihrer Kollegen. Wir mussten dort die Schiffspapiere abgeben und sie teilte uns mit, wir bekämen sie dann wieder, wenn wir ausreisten. In weiser Voraussicht und aufgrund der Erfahrung von anderen ähnlichen Orten, hat der Skipper dafür jeweils eine hochwertige Kopie des Flaggscheins in einer eigenen Hülle dabei. Sieht sehr offiziell und auch aus wie der echte Schein, wäre aber für den Fall, dass wir ihn aus irgendwelchen Gründen nicht zurück bekämen, doch nicht das Original. Die inzwischen richtig freundliche Beamtin meinte dann noch, wir müssten am 30.12. wieder ausklarieren, wenn wir am 31. Oder 1.1. losfahren möchten, weil sie an jenen Tagen geschlossen hätten. Nach etwa einer halben Stunde war alles erledigt.
Das Ausklarieren erledigte der Skipper dann alleine, während ich mit Vorkochen beschäftigt war. Um unsere Flexibilität für die Abreise zu erhalten, wollte er es wie empfohlen schon am 30.12. machen. Die Bootspapiere erhielt er da auch problemlos zurück, obwohl noch nicht klar war, ob wir am 31., 1. Oder vielleicht erst am 2.1. gehen würden. Hingegen bei der Immigration biss er auf Granit. Der Beamte hatte genau gefragt und Bänz antwortete wahrheitsgemäss, dass noch nicht sicher sei, ob wir das Land nun am nächsten oder übernächsten Tag verlassen würden. Da meinte er «come again tomorrow when you know». Als Bänz dann am 31. tatsächlich wieder dort hin pilgerte, klappte es dann aber problemlos. Da war er dann auch auf die Frage vorbereitet und behauptete, wir würden am 1.1. abreisen. Dass wir dann doch noch bis am 2.1. blieben, interessierte wieder niemanden.
Wir verbrachten die Weihnachtstage damit, durchs Städtchen zu schlendern, einzukaufen, das Schiff nach der Überfahrt hierher wieder instand zu stellen, mit der Maxi-Crew und mit Marc und Karin von der St. Raphael zu plaudern und auch mit einigen Stunden Arbeit am PC. Aber wir wollten gerne auch wieder ein wenig wandern und suchten uns deshalb spontan auf Booking.com eine Unterkunft auf Santo Antao, der Nachbarinsel, die als Wanderparadies bekannt ist. Über unsere drei Tage vom 27.-29.12. berichte ich dann in einem separaten Beitrag.
Weitere Fotos werde ich gerne später nachliefern; der Bericht kann sonst jetzt nicht geschickt und hochgeladen werden.