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„En Lehrplätz“

Wir haben mal wieder etwas gelernt. Und wie das beim Lernen so häufig ist – am stärksten einprägsam sind nun mal die schlechten Erfahrungen. Wir werden wohl noch Jahre später wissen, dass es den North Equatorial Counter Current gibt, und dass der ab etwa 39° West zwischen dem 9. und dem 3. Breitengrad von West nach Ost fliesst, mit ca. 1-3 Knoten.

Bis gestern hatten wir diese Tatsache nicht bewusst wahrgenommen. Jetzt haben wir sie erlebt. Bzw, erleben sie gerade.

Es war eine sehr holprige, frustrierende und anstrengende Nacht. Leonie steuerte uns im Slalom platt vor dem reichlichen Wind nach Südwesten. Es rauschte, rollte, knallte, knarzte und warf sea magiX und ihre Crew umher wie Spielbälle im Sprudelbad. Das Wellenbild hatte sich akzentuiert: Wind von 5 Bft gegen Strom von 2-3 Knoten eben. Schlafen war schwierig bis unmöglich. Die Wache sass jeweils drei Stunden lang auf Nadeln, denn es konnte jeden Moment zu einer Patenthalse kommen, was wir möglichst vermeiden wollen. Das Schiff wird so schon genügend beansprucht. Und das alles, um mit gerade mal der Hälfte unserer Geschwindigkeit durchs Wasser überhaupt vorwärts zu kommen. Während wir mit 5.5 bis 7 Knoten Fahrt durchs Wasser stürzten, trug uns eben dieses Wasser mit dem schon erwähnten Förderband wieder mit 2-3 Knoten rückwärts. Wir waren auf viel Wind, wenig Wind, oder sogar Flaute vorbereitet. Aber viel Wind und trotzdem nicht vorwärts kommen, d.h. einen so starken Gegenstrom hatten wir nie als Möglichkeit in Betracht bezogen.

Morgens war die Stimmung, trotz schöner Farbenspiele am Horizont, an Bord eher gedämpft. Wir können beide rechnen. Auf dem direkten Weg sind wir noch etwa 600 SM von den Iles du Salut entfernt. Bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 3 Knoten über Grund gibt das 200 Stunden, also nochmals mehr als 8 Tage so weiter, wenn der Wind weiter halten würde, oder eben deutlich mehr, wenn er abflaut.

Nee, das kann nicht sein… Wirklich?! Es war schnell klar, dass so weiterfahren für beide keine Alternative war.

Der Skipper klemmte sich – Starlink sei Dank – hinter die Recherche. Auf Wikipedia wurde er fündig. Man suche dort mit dem Stichwort North Equatorial Counter Current (NECC) nach Infos und findet die oben erwähnten Angaben. Wir sind momentan beim 8. Breitengrad Nord und 42. Längengrad West unterwegs, also schön in dem beschriebenen Gürtel.

Von unserem Wetterrouting lud Bänz dann mal eine Wetterkarte mit Stromangaben herunter. Die hatten wir bisher ausgeblendet. Und siehe da, auch dort werden unsere Erfahrungen bestätigt. Anhand der in der Stromangaben in der Karte setzte er zwei alternative Routen ab: einmal nach Norden und dann Westen und einmal nach Süden und dann abzweigen. Nach etwas Hin und Her („Wir wissen, etwa auf welcher nördlichen Breite der Spuk begonnen hat, aber nicht sicher, wo im Süden er wieder aufhören wird“ vs. „Wenn wir nach Süden fahren, bewegen wir uns noch immer ein wenig in Zielrichtung. Wenn wir nach Norden ausweichen, fahren wir weg vom Ziel.“), da beide Routen etwa gleich viel, nämlich ca. 150 SM weiter sind als der direkte Weg, kam der Entscheid. Seit heute Vormittag haben wir nun etwa Kurs Süd. Der Plan ist, so weit südlich zu fahren, dass wir an die untere Grenze des Counter Currents kommen, und dann auf West zu drehen. Wir hoffen, dass dies „nur“ die erwähnten 150 SM und somit etwa 1.5 Tage mehr bedeutet. Und natürlich, dass sich der Strom an die Angaben in der Wetterkarte hält. We will see.

Was uns diese Erfahrung aber auch vor Augen geführt hat: auch wenn wir unsere Überfahrt so deutlich verlängern; das Gefühl, selbst etwas an unserer Situation ändern zu können, bewirkt sofort eine Verbesserung der Stimmung. Dazu kommt, dass dieser Kurs viel angenehmer ist, obwohl die Wellen noch immer genau gleich hoch sind, dass wir wieder den Windverhältnissen (sogar bei gereffter Genua) angepasste Fahrt über Grund machen, wenn auch nicht ganz dorthin, wo wir hin wollen, und dass wir wieder Leonie ganz sich selbst überlassen können, denn solche Kurse steuert sie trotz Windänderungen recht stabil. Unsere Welt hat sich also innert Stunden markant verbessert.

Der Skipper liest (Achtsamkeits-)Krimi, die Crew schreibt – die Welt ist wieder in Ordnung. Jetzt gilt es Daumendrücken, dass wir tatsächlich in etwa 200 SM von hier aus diesem Förderband hinaus fahren können!

Anmerkung der Redaktion:
Und ich habe den Equatorial Counter Current auf der Karte meines Beitrags von Gestern nachträglich markiert. Dort ist er nämlich auch ersichtlich. Und hier noch das Wissen aus dem Internet:

Der Lehrplätz gilt auch für mich. Entschuldigt bitte sehr, Uschi und Bänz.
Paddy