Am Morgen des 30.1. regnete es nur noch bis zum Tagesanbruch. Wie vom Wetterbericht versprochen, verzogen sich die ganz dunklen Wolken allmählich westwärts und es wurde trocken. Wir hatten für die ca. 24 Stunden Überfahrt vom Maroni in Französisch Guyana zum Suriname River in Surinam darauf gehofft. Denn die Strecke ist für ihre Tücken bekannt: flaches Wasser, starke Strömung und viele Fischer mit kilometerlangen Netzen, die an der Oberfläche treiben. Der Gedanke an diese Strecke bereitete mir schon länger Bauchweh. Jetzt wollten wir sie in Angriff nehmen und hatten dafür auf möglichst günstige Bedingungen gewartet. Ich war froh, dass ich den Skipper hatte überreden können, nicht schon im Dunkeln zu starten. Nicht nur, weil die Ausfahrt aus den natürlich vollkommen unbeleuchteten Criques dadurch ziemlich aufregend gewesen wäre, sondern eben auch wegen der Fischer. Wie sich zeigen sollte, nützte uns auch das Tageslicht nicht viel. Es ging trotzdem schief.
Bald nach Tagesanbruch hoben wir also unseren Anker und schlängelten uns aus der Crique Coswinne zurück in den Fleuve Maroni. Der starke Ebbstrom trug uns hinaus, vorbei an dem so grünen, undurchdringlichem Dschungel, und auch in hohem Tempo am Steg des Dorfes Awala-Yalimapo kurz vor der Einmündung vorbei. Bis hierher hatten wir tagelang keine Menschenseele und kein Anzeichen von menschlicher Anwesenheit gesehen. Keine Plastikflasche, kein Dreck, keine Gebäude, auch keine menschlichen oder mechanischen Geräusche. Ein unvergessliches Erlebnis, das wir durchaus auch noch einige Tage länger hätten geniessen können. Aber Surinam interessiert uns eben auch und es gibt noch soooo viel zu sehen!
Mit 9 bis 10 Knoten Fahrt über Grund rauschten wir zum Ausgang aus dieser Abgeschiedenheit. Ganz zuletzt, bei der Einmündung in den Maroni wurde es nochmals so richtig flach mit 3.4m in der Mitte der Gezeit, d.h. ca. 3 Stunden nach Hochwasser. Puh, das wäre bei Niedrigwasser ziemlich knapp geworden!
Auch im riesigen Grenzfluss Maroni trug uns die ablaufende Tide zügig hinaus. Der betonnte Weg über die Mündungsbarre führte ziemlich genau gegen den Wind, der uns mit 4-5 Bft kräftig auf die Nase blies. Wir wollten uns möglichst genau auf dem Track unserer Einfahrt hinaus bewegen, denn wir wussten, dass das ja beim Ankommen bezüglich Wassertiefe gereicht hatte – etwa bei ähnlichen Gezeitenverhältnissen. Sea magiX stampfte mit 8 Knoten in den Wind gegen Strom-Wellen tapfer hinaus. Manchmal schlugen wir so hart in den Wellen auf, dass es schon fast auf dem Sandboden sein konnte. Aber das Echolot zeigte meistens um die 4-5m. Dann kamen wir zur Barre, wo die Tiefe unter 4m sank und mit ihr mein Adrenalinspiegel stieg. Nur noch ein Tonnenpaar, genau auf der Barre, dann würde es wieder tiefer und wir hätten es geschafft! Gebannt schaute ich auf den Plotter und rief meine Korrekturen zum Steuermann. Da, plötzlich, wie in meinen Albträumen: kurz klang der Motor noch etwas gequält, dann würgte es ihn ab. Das durfte doch nicht wahr sein! Ausgerechnet auf der flachsten Stelle, bei fallender Tide und starkem Gegenwind, und genau mitten zwischen dem wichtigsten Tonnenpärchen fiel unser Motor aus??! Kurze Schrecksekunde und Bänzs Versuch, den Motor nochmals zu starten, dann war klar – wir hingen in einem Netz. Es lag quer über die Fahrrinne und hatte sich schön an beiden Fahrwasser-Tonnen angehängt. Die starke Strömung zog es unter Wasser, so dass die sowieso schon winzigen Netz-Bojen in dem braunen Wasser nicht sichtbar waren – wir hatten keine Chance gehabt, das zu sehen. Aber das war in dem Moment sowieso weniger relevant. Wichtiger war, wie wir da wieder los- und aus der Situation raus kämen, bevor uns die Wassertiefe „ausging“.
Schnell ganz wenig Genua ausrollen, um wenigstens irgend eine Manövrierfähigkeit zu haben. Aber wir waren fest „verankert“ am Heck und mussten so schnell wie möglich davon los kommen. Der Skipper fischte das Netz mit dem Bootshaken und zog es mit aller Kraft hoch. Ich sollte mit einem kurzen Strick den Strang umwickeln, damit wir ihn durchsäbeln konnten. Unzählige Versuche misslangen, x-mal hatte ich es fast geschafft, dann riss es mir der starke Zug wieder aus den nassen Händen. Dem Skipper wurden die Arme lang und länger. Endlich – die Leine war darum. Jetzt schnell mit dem Kappmesser, das immer am Steuerstand hängt, das Netz zerschneiden. Es dauerte – die Netze sind sehr stabil gebaut! Nach langen Minuten war auch das geschafft. Mit einem unschönen Schwanz von ca. 2-3m Länge begann sea magiX wieder zu segeln. Zwar träge und „schlapp“ wegen ihrer dicken Schleppe, aber immerhin. Schnell ein wenig mehr Segel und nichts wie weg von der Barre. Natürlich rutschte mir in genau dem Moment auch noch die Reffleine raus, aber endlich waren wir wieder nordwärts unterwegs. Halt eben nicht mehr im Tonnenweg, aber auf dem kürzesten Weg ins tiefere Wasser gemäss Plotter. Gefühlt ewig lang ging es, bis wir die Meile geschafft hatten, nach der wir in ca. 5m Wassertiefe gelangen sollten. Endlich waren wir da, und doch wurde es noch nicht tiefer. Steht ja auch so auf den Karten, dass die Tiefenangaben mit Vorsicht zu geniessen seien, weil sie sich hier ständig verändern. Aber immerhin – auch wenn die Tide jetzt noch einen Meter fallen sollte, würde es noch immer reichen, solange wir keiner neuen Barre begegneten.
Wir hatten uns gerade um eine weitere Verkürzung unseres Schweifs bemüht, und sea magiX bewegte sich spürbar erleichterter im Wasser, da tauchte vor uns ein schwarzes Fischerfähnchen auf.
Schnell – in welche Richtung lag das Netz oder wo war ein Fischerboot, das normalerweise am anderen Ende hängen sollte? Kein Fischerboot mehr weit und breit. Vorher hatten wir die Boote, die hier auf der Sandbank ankerten, jeweils genau beobachtet und unseren Weg um sie herum gesucht. Jetzt fehlte das Boot zum Fähnchen. Da sahen wir die kleinen Netz-Bojen – oh nein, die führten wieder landeinwärts! Wir mussten die hart erkämpfte Höhe wieder abgeben und den kleinen Bojen entlang nach südwesten segeln. Die Netze sind mehrere Hundert Meter lang; es dauerte ewig, bis wir wieder in Richtung tieferes Wasser halten konnten. Wohlgemerkt – hier heisst tieferes Wasser 5 statt 4m… Die 10m-Tiefenlinie bewegt sich etwa auf 10 SM, d.h. ca. 20 km Distanz zum Ufer. Endlich näherten wir uns der 10m-Linie und konnten ein wenig durchatmen, weiter versuchen, den Schweif zu kürzen, um manövrierfähiger zu werden und uns um das „Was nun?“ kümmern.
Ein erneuter Blick auf das Routingprogramm zeigte, dass uns wenigstens das Wetter weiterhin hold bleiben wollte, und gemäss jener Berechnung und mit einer Route schön ausserhalb der 10m, lieber auf 20m (also nochmals 20km weiter draussen) würden wir etwa um 03h bei der Ansteuerungstonne des Surinam Rivers ankommen, ab wo wieder seichtes Wasser und Tonnenweg aktuell würden. Also im Dunkeln wieder zwischen den Fischern und ihren Netzen hindurch schlängeln und dann im stark strömenden Fluss ohne Motor ankern, um uns dort im braunen, undurchsichtigen Wasser um den Propeller zu kümmern… Keine erfreulichen Aussichten. Plötzlich war es keine so abwegige Idee mehr, einfach vier Tage so weiter zu segeln, um dann im blauen, klaren Wasser vor Barbados zu ankern!
Hmmmmm… Der Skipper legte sich mal ein wenig hin, um den Energie-Slump nach dem Adrenalin-Hoch abzuschlafen. Ich sass im Cockpit, hielt Ausschau nach Fischerfähnchen und Fischern (ab der 10m-Linie war Ruhe und wir steuerten auf die 20m zu) und sinnierte über unsere Pläne.
Einer der drei wichtigsten Gründe für unsere Fahrt via Französisch Guyana in die Karibik war eben dieser Besuch in Surinam und dann Inland in Guyana, der nun gerade etwas in Frage gestellt war. Sollten wir wirklich darauf verzichten? Den Flug nach Guyana hatten wir am Abend vorher gerade gebucht. Das wäre viel Geld, das wir so in den Sand setzen würden. Andererseits – was war das gegen die Sicherheit des Bootes in dieser etwas ungemütlichen Situation?
Am Nachmittag hatten wir die 20m-Linie erreicht und die Wellen waren etwas weniger steil und unangenehm. Und – das Wasser war etwas heller, durchscheinender. Wir beschlossen, beizudrehen und einen Befreiungsversuch im Wasser zu machen. Bewehrt mit Taucherbrille, Flossen, Bänzs Shorty, dem Kappmesser und einer Leine in der Hand begab ich mich ins grünblaue Wasser. Es war vom Wasser aus beeindruckend, wie heftig sea magiX in den Wellen rollte. Zum Glück konnte ich mich am Netzrest, der an Deck mit einem Stropp an der Winsch angehängt und gespannt war, jeweils zum Propeller hangeln. Das Wasser war deutlich klarer als in den Flüssen, aber noch immer eher durchscheinend als durchsichtig. Trotzdem – den Saildrive und den im Netz eingewickelten Propeller konnte ich gut erkennen und auch, wo es am meisten Sinn machte, am Netz zu säbeln. Es kostete mich etwas Überwindung, unter das bockende Schiff zu tauchen und dort zu säbeln, bis mir jeweils die Luft ausging, aber erstaunlicherweise gewöhnt man sich auch an solche Situationen. Nach x Anläufen begannen sich Zeichen des Fortschritts zu zeigen. Das wirkte sehr motivierend. Noch zwei-dreimal da unters Boot, gut aufpassen, mich nicht selbst am Rope-Cutter, der vom Netz einfach auch eingewickelt worden war, zu verletzen und mich nicht im Netz und meinem Seil zu verheddern, dann kam der erlösende Moment – wir waren frei! Nochmals zweimal zur Kontrolle hin und alles genau abtasten (so klar war das Wasser nicht, dass man einen einzelnen Faden hätte sehen können). Nein, es war wirklich nichts mehr dran. Auch der Propeller klappte wieder mühelos auf und zu und auch im Rope Cutter war nichts mehr gefangen. Juppiie!!
Wieder an Bord zu steigen war dann gar nicht so einfach. Sea magiX hatte gleich begonnen, etwas Fahrt aufzunehmen, als sie auch diesen Rest Material losgeworden war. Nur ganz wenig, aber es war genug, dass ich es nicht schaffte, ohne Flossen (die ich auf der Badeleiter nicht tragen konnte) schneller als das Schiff zu schwimmen, wenn ich nicht meine Lifeline loslassen wollte. Nochmals ein eindrücklicher Moment. Wie muss sich das nur anfühlen, wenn man sich ungewollt im Wasser befindet und das Boot sich – ganz langsam, aber trotzdem unerreichbar schnell – von einem entfernt… Stoff für Albträume.
Wir hielten beide den Atem an, als der Skipper den Motor startete und dann den Gang einlegte. Ja, sie motorte wirklich brav vorwärts! Und auch rückwärts klappte es. Judihui, wir hatten tatsächlich den Kopf aus der Schlinge, bzw. dem Netz gezogen!
Nun mussten wir „nur“ noch in der Nacht bei der Anfahrt zum Suriname River den richtigen Weg zwischen den Fischern hindurch finden und alles wäre gut. Das klappte dann auch tatsächlich recht gut, weil wir uns auf den ca. 20 Metern hielten. Eine Zeitlang wurde es weniger tief, weil die Küstenkontur dort hinaus kommt. Da tummelten sich wieder Fischer und Fischernetze, aber glücklicherweise nicht mit der Dichte wie auf 10 Metern. Weiter aussen waren die grossen Fischerboote, die aber nicht mit diesen ewig langen Schlepp- und Treibnetzen fischen, sondern traditionell trawlern. Damit können wir besser umgehen, denn das kennen wir aus der Nordsee gut. Hingegen das Glückspiel, ob dieses blinkende Licht, das ein Netz-Ende bezeichnet, zu diesem Fischer hier backbord gehört, oder zu jenem dort weiter vorne im Luv, das kannten wir bisher nicht.
Weder der Skipper noch die Crew bekamen in jener Nacht ein Auge zu, aber gegen 03h waren wir schon im Bojenkanal unterwegs und die mit ca. 3 Knoten auflaufende Tide verhalf uns wieder zu so hohen Tempi (ca. 9 Knoten), dass ein kleiner Frachter sehr lange brauchte, um uns – ausgerechnet an der schmalsten ausgebaggerten Stelle – überholen zu können.
Im Stockdunkeln erreichten wir die breite Flussmündung und die Lichter von Paramaribo, wo der Wind bald einschlief. Was war ich froh, dass wir hier nicht ohne Motor und mit ganz wenig Wind aber starkem Strom nach einem Ankerplatz suchen mussten! Stattdessen konnten wir uns mit der Strömung an Paramaribo vorbei (hier darf man sowieso nicht ankern), unter der 41m hohen Jules Wijdenbosch Brücke hindurch, immer den blinkenden Bojen entlang Fluss-aufwärts tragen lassen und genau rechtzeitig mit der Morgendämmerung in Domburg ankommen.
Problemlos hielt uns der Skipper mit dem brav propellernden Motor bei einer der drei freien Bojen im Strom. Anhängen, fixieren, engine off, angekommen. Ein sehr gutes Gefühl!