Aus den Rías Nordspaniens hatte uns die Aussicht auf ein passendes Wetterfenster gelockt, um die 680 SM Überfahrt nach Madeira, bzw. genauer nach Porto Santo zu machen. Porto Santo ist eine kleinere Insel, die etwa eine Tagesreise nordöstlich von Madeira liegt, und von den Seglern jeweils als Anlaufpunkt nach solchen Überfahrten genutzt wird.
Das Wetterfenster versprach durchwegs genug Wind von hinten, sowie an fünf der potenziellen sechs Tagen Sonnenschein und klare Nächte. Wir stellten uns das sechs Tage lang so vor wie auf dem Beitragsbild. Gross war dann unsere Enttäuschung, als sich die Wettergötter schon bald nach dem wunderschönen Start nicht mehr an die Versprechungen hielten. Drei Tage und Nächte lang zogen die Wolken direkt auf der Wasseroberfläche durch und hüllten uns immer wieder in Nebel und Nieselregen ein. Nachts schaffte es der Vollmond, ab und zu die Wolkendecke zu durchbrechen und gleissendes Licht und schwarze Schatten aufs Schiff zu werfen. Tagsüber lösten sich die Wolken am Nachmittag ab und zu auf oder hoben sich von der Oberfläche, so dass wenigstens das Nieseln aufhörte. Und dazwischen riss die Decke gelegentlich ganz auf und zeigte uns, wie es auch sein könnte, und wie wir es uns vorgestellt hatten.
Auch der Wind war meist schwächer und sehr viel wechselhafter als erwartet. Die Windstärken schwankten innerhalb von Minuten um mehrere Beaufort-Stärken, so dass wir anfangs ständig am Segel-Vergrössern oder -Verkleinern waren, und es für unser wichtigstes Crewmitglied, Leonie die Windsteuerung, äusserst anspruchsvoll war, Kurs zu halten.
An den ersten zwei Tagen und Nächten segelten wir noch mit Grosssegel im ersten oder zweiten Reff und der Genua in halb oder zwei-drittel-eingerollter Grösse. Ab dem dritten Tag hatte die Windstärke eine gewisse Konstanz zwischen 14 und 25 Knoten erreicht, die auch ohne Gross segelbar war– mit der Toleranz fürs «Langsamgondeln», die wir inzwischen ebenfalls erreicht hatten. Ab und zu überkamen uns dann doch wieder Zweifel, wir setzten das Gross (was jeweils bei diesen Bedingungen etwa 15-20 Minuten Krafttraining und Bewegung bedeutet), nur um es bald wieder zu reffen und dann zu bergen, was jeweils ebenfalls mit etwa einer halben Stunde physischer Beschäftigung verbunden ist. So kann man sich auch fit halten! 😊
Inzwischen ist Dienstag, der 20.8. nachmittags. Wir sind nun den 5. Tag unterwegs. Von Porto Santo trennen uns noch etwa 42 Seemeilen. Vorhin haben wir gerade gehalst, d.h. die Richtung und damit die Seite geändert, auf welche wir krängen. Die Halse kam wohl ein wenig spät; nix mehr mit gemütlich vor dem Wind gondeln – jetzt stürmt sea magiX mit der halb eingerollten Genua fast quer zu den Wellen auf die noch unsichtbaren Inseln zu. Es bläst mit ca. 20-24 Knoten aus Nordost und wir sind ziemlich zügig unterwegs. Somit wird wohl die Ankunft auf Porto Santo in der Nacht erfolgen. Hoffen wir, dass wir das auch im Dunkeln finden. Denn jetzt das Tempo so reduzieren, dass wir erst bei Tageslicht ankommen, dazu sind wir wohl doch noch nicht tolerant genug.
Gefühlt haben wir inzwischen die Routine gefunden, die sich bei Überfahrten jeweils nach ca. 2 Tagen und Nächten einstellt. Nachts wechseln wir uns alle zwei Stunden mit der Wache ab, tags (vor allem Vormittags) sind die Abschnitte länger und werden auch eingehalten. Nachmittags sind wir meist beide auf und weniger im Wachmodus, bis dieser dann spätestens um 22h wieder klar einsetzt. Zum Nacht-Tenü gehört für mich noch immer die Oelzeughose wegen der hohen Luftfeuchtigkeit und bis gestern auch wegen der Nieselwolken. Für heute Nacht besteht die Hoffnung, dass keine Oelzeughose mehr nötig wäre. Mal sehen. Ebenso gehört zum Tenü nebst der Taschenlampe klar auch die Rettungsweste, ohne die nachts niemand ins Cockpit hinaus steigen darf. Und ausserhalb des Cockpits bewegt sich sowieso niemand, wenn er/sie allein auf Wache ist. Wie so üblich hier draussen sind die Wellen beachtlich und Leonies Bogenkurs führt noch zu zusätzlich heftigen Korkenzieher-Bewegungen.
Die Wellenhöhe wurde schön illustriert, als der Skipper ein paar Fotos von der Jacht «Entropy» schoss, die etwa gleichzeitig mit uns aus der Ría gestartet war und eine Zeitlang ganz in unserer Nähe segelte. Später verloren wir sie dann aus den Augen, bis sie dann ebenfalls vor Porto Santo ankerten. Die Entropy hat übrigens einen spannenden Blog: www.entropypool.de.
Im Schiff klapperte es anfangs an diversen Stellen, bis wir alle Lärmmacher gefunden und irgendwie fixiert oder gedämpft hatten. Jetzt knarzt der Innenausbau gegen die Schiffsschale, das Lager des Ruders quietscht, die Wellen schlagen gegen die Bordwände, und oft surrt noch «Gisela», unser Wassergenerator, am Heck vor sich hin. Schon in der zweiten Nacht, spätestens aber in der dritten hatten wir uns an all die Geräusche gewöhnt und wachten eher auf, wenn sie plötzlich fehlten, als wenn sie weiterhin schepperten, knarzten, quietschten und rumpelten.
Die Tagesroutine hat sich wie auf längeren Überfahrten üblich wieder um die essenziellen Dinge herum etabliert: Schlafen, Essen, Wasser «machen» (entsalzen), Energieversorgung sicherstellen, Leonie und das/die Segel betreuen, Rundumblicke alle ca. 15-30 Minuten und aufs AIS, d.h. die elektronische Erkennung anderer Schiffe in der Nähe ebenso. Seit etwa zwei Tagen sehen wir aber kaum noch andere Schiffe in der Umgebung. Vielleicht ändert sich das jetzt bald wieder, aber auch momentan, mit weniger als 50 Seemeilen Distanz zum Ziel, findet sich kein Signal um uns herum. Gelegentlich haben wir schon besorgt geprüft, ob unser AIS noch funktioniert, und uns dann umso mehr gefreut, wenn mal wieder ein Signal auftauchte, auch wenn das 30 und mehr SM entfernt von uns war: ok, AIS läuft noch immer richtig.
Nachmittags wurden ab und zu auch zusätzliche Themen angegangen. Der Skipper nahm am Sonntag das Starlink Modem erstmals unterwegs in Betrieb. Die Übung dauerte zwei Stunden und frass viele Ampères Strom, den Gisela danach wieder anschaffen musste, aber es klappte dann doch, nach einer manuellen Ausrichtung der Antenne nach Norden. Wir nutzten die Verbindung für das Herunterladen eines neuen Langzeitwetterberichts, der unsere Windverhältnisse akkurat darstellte, aber weiterhin auf viel Sonne bestand, während wir uns die Nebeltropfen von der Nase wischten. Wie schon im Vorfeld geahnt und teils besprochen, müssen wir uns auch für diese neue Kommunikationsmöglichkeit eine passende Handhabe suchen. Die Versuchung ist sehr gross, sich gleich in die Mails und Nachrichten zu stürzen. Aber eigentlich ist es von unterwegs nur in den seltensten Fällen wichtig genug, die Zeit mit diesen Nachrichten zu verbringen. Und es nimmt dem eigenen Gefühl der Überfahrt viel von seiner Romantik. Eben waren wir noch ganz alleine auf dieser unendlichen, sich ständig verändernden grau-blauen Weite. Und dann verlangen Mails mit Steuerrechnungen und anderen Themen plötzlich unsere Aufmerksamkeit. Diese Überfahrt ist so kurz, dass wir abmachen konnten, nur auf Notfälle zu reagieren, und uns sonst nur mit dem Wetterbericht zu befassen. Wie wir das bei den für später geplanten längeren Überfahrten machen wollen, müssen wir wohl noch besser für uns selbst herausfinden. Diese unendliche Weite, die damit verbundene innere Ruhe, das Relativieren von uns winzigen Wesen im Vergleich zum Himmel, Horizont und Meer – all das wollen wir mit der technologisch möglichen Erreichbarkeit nicht verlieren.
Zu den anderen Themen, die uns unterwegs beschäftigten, gehörte auch das Quietschen unseres Ruderlagers. Ein Nachmittag wurde damit verbracht, die Backskiste ganz zu leeren, damit der Skipper hineinsteigen konnte und dort mit Hilfe von WD40 und viel Wasser das Ruderlager zu schmieren versuchte. Trotz seinen Verrenkungen und allen möglichen Ideen, wie wir Wasser genau dort hin leiten konnten, wo es nötig war – es quietscht noch immer. Hoffen wir, dass es wirklich nichts Dramatisches ist und uns sea magiX auch weiterhin so wendig steuern lässt.
Auch eine Cockpitdusche veranstalteten wir. Dies jedoch weniger regelmässig als auf der Atlantiküberquerung vor 5 Jahren. Bei Nieselwetter ist das halt einfach weniger einladend, als wenn die Sonne bei 30 Grad die Crew gleich trocknet.
Ein ebenso wiederkehrendes Thema ist der Controller von Gisela, der häufig aussteigt, wenn wir ihm zu schnell durchs Wasser rauschen. Dem wurde heute ein neues Kabel verpasst. Mal sehen, ob das hilft. Wer sich nun vorstellt, dass das neue Kabel einfach bedeutete, mit zwei Fingern eine Steckverbindung zu lösen und durch eine neue zu ersetzen, der hat das «System Segelboot» noch nie erlebt. In dieser Umgebung macht es immer Sinn, mindestens das Dreifache an Zeit zu rechnen, das für die gleiche Aufgabe an Land gerechnet würde. Denn die Orte der Arbeit sind nie zugänglich, sie bewegen sich immer, es ist immer dunkel und meistens stellt man unterwegs fest, dass gleich nebenan ein anderes, ebenso relevantes Thema auf Aufmerksamkeit wartet. Im Fall des Controller-Kabels bedeutet dies, dass der Skipper sich unter den Kartentisch legt und den Kopf so ins Törchen dort zwängt, dass er mit einem Auge hineinsehen kann. Dann kommt meist eine Welle, er verrutscht (aua, mein Ohr!), muss sich neu positionieren und hat dabei vielleicht das Kabel versehentlich fallen lassen. Bei der nächsten Welle kriegt er es wieder zu fassen, aber nun hat sich ein anderes davor geschoben und er sieht den Stecker nicht mehr, etc. etc…. Wegen der engen Platzverhältnisse kann die Crew in solchen Fällen selten helfen. Und es empfiehlt sich, nicht auch noch gute Tipps geben zu wollen. Aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen kommen die meist nicht gut an… 😉
Und natürlich immer wieder die Verpflegung. Meine vorgekochten Menüs gehen heute Abend zu Ende, womit die Rechnung genau aufgegangen wäre, wenn wir tatsächlich morgen früh ankommen. Dazu gab es aber doch immer wieder auch Salat oder sonstige Zwischenverpflegungen und deren Zubereitung verlangt nebst Zeit und Geduld auch häufig etwas Akrobatik. Das Thema der fehlenden dritten, vierten und fünften Hand kommt da wieder. Mit einer Hand halte ich mich fest. Mit der anderen will ich etwas aus dem Kühlschrank fischen. Jetzt fehlt mir schon die dritte Hand, mit der ich den Kühlschrankdeckel offen halten kann, damit mir der nicht auf die Rübe knallt. Dann macht sea magiX einen Satz zur Seite, ich dazu einen Zwischenschritt, lasse alles los und schwupps – die soeben gefischte Tomate fliegt durchs Schiff und landet mit einem saftigen Platsch auf dem Kartentisch oder sonstwo… Der Salat, wenn er dann tatsächlich zubereitet ist, schmeckt danach dann umso besser, weil wir wissen, was dahinter steckt. 😊
So rauschen wir nun noch in die wahrscheinlich letzte Nacht auf diesem Trip hinein. Ob der Wind weiter so hält? Ob sich heute Nacht die Sterne doch noch zeigen? Wann genau wir irgendwelche Anzeichen von Land sehen werden? Wir wissen es nicht. Aber wir nehmen, was immer dann kommt.
Inzwischen ist Freitag, der 23.8. Wir liegen vor Anker aussen an der Marina von Porto Santo, vor dem einzigen Sandstrand des Archipels von Madeira und gemäss deren Eigenwerbung vor dem «schönsten Strand Europas». Er ist tatsächlich wunderschön, auch wenn der Superlativ etwas gewagt erscheint. Kilometerlanger Sandstrand, klares türkisblaues Wasser, eine angenehme ablandige Brise… wirklich schön!
Wir kamen wie erwartet etwa um 02:00h in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, den 21.8. hier an. Eine Runde durch den dunklen Hafen bei starken Fallwindböen zeigte, dass wie erwartet keine Bojen und schon gar keine Hafenplätze frei waren. So fiel der Anker ausserhalb, wo wir auch jetzt noch liegen. Nachteil: die Dinghyfahrt kann bei Wind und Welle etwas feucht werden. Vorteil: dem Sprung ins schon erwähnte türkisblaue, 22 Grad warme Wasser steht nichts im Weg. Aus meiner Sicht überwiegt der Vorteil stark, so lange der Wind so bleibt wie er gerade ist. Man merkt: unser neuer Anker hat wieder das volle Vertrauen, das ihm gebührt. Die Erlebnisse in der Algarve sind verarbeitet und sea magiX darf wieder nach Lust und Laune an ihrer (langen) Leine (bzw. Kette) tanzen.
Dass ich hier zu dieser Zeit an meinem Arbeitstag am Schreiben bin, eröffnet ein weiteres Thema, das uns, bzw. vor allem mich beschäftigt: es ist sehr schwierig, die Flexibilität, die wir für unsere Segelpläne so schätzen, zu erhalten, und gleichzeitig mit verschiedenen Kunden die gewünschten Termine einzuhalten. Oft – heute z.B. in zwei von 5 Fällen – werden die Termine kurzfristig abgesagt oder verschoben. Das ist natürlich völlig normal und verständlich und im normalen Arbeitsmodus kein Thema. Aber die neue Terminsuche ist bei Verschiebungen dann halt ziemlich schwierig und zeitaufwändig. Und gleichzeitig stellt sich irgendwann die Frage, wozu ich das eigentlich unbedingt auch von unterwegs machen möchte. Lohnt es sich tatsächlich, sowohl für die KundInnen, als auch für mich? Oder ist es nur «Wichtigtuerei», weil ich es nicht schaffe, mich nur noch auf die Termine zu konzentrieren, die während unserer Heimataufenthalte stattfinden? Die Fragen sind noch nicht beantwortet, werden aber für die nächsten Etappen sicher nochmals einer Prüfung bedürfen. Wie sagt die Baselbieterin (auch nach mehr als 30 Jahren intensiver Bernisierung) da jeweils? Mir wei luegä…