Der nächste Bericht ist dringend fällig. Nicht nur wegen der Pause seit dem letzten, sondern eher, weil unsere Speicher voll sind mit Eindrücken. Wir können gar nicht mehr so oft «Aaaah» und «Ooooh» sagen, wie angebracht wäre. Und auch wenn wir immer wieder um 21:30h in Shorts und dünnem Jäckchen im Cockpit sitzen, während in der Schweiz die Heizungen auf Hochtouren laufen, so fällt uns das schon fast nicht mehr auf. Eben – Embarras de Richesse. Wir wissen schon gar nicht mehr wohin mit all dem Luxus, den wir gerade erleben. Und so geniessen wir eben. Jeden Moment, so wie er gerade ist.
Die Fahrt von Madeira zu den Ilhas Selvagens war wunderbar. Wir hatten im Pilot Handbook den Hinweis «Do not under any circumstances attempt to enter the bay without daylight” sehr ernst genommen und verbrachten deshalb gefühlt die halbe Zeit damit, zu bremsen. Das ist mit einer X-Yacht, die wie ein Rennpferd an den Zügeln reisst, gar nicht so einfach. Zweimal verbrachten wir ein paar Nachtstunden beigedreht, das Grosssegel kam nach den ersten 10 SM nicht mehr unter seiner Persenning hervor und jede Gennaker-Meile musste danach mit halb eingerollter Genua «neutralisiert» werden. Mit unseren Freunden auf der SY Maxi, mit denen wir parallel unterwegs waren, gab es jeweils um 08h und um 20h einen kurzen Schwatz im VHF, und sonst beschäftigten uns die glitzernden Sterne im Himmel, der halbvolle Mond, das leuchtende Plankton im Kielwasser oder das sanfte Rauschen der Wellen auf dem so weiten, offenen Meer. Es waren zwei wunderbar ruhige und entspannte Nächte, mit einem ebenso gemütlichen Tag dazwischen.
Ein schöner Nebeneffekt von gemeinsamen Segelrouten mit einem anderen, befreundeten Schiff ist es, dass wir uns gegenseitig fotographieren und filmen können. Danke an Baba und Robi für die schönen Fotos und Videos von sea magiX!
Und hier noch zwei Videos. Beim zweiten wird gerade der oft erwähnte Gennaker gehisst.
Im Morgengrauen (eigentlich in der Morgen-Rosa-Röte) tauchte dann der einsame Felsen mitten im Atlantik vor uns auf; die Ilha Selvagem Grande. Pünktlich mit der ersten Dämmerung zuckelten wir um die Ecke der Insel, machten nochmals einen kleinen Bogen, um der Sonne Zeit zu geben, über den Horizont zu blinzeln, und fädelten uns dann zwischen den Felsen in die Bucht hinein, in der schon drei andere Yachten offensichtlich die Nacht verbracht hatten und es entgegen der Ansage der Ladies in Quinta do Lorde keine Festmacherbojen gibt, ausser jener aus Alu oder hartem Kunststoff von der Navy. Wir liessen den Anker und viel Kette ins Wasser fallen und dachten uns, bei dem wenigen Wind in der Bucht würden wir problemlos am Gewicht von beiden hängen. Da wussten wir noch nicht, was auf uns zukam. Das war auch besser so.
So konnten wir den spannenden Tag mit der Führung vom Natur-Reservats-Ranger Gil Perreira voll geniessen. Mit offensichtlicher Begeisterung für seinen Beruf führte er uns auf steilen, steinigen Weglein über die Insel und zeigte uns die Küken der Gelbschnabelsturmtaucher, die hier unter jedem zweiten Stein hocken und auf die Rückkehr ihrer Eltern warten. Die Eltern verbringen manchmal 10 Tage und mehr weit draussen auf dem offenen Wasser und jagen Fische. Wenn sie dann zurück kommen, füttern sie ihr (einziges) Küken mit dem Oel, das sie hervorwürgen.
Wir erfuhren noch viel mehr Spannendes über diese seltenen Vögel, aber auch über die anderen Vogelarten, die hier nisten (nicht viele!), sowie über die Eidechsen und Gekkos, die ebenfalls auf der Insel leben. Gil zeigte uns, wie die Flora in dem unwirtlichen Gelände Überlebensstrategien entwickelt hat und erzählte auch ein wenig über sein eigenes Leben als Ornithologe und Ranger auf dieser einsamen Insel.
Mein persönliches Weltverständnis brachte er besonders ins Wanken, als er beschrieb, wie sich 2 oder 3 Eidechsen zusammentun, um ein unbewachtes Gelbschnabelsturmtaucher-Ei anzustossen und über einen Stein zu rollen, damit es aufbricht und sie es ausfressen können. Eidechsen, die zusammen arbeiten? Ich staune! Für Gil steht die Tragödie des kaputten Eis im Vordergrund (ein Jahr Arbeit für die Eltern, und ein Nachkomme weniger für die vom Aussterben bedrohte Spezies). Für mich die Tatsache, dass auch so einfache Reptilien wie diese Eidechsen zusammenarbeiten können. (Dann müsste es doch für uns Menschen mit viel weiter entwickeltem Gehirn auch klappen können…?)
Nach der tollen Führung, einem erfrischenden Bad und einem feinen Salat hiess es für uns bald wieder Anker auf. Wir wollten am nächsten Nachmittag in La Palma ankommen und ab jetzt war ja nicht mehr unbedingt Bremsen angesagt.
Das lief dann leider nicht so glatt wie bisher. Unsere brave neue Ankerwinsch zog die ersten 10-15m schön hoch und kam dann hässlich knirschend zum Stillstand. Wieder und wieder versuchten wir es. Bänz dirigierte mich am Steuer ein wenig mehr nach rechts, ein wenig mehr nach links, grosse Kurven, kleine Kurven, aber jedesmal kamen wir am gleichen Ort wieder mit einer kleinen Verbeugung zum abrupten Halt. Es war klar: nicht unser Anker, sondern unsere Kette hatte sich da unten auf 13.5m irgendwo richtig tüchtig verhakt. Mit der Taucherbrille und Flossen ging der Skipper die Situation auskundschaften, kam aber nicht viel schlauer zurück: trotz des klaren Wassers konnte er nicht genau sehen, wo sich die Kette verklemmt hatte.
Ausnahmsweise, wegen der warnenden Worte unseres Pilot Handbuchs, hatten wir eine kleine Ankerboje an unserem Anker befestigt, um ihn – sollte er sich irgendwo verhaken – rückwärts herausziehen zu können. Mit viel Kraftaufwand (denn die Winsch zieht ja am anderen Ende) hievten wir nun Anker und Kette mit Hilfe der kleinen Boje an Bord und hingen nun noch an einer Kettenschlaufe fest. Inzwischen waren fast zwei Stunden in der Mittagshitze vergangen. Wir sahen beide schon vor unserem inneren Auge die Flex-Säge die beiden Kettenstränge durchtrennen, die nun an unserem Bug senkrecht ins Wasser hingen. Da zogen wir nochmals, in einem grossen Bogen und mit viel Gas an unserer Kettenschlaufe. Die Winsch knirschte, sea magiX zuckte und bockte, da gab es einen Ruck und wir bewegten uns rückwärts durch die Bucht, während gut hörbar unsere Kette über den Felsboden polterte. In dem Moment tauchte das Schnellboot der Ranger mit einem Taucher neben uns auf – sie hatten gesehen, dass wir uns abmühten (wir waren inzwischen das letzte Boot in der Bucht – alle anderen hatten elegant ihre Anker gehoben und waren losgefahren) und kamen helfen. Aber bis dahin hatten wir es gerade geschafft und der Taucher konnte nur noch bestätigen, dass wir frei seien und hochziehen könnten. Halleluja!
Als wir endlich – zwei Stunden nach dem Vermerk «Anker auf» im Logbuch – draussen die Genua ausrollen und lossegeln konnten, waren wir beide fixfertig. Die Übung war ausserordentlich Kräfte-zehrend gewesen. Beiden schmerzten die Arme und Rücken, beide hatten diverse blaue Flecken und Schürfungen und beide konnten eine Weile lang wenig anderes tun, als im Cockpit zu sitzen und Leonie beim Steuern zuzusehen. Auch der Gennaker kam nur kurz hoch, weil wir eigentlich beide zu müde waren, um von Hand zu steuern. Und immer wieder freuten wir uns darüber, dass Bänz dieses Mal seine bzw. unsere Abneigung gegen die Ankerboje überwunden und sie gesetzt hatte. Ohne sie wären wir ohne fremde Hilfe sonst dort nicht weggekommen.
Um eine Erfahrung und viele schmerzende Fasern reicher segelten wir die nächsten 130 SM durch die Nacht und den nächsten Tag und kamen am Nachmittag in Santa Cruz de la Palma an. Mit Genugtuung stellte der Skipper fest, dass wir ein «vernünftiges» Segel-Motor-Verhältnis gehabt hatten: es waren 310 SM seit Madeira und weniger als 3 davon hatten wir unter Motor zurückgelegt. So solls sein!
La Palma ist die nordwestlichste der drei kleinen westlichen kanarischen Inseln. Südlich von ihr liegt El Hierro, südöstlich Gomera und die nächste grössere ist Tenerife, ebenfalls in ihrem Südosten. Ihre Topografie wird stark durch ihren vulkanischen Ursprung bestimmt. Und wo Teneriffa den höchsten Berg Spaniens, den Teide hat, um den sich alles dreht, wird die Topografie von La Palma von der riesigen Caldera eines vor Jahrmillionen erhobenen und dann erodierten Vulkans gestaltet, der Caldera de Taburiente. An der Nordostseite der Insel treffen die Passatwolken mit ihrer Feuchtigkeit auf, laden diese beim Aufsteigen ab und hinterlassen eine fruchtbare, grüne Landschaft mit diversen Klimazonen. Die Westseite hingegen bekommt nur die gelegentlichen Herbst- und Winterstürme direkt vom Atlantik ab und ist deshalb jetzt im Sommer fast wüstenhaft trocken. Hinzu kommen die eindrücklichen geologischen, vulkanischen Formen, starke Erosion und nicht zu vergessen auf der Südwestseite die unübersehbaren Spuren des neu entstandenen Vulkans vom Herbst 2021.
In den nächsten Tagen füllten sich unsere inneren Bilderspeicher bis zum Überlaufen, zumal sie ja schon gut gefüllt waren von den Ilhas Selvagens und der Überfahrt hierher.
Santa Cruz de la Palma (nicht zu verwechseln mit Santa Cruz de Tenerife) gefällt uns mit seinen zwei Ebenen. Ein Teil des Lebens findet etwa auf Meereshöhe statt und der andere 50 – 100 Höhenmeter darüber, in schmalen und steilen Strässchen und Gassen an die steile Bergflanke geklebt. Die Häuser sind farbig, teils gepflegt, mit oft schön verzierten Balkonen. Immer wieder gelangt man auf eine kleine Plaza mit Palmen und blühenden Flammenbäumen oder erhascht einen Blick auf das blaue Meer zwischen den weissen Häusern.
Auf unseren Wanderungen und Road Trips mit dem (diesmal deutlich stärkeren Mietauto als in Madeira) kamen wir immer wieder an den Punkt, wo uns der Atem und die Worte wegblieben. Senkrecht abfallende Felswände, schroffe Bergzacken, bizarre Felsformationen, leuchtend grüne Bergkiefern, schwarzer und roter Lavasand, und immer wieder der weite Ausblick auf das blaue Meer und/oder weisse Wolken, die über den Calderarand krochen.
Eindrücklich war es auch, die Spuren des Vulkanausbruchs von 2021 zu sehen. Was ich zuerst für Schatten auf der Westseite der Insel gehalten hatte, ist schwarze Asche und Lava. Der neue Vulkankrater sticht dafür hell aus seiner dunklen Asche-Umgebung heraus und stösst ab und zu eine sichtbare Rauch-/Gaswolke aus. Die Kräfte der Natur sind hier sehr deutlich spürbar.
Natürlich fuhren wir auch zur anderen Marina von La Palma, nach Tazarcote auf der Westseite der Insel. Der Hafen hat eine eindrückliche, doppelte und hohe Mauer mit Wächterfigur. Dahinter liegt die Marina, die uns recht voll schien, die Werft, eine geschlossene Bar und sonst nicht viel. Um von der Marina zum Ort Tazarcote zu kommen, muss man viele Höhenmeter und einige Strassenmeter zurücklegen. Aber für eine Überwinterung an Land würde es hier sicher auch passen.
Die «Isla Bonita» ist als Wanderparadies bekannt. Was dabei selten erwähnt wird, ist, dass sie noch viel deutlichere Höhenunterschiede aufweist als Madeira, und vom Wanderer nicht nur Kondition, sondern oft auch Schwindelfreiheit verlangt. Jedenfalls auf den spannenden Wanderungen…
Eine Wanderung führte uns vom (zu reservierenden) Parkplatz von Cumbrecita in engem Zickzackkurs entlang der Felswand 500 Höhenmeter auf den Pico Bejenado hinauf, den höchsten Gipfel innerhalb der riesigen Caldera, und wieder hinunter.
Eine andere ging der weniger ausgesetzten Bergseite entlang hoch bis zum Pico de la Nieve auf 2250m, einem der Gipfel am Caldera-Rand. Hier kamen Baba und Robi von der SY Maxi wieder mit und Baba gelang es, die beiden fast zahmen Bergdohlen beim Parkplatz aus der Hand zu füttern.
Und noch offen aber fest geplant ist die klassische Wanderung de los Vulcanos, die von der Inselmitte vom Rastplatz «El Pilar» entlang dem zentralen Inselrücken südwärts führt. Dafür benötigen wir ein Taxi, das uns nach El Pilar bringt, damit wir dann mit dem Bus nach Santa Cruz zurückkommen können. Darüber wird sicher dann berichtet, wenn es stattfindet.
Momentan wird im Büro und am Schiff gearbeitet. Bänz schleift gerade den Cockpitboden ab, so dass der Arbeitende, das Schiff und die Umgebung in eine dicke Staubwolke gehüllt wird. Ich sitze unter Deck, wo wir alle Schotten dicht haben (sogar die Lüftungsschlitze sind mit Papierband zugeklebt), schreibe am PC und komme allmählich zur Kernschmelze bei 27 Grad.
Vielleicht reicht es heute nochmals für einen kurzen Ausflug in den noch nicht erforschten Nordosten der Insel. In jedem Fall werden wir noch weitere Eindrücke sammeln und dann Wege finden müssen, um mit diesem unendlichen Reichtum bewusst umgehen zu können. Es ist ein Luxusproblem – eben, Embarras de Richesse.