Ich sitze gemütlich im Cockpit unter der Bimini-Verlängerung und dem endlich aufgehängten Cockpit-Moskitonetz. Rundherum ist es laut: Grillen, die karibischen Nachtfröschchen, irgendwelche Vögel und vorhin hat gerade glaube ich ein Äffchen geschnattert. Es summt, zirpt und pfeift und quietscht. Ab und zu ein Knacken und Knistern im Regenwald, und wenn ich ihn nicht anstupse, dann schnarcht der Skipper gelegentlich dazwischen. Thats it. Wir sind mitten im Regenwald, und mitten im Nirgendwo. Die Dunkelheit fällt gerade – sie kommt hier so schnell, dass das Verb „fallen“ genau passt. Der Tag hat sich mit einem grandiosen Farbenspiel an den jetzt abziehenden Regenwolken verabschiedet. Tagsüber regnete es fast konstant. Aber was will man auch anderes erwarten im Regenwald?
Wir starteten heute doch gemütlicher und später als ursprünglich gedacht, denn alle Infos, die wir hatten, besagten, dass es nur eine flache Stelle gibt, die weit innen liegt. Somit konnten wir auch bei Niedrigwasser oder irgendwann zwischen Hoch- und Niedrigwasser (der Tidenhub ist momentan ca. 2m) vom grossen Maroni in den ersten Crique Boeuf Lamentin einfahren. So warteten wir die ärgsten Schauer des Morgens ab und verabschiedeten uns dann von St. Laurent bei schönem Wetter mit Blicken zurück auf das Wrack der Edith Cavell und den Marina-Steg.
Am Tag zuvor hatten wir den Morgen mit dem Marinabesitzer Davide, der vom Comer See kommt, in seinem Café verbracht, philosophiert, und viel über seine Erfahrungen in dieser speziellen Welt zwischen Europa (als Französisches Département Outre-Mer) und Amazonien, bzw. Lateinamerika, mit den Amerindischen Ureinwohnern und den Nachfahren der afrikanischen ehemaligen Sklaven gehört. Nicht überraschend kamen wir aber gemeinsam zum Schluss, dass wir wohl auch zu dritt die grossen Probleme der Welt nicht von heute auf morgen lösen könnten. Jedenfalls möchten wir Davide ein Kränzchen winden für seine Bemühungen um die Marina und ihre Kunden. Es ist klar, dass er viel für die Sicherheit der Marinagäste tut. Sowohl im Unterhalt der Bojen und deren Ketten, also nautisch, als auch mit Hilfe des Chefs der Fremdenpolizei, der ebenfalls an Bord eines Bootes lebt, durch das Unterbinden der hirnrissigen Jetski-Fahrten im Bojenfeld, oder auch der Kriminalität in der Umgebung der Marina. Wir fühlten uns sehr wohl und sicher in St. Laurent du Maroni, schätzten auch das Preis-Leistungsverhältnis (die Mitgliedschaft in der Association kostet 20 € und darin inbegriffen sind die ersten zwei Nächte, danach kosten zusätzliche Nächte €12. Ebenso inbegriffen ist auch Wasser vom Café) und können die Bojen auch anderen Seglern bestens empfehlen. (Eine Association gründete Davide, um dann mit anderen Arbeitsverträgen für seine Mitarbeitenden agieren zu können. Die Arbeitsgesetzgebung und Sozialpolitik des zentralistischen französischen Staates passt nicht gut für die Realitäten in diesem Gebiet, das Davide als „Wilden Westen“ beschreibt.)
Die Einfahrt in den Crique Boeuf Lamentin war dann auch wie erwartet tief und dahinter wurde es oft noch tiefer; es waren immer zwischen ca. 6 und ca 12m, teils bis 20m!, obwohl der Crique häufig nicht breiter als 50 m ist. Rechts und links hingen Mangroven, Palmen, diverse andere Bäume und Sträucher ihre Äste in den Fluss oder das Flüsschen, und in der Mitte schlängelte sich sea magiX um die Kurven der Criques. In einem Nebenarm fuhren wir noch etwas Flüsschen-aufwärts, bis der Kiel dann doch im Sand stecken blieb. Ein wenig zurück und dort dann gleich ein erstes Mal „test-ankern“ fürs Mittagessen. Nachmittags gings in der Verbindung zwischen Crique de Vache und Crique Coswinne über die flachste Stelle. Sie hatte bei Hochwasser tatsächlich nur etwa 3.5m Wasser darüber. Eindrücklich, denn gerade vorher waren wir noch im schmalen Lauf über mehr als 15m gefahren.
Bald danach, bzw. in der nächsten Kurve setzten wir dann den Anker für die Nacht, wo wir jetzt liegen. Zusäzlich zum Cockpit-Moskitonetz ist jetzt auch noch eine Räucherspirale am rauchen. Die Moskitos sind bisher aber noch nicht sehr aggressiv. Vielleicht hat ihnen der viele Regen des Tages zugesetzt, oder es ist noch nicht die «schlimmste» Jahreszeit dafür. Wir beklagen uns nicht! Dafür gibt es viele winzig kleine «midges», die wir von Schottland und Irland gut kennen. Die kommen leider auch durch die feinen Maschen des Moskitonetzes und können lästig stechen. Deshalb die Räucherspirale, und auch zur Genüge aufgetragenes Antibrumm. Tagsüber bissen uns vor allem Stechfliegen, die aussehen, wie eine Zwischenart zwischen Wespen und Bremsen. Unangenehm, aber sie hinterlassen keine Stichspuren. Und sie sind gross genug, dass sie vom Moskitonetz abgehalten werden. So sitzen wir in Ruhe im Cockpit, lauschen den vielen Nachtgeräuschen und lassen die Dunkelheit wirken. Was die Nacht wohl bringt? Hoffentlich bleibt sie friedlich!
28.1.
Die Nacht war sehr friedlich und ruhig. Unser Anker, bzw. die Ankerkette hat offensichtlich einen Felsen gefunden, über den sie bei der Tidenkenterung rieb und uns weckte. Das tönt dann jeweils bedrohlich laut durchs ganze Schiff, bis sea magiX in die andere Richtung ausgerichtet ist und wieder ruhig im Strom liegt. Für den Dreher um ihre eigene Achse war genügend Platz und nach einem beruhigenden Blick auf den Plotter, ob wir tatsächlich an Ort lagen, oder mit dem Fluss abwärts trieben (alles gut), konnten wir uns eine Viertelstunde später wieder schlafen legen.
Heute früh um 07h war tatsächlich fast wolkenloses Wetter. Eine atemberaubend schöne Stimmung, mit vielen Dschungelgeräuschen. Ein fernes Brüllen gab uns Rätsel auf: was das wohl für ein Tier war?
Inzwischen haben sich die Wolken wieder verdichtet und ein erstes leichtes Regenschauerchen hat uns bewogen, das Cockpit-Moskitonetz abzuhängen, so lange es einigermassen trocken war. Wir haben ja noch immer alle Luken ins Schiff mit Netzen gedeckt. Und drinnen hängt nun ein weiteres Netz am Durchgang zur Vorschiffskoje, wo wir schlafen. Bisher gibt es noch keinen einzigen Moskitostich zu beklagen. Ob das an unseren diversen Abwehrmassnahmen liegt, oder doch vielleicht eher am Regenwetter und der Jahreszeit – wir wissen es nicht, sind aber froh darüber und hoffen, dass auch die nächsten Tage und Wochen diesbezüglich so glimpflich klappen.
Eine leichte Brise drückt sea magiX mal wieder gegen den Strom über die Ankerkette, aber sie wird durch die Bäume auf beiden Seiten so gebremst, dass dies bisher nicht mal für unser Boot reicht, um sich um ihren Anker zu wickeln. Entspannt in Strömungsgewässern ankern – das können wir nur selten mit sea magiX. Ein Genuss!
In der Pantry stehen zwei Cakeformen mit Brotteig, der eigentlich aufgehen sollte. Wie schon beim letzten Mal, als ich diese Backmischung aus Mindelo verwendete, bewegt sich da bisher gar nichts. Im Unterschied zum letzten Versuch lasse ich den Teig heute nicht über Nacht im Kühlschrank, sondern will im Verlauf des Tages backen. Mal sehen, ob das etwas wird. Letztes Mal war das gebackene Brot dann zwar ziemlich flach aber trotzdem mehrere Tage lang haltbar und sogar recht fein. Vielleicht sollte ich in Zukunft aber trotzdem noch etwas Trockenhefe beimischen. Oder den Teig tatsächlich über Nacht aufgehen lassen: in Mindelo, bzw. den Kap Verden gilt ja das Motto «No stress Cape Verdes»… in dem Fall auch für Hefeteig?
Der Skipper bemüht sich, endlich eine Aufgabe für den Segelclub zu erledigen, die er lange vor sich hingeschoben hatte. Sea magiX beginnt, sich mit der Brise und dem nachlassenden Strom zu drehen. Ich schreibe, staune und geniesse. Es ist sehr friedlich!
Mittwoch, 29.1.
Eigentlich wollten wir heute die Criques verlassen und den Weg nach Suriname in Angriff nehmen, um morgen Donnerstag dort in Domburg anzukommen. Aber als heute Morgen um 06h der Wecker losging, war es gerade wenig einladend, die gemütliche Koje zu verlassen. Mit Nachdruck prasselte der Regen auf das Deck, so dass die Sicht nicht mal für die 10m bis zum Ufer reichte. (Nein, das lag nicht daran, dass wir noch so verschlafen waren!). Der Skipper konsultierte den neusten Wetterbericht von heute 05h und gab Entwarnung: weiterschlafen! Denn der Wetterbericht sagte für den ganzen heutigen Tag weitere solche Gewitterregen voraus, während er für morgen spätestens ab Mittag trockenes und vielleicht sogar sonniges Wetter verspricht. Da braucht man nicht sehr lange nachzudenken, wenn man in der Luxussituation ist, genug Zeit zu haben… Und so liegen wir noch immer in einem «Wurmfortsatz» der Crique Coswinne am gleichen Ort vor Anker, wo wir gestern Abend gelandet waren, und lassen die Regenschauer durchziehen. Sie sind eindrücklich mit ihren Wassermengen (unsere Wasserkübel für Duschwasser sind im Handumdrehen voll) und bringen sogar die Strömungen durcheinander: das viele Wasser, das vom Land in die Flüsse fliesst, bremst den auflaufenden Gezeitenstrom tatsächlich. Wir liegen quer zur Stromrichtung im Moment, obwohl gerade kein Wind bläst. Sehr spannend!
Die Crique Coswinne (die nördlichste der drei bekannten Criques hier) ist grösser und offener als erwartet. Gestern tuckerten wir sie hinauf und in einen Nebenarm, der sich in einen kleinen See öffnet. Dort wird es prompt abrupt flach mit weichem «Mud», und nachdem wir uns dort (bei auflaufender Tide) wieder aus dem Dreck gezogen hatten, machten wir dort einen Mittagshalt auf ca. 6m Tiefe. Ringsum Wasser und dann etwas weiter als in den schmalen Criques der Regenwald; sehr gemütlich.
Dem Skipper war der Ankerplatz dann aber doch zu offen und so ging es am späteren Nachmittag wieder zurück und einen anderen Blinddarm hoch, der zu unserer Überraschung aber bis recht weit zu tief für vernünftiges Ankern war. Ein wenig suchen und ein paar Ankermanöver später, in denen wir jeweils Felsboden antrafen, dann fanden wir das Plätzchen, wo wir jetzt liegen. Je nach Gewitterböen in Kombination mit Strömung schwingt sea magiX manchmal sehr nah ans eine oder andere Ufer, so dass wir die Mangroven mit dem Heck fast berühren und Vögel und Krebse aus der Nähe beobachten können. Aber es ist immer tief genug. Wirklich sehr friedlich. Der Ausflug in diese Criques hat sich in jedem Fall gelohnt, auch wenn das Wetter ein kleines bisschen trockener hätte sein dürfen!