Die Insel La Gomera hat zwei Grande Rutas für Wanderer; die GR 132 und die GR 131. Letztere heisst auch «Cumbres de La Gomera» und führt von San Sebastian im Südosten nach Vallehermoso im Nordwesten, quer über die Bergrücken von einer Seite zur anderen. Naturgemäss enthält sie so viel Steigung und Gefälle, wie man auf einer zerklüfteten Insel mit fast 1500m üM von einem Hafen zum andern erwarten würde. Deshalb könnte der geneigte Wanderer ja auf die Idee kommen, die GR 132 gehen zu wollen. Die heisst nämlich «Costas de La Gomera», ist also der Küstenweg. Naivlinge wie ich stellen sich dann vor, dass diese Umrundung der Insel mit leichtem auf und ab einmal drum herum führen könnte und vielleicht ganz machbar wäre. Doch weit gefehlt – hier kommen nämlich die Barrancos von La Gomera zum Zug: das sind die etwa 50 unglaublich steil und tief eingeschnittenen Schluchten, die sternförmig um den zentralen Berg der Insel von 1497m auf 0 führen.
Und der Wanderweg…? Tja, das kann man sich ja dann denken, wie der genau verläuft… Wir haben deshalb in unseren ca. 10 Tagen auf dieser kompakten, überschaubaren und gegenüber La Palma deutlich «entschleunigtenderen» Insel kein einziges Mal den Küstenweg genommen. Vielleicht wäre der im Frühling oder Spätherbst eine Option, nicht aber in der prallen Sonne im September, der sich momentan noch wie Hochsommer anfühlt.
Unsere Überfahrt von La Palma nach La Gomera hatten wir am Abend vom 18. auf den 19. September gestartet, weil wir uns in jener Nacht etwas mehr Wind als tagsüber erhofften. Es herrschte gerade ungewöhnliches Tiefdruckwetter mit wenig bis keinem Wind. Unsere Rechnung ging auf und wir konnten tatsächlich 40 von den etwa 50 Seemeilen bis nach San Sebastian ganz gemütlich segeln.
Erst gegen 2h ging der Wind dann ganz aus und wir tuckerten noch die letzten zwei Stunden bis zur Marina. Dort wurden wir trotz der nächtlichen Stunde vom Marinero Agustín sehr freundlich und hilfsbereit empfangen, nachdem er seine Verzweiflung überwunden hatte, dass er mich am VHF auf Englisch nicht verstand und ich auf die paar Brocken Spanischkenntnisse umgestellt hatte, die mir zur Verfügung stehen. Gemeinsam klärten wir, warum «unser» reservierter Platz belegt war (weil wir nicht Magi sondern sea magiX heissen und unser Platz dann doch frei war) und sogar die Magnetkarten für die sanitären Einrichtungen bzw. das Tor aus der Marina konnte er uns schon geben. Auch die Menschen im Büro, mit denen wir dann zur normaleren Tageszeit später zu tun hatten, waren allesamt sehr freundlich und entspannt. Und unser Liegeplatz am Steg C war absolut ruhig, ohne Schwell oder Ruckeln, und der Fähranleger ist weit genug entfernt, dass der Lärm von dort nicht bis zu unserem Steg drang. Die positiven Feedbacks über die Marina hier wurden für uns sofort bestätigt. Dass es dann noch im klaren Wasser der Marina viele Fische gibt, ist dann noch das Tüpfchen auf dem i.
San Sebastian de La Gomera
Für die ersten vier Tage hatten wir ein Mietauto von Cigar gebucht. Wie auf La Palma befindet sich auch auf La Gomera das Büro und der Parkplatz gleich bei der Marina, bzw. dem Fähranleger. Im Gegensatz zu unseren Erfahrungen auf Madeira funktioniert auf la Palma wie La Gomera das Automieten noch ganz ohne Abzocke. Auch mit allen Versicherungen ist die Automiete günstig und unkompliziert und so war es kein Problem für uns, dass das Auto bei der Übernahme ziemlich zerbeult aussah und es wohl schwierig gewesen wäre, jede grössere Delle und jeden Kratzer festzuhalten. Dass die Mietautos auf La Gomera so aussehen, können wir uns fast nur mit den schwierigen Parkmöglichkeiten unterwegs erklären. Denn die Strassen (d.h. die Haupt- und die grösseren Nebenstrassen) sind sehr gut ausgebaut und für die kleine Insel vielleicht sogar ein wenig überdimensioniert. Dafür machte das Autofahren dem Skipper hier sehr viel Spass mit den schön ausgebauten, flüssig zu fahrenden Kurven.
Wir erkundeten die ganze Insel an den ersten zwei Auto-Tagen, hielten bei (fast) jedem Mirador, staunten über die steilen Felswände und imposanten «Roques» (das ganz harte, nicht erodierte Gestein von millionen Jahre alten Vulkanschloten, die in den Himmel ragen, wo der Rest des Vulkankegels inzwischen mit der Erosion verschwunden ist), wagten uns auf exponierte Aussichtsplätze hinaus, spazierten durch die malerischen Orte im Süden (Playa Santiago, Valle Gran Rey) und Norden (Vallehermoso, Agulo) und recherchierten, wo wir wandern wollten.
Exponierte Aussichtspunkte (Miradors)
Malerische Orte: Vallehermoso und Agulo
An der Südküste; Playa de Santiago und Valle Gran Rey
Angesichts der (gefühlt sommerlichen) Hitze tagsüber, waren Wanderungen in der Höhe empfehlenswert. Der Parkplatz mit Bushaltestelle «Pajarito» gleich am Fuss des Alto de Garajonay, d.h. der höchsten Bergspitze La Gomeras, erwies sich da immer wieder als guter Ausgangs- oder Endpunkt.
An der Nordseite dieses Bergrückens bleiben die Passatwolken meistens hängen. Deshalb liegt nördlich davon der berühmte, mystische Nationalparkwald mit von Flechten und Moos bewachsenem Lorbeer-Mischwald. Der wurde zwar vor 12 Jahren beim letzten grossen Waldbrand ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen, hat sich seither aber schon wieder gut erholt und spendet dem Wanderer auch am frühen Nachmittag noch Abkühlung und Schatten.
Die anderen Regionen der Insel haben wir als recht ähnlich zueinander erlebt. Vorherrschende Farbe ist braun in den unterschiedlichsten Schattierungen, vorherrschender Bewuchs (wenn überhaupt) sind Ginstersträuche, Feigenkakteen, Agaven und einzelne Palmen. An den wenigen etwas flacheren Ausgängen von Schluchten werden intensiv Bananen kultiviert. Dies jedoch tatsächlich recht selten, weil es einfach kaum passendes Gelände gibt dafür. Auf La Gomera wird – so ist unser Eindruck – die Landschaft nicht von der Vegetation geprägt, sondern von den bizarren Felsen, Hängen und Schluchten, die von der unerbittlichen, jahrmillionenlangen Erosion übrig gelassen worden sind.
Eine solche bizarre Felsformation ist «La Fortalezza»; der Tafelberg etwas südlich von Igualero und Chipude. Auf der Wanderung von Pajarito nach Chipude, entlang der GR 131, bauten wir diesen Abstecher zur Besteigung der Fortalezza ein. Und einmal mehr – wie schon auf Porto Santo – musste ich wenige Meter vor dem Ziel kapitulieren. Mit Herzklopfen, patschnassen Handflächen und leichter Übelkeit setzte ich mich auf einem etwas breiteren Felsabsatz hin und schaute nur noch auf meine Schuhe, bzw. lenkte mich mit geschäftlichen Emails ab (der Empfang da oben war erstaunlich gut! 😉), während Bänz unbeschwert auch noch die letzten 20m erklomm und mir danach von der Aussicht berichten kam. Woher das nur kommen mag? Ich bin über diese zunehmende statt abnehmende Höhenangst recht überrascht. Ob das eine Folge davon ist, dass wir uns derzeit hauptsächlich auf 0m ü.M. bewegen? Ich habe keine Erklärung dafür. Aber umso mehr Empathie für Menschen mit anderen, ähnlich schlecht steuerbaren Ängsten, oder auch mit Seekrankheit. Die Aussicht mag jeweils noch so schön und beeindruckend sein. Wenn sie mir den Atem buchstäblich raubt, dann kann ich sie auch von ein paar Metern weiter unten besser geniessen. Dazu muss ich aber bereit sein, ein weniger mutiges Selbstbild zu akzeptieren.
Einen anderen Ausflug machten wir mit der Kombination der Schnellboot-Fahrt mit dem «Benchi Express» nach Valle Gran Rey, dann dem Bus nach Pajarito, dort einer kleinen Rundtour um den Alto de Garajonay und mit dem nächsten Bus «heim» zur Marina San Sebastian. So konnten wir die schroffen Felswände mit ihren vielfältigen Formen, Falten und Farben vom Wasser her bestaunen, sahen die (wenigen) Ankerplätze zwischen San Sebastian und Valle Gran Rey und bewegten unsere Beine trotzdem noch etwa 1.5 Stunden lang bei erträglichen Temperaturen auf ca. 1400m.
Bei unserer Rückkehr nach San Sebastian waren wir jeweils meistens so staubig, dass wir vor dem Betreten des Bootes schon am Steg die Beine und Schuhe abspülten und gleich am schwarzen Strand neben der Marina ins Meer sprangen. Auch das ist in dieser Marina sehr komfortabel: der Badestrand ist tatsächlich gleich da um die Ecke. Da wegen der momentanen Wasserknappheit die Duschen am Strand nicht funktionieren, folgte dann jeweils auf das Baden im Meer gleich auch die Dusche in der Marina und schon waren wir wieder präsentabel für den Ausgang.
Bezüglich Restaurants und Ausgehmöglichkeiten empfanden wir die Auswahl in San Sebastian doch recht begrenzt, aber dafür liegt der Mercado Municipal mit eingebautem Supermarkt in naher Gehdistanz und machte die Verpflegung an Bord einfach und unkompliziert.
Zum Reisen gehört immer auch das Entdecken von Neuem nicht nur bezüglich Landschaft und Kultur, sondern auch bezüglich Kulinarik. Deshalb hatten wir schon auf Madeira eine Maniok-Wurzel erstanden, sowie ein grünes Gemüse, das aussieht wie eine hellgrüne Peperoni gekreuzt mit einer Avocado. Dank Baba von der Maxi wissen wir jetzt, dass dies eine Chayote ist, und konnten via Youtube auch recherchieren, wie man sie zubereiten soll. Glücklicherweise hatte der Skipper dies für den (das, die?) Maniok sehr sorgfältig gemacht, bevor wir mit der Verarbeitung begannen. Er fand nämlich heraus, dass Maniok viel giftige Blausäure enthält, die zuerst entfernt werden muss, bevor das Gemüse geniessbar wird. Blausäure ist wasserlöslich, mit einem niedrigen Siedepunkt, und kann deshalb durch Wässern der Wurzel und danach etwa 15 Minuten kochen leicht unschädlich gemacht werden. Aber wenn ich das nicht gewusst hätte, wäre ich sicher so unvorsichtig gewesen, beim Schälen schon mal einen Schnipsel zu probieren… das wäre dann wohl nicht besonders gut herausgekommen. In des Skippers feinem Gemüse-Eintopf war der Maniok dann durchaus eine bekömmliche Ergänzung als Stärkelieferant. Gleichzeitig stellten wir fest, dass wir weiterhin die uns bekannten Kartoffeln oder Süsskartoffeln vorziehen, so lange diese erhältlich sind.
Die Chayotes fristeten lange ein abwartendes Dasein am Früchte- und Gemüse-Tablar. Kurz bevor sie dann unverkocht entsorgt wurden, rüsteten wir doch noch eine davon nach der Youtube-Anleitung. Auch nach zwei Wochen war sie noch immer saftig, hatte jedoch kaum Eigengeschmack und kam deshalb in dieselbe Kategorie wie der Maniok: so lange anderes erhältlich ist, müssen wir sie wohl nicht unbedingt kaufen. Aber wir haben wieder etwas gelernt und freuen uns darüber.
Wir verbrachten die schönen Tage auf La Gomera nicht «nur» mit Ausflügen und Wanderungen. Auch Arbeitstage und -Halbtage gab es, an denen der Skipper sich zum Beispiel um unser schönes neues Cockpit-Holz kümmerte. Inzwischen hat sea magiX gefühlt das schönste Cockpit hier in der Marina. Das Teak des Bodens und der Seiten-Backskisten ist geschliffen und mit neuem Teak-Öl gestrichen. Die Backskisten-Abschlüsse haben neue Flexiteak-Deckel erhalten, die exakt und sauber den Abschluss machen. Es ist eine Freude, in diesem gepflegten Cockpit zu sitzen!
Während der Skipper sich draussen mit dem Cockpit abmühte, sass ich drinnen in Videomeetings oder am Laptop an der Arbeit. Die Frage, ob und wie solche Arbeitstage auch während der kommenden Etappe unserer Reise stattfinden sollen, drängt sich je länger desto stärker auf. Da sind wir alle gespannt, was sich diesbezüglich ergeben wird.
Das bequeme, unkomplizierte und erschwingliche Liegen in der Marina hatte denselben Effekt, den wir schon in Santa Cruz de la Palma und auch in Quinta do Lorde auf Madeira festgestellt hatten: man «wächst» ganz schnell «an», genau wie die Algen an der Wasserlinie des Bootes. Wir hatten unseren Liegeplatz für eine Woche im voraus reserviert. Kurz vor Ablauf der Woche verlängerten wir nochmals bis zum Samstag, dem 28.9. Und an jenem Samstag gab es dann nochmals eine letzte Verlängerung auf Sonntag, den 29.9…
Dazu trug sicher auch bei, dass zumindest ich keinen besonders guten Eindruck von den Ankerplätzen bekommen hatte, die wir gesehen hatten. Sie wirkten eher «rollig» und wegen der Thermik blies teilweise auflandiger Wind. Hinzu kam, dass in der Marina manchmal nachts starke thermische Winde die Schlucht hinter San Sebastian hinauf (oder herab) bliesen und durchs Rigg pfiffen; da kamen dann Zweifel auf, wie dies wohl am Anker wäre.
Unterdessen begannen wir, uns mit der Fahrt nach Teneriffa zu befassen. Die ist nicht ganz trivial wegen des Düseneffekts auf den Wind zwischen den Inseln. Von La Gomera hinüber an die Südostecke von Teneriffa sind es ca. 25 SM, die aus unserer Sicht problemlos zu segeln sein sollten. Dann aber dreht der Kurs nach Nordosten, d.h. in Windrichtung entlang der Küste. Bis zur ersten vernünftigen Ankermöglichkeit (oder der ersten Marina, San Miguel, die jedoch auf unsere Anfrage nach Platzreservation nicht reagiert hat) sind es dann nochmals 10 SM, die ebenfalls segelbar sein sollten, da normalerweise noch nicht in der Düse. Von der Punta Roja (bzw. der Marina San Miguel) nach Santa Cruz de Teneriffe sind es dann nochmals ca. 35-40 SM genau gegen den Wind und in der Düsenzone, in der die Windstärke auf wenigen Metern schnell mal um 10-15 Knoten zulegen kann. Dagegen zu kreuzen wäre dann wohl weder einfach, noch lustig. Momentan ist der Plan, diesen Abschnitt in der Nacht anzugehen. Da sagt man, der Düseneffekt sei weniger stark. Und wahrscheinlich bedeutet es, einige Stunden lang zu motoren. Wir sind gespannt und schauen mal, was da auf uns zukommt. Aber zuerst müssen wir uns hier von dem bequemen Marina-Leben losreissen… Morgen, definitiv, haben wir dem Marinero gesagt. Der winkte mit einem wissenden Lächeln ab und meinte «no problem!» falls wir länger bleiben möchten. Sie sind wirklich sehr freundlich hier auf La Gomera!