Gestern Freitag 16.8. war eigentlich ein grauer, relativ ereignisloser Tag. Dachten wir. Bis etwa um 19h.
Wir starteten von Nazaré bei grauem Wetter und etwa 10kn Wind, die uns schon Schlimmes ahnen liessen. Immerhin sind es von Nazaré bis Cascais am Eingang zum Tejo und Tor zu Lissabon etwa 75SM. Die wollten wir wirklich nicht motoren. Über Nazaré lässt sich eigentlich nicht viel sagen – ausser, dass es wirklich bei fast jedem Wetter zugänglich sein muss, wegen des Unterwasser-Canyons, den die Erbauer des Hafens genutzt hatten. Die Stadt hat offensichtlich beschlossen, dass sich Investitionen in die Marina oder den Fischerhafen nicht lohnen, und so sieht die Marina auch aus. Der Club Naval in der anderen Ecke des Hafens wirkt dagegen gepflegt und gut unterhalten. Bei starkem Wind wäre es wohl die bessere Idee, dort hin zu gehen. Aber wie überall begegneten wir auch hier überaus freundlichen Menschen. Die Reinigungskraft, die auf Bänzs Zeichensprache hin den Englisch-Sprechenden Marina-Manager um 08:30h ans Telefon holt, wie auch der Marina-Manager, der findet, wenn wir gestern Abend so spät erst gekommen seien und heute Morgen so früh wieder gehen wollten, dann brauchten wir nicht dafür zu zahlen.
Wir segeln zwar nicht überaus schnell aber immerhin vernünftig mit Gross und Genua der ebenfalls in graue Wolken gehüllten Küste entlang südwärts. Die Küste wäre bei etwas Sonne wahrscheinlich sehr sehenswert. Spannende, vielfach gefaltete Gesteinsschichten im Fels hinter dem wunderbar goldenen Strand und darüber grüne, endlose Pinienwälder. Nur ab und zu schocken uns die Bausünden, welche wohl nicht ganz ohne Mauscheleien haben bewilligt werden können. Riesige Kästen, die sicher auch vom Land aus gesehen scheusslich wirken müssen und Hunderte von Metern dahinter für Schatten sorgen müssen, sowie wohl bei Westwind ein Fenster-Öffnen-Verbot haben müssen, um nicht gleich auf der anderen Seite alle Fenster aus den Rahmen fliegen zu lassen.
Gegen Mittag haben wir die Passage bei den Ilhas Berlenga erreicht und kaum hat der Skipper das Ruder übernommen, schläft der Wind ein. Frustriert brechen wir die Fahrt nach Cascais ab und steuern zur Insel für einen Mittagshalt. Die Insel ist extrem touristisiert. In der vom RCC Pilot beschriebenen Ankerbucht liegen unzählige Bojen, an welchen Ausflugsboote hängen, deren Passagiere sich am Land den Weg zum Touristendorf hinauf schlängeln. Wir finden eine freie Boje und hängen uns dran, aber Dinghi aufblasen um an Land zu gehen gelüstet uns nicht so im Moment. Bald kommt ein kleines Fischerboot daher und der Fahrer fragt uns, ob wir übernachten wollten. Erst als wir verneinen meint er, es wäre gut, wenn er zwischen 15 und 16h an seine Boje könnte, denn dann fahre er heim nach Peniche. In den meisten anderen Ländern wäre die Reihenfolge dieser Unterhaltung, wie auch Ton und Wortwahl, anders ausgefallen. Wir sind so dankbar über die Freundlichkeit, dass ich erst zu spät merke, dass ich hier die beste Gelegenheit verpasst habe, alle meine Fischer-Fragen mal endlich jemandem zu stellen, der sowohl Englisch spricht, als auch das Fischen wohl versteht. Schade! Zu meinen Fragen über die Gepflogenheiten und Ehrenkodexe von Fischern haben sich nämlich noch jene zu den Reusen- und Netzfahnen gesellt: wie finden die Fischer ihre Netze jeweils wieder, wenn sie sie da draussen treiben lassen? Warum markieren sie sie mit so schlecht sichtbaren Bojen? Und warum setzen sie sogar kleine Korken statt Bojen, welche nicht mal auf der Oberfläche schwimmen, sondern wirklich erst gesehen werden können, wenn man schon fast drauf ist? Die können sie ja selbst gar nicht sehen?? Eigentlich ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis wir mal eine solche Boje überfahren. Ich hoffe einfach, dass das dann gut geht.
Inzwischen ist wieder etwas Wind aufgekommen und wir segeln los nach Peniche, dann stellen wir fest, dass es doch vielleicht genug wäre für weiter und fallen ab mit dem Spi weiter südwärts. Der Wind hält mehr oder weniger, mit schwächeren und stärkeren Phasen. Ein Blick aufs Wasserthermometer unterwegs: 14.1 Grad. Inzwischen sind wir südlich des 39. Breitengrades und wir haben das Gefühl, es werde immer kühler. Wenn das so weiter geht, können wir bald die Eiswürfelchen für unseren Porto Tonic gleich aus dem Wasser fischen!
Gegen Abend wird mir nach 2h am Steuer (wohlgemerkt bei Wind von hinten mit dem Spi, d.h. weniger Wind Chill) so kalt, dass ich mal wieder eine Quicksoup möchte – etwas, das wir seit Nordeutschland eigentlich nicht mehr brauchten. Aber der Skipper, der «nur mal schnell nach dem Motor schauen» wollte, bleibt unter Deck verschollen. Ich überlege gerade, ob ich das Steuer trotz Spi kurz unserem Erich übergeben könnte, um nachzuschauen, da taucht er (der Skipper) mit Sorgenfalten im Gesicht auf. Wir haben nicht mehr nur ein Tröpfchen Diesel an der Entlüftungsschraube wie in La Coruña, sondern schon ein kleines Rinsal im Motor-Sumpf. Er putzt und zieht das Schräubchen nochmals nach, aber da wird klar, was wir ja alle eigentlich schon lange wissen – nach fest kommt ab und die Entlüftungsschraube auf dem Dieselfilter dreht im Leeren. Schon mit der Handpumpe und trotz behelfsmässigem Fixieren mit Kabelbindern spritzt der Diesel drum herum nur so hinaus. Oje – hoffentlich hält der Wind wirklich! Das geht nicht lange gut so.
Beim Eindunkeln sind wir beim Cabo Roca, das sich gerade in dichten Nebel hüllt. Wir bergen den Spi, was jeweils eine längere Aktion ist, bis alles versorgt ist, und im Dunkeln ziemlich schwierig wäre. Während wir mit dem Bergen und Wegräumen beschäftigt sind, hat sich der Wind, der inzwischen bei etwa 16-18kn angelangt war, klammheimlich angeschlichen. Plötzlich rauschen wir unter Topp und Takel, d.h. ohne jegliche Segel, mit Erich am Steuer mit 4-5kn Fahrt südwärts. Innert Minuten hat es auf Mittelwind von 28kn und Böen über 30kn zugenommen. Mit nur einem Taschentuch von Genua sausen wir inzwischen im Dunkeln ums Kap und in Richtung Cascais. Wir hatten schon gehofft, dass der Wind halte, aber mit ganz so viel hatten wir nicht wirklich gerechnet.
Im Dunkeln versuche ich den vom Navigator vorgegebenen Kurs einigermassen zu halten, während uns die Wellen von links hinten fast überholen, sobald eine Bö nachlässt und die nächste noch nicht da ist. Die Kursangaben (fahr mal 105°) sind deutlich genauer als das, was in solchen Situationen leicht zu steuern wäre. Mit der Zeit spielt sich das aber wieder ein und so rauschen wir Ost-wärts auf viele Lichter zu, unter welchen sich allmählich dann auch der eine oder andere Leuchtturm ausmachen lässt. Ich habe mir gerade am Land ein Licht als Orientierungsmarke gemerkt, da erschrecke ich zutiefst: dahinter brennt’s lichterloh! Und breitet sich rasend schnell aus! Oh nein… Ich will gerade Bänz rufen, damit er das vielleicht am VHF melde, da begreife ich, dass mein «Waldbrand» der Mond ist, der riesig und feurig leuchtend über dem Hügel aufgeht. Es ist ein umso schöneres Schauspiel nach dem Schrecken von vorhin. Nur fotografieren geht nicht – ich brauche beide Hände fürs Steuer und mich, und zudem wäre es garantiert verwackelt. Nach einer gefühlten Stunde (und wohl einer gemessenen Halben) ist das Rodeo so schnell wieder vorbei wie es angefangen hatte: 28-24-19-8kn zeigt der Windmesser in schneller Folge, und schon plätschern wir mit deutlich zu wenig Segel im glatten Wasser dahin. Das war wohl ein verstärkter Kap-Effekt. Hinter uns herrscht nämlich noch immer dichter Nebel und Bewölkung, aber vor uns – wie der Mond mir zeigte – ist es sternenklar und schönstes Wetter. Mal wieder – so schnell geht’s!
Die letzten 20 Minuten und fürs Ankern müssen wir dann – widerwillig aber doch – noch motoren. Vorsichtig suchen wir unseren Weg an der Hafenmole vorbei in die Bucht dahinter. Die Kommunikation untereinander ist unmöglich geworden, diesmal nicht wegen des Heulen des Windes wie vor einer Stunde, sondern wegen des Konzerts, das an Land in Cascais gerade stattfindet. Da ist es gut, dass wir inzwischen ein recht eingespieltes Team sind. Vorsichtshalber setzt Bänz unser Ankerbojelchen, weil dies im RCC Pilot so empfohlen wird. Dann ist Ruhe und wir können einen Blick in den Motorenkasten werfen. Der Skipper schliesst den Deckel aber ganz schnell wieder: aus den paar Tropfen ist in der kurzen Zeit ein kleiner Teich aus Diesel geworden und unter Deck stinkts bei uns wie an einer ungepflegten Tankstelle. Oje, so können wir nicht weiter fahren!
Am Samstagmorgen sind wir beide schon früh wach – da drängen mal nicht nur die üblichen Sorgen von zuhause, die ja nicht einfach auf Kommando abgestellt werden können, sondern jetzt auch das Thema Entlüftungsschraube. Recherchen im Internet zeigen, dass es in der Marina einen Yanmar-Händler gibt. Zudem sehen wir nach, was auf Portugiesisch «Eisenwarenhändler» (O Ferregeiro), «Gewindebohrer» (formadora de rosca), «ein Gewinde drehen» (abrir una rosca) und «Schraube» heisst. Denn inzwischen ist klar, dass das Gewinde der Entlüftungsschraube vollkommen ausgerissen ist und wir entweder das ganze Gehäuse für den Dieselfilter neu brauchen, oder Bänz eben ein neues, grösseres Gewinde in das bestehende Gehäuse drehen und dann eine neue, grössere Schraube einsetzen muss. Zu unserer bzw. des Bord-Feinmechanikers Überraschung ist die ursprüngliche Grösse 6mm und nicht 4. Somit brauchen wir auch noch eine kurze 8mm-Schraube, denn die hat die sonst exzellent bestückte Werkzeugkiste an Bord nicht im Sortiment.
So ausgerüstet geht es möglichst bald nach 10h per Dinghi (sea magiX ist gerade etwas indisponiert) zum Marina Office, wo uns in wunderbarem Englisch erklärt wird, wo wir eine Drogaria (doch, die haben nicht nur Putzmittel sondern auch Werkzeug und Schrauben und so) finden, sowie einen Do-it-Yourself und den Yanmar-Händler. Im Zürcher Bahnhofsstrassen-Schritt stürmen wir zwischen den Touristenmassen hindurch zum Zentrum, denn die Drogaria schliesst wahrscheinlich schon bald. Für Cascais haben wir wenig Augen – wir suchen nur den Laden. Als wir ihn endlich finden, entpuppt er sich aber als voller Erfolg. Mit unserem Zettel mit den wichtigsten Wörtern, etwas Spanisch und vielen Handzeichen, sowie der Hilfe eines etwas mehr englischsprechenden zufällig anwesenden Kunden, haben wir schon bald drei zu lange 8mm-Schrauben vor uns, sowie den richtigen Gewindebohrer. Bänz darf die Schrauben am Schraubstock im Laden gleich zurecht sägen und feilen und die beiden Männer «fachsimpeln» in Zeichensprache über die Sauberkeit des Gewindes. Die Mutter, mit welcher dies getestet wurde, schenkt uns der freundliche Herr gleich noch dazu. Mit Handschlag und Adios werden wir verabschiedet, einmal mehr erfreut über die riesige Hilfsbereitschaft, der wir hier begegnet sind.
Beim Yanmar-Händler vereinbaren wir, dass sich Bänz meldet, um eventuell das Gehäuse am Montag zu bestellen. Das wäre dann die Backup-Lösung, falls es mit dem neuen Gewinde nicht längerfristig klappt. Schnell geht’s zurück an Bord: wir wollen wissen, ob wir hier festsitzen oder nicht. Und es wäre auch gut, Sea magiX bald wieder manövrierfähig zu wissen.
Ich verziehe mich an Deck aus dem Weg mit Laptop und Bikini (es ist perfektes Wetter und am Strand tummeln sich die Massen – bei 14.9 Grad kaltem Wasser, was allmählich die Zweifel an unserem Thermometer wieder aufkommen lässt) und Bänz macht sich an die Arbeit. Viel schneller als erwartet heisst es dann, ich solle den Motor starten. Ungläubig schaue ich ihn an, aber er meint es ernst.
Und siehe da – nach einigen Versuchen startet er… und bleibt trocken! Die Erleichterung ist riesig. Jetzt können wir uns Cascais und morgen auch Lissabon widmen. Und in diesem Fall können wir sagen: nach Fest kommt Ab und dann wieder wie neu, wenn man einen Hobbymechaniker als Skipper an Bord hat. Glück gehabt!