Eigentlich hatte ich mir ja vorgestellt, dass wir in Roscoff zwei, vielleicht drei Tage das Wetter durchziehen lassen würden, um dann mit neuer Energie der Nordküste von Finisterre entlang und durch den Chenal du Four um die Ecke zu gelangen. Eigentlich… Die kurzfristige Planänderung aufgrund vertretbarer versprochener Verhältnisse brachte mich deshalb bei aller Offenheit und Flexibilität trotzdem etwas aus dem Konzept; ich wünschte mir plötzlich nichts sehnlicher, als mal still zu halten und durchzuatmen. Dabei waren wir ja vorher nicht besonders anstrengend unterwegs gewesen. Trotzdem – ich merkte plötzlich, dass das pausenlose «vielleicht-vielleicht nicht»-unterwegs sein ebenfalls Energie kostet. Nach einem abendlichen Durchhänger hatte ich dann mit etwas Selbstcoaching meine Lösung gefunden: ab sofort würden Planänderungen zum Programm gemacht. Die Flexibilität sollte noch bewusster gelebt und noch selbstbestimmter und damit lustvoller zwischen Möglichkeiten hin und her entschieden werden. Und: es funktionierte! (Wenn auch meine erträumten Pausentage weiterhin – aber ein wenig später, wenn’s dann passte – eine wichtige Komponente in der Planung bleiben sollten.)
Der Roscoff-Besuch wurde also viel kürzer als erwartet. Die minimale Regentour mit den von der Marina geliehenen E-Bikes musste genügen. Zum Glück hatten wir das Städtchen vor fünf Jahren auf unserer ersten Atlantikrunden-Tour bei schönstem Wetter besuchen können. Jener vielleicht inzwischen etwas verklärte Eindruck wurde durch die Regenfahrt nicht nachhaltig überlagert, dafür war sie zu kurz.
Im Hafen kamen wir noch kurz ins Gespräch mit einer Gruppe von Schweizer Corsaires, die von Paimpol aus gestartet und am Weg nach Süden waren, um dann an der 70-Jahr-Feier (und -Regatta) in Loctudy teilzunehmen. Hut ab! Bei dem regnerischen, kühlen Wetter stellt das wohl hohe Anforderungen an die «Campingfähigkeiten» der Teilnehmenden in den kleinen Böötchen!
Vor der Hafeneinfahrt hatte sich eine beachtliche See aufgebaut, durch den schon zunehmenden Strom gegen den Wind. Wir kämpften uns unter Motor ins ruhigere Wasser der Durchfahrt zwischen Festland und Ile de Batz, die wir vor fünf Jahren im Nebel nur sehr schemenhaft wahrgenommen hatten. So sieht das also aus, da! Das Örtchen Porz Kernoc wirkte sehr ansprechend und freundlich, trotz des grauen Himmels.
Draussen konnten wir dann Segel setzen und unseren Halb- bis Amwindkurs segeln, immer hoffend, dass der Dreher auf die Nase wirklich erst etwas später kommen würde, wie von der Meteo versprochen. Mit der starken Strömung ungefähr gegen den Wind gab es auch auf der anderen Seite der Ile de Batz eine beeindruckende und ungemütliche See. Dafür begann sich der Himmel aufzuhellen. Schon vor dem Mittag hatten wir die Ansteuerung für L’Aber Wrac’h erreicht. Erste Planänderung: das war uns zu früh, um hineinzufahren bei dem vernünftigen Wetter. Also weiter: L’Aber Ildut war schon am Morgen als Plan B bestimmt worden. Der Dreher auf die Nase kam zwar kurz bevor wir um die Ecke in Richtung Aber Ildut abfallen konnten, aber wir mogelten uns gerade noch so durch… das gab dann gleich noch etwas Sightseeing und Rock-Hopping zum eh schon «interessanten» (so ein praktisches Wort! In diesem Fall wohl als Synonym für anspruchsvoll) Segelkurs entlang dieser zerklüfteten, Steine-übersäten und mit Tidenstrom beschleunigten Küste.
Am Weg in Richtung Aber Ildut kam dann tatsächlich auch noch die Sonne heraus… war es so nicht eine Verschwendung, am Nachmittag da in einen Flusslauf hinein zu verschwinden? Der Kurs zur Insel Ouessant wäre ideal; halber Wind bei angenehmen 3-4 Bft. Ein kurzer Blick in die Ankerbucht «Le Stiff» am Plotter zeigte zwar schon ein paar AIS-Signale und der Reeds hielt fest, dass dort fürs Ankern neben den wenigen Besucherbojen wenig Platz auf schlecht haltendem Grund sei. Trotzdem – ich habe die Ile d’Ouessant noch nie betreten, auch wenn ich schon daran vorbei gesegelt bin. Also war es diesmal an mir, die Planänderung vorzuschlagen – getreu nach meinem Selbstcoaching-Motto: wollten wir nicht dorthin, also den Kurs wieder auf kühleres Halbwindsegeln ändern? Gesagt, Planänderung Nr. 2 getan: die Segel kamen wieder dicht, der zweite Pulli musste wieder her. Unterwegs schaffte ich es nicht, einen der hier inzwischen sehr häufig auftretenden Algenteppiche zu umfahren. Sea magiX quittierte das mit einer Vollbremsung: unsere Geschwindigkeit ging auf die Hälfte zurück. Nur mit Mühe und intensivem Motor-Rückwärtsfahren konnten wir die «Mutte» wieder loswerden. Jene Algenteppiche sind jetzt also noch vorsichtiger zu umfahren; gefühlt wird es auf dem so weiten Wasser immer enger zwischen Fischerfähnchen, Algenteppichen, Windfarmen (hier im Westen zwar weniger) und vielen anderen Booten. Bald nachdem wir den unerwünschten Treibanker losgeworden waren, zeigte der Blick auf den Plotter, dass der Gegenstrom gerade seine ganze Kraft entfaltete: der Kurs nach Ouessant wäre zwar schön gewesen, aber der Gegenstrom war hier schon ziemlich mühsam. Ergo – der geneigte Leser ahnt es bereits – Planänderung Nr. 3: wenn wir schon da sind, warum nicht gleich durch den Chenal du Four, damit auch diese Enge noch bei trockenem Wetter und passendem Wind passiert werden könnte? Gemäss Navionics sollte bis in etwa einer Stunde der Strom in der Enge kentern und ab dann nicht mehr gegen uns laufen. Und der Kurs war so, dass sea magiX in ihrem Element sein und ihr ganzes Potenzial zeigen konnte. Es rauschte nur so durchs Wasser, inzwischen bei vollem Sonnenschein… nur nicht über Grund. Denn Navionics erzählte diesbezüglich grossen Mist, wie wir dann bei der Kontrolle mit dem Tidenatlas unschwer feststellen konnten. So spulte unser treues Boot mit 7 und 8 kn Fahrt die Meilen durchs Wasser fröhlich ab, während dieses uns mit 1.5-2kn wieder zurücktrug. Aber inzwischen waren uns die Optionen für Planänderungen ausgegangen und auch mit 5 kn kommt man ja irgendwann mal um die Ecke.
Auf weitere Gegenstrom-Meilen hatten wir aber allmählich keine Lust mehr, und so blieb es bei Plan 4: ankern in der Bucht von Plougonvelin, am Eingang zum Goulet de Brest, durch den auch die Tanker möglichst nur mit dem Strom fahren. In der Bucht erwartete uns dann noch eine letzte Überraschung: dort, wo der Skipper auch schon in aller Ruhe geankert hatte, ist jetzt alles voll mit einem grossen Bojenfeld für Motorboote und kleine Segler. Aber: es gab ein paar Besucherbojen, von denen wir eine nehmen konnten. Der darauf angebrachte QR-Code konnte zwar nicht vom Handy eingelesen werden, weil er halt auch bei ruhigem Wetter nicht «still hielt». Aber mit Googles Hilfe konnte auch jenes Problem gelöst und die entsprechenden Infos eingeholt werden. Leider gibt es auf der Webseite der Mairie von Pl… keine Angabe von Zahlungsdaten, sonst hätten wir gerne die 6.50€ für jene Nacht überwiesen. Wir genossen den ruhigen Abend nach dem langen Segeltag aber trotzdem. 😉
Die Nacht wurde unruhiger als erwartet: der angekündigte Südwestwind verursachte mehr Schwell in der Bucht als erwartet und unsere Festmacher an der Boje ruckten und quietschten was das Zeug hielt. Da es gleichzeitig hörbar aufs Deck plätscherte, fühlten sich weder Crew noch Skipper bemüssigt, daran etwas zu ändern. Und als wir am Montag die Köpfe aus der Koje hoben, bot sich ein sehr wenig einladendes Bild: dicker Nebel, Nieselregen, kalt… Puh, wer wollte denn da auch nur schon einen Hund, geschweige denn eine Crew hinaus jagen?
Es war dann das vereinigte Wassersport-Zentrum, das es schaffte, uns zu aktivieren: plötzlich waren wir von diversen Tatzelwürmern von kleinen Katamaranen, Dinghys, Optis und sogar von Kanus umzingelt, die trotz Nebel und Nässe ihren Spass zu haben schienen. Ok ok, we got the message… Nur mit der Genua legten wir von der Boje ab und liessen uns die knapp 10 SM nach Camaret sur mer hinüber blasen. Wir hatten beschlossen, dass wir uns diesen Ort und die Marinas dort selbst ansehen wollten, nachdem wir darüber von diversen Seiten viel Kritik gehört hatten.
Camaret ist der Ausgangspunkt von sehr vielen Seglern für die Überquerung der Biskaya. Dort liegt man und wartet auf ein günstiges Wetterfenster. Es ist dafür gut gelegen, denn man ist unabhängig von den Gezeiten für den limitierenden Goulet de Brest und man kann den Raz de Sein falls nötig aussen rum umfahren, und es ist so weit westlich wie möglich. Das heisst, der Kurs an die Südwest-Ecke der Biskaya führt mit einem Kurs, der so wenig West drin hat wie möglich, was bei häufigen Westwinden ein wichtiger Aspekt ist. Die Wahrscheinlichkeit, den Wind voll auf die Nase zu bekommen, wird dadurch verringert.
Mit unserem gemütlichen Timing quasi von nebenan kommend erreichten wir Camaret zu einem sehr günstigen Zeitpunkt; jene Boote, die es verlassen wollten an jenem Tag waren schon weg, und die Neuen von weiter weg als unserer Bucht waren noch nicht da. Wir konnten einen der ganz wenigen freien Plätze am Fingersteg in der inneren Marina nahe beim Städtchen ergattern und waren damit schon um einen Punkt weniger skeptisch über den Ort als zuvor. Vom Ort selbst konnten wir uns an jenem Montag keine Meinung bilden: er hüllte sich beharrlich in Nebel und Nieselregen. Ein Blick in die sanitären Anlagen, über deren desolaten Zustand wir schon viel gelesen hatten, ergab, dass sie wohl nicht gerade luxuriös, aber mit Badeschlappen und möglichst wenig anderem nebst Tuch und Duschmittel ok waren. Und bei der späteren Dusche konnten wir das für mich wichtigste feststellen: das Wasser kommt schön warm aus der Brause.
Weil wir gerade so praktisch mitten im Ort Platz gefunden hatten, wo in kurzer Gehdistanz auch noch ein grosser Super-U liegt, entschieden wir uns, am Dienstag in Camaret zu bleiben und einen Wandertag einzuschalten.
Wir wollten gerne die berühmte Klippenwanderung zu den Trois Pois hinaus absolvieren, sofern genug Sicht war, um bis zum Wasser hinunter zu sehen. Und Camaret tat uns den Gefallen und enthüllte sich für uns tatsächlich am nächsten Tag.
Nicht nur die Klippenwanderung gefiel uns sehr, mit den riesigen Flächen an purpurrotem Heidekraut mit gelben Flecken von Stechginster. Auch die einfach so neben dem Campingplatz umherstehenden Menhire waren faszinierend. Trotz des verhangenen Himmels und vieler Touristen, die mit dem Auto bis ganz hinaus fahren konnten.
Es tat gut, die Beine zu vertreten und einen Tag lang nicht an die nächsten Routenabschnitte und Entscheidungen zu denken. Eigentlich ja eine spezielle Erkenntnis, dass auch Flexibilität und alle Möglichkeiten zu haben anstrengende Zustände sind. Aber das ist für mich ein wichtiger Aspekt einer andererseits ja wohlbekannten Tatsache: Freiheit ist anstrengend, denn sie verlangt viele und immer neue Entscheidungen.
Für Mittwoch waren 2-4 Bft aus West angesagt. Wir wollten den gemütlichen Wind nutzen, um von Camaret, das in unserer Beurteilung deutlich besser wegkam, als in all den Berichten, die wir zuvor gelesen hatten, nach Douarnenez zu segeln. Eigentlich (schon wieder dieses Wort… also Planänderung Nr. xy!) hatten wir nach Audierne segeln wollen, um dort Bekannte zu treffen. Aber die Beschreibung des Hafens im Reeds überzeugte uns dann doch nicht. Und an Douarnenez haben wir schönste Erinnerungen von unserer 2019-Reise. Hier hatte quasi der Sommer begonnen, als wir damals hier halt machten. Wir hatten in der Bucht neben der Ile Tristan geankert, um aufs Hochwasser zu warten, und der Skipper war sogar baden gegangen. Das wird in diesem Jahr leider nicht der Fall sein: der Sommer hat es noch nicht hierher geschafft und wir sitzen in langen Hosen und Faserpelzen im Cockpit unter der Regenblache… Trotzdem; obwohl für die Fahrt von Camaret der Wind nicht auftauchen wollte und wir den Motor zu Hilfe nehmen mussten, und obwohl sich das Städtchen im Oktober- und nicht im Juli-Modus zeigt, ist es uns noch immer sehr sympathisch. Das fing schon bei der Begrüssung durch den Hafenmitarbeiter an, der wohl fünfmal wiederholte «Bienvenus à Douarnenez», «soyez les bienvenus», etc., wiederholte sich bei der Marina-Mitarbeiterin in der Capitanerie, die sich freute, dass sie des Skippers Namen ohne Zungenverstauchung hatte aussprechen können und wurde dann nochmals bestätigt vom Brückenwärter, der am Quai entlang sprintete, um uns Anweisungen zu geben, während wir wegen des starken Stroms in der Einfahrt mit etwas Zug unterwegs waren… einfach freundlich sind sie alle, hier.
Angesichts des Wetterberichts hatten wir beschlossen, dass wir in den Innenhafen, Port Rhu gehen wollten, der durch eine Schwelle auf einem Mindest-Wasserstand gehalten wird und deshalb nur einige Stunden um Hochwasser erreichbar ist. Ein weiser Entscheid. Jetzt ist Donnerstagabend, 25.7., und wir konnten gestern Abend und heute hier in aller Ruhe liegen, fernab von Schwell und dem Gerangel der Boote um einen Platz am Steg in der Grande Passage am Eingang.
Gestern Abend gab es noch einen besonderen Leckerbissen für uns: wir bekamen Besuch von Claude und seiner Partnerin Claudia. Es war die erste (und hoffentlich nicht die letzte) direkte Begegnung nach einer längeren virtuellen Bekanntschaft und es wurde ein fröhlicher, sehr sympathischer und spannender Apéro mit angeregten Gesprächen. Hoffentlich ergibt sich irgendwann die Gelegenheit für eine Fortsetzung. Die Bilder von ihrem frisch renovierten und zu mietenden Haus wirkten jedenfalls sehr einladend. Wer weiss…?
Heute Donnerstag war wieder eine Entscheidung fällig: wann wollen wir den Absprung von hier nach Süden machen und wohin soll er gehen? Die Lage hat sich etwas weiter verkompliziert, denn unsere ursprüngliche Begründung, warum wir von England aus auf die Azoren hatten segeln wollen, ist plötzlich wieder sehr aktuell geworden: the Orcas are back. Leider. Letzte Woche gab es zwei Angriffe auf Segelboote hier in der Nähe. Einen direkt südlich des Raz de Sein, also wirklich hier vor der Haustüre. Und einen irgendwo mitten in der Biskaya auf einen Teilnehmer an der Regatta von Les Sables d’Olonnes zu den Azoren. Damit hatten wir nun eigentlich noch nicht gerechnet… Ja, die Wahrscheinlichkeit ist weiterhin ziemlich klein, dass es ausgerechnet uns treffen würde. Aber wenn es denn so wäre, dann interessieren einen Wahrscheinlichkeiten nicht mehr. Und doch: die Wetterlage ist weiterhin äusserst wechselhaft. Der Wetterbericht bzw. das Routing von «Wetterwelt» hätte bei einer Abfahrt zu den Azoren eine Reisedauer von mehr als 250 Stunden vorausgesagt. Also mehr als 10 Tage für eine Strecke, die wir in etwa 7-8 Tagen segeln können sollten. Deshalb: direkt von hier aus zu den Azoren steht momentan nicht auf dem Plan. Stattdessen wollen wir am Samstag nun los nach Süden über die Biskaya mit dem Ziel, an der Nordwestspanischen Ecke bei a Coruña oder Cedeira zu landen. Das sind ca. 300 SM und wir sollten die Strecke in etwa drei Tagen schaffen.
Nach dieser Entscheidungsfindung ging es heute bei grauem Nieselwetter auf Einkaufs- und Spaziertour.
Morgen wird vorgekocht und vorbereitet. Dann sind wir bereit und können südwärts segeln – hoffentlich endlich der Sonne entgegen. Wir sind gespannt! Und hoffen auf eine Orca-freie Fahrt.