Di., 7.1.: Heute gab es einen sportlichen Start in den Tag. Um 8h hielt es der Skipper nicht mehr aus: die Windstärke war auf ca. 14kn gefallen und mit dem Sargassogras als Bremser war unsere Geschwindigkeit auf teilweise unter 4 Knoten durchs Wasser gerutscht. Es musste etwas geschehen: der Gennaker war gefragt. Während wir am Vorbereiten waren (der Genuabaum musste weg, die Spischote musste eingezogen werden, etc.) zog eine kleine Wolke mit ganz wenig Nieselregen durch. Danach war der übliche Wind mit 14-19 Kn wieder da. Aber wir waren nun schon mal dran…
Genni hochziehen, versuchen ihn aufzuziehen, bzw. „aufblasen“ zu lassen – klemmt. Genni wieder runter, entwirren. Zweiter Versuch – dito. Beim dritten Versuch (bei dem der Crew allmählich die Arme lahm wurden) gelang es endlich. Schnell öffnete sich das blaue Segel und schon waren wir am Weg in die Sonne. Sea magiX legte sich augenblicklich auf die Seite und drehte zum Wind: Erich, unser Autopilot, war noch auf eine zu niedrige Reaktionsstufe gestellt und so verschlief er es fast, uns mit so viel Segel auf Kurs zu halten. Schnell die Schot wieder fieren (frei geben) und Erich wecken – puh, das ging gerade noch gut. Aber es wurde trotzdem sofort klar, während wir mit 8 Knoten und mehr nach 230° stürmten: das war nichts für unseren Autopiloten.
Mit voller Konzentration steuerte uns der Skipper manuell eine halbe Stunde lang mit hohem Tempo bis zu 9 Knoten durch die Sargassogras-Felder. Es reichte gerade, um das Cockpit aufzuräumen, eine Flasche Wasser zu holen, und in Shorts zu wechseln. Ausserdem kam Gisela kurz zum Zug, aber einerseits waren auch bei maximal eingestelltem Ladestrom die Tempi zu hoch für sie und andererseits hatte sie sofort einen Sargasso-Bart, der ihre Leistung halbierte und wohl auch den Druck auf ihre Aufhängung sehr erhöhte.
Nach etwa einer halben Stunde liess der Wind kurz auf 14 Knoten nach, Erich musste temporär übernehmen und schon holten wir den Genni wieder herunter… Das Müesli danach hatten wir uns verdient!
Das Intermezzo illustriert es schön: für diese Windstärken haben wir ein wenig zu wenig Segelfläche mit der Genua alleine, aber zu viel mit dem Gennaker für längere Strecken.
Und: die Algenteppiche werden uns in verschiedenen Hinsichten weiter das Leben schwer machen: einerseits, weil sie uns wirklich etwa einen Knoten Fahrt kosten. Es ist spürbar, dass wir am Ruder etwas mitschleppen und wir wissen nicht, ob sich auch am Kiel ein Büschel vor uns her schiebt. Ein Knoten Bremsen klingt nicht nach viel, aber aufgerechnet auf 24 Stunden ergibt es doch eine beträchtliche Anzahl Meilen, die wir weiter kämen. Andererseits (stört das Sargassogras) auch, weil die Algen sich auch an Gisela verfangen und wir somit kaum mit dem Wassergenerator Strom machen können. Den müssen die Solarpanels momentan alleine liefern. Und schliesslich: auch Leonie, unsere Windsteueranlage kommt mit den lästigen Büscheln an ihrem Pendelruder nicht gut zurecht. Wir können zwar mit dem Bootshaken versuchen, sie immer wieder zu befreien.
Aber der Druck durch den erhöhten Widerstand biegt das Ruder immer wieder nach hinten. Da kann der Skipper die Fixierung noch so sehr nachziehen. Somit ist nun der elektrische Autopilot wieder dran. Und wir zotteln halt manchmal mit um die 4 und dann wieder mit den üblichen 5-5.5 Knoten nach Südwesten. Wir haben ja Zeit! Und zudem: bei diesen gemütlicheren Tempi ist es auch im Schiff ruhiger. Vielleicht könnte ich so meine fehlenden Stunden Freiwache bei Gelegenheit noch nach-schlafen? Mal sehen – momentan hat der Skipper Freiwache und liegt in der Koje. 😊
Mi., 8.1. Ein Plädoyer für die Routine
Nein, Routine ist eigentlich nicht mein Ding. Wenn der Eindruck aufkommt, es gäbe keine Möglichkeit für neues Lernen, neue Erfahrungen, Weiter-Entwicklung im breitesten Sinn, dann kommt schnell Langeweile auf. Und doch: das Leben an Bord hier illustriert es perfekt: auch hier gilt Paracelsus‘ weises Wort: die Menge macht das Gift.
Unsere Bordroutinen geben uns Struktur in einem Alltag, der sonst in langweiliges Herumhängen oder in ständigen Aktivismus ausarten könnte. Die Wachen, z.B., signalisieren uns, wann wir Freiwache haben und die Zeit für uns und unsere momentanen Bedürfnisse einsetzen können (was derzeit noch sehr häufig Schlafen bedeutet). Oder eben, ob wir auf Wache sind und dafür sorgen, dass der Bordbetrieb gut läuft. Auch da haben sich für uns Routinen etabliert. Die Fragen bei der Wachübernahme, z.B.: „Wie läufts? Was gibt’s Neues? Was muss man anziehen draussen? Was gibt’s zu naschen?“ Bezüglich Kleidung hat sich die Antwort heute Morgen verändert. Erstmals trug ich in der 03-06Uhr-Wache heute Morgen keine Jacke mehr unter der Rettungsweste. Es wird merklich wärmer und dabei waren wir ja schon von warmen Gefilden gestartet. Andere Bordroutinen: der Blick rund um den Horizont, ca. alle 30 Minuten. Wir haben zwar seit unserer Abfahrt nicht mehr als 5 grosse Schiffe gesehen, und die meistens schon sehr früh am AIS, aber ausschliessen, dass wir einem anderen Segler ohne AIS begegnen, kann man trotzdem nicht. Zur Bordroutine gehört momentan auch das regelmässige Befreien von Leonie, die seit gestern Abend wieder das Steuer übernommen hat, von ihren lästigen Algenbüscheln. Oder das Zubereiten des Frühstücksmüeslis, das wir mit Haferflocken, Jogurt, Früchten und Nüssen zusammenmischen.
Nach dem Mittagessen findet die Kommunikationsrunde statt: der Starlink wird am Bimini in seine Halterung gebracht, Strom dran, Programm aufstarten und Verbindung zum Internet herstellen dauert alles jeweils eine Weile.
Dann wird der Wetterbericht herunter geladen, Berichte an Paddy geschickt und gelegentlich ein schneller Blick ins WhatsApp geworfen, bevor der Starlink wieder abhängt. Mit dem Mobile Priority Abo haben wir eine limitierte Datenmenge zur Verfügung, die aber sehr viel grösser ist als jene vor 5 Jahren. Trotzdem wollen wir nicht ewig online sein und auch den Starlink nicht lange dort hinten hängen haben. Die ca. einstündige Kommunikationsrunde hat sich für uns sehr bewährt. Und mit dem Garmin Inreach Mini für die SMS-Kommunikation mit Paddy und die Positionsupdates (die ja auch auf der Webseite abgebildet werden) haben wir den perfekten Backup. Diese SMS gehören natürlich ebenso zur routinemässigen Kommunikationsrunde.
Nachmittags hat sich inzwischen bei einigermassen ruhigem Wetter (das wir ja seit Tagen geniessen) auch die Cockpit-Dusche etabliert. Mit Salzwasser direkt ab Pumpe und wenig Süsswasser in einem Kübel mit Duschschwamm. Die kleine Pumpe, die an ihrem Schlauch am Heck über Bord gehängt wird, spediert einen schönen Strahl 25 Grad warmes Wasser hinauf. Ohne gefährliches Kessel-Füllen an der Bordwand. Luxus. Und das frische Gefühl nach der Dusche – ebenfalls luxuriös.
Unsere Essenszeiten folgen mehr oder weniger den Wachzeiten. Das Frühstücksmüesli wird meistens in der Wache von 06-10h gemacht und oft getrennt genossen, weil die Freiwache noch schläft. Mittagessen (manchmal aufgewärmte Resten vom vorigen Abendessen, manchmal Gurken-Tomaten- oder Chinakohl-Salat und Brot) gibt es meistens kurz vor Ende der 10-14h-Wache und Abendessen haben wir meistens am Ende der 18h-21h-Wache und ab und zu sogar erst am Ende der nächsten, d.h. kurz vor Mitternacht. Eine neue kleine Routine, die sich gerade etabliert, ist der (immer alkoholfreie) Sundowner kurz vor 18h. Was gibt es schöneres, als gemeinsam im Cockpit zu sitzen und dem Schauspiel im Westen zuzusehen, während man an einem „Tostada“ 0% oder sonstwas Flüssigem nippt?