Stromsegeln im Raz de Sein – und Flexibilität ist gefragt wie immer

Der Raz de Sein ist eine der berühmtesten Strom-Durchfahrten an der westlichsten Ecke der Bretagne. Die spektakulären Fotos vom Turm La Vieille im Sturm, welche unzählige Posters, Kalender und Postkarten zieren, haben sicher einiges dazu beigetragen. Im Reeds steht: “As a rule the Raz should always be taken at slack water to ensure the least uncomfortable conditions. In good weather, near neaps, wind and tide together, it is not difficult. But in moderate to strong winds it must be taken at slack water. In strong winds-against-tide which raise steep breaking seas and overfalls, the channel must not be used.” (Hervorhebungen im Original).

Die Diskussion über diese Durchfahrt begann bei uns an Bord schon am Dienstag. Angesagt waren 2-4 Bft aus Süden und der Raz de Sein führt von Nord nach Süd. Da wir nur bei Hochwasser aus dem Hafen von Port Rhu konnten, war klar, dass das Thema Slack Water nicht funktionieren würde, denn sonst hätten wir kurz danach den starken Strom gegenan. Also lief es auf Strom gegen Wind, wenn auch bei relativ leichtem Wind, hinaus. Wir kennen ja solche Verhältnisse schon von anderen Orten und deshalb näherten wir uns dem Kap dann doch recht vorsichtig. Sogar die Rettungswesten hatten wir beide angelegt und auch spritz-sichere Kleider. Aber sogar ich, mit meiner deutlich grösseren Skepsis, konnte durchaus beipflichten, als der Skipper die Durchfahrt für absolut ok einschätzte.

Es war eben nicht direkter Wind gegen Strom, denn der Strom verläuft eher nach SW und die Brise kam direkt aus S. Mit einem Reff, da wir durch die Beschleunigung einen scheinbaren Wind von 4-5 Bft hatten, und bis zu mehr als 11kn Fahrt über Grund liessen wir uns durch die Enge spülen. Das Wasser zeichnete die üblichen interessanten Strom-Muster, aber der Wellengang hielt sich bei unserem gesteuerten Kurs durchaus im vernünftigen Rahmen. Und von Süden kam uns sogar ein Ausflugsboot entgegen, dessen Skipper den Touristen wohl etwas bieten wollte und extra durch die Stromschnellen bei La Vieille steuerte. In so schönem Sommerwetter wirkt das Ganze dann auch weniger furchterregend als bei dem Wetter, das wir vor einem Jahr beim Pentland Firth hatten – eine Lieblingserinnerung von Tom…

Der Wind hielt noch bis etwa 17h durch, wenn auch konstant abnehmend, und gerade als wir bei der Pointe de Penmarc’h, am Ende der wunderschönen langen Bucht von Audierne, angelangt waren, schlief er vollends ein. Wir wollten nicht länger als nötig motoren und nahmen deshalb Kurs auf den nächsten möglichen Ort, genannt Le Guilvinec (Aussprache unbekannt – was sich dann als ich am VHF den Port aufrufen wollte als erschwerend zeigte…). Dort steht im Reeds zwar «Entry prohibited between 16:30 and 18:30h, um den Fischern, die absolute Priority haben, nicht in die Quere zu kommen. Aber als ich dann irgendjemanden am VHF hatte, der auf meinen Aufruf antwortete, ohne auf meine Aussprache des Ortsnamens einzugehen, meinte der ganz entspannt, wir sollten problemlos rein kommen und dann ganz hinten werde es schon irgendwo ein Plätzchen geben.

Auch sonst erlebten wir den Ort als «welcoming». Wir wurden freundlich begrüsst, man wollte mit den Leinen helfen beim Anbinden, mir wurde ausführlich erklärt, dass der Hafenmeister am nächsten Morgen kommen werde und man das Hafengeld dann regeln könne, dass die guten Restaurants «dort drüben» seien, etc. etc.

Während wir den Ankertrunk genossen und uns geistig auf den Spaziergang «dort rüber» vorbereiteten, um doch noch die bretonische Fischküche ein weiteres Mal geniessen zu können, kamen diverse Hobbyfischer mit ihren kleinen Booten zum Steg und luden ihr Material und die Fische aus. Es ging nicht lange und da hatten wir zwei ultrafrische Meerbrassen an Bord, die Bänz nach dem Spaziergang an Land am Steg entschuppte und filetierte. Das anschliessende Bretonisch-Schweizerische Fischessen war dann ebenfalls durchaus geniessbar.

Das Örtchen gefiel uns gut mit seinen gepflegten Häuschen und vielen Bemühungen um den Tourismus. Sogar der Schiffsfriedhof, der für unsere ungeschulten Augen wie eine Müllhalde für alte Boote aussieht, wurde als «Bemühungen um das Bewahren der Geschichte des Ortes» dargestellt, mit aufwändig gemachten Informationstafeln, usw.

Inzwischen haben wir den kurz- und lang-fristigen Wetterbericht ein weiteres Mal studiert und festgestellt, dass möglicherweise ein Start über die Biskaya eher früher als später sinnvoll sein wird, weil am Wochenende ein dickes Tief mit viel Wind aus Westen zu erwarten ist, und auch danach länger nichts Gutes kommt. Wir haben deshalb heute Morgen vorgekocht, vorbereitet, Gisela (unsere Stromproduzentin am Heck für nicht sonniges Wetter) gewartet, und sind nun – sollte sich der jetzt gleich neu heruntergeladene Wetterbericht nochmals bestätigen – für die Abfahrt über die grosse Bucht bereit. Ob es dann nach La Coruña oder nach Gijón gehen wird, sehen wir wohl erst unterwegs. Ersteres wäre weiter westlich und näher dort, wo wir eigentlich hin wollen. Und Letzteres ist südlicher und deutlich kürzer. So oder so sollten wir spätestens am Sonntag irgendwo sein, bevor das wirklich schlechte Wetter kommt. Auch hier gilt wohl wieder, wie beim Raz de Sein – mol luege.


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