Wir liegen in der Osborne Bay direkt vor dem Osborne Castle am Nordost-Ende der Isle of Wight vor Anker. Der Wind pfeift uns um die Ohren, so dass sea magiX gelegentlich am Anker etwas krängt. Bei 3 – 6m Wassertiefe je nach Gezeitenhöhe haben wir 30m Kette draussen und liegen, auch wenn Strom gegen Wind geht, bombenfest. So gut und lang geschlafen wie heute Nacht haben wir beide schon lange nicht mehr. Juhui, so kann Quarantäne Freude machen!
Der britische Sommer nieselt aufs Deck, die Fähre, die nach Ryde kommt, kann ich nur noch schemenhaft erkennen und das Festland, das wohl keine 5SM nördlich von uns ist, verschwindet immer wieder mal im Nebel. Da für morgen ein trockenerer Tag mit angenehmeren Windgeschwindigkeiten aus passender Richtung angesagt ist, werden wir uns heute einen faulen Selbstisolations-Tag am Anker mit viel Lesen, Schlafen und Erholung von den letzten paar Tagen (und Monaten) gönnen. Obwohl wir beide das Gefühl haben, unter den momentanen Umständen wäre es wohl besser, recht zügig die Zeit zu nutzen und nach Deutschland zu kommen, bevor eine nächste Covid-Welle das Reisen wieder verunmöglicht.
Die letzten Tage hier mit den Vorbereitungen fürs Wassern von sea magiX, aber auch die Wochen davor waren für uns beide sehr anstrengend gewesen.
Der Reihe nach und der Vollständigkeit halber kurz zurück zu Bänzs Heimkehr: Die Rückreise mit dem Kat Moving 2 stand wettermässig unter einem schwierigen Stern, der ihnen abwechselnd zu wenig Wind mit viel motoren und zu viel Wind aus ungünstigen Richtungen und ebenfalls motoren und zerfledderte Grosssegel brachte. Auf Horta auf den Azoren, wohin sie zuletzt einen Tag lang gegen 5-6 Bft gegenan motort waren, herrschte wie schon vorher auf Bermuda strenge Ausgangssperre für Segler, 14 Tage Quarantäne und erst anschliessend die Möglichkeit, einen Covid-Test abzulegen, um dann bei gutem Resultat an Land gehen zu können. Angesichts dessen füllte Moving 2 nur kurz die (nur halb leeren) Dieseltanks mit eindrücklichen 500l Diesel, liess sich etwas frisches Gemüse liefern und legte dann wieder ab, um die letzten 850 SM nach Lagos zu segeln. Ich strich enttäuscht den schon vorgemerkten Flug für Bänz von Horta via Lissabon nach Zürich wieder und kümmerte mich um neue Flugmöglichkeiten ab Faro, mit dem Vorteil, dass die direkt in die Schweiz kommen. Die Spannung stieg, als sich abzeichnete, dass Moving 2 Lagos schon am Dienstag erreichen könnte. Ich pokerte (nicht sehr hoch – die Flugtickets sind in der momentanen Situation noch recht günstig) und buchte ihm einen Flug für Donnerstagabend. Moving 2 kam tatsächlich zügig vorwärts, kam am Dienstagmorgen, dem 24.6.20 an der Punta Sagres vorbei, wo sich für Bänz der Atlantikkreis schloss, und erreichte Lagos am Dienstagmittag. Meine Erleichterung war unermesslich, als nicht nur diese Nachricht kam, sondern auch, dass die Crew unbehelligt und problemlos an Land gehen durfte. Seit dem 15.6. hatten die Schengen-Länder zum grössten Teil ihre Grenzen wieder geöffnet, aber wie die Erfahrung auf den Azoren zeigte, wurde dies noch sehr unterschiedlich gehandhabt, vor allem bei Einreisen, die nicht über Flughäfen stattfanden. Um die Rückreise-Frage weiterhin spannend zu halten, kam nun noch die Frage auf, ob die Swiss, bei welcher ich Bänzs Flug gebucht hatte, am Donnerstag fliegen würde (viele Passagiere konnte sie noch nicht wirklich haben) und ob sie nicht ins Grounding laufen würde, denn als Tochter der Lufthansa war sie abhängig vom Entscheid von deren ausserordentlicher Generalversammlung vom Donnerstagmittag, bei welcher das Rettungspaket für die Gesellschaft angenommen werden sollte und sich ein Grossaktionär dagegen ausgesprochen hatte. Erst als sich dieser am Mittwochabend bereit erklärte, das Paket zu unterstützen, konnte ich mit relativer Sicherheit annehmen, dass ich am Donnerstagabend den mehr als vier Monate lang Vermissten in die Arme schliessen könnte. Und so wars dann auch: am verwaisten Flughafen Zürich in der leeren Ankunftshalle 2 konnte man die überschaubare Zahl von 7 an jenem Abend landenden Fliegern beobachten und kurz nachdem jener aus Faro gelandet war, lagen wir uns nach 4 Monaten Trennung wieder in den Armen. Es war eine lange, schwierige Zeit, die hier endlich zu Ende ging.
In der folgenden Woche berichteten diverse Medien, dass England die derzeit geltende Quarantäne-Regel für Einreisende aus den meisten Ländern Westeuropas mit inzwischen tieferen Covid-Infektionszahlen auf den 6. Juli aufheben würde. Angesichts unserer Befürchtung, dass eine zweite Welle bald kommen könnte, und da wir beide den Juli dafür frei gehalten haben, wollen wir sea magiX möglichst bald nach Deutschland zurück bringen. Auch wenn das Auswassern so früh im Sommer noch nicht möglich sein wird. So pokerten wir ein weiteres Mal und buchten einen Flug sehr früh am Montagmorgen, 6.7., nach London Gatwick, organisierten das Wieder-Einwassern des Bootes auf Dienstagmittag und hofften, dass die Gerüchte wahr sein würden. Am Freitag davor verkündete die Regierung dann, dass die Aufhebung der Quarantänepflicht für Einreisende auch aus der Schweiz erst per Freitag, 10.7. gelten würde. Wir entschieden uns dann aber, trotzdem zu reisen, was auch problemlos möglich war.
Montag, der 6. Juli war ein sehr langer, anstrengender Tag: Tagwache um 03.00h, Fahrt mit Konis Bus (und Koni, der seinen Bus dann wieder heim fuhr) nach Basel Flughafen, von dort im Flieger mit maximal 30 anderen Passagieren nach England, wo sogleich ein dünner Faserpelz hervorgeholt werden musste. Bei der Immigration kurzes Vorzeigen unserer ausgefüllten Selbstisolations-Formulare (nicht lange genug, dass sie der Beamte lesen konnte) und dann problemlose Einreise. Suche nach der Autovermietung im sonst geschlossenen Terminal Nord, dann Fahrt (immer auf der linken Seite 😊) nach Hamble, wo wir etwa um halb elf Uhr morgens ankommen. Sea magiX steht gleich hinter dem X-Yachts-Häuschen da, mit dick gestrichenem, provisorisch repariertem Ruder, ausgeblichenem Rumpf und vielen Muscheln und Würmchen am Unterwasserschiff.
Julien von X-Yachts hatte mir ein paar Bilder von unserem Boot geschickt, welche uns auf den Anblick vorbereitet hatten. Trotzdem – es war klar, dass viel zu tun sein wird.
Sobald wir eine Leiter gefunden haben geht’s an Bord. Judihui, schön wieder bei Dir zu sein, sea magiX! Innen sieht alles recht gut aus; aussen ist sehr viel Staub und Dreck. Wir schrubben Deck und Rumpf, spachteln mit einem Holzspachtel die Muscheln ab und schleifen mit einem groben Handschwumm die Kalkwürmchen weg, und schrubben dann auch das Unterwasserschiff. An Deck zeigt sich, dass das Einschmieren der Relingstützen und Handläufe mit Vaseline und Wachs zwar sicher viel Flugrost verhindert hat, aber der dadurch gebundene Dreck nur mit viel konzentriertem Abwaschmittel weggeputzt werden kann. Nach vielen Litern Wasser und Kilometern Schrubben ist unser Boot nach 16h bereit für ein wenig Antifouling an den besonders dünnen Stellen. Die Force4 Chandlery in Hamble Point ist geschlossen und wir fahren – immer links – kurz in die andere Marina gleich um die Ecke, um einen Antifouling-Roller und ein paar weitere Kleinigkeiten zu kaufen. Überall sind hier die Abstandsmarkierungen und Zugangsbeschränkungen vorhanden und kaum Kunden unterwegs. Nach vielen Stunden fast ununterbrochener Arbeit erreichen wir gegen 19h das Pub «the Navigator» in Bursledon, wenige Autominuten von der Hamble Point Marina und können unser Zimmer beziehen. Eine Dusche und einen Pint Ale später geht es uns schon wieder etwas besser. Auch im Pub fragt uns niemand nach Selbstisolation und Quarantäne. Die Tische sind weit auseinander, es gibt keine Bedienung an der Bar und es sind nicht viele Kunden da; wir fühlen uns sicher und isoliert genug für alle Ansprüche. Trotz unserer grossen Müdigkeit fahren wir nach den Chicken-Burgers (die Küche war noch nicht voll funktionsfähig ausgerüstet und hatte keine Fish and Chips mehr und auch keinen Angus-Burger, aber auch so wurden wir mit gutem, frischen Essen satt) zum nahen grossen Tesco für den Einkauf für die nächsten paar Tage an Bord. Die Überlegung ist, dass es um diese Zeit wohl nicht so viele Leute im Laden haben werde und die geht auch auf. Mit einem One-way-System im Laden, Abstandsregeln beim Anstehen an der Kasse und viel Desinfektionsmittel überall zur Handdesinfektion scheint auch hier die Covid-Situation recht gut gelöst zu sein. Nach dem Einkauf geht’s direkt zurück auf unser Zimmer im Pub und wohl keine zwei Minuten nach Lichterlöschen schlafen wir beide tief und fest. Es war ein mehr als 20 Stunden langer, anstrengender Tag gewesen.
Am Dienstagmorgen, nach dem ebenfalls sehr guten Full English Breakfast, geht’s bei sea magiX gleich mit dem Polieren los. Zuerst die Wasserlinie, dann die besonders schlimmen Stellen am Heck und Rumpf und zuletzt noch die der Sonne abgewandte ganze Backbordseite. Kurz vor dem Einwasserungstermin um 13h sind wir damit fertig. Steuerbords hat sie nun ein wenig Patchwork von polierten und nicht polierten Stellen, aber die unterscheiden sich nicht sehr von der Backbordseite, die zwar vollständig poliert ist, aber leider noch immer sehr «abgeschossen» und fleckig aussieht. Ja, im Winterlager wird es viel zu tun geben, um sea magiX wieder zu ihrem alten Stolz zurück bringen zu können. Recht pünktlich kurz nach 13h wird sie zum Travellift geführt, dort in die Schlaufen gehängt und schon schwimmt sie mit laufendem Motor im kalten Wasser, und bald an dem uns zugewiesenen Platz in der Hamble Point Marina.
Hier sind wir etwas vor dem schon wieder recht starken Wind geschützt und können das Grosssegel montieren. Für die Genua ist es noch gerade etwas viel Wind; das lassen wir momentan noch bleiben. Während Bänz das Mietauto zum Southampton Airport zurück bringt, räume ich unter Deck ein wenig auf und ein, damit wir abends hier schlafen können. Es ist schön, wieder im vertrauten Boot zu sein, auch wenn sowohl Boot als auch Crew dem schöneren Wetter und den Temperaturen von ihrem letzten Aufenthalt im Wasser noch etwas nachtrauern. Bänzs Rückkehr vom Airport erweist sich als schwieriger als erhofft; es gibt momentan dort keine Taxis. Mit dem Zug fährt er deshalb nach Hamble und hat sich schon auf einen Fussmarsch von etwa einer Stunde eingestellt, da findet er dort doch noch ein Taxi und überrascht mich schon bald an Bord. Unterwegs hat er noch festgestellt, dass wir für die Nacht in der Marina zwar den vollen Preis von fast GBP 45 bezahlen, aber die Duschen wegen Covid-Massnahmen nicht in Betrieb sind. So gibt es halt ungeduscht den gestern verpassten Fish and Chips Teller im halb leeren Marina-Pub mit maskentragender Bedienung. Als wir zum Boot zurück kommen ist Niedrigwasser und wir liegen noch besser geschützt vor dem etwas abgeflauten Wind. Wir nutzen das lange Tageslicht und montieren jetzt auch noch die Genua. Wow, sea magiX ist – abgesehen vom unter Deck noch herrschenden Durcheinander – schon quasi abfahrbereit! Jetzt fehlt nur noch das richtige Wetter. Genau für Mittwoch und Donnerstag ist nämlich Regenwetter und Starkwind angesagt. Ich habe seit einigen Tagen ein dick geschwollenes, schmerzendes Knie und damit etwas eingeschränkte Beweglichkeit und möchte deshalb nicht gleich bei anspruchsvollen Bedingungen loslegen. Zudem sind wir beide noch immer von den letzten Tagen und Wochen erschöpft. So beschliessen wir, am Mittwoch in der Marina gemütlich aufzuräumen und dann nicht weit zur Isle of Wight hinaus zu segeln, um dort unsere Selbstisolation am Anker zu geniessen. Und auch Donnerstag wird noch zum Ruhetag erklärt, in der Hoffnung, dass das Wetter dann am Freitag freundlicher und unser allgemeiner Zustand belastbarer ist.
So liegen wir jetzt wie anfangs erwähnt in der Osborne Bay vor Anker; der Nebel zieht uns um die Ohren, gelegentlich tropft etwas Drizzle vom Baum ins Cockpit, die Böen legen sea magiX ab und zu auf die Seite und ich habe endlich Zeit, diesen Bericht zu schreiben.
Nur die Stimmung an Bord bzw. hier in England kann ich noch nicht recht greifen und beschreiben. Vielleicht ist es das graue, trübe, windige und kühle Wetter, vielleicht auch der sehr ungewohnte Eindruck, dass der Solent zur Zeit der (abgesagten) Cowes Week mit nur wenigen Seglern unterwegs recht verwaist da liegt und das Bewusstsein, dass wir derzeit an Land unerwünschte Gäste wären. Vielleicht liegt es auch an unserer Unruhe, solange sea magiX nicht in Deutschland ist – es fühlt sich jedenfalls nicht wie Ferien an, was wir hier gerade erleben. Eher wie eine Überführung, die jetzt einfach in den nächsten 2-3 Wochen gelingen muss. Aus diesem Grund zielen wir nun auch nicht für morgen an die Cotentin-Küste von Frankreich hinunter, obwohl wir sehr gerne nochmals nach Cherbourg oder Barfleur gefahren wären. Stattdessen ist nun der Plan, morgen einen langen Schlag von 05.00h morgens an der Englischen Südküste entlang ostwärts zu machen, um mit einer Tide bis nach Dover oder kurz davor zu kommen, und das Ganze bei Tageslicht fahren zu können. (Ein erschwerendes Thema ist ja auch noch die von Bänz in den Bahamas am Schwarzmarkt erstandene Starterbatterie als Ersatz für die Servicebatterie; wir sind also noch immer mit einer eigentlich nicht geeigneten Servicebatterie unterwegs, welche uns keine Nacht lang ohne Ladung durch Gisela oder Motorstrom genügend Energie für die Navigation und Lichter liefern würde. So versuchen wir, Nachtfahrten auch schon aus diesem Grund für diese Reise zu vermeiden.) Wir werden also in den nächsten Stunden etwas weiter östlich nach Bembridge verlegen, um dann morgen die ca. 100 SM hoffentlich in einem Schlag absolvieren zu können, und übermorgen nach Frankreich übersetzen zu können. We’ll see…