Die Biskaya steht unter Seglern in einem freundlich ausgedrückt gemischten Ruf. Es sind von wo wir starteten bis an ihre Südwest-Ecke ca. 300-350 Seemeilen offenes Wasser. Was die Querung oft anspruchsvoll macht, ist ihr Untergrund und die damit verbundenen Wellen: in etwa 60 Seemeilen Distanz von der Küste fällt die Tiefe von ca. 200-400 Metern auf mehr als 3000 m abrupt ab. In ihrer tiefsten Mitte ist sie mehr als 4000 m tief. Dort, wo der Shelf quasi abbricht, können sich bei ungünstigen Windverhältnissen sehr unangenehme Seen entwickeln. Hinzu kommen starke Strömungen, berüchtigte Wetterveränderungen und nun auch noch die Orcas… Kein Wunder ist die Querung dieser riesigen Bucht immer auch mit Spannung verbunden. Auch für uns, und auch beim dritten Mal in 5 Jahren.
Der Start am Samstagmorgen verlief friedlich, wenn auch dick eingepackt: der Morgennebel hing beim Leinenlösen noch in Schwaden um uns herum und die Temperatur war fast winterlich kalt. Aber schon in der Ausfahrt verzog sich der Nebel und gab den letzten Blick auf Treboul frei. Dafür fehlte der Wind.
Und er kam auch nicht wie eigentlich angekündigt in den nächsten Stunden: wir brummelten auf ölig glattem Wasser, begleitet von zwei entspannten Delfinen, bis zum Raz de Sein, wo das Wasser durch die berüchtigten Strömungen aufgewühlt wurde. Trotz Windstille beschleunigte sea magiX auf 10kn über Grund; das Wasser spülte uns auf unseren Weg hinaus nach Südwesten.
Staunend beobachteten wir eine andere Yacht, die versuchte, gegen diesen Strom zu kreuzen. Ihr Bug zeigte in die umgekehrte Richtung zu unserem, aber auf dem Plotter war deutlich zu sehen, dass ihr Kurs parallel zu unserem nach Südwesten führte. Und wir waren erst in der ersten, also noch schwächsten Stunde dieser Stromrichtung unterwegs. Wie lange die das wohl probiert haben? Wir wissen es nicht. Kaum hatten wir die berühmte Meerenge hinter uns, kam die lang ersehnte Brise auf. Und wir konnten, bei strahlender Sonne, blauem, noch ruhigem Wasser und zwar kühlem, aber mit 2-3 Bft angenehmem Wind die Segel setzen. Schon bald kam auch der Gennaker hoch. Das bedeutete zwar, dass unsere Windsteuerung Leonie wieder das Steuer abgeben musste, aber schön war es trotzdem: buchstäblich ins Blaue zu segeln, bei Sonne und angenehmem Wind.
Nur eine Sorge begleitete uns weiterhin: die Orcas, die am Tag zuvor wieder in der Biskaya gesichtet worden waren. Wir hatten noch eine Geheimwaffe: einen sogenannten «PAL», den man an einem Kabel hinter sich her schleppt, und der mittels regelmässiger Piepstöne den Killerwalen ein «bleib weg»-Signal schickt. Das Instrument war für die Fischerei in der Ostsee als Schutz für Schweinswale entwickelt worden und hatte dort dafür gesorgt, dass Schweinswale nur noch äusserst selten in die Fischernetze geraten und qualvoll als Beifang verenden. Der PAL ist eine Weiterentwicklung davon, der nun auf der Orca-Frequenz sendet anstatt auf derjenigen für die Schweinswale. Wir hatten den PAL bei unserer letzten Portugalreise 2022 immer in Bereitschaft am Heck, aber noch nicht im Wasser mitgefahren. Diesmal beschlossen wir, angesichts der Meldungen über Sichtungen und Angriffe in unserer unmittelbaren Umgebung, das Gerät von Anfang an in Schlepp zu nehmen. Sobald er im Wasser war, fühlte ich mich um einiges ruhiger. Wenn das Ding für Schweinswale funktioniert, warum soll es dann nicht auch für bzw. gegen Orcas klappen? Die Ruhe hielt jedoch nur für kurze Zeit an.
Unter Genni läuft sea magiX gerne mal zu kleinen Sprints an und erreicht dabei sportliche Geschwindigkeiten von 8 und mehr Knoten Fahrt durchs Wasser (normal sind bei ihr etwa 6 Kn unter Segel). Der Skipper warf immer wieder mal einen Blick auf unseren PAL, wie er hinter uns her zischte. Unserer Ansicht nach zog es das Gerät zu wenig tief hinunter, auch wenn wir es möglichst nah am Wasser an unserem Heck fixiert hatten. Gerade hatte er befriedigt festgestellt, dass es jetzt doch zu klappen schien, denn der PAL war nicht mehr zu sehen. Da kam auch schon der schlimme Verdacht auf, dass er nicht mehr auftauchte, weil er nicht mehr da war. Ein genauerer Blick und ein Zug am Drahtseil genügte: unser PAL hatte sich nach weniger als zwei Stunden für immer verabschiedet und sendet jetzt wohl irgendwo südwestlich des Raz de Sein am Meeresgrund noch ein paar Monate lang sein Signal. Das durfte doch nicht wahr sein! Aber so war es. Unsere kleinen Sprints waren für die Befestigungen des Geräts wohl zu viel gewesen. Nicht das Drahtseil hatte nachgegeben und auch keine der Wirbel, sondern die Befestigung am Schwimmer war einfach gebrochen. Ab sofort waren wir wieder schutzlos dem Zufall der möglichen Begegnung ausgesetzt. Es war ein sehr unangenehmes Gefühl, denn es ist jedem klar, dass ein kleines Segelschiff, das eine Tagesreise oder mehr vom Land entfernt manövrierunfähig wird, nur in den seltensten Fällen abgeschleppt würde. Und wir wissen auch, dass unsere eher filigran gebaute sea magiX bei einem Angriff mehr Schaden erleiden könnte, als nur ein kaputtes Ruder zu haben. Die Gedanken an das vor drei Tagen vor der Algarve-Küste versenkte Segelboot waren sehr präsent. Wie friedlich und unbeschwert war doch unsere Reise vor fünf Jahren gewesen, als wir noch nichts von diesen Killerwal-Attacken gewusst hatten (und es auch noch keine bekannten gab)! Und wie friedlich und schön könnte auch diese Reise sein, wenn wir jenen Schatten irgendwie loswerden könnten! Aber es gab nichts anderes – wir wollten jetzt einfach nur noch so schnell wie möglich ins wirklich tiefe Wasser mit mehr als 1000m kommen, weil Orcas sich für gewöhnlich zwischen 35m und 350m Wassertiefe bewegen.
So ging es weiter nach Südwesten, dem rosaroten Abendhimmel entgegen. In der Dämmerung kam der Genni runter; eine Nacht lang Handsteuerung wollten wir nicht unbedingt mit unserer Zweiercrew eingehen. Die Wachroutine begann um 22h; alle zwei Stunden wechselten wir uns ab. Es war fast sternklar, mit wenigen Wolken. Klare Sicht auf die Milchstrasse. Tausende von Sternen, bekannte und unbekannte Sternbilder, dann ab ca. 02h der Mond. Das Meer glitzerte und rauschte, sea magiX suchte sich ihren Weg durch die Wellen, gesteuert von «Erich», unserem elektrischen Autopiloten, und ab und zu zeugte ein kurzes Schnaufen oder Platschen vom Besuch von Delfinen; traumhaft schön. (Wenn nicht bei jedem Platschen zuerst der Schreck gekommen wäre, dass uns doch die Orcas noch erwischt hatten.)
Am Sonntagmorgen, der weiterhin strahlend schönen Sonnenschein brachte, frischte der Wind weiter auf und drehte wie angesagt auf Ost, dann wieder zurück auf Nordost. Mit einem, dann zwei Reffs im Grosssegel machten wir gut Weg in die richtige Richtung, mussten dann aber doch wieder Leonie ablösen, weil sie nicht ganz so genau steuern konnte, wie wir bei diesem gewünschten Kurs benötigten. Es war recht anspruchsvoll und die Ablösungen erfolgten zuerst etwa stündlich, dann mit zunehmender Müdigkeit nach 45 und zuletzt nach 30 Minuten.
Klar, dass dies in der Nacht nicht möglich sein würde. So kam am Sonntagabend diesmal nicht das Vorsegel, sondern das Grosssegel herunter. Nur mit der Genua und unter Autopilot gondelten wir gemächlicher durch diese zweite, wieder wunderschöne Nacht. Morgens gegen 3h bekam ich einen grossen Schreck; da war ein rotes Licht ganz in unserer Nähe! Aber auf dem Plotter hatte ich das nächste Signal für ein Schiff in mehr als 20 SM Entfernung. Das konnte doch nicht sein! Schnell das Fernglas holen – nachts sehe ich bekanntlich etwa so viel wie ein Maulwurf. Uff, Entwarnung: es war wieder der Mond, der Blutrot am Horizont aufging. Allmählich beruhigte sich meine Herzrate wieder. Wenigstens war es dadurch in dieser Wache nicht schwierig gewesen, wach zu bleiben. Das Adrenalin hielt noch eine Weile an in den Adern und reichte gerade bis zur Ablösung um 4h. Nicht mal irgendwelche Guetzli oder Schoggi brauchte ich diesmal.
Am Montagmorgen merkten wir, wie viel weiter südlich (und westlich) wir inzwischen waren: die Sonne ging erst etwa um 07h auf. Und es war deutlich wärmer; meine Doppelschicht Merinowolle war schon fast zuviel. Zudem hatten wir zwei Nächte lang keine Oelzeughosen gebraucht; wie schön! Schon bald waren wir wieder mit dem Gennaker unterwegs. Allmählich sollten wir vor uns die Küste sehen; wir waren nur noch etwa 10 SM davon entfernt und es ist eine hohe Steilküste, aber: nichts. Wenn wir dieses Phänomen nicht schon von den beiden früheren Ankünften an dieser Küste gekannt hätten, wäre sicher allmählich Zweifel aufgekommen, ob wir uns nicht irgendwie grob ver-navigiert hätten.
So freuten wir uns einfach, als wir das Cabo Ortegal mit dem mehr als 500m hohen Monte Miranda dahinter kurz vor Mittag erspähten. Es war noch 5 SM entfernt. Die Küste hüllte sich in eine dicke Nebelwolke, die sich schön rechtzeitig für unser Näherkommen allmählich aufzulösen begann.
Unter der Küste, eine halbe Meile vom Land entfernt, frischte der Wind dann nochmals so richtig auf böige 5-6 Bft auf. Mit dem Genni noch immer oben war wieder konzentriertes Steuern nötig. Ich war dann froh, als wir ihn mit Erich am Steuer rechtzeitig geborgen hatten. Auch nur mit dem Grosssegel blies uns der Wind eilig in die schöne, geschützte Bucht von Cedeira hinein.
Um 13:30h hatten wir es geschafft – gemächlich konnten wir einen passenden Ankerplatz finden, die Segel decken und einen wohlverdienten Ankertrunk geniessen. Der Duft von warmen Pinien, die Sonne, das ruhige Wasser ums Schiff vermittelten alle die gleiche Botschaft: wir waren endlich im Sommer angekommen. Ohne Orcas, und nach einer ausserordentlich friedlichen, ruhigen und wunderschönen Überfahrt über die so Respekt-einflössende Biskaya.
Gerade hatten wir die nächsten drei Schritte besprochen: Salat bzw. Mittagessen zubereiten, einen Sprung ins Wasser (puh, das ist aber noch immer ziemlich kalt hier!) und dann ein paar Mützen Schlaf nachholen, da ertönten Rufe auf Schweizerdeutsch von draussen: unsere Freunde Peter und Barbara waren soeben mit ihrem nigelnagelneuen 44’-Katamaran eingetroffen.
Sie luden uns – nach der auch für sie angesagten Nachmittagsruhe – zum Abendessen auf ihrem luxuriösen Schiff ein. Es wurde ein gemütlicher Abend bei sehr feinem Essen quasi auf der Terrasse, während über den Bergen ein Gewitter niederging. Ein schöner Abschluss einer ebenso schönen Biskaya-Querung in der wunderschönen Cedeira-Bucht. Wir sind dankbar für all das Schöne, das wir gerade erleben dürfen.