Auch beim dritten Besuch an dieser «Costa de la Muerte» lassen uns die beiden Orte nicht los. Dazu kommt der weiterhin für eine Überfahrt zu den Azoren ungünstige Wetterbericht. Unser Wetterwelt-Bericht sagt momentan für ca. 2 Tage um das nächste Wochenende voraus, dass ein Tiefdruckgebiet weiter südlich als sonst über den Atlantik ziehen dürfte und stärkeren Südwestwind mit sich bringen könnte. Das wäre dann viel Wind (und Wetter) genau von vorne auf der Route zu den Azoren. Die Erfahrungen vom letzten Jahr mit Sturm «Oscar» haben uns genügt; wir suchen keine neuen Varianten davon. Und geniessen deshalb das Verweilen in den «hohen C’s» an dieser Küste nördlich vom Cabo Finisterre.
In Cedeira zeigte sich das Atlantikwetter wechselhaft, wie wir es von den Azoren auch kennen. Ob das quasi als Trost für das bisherige Ausbleiben unseres Besuchs dort zu werten war? Die Erinnerungen an die Wanderungen dort kamen jedenfalls ganz stark auf, als wir am Festland den Wanderweg durch die Wälder und entlang der Nordküste nahmen und von der Küste nur die Geräuschkulisse der Brandung mitbekamen, nicht jedoch das versprochene Panorama auch nur erahnen konnten.
Wie auf den Azoren war es auch feucht-warm. Im Unterschied zu dort wanderten wir stundenlang durch Eukalyptus-Wälder. Und es gab weniger Hortensienhecken. Nachmittags reichte die Temperatrur, um den Nebel aufzulösen, so dass wir den Cafe Solo und das Städtchen und die Bucht in der Sonne geniessen konnten.
Eine ca. 1.5-Stündige Busfahrt durch die Hügel und Täler Galiziens brachte uns für einen Tagesausflug nach Ferrol, das in der Ria nördlich von A Coruña liegt. Meine Internetrecherchen nach Sehenswürdigkeiten in Galizien hatten diese Stadt als «eines der besten Beispiele der Architektur der Aufklärung» angepriesen, wie auch das Museum «Navexpo» als äusserst spannende Ausstellung zum Schiffbau. Vielleicht lag es am grauen Wetter, vielleicht hatten wir auch die verfallendsten Viertel der Stadt erwischt. Jedenfalls konnten wir in Ferrol wenig blühendes Leben entdecken. Gefühlt waren ganze Strassenzüge von Geschäften aufgegeben, zu verkaufen oder einfach geschlossen. Im berühmten Fischerviertel wurden gerade Marktstände aufgestellt für lokales Handwerk und «Krimskrams». Aber auch die farbigen Fähnchen und Stände konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass hinter den Marktständen die meisten Gebäude sehr renovationsbedürftig oder schon darüber hinaus waren. Viele der Gebäude schienen schon unrettbar dem Zerfall preisgegeben worden zu sein. Sie zu erhalten wäre wahrscheinlich sehr teuer und es ist augenscheinlich, dass das Geld für solche Projekte hier klar fehlt.
Ein für die Stadt sicher wichtiger Wirtschaftszweig ist wohl die Marine und der Industriehafen. Die Ria ist äusserst gut geschützt und bietet sich dafür sehr an. Nicht besonders touristisch natürlich, aber dafür hoffentlich für die Stadt weiterhin ein wichtiger Einkommenszweig.
Das Schiffbau-Museum ist sehr sorgfältig in einem schönen Gebäude aus dem 18. Jahrhundert eingerichtet und umfasst viele interessante Aspekte des historischen Schiffsbaus, vom Rumpfbau über Antriebe bis zur Elektrik. Etwas enttäuscht sind wir, dass die Ausstellung gefühlt bis vor ca. 30 Jahren geht und nur sehr wenig Aktuelles zeigt. Andererseits ist es auch lustig, mal wieder eine 40 cm grosse Hard Disk Drive mit immerhin 256 MB Kapazität in ihrem «Plattenspieler» zu sehen. Und wenn unser Spanisch besser wäre, hätten wir von den Erklärtexten zu den Exponaten vielleicht auch mehr mitgenommen. Eine gute Beschreibung des Museums (auf Spanisch oder Galizisch) findet sich hier: www.exponav.org
Das tägliche Wetterbericht-Studium zeigte wie schon erwähnt weiterhin kein uns passendes Fenster für die direkte Weiterfahrt zu den Azoren auf. Zudem wollte ich unbedingt nebst Cedeira auch A Coruña wieder besuchen. So hiess es nach 3 entspannten, gemütlichen Tagen am Anker in unserer Lieblings-Ankunftsbucht dann doch am 2. August wieder Anker auf. Wir hofften auf eine leichte Tagesbrise, mussten aber die ersten 1-2 Stunden motoren. Dann kam sie doch noch und sea magiX zog gemütlich durch das glatte Wasser mit seiner Atlantikdünung. Zwei Tage zuvor waren bei Muros Orcas gesichtet worden. Das machte die Fahrt etwas weniger entspannt als sie bei dem schönen, sonnigen Sommerwetter hätte sein können. In die grosse Bucht von A Coruña trug uns die Brise noch, aber etwa eine Meile vom langen Wellenbrecher entfernt mussten wir dann doch die Segel wieder streichen.
Angesichts der für unsere Verhältnisse vielen Motormeilen, die wir seit Douarnenez benötigt hatten, ging es zuerst noch in die grosse Marina Deportiva zum Tanken. Auffällig war, wie viele leere Stege dort zur Verfügung standen. Der freundliche Marinero, der uns den Diesel verkaufte, tat mir schon richtig Leid, als er hoffnungsvoll fragte, ob wir einen Platz benötigten und wir abwinkten. Wir wollten in die Stadtmarina beim Real Club Nautico, weil die so zentral liegt. Auch dort gab es viele freie Plätze und wir konnten uns am zugewiesenen Steg 10 einen suchen, der möglichst weit innen lag. Wir kennen die Marina ja schon ein wenig und wissen, wie viel Schwell da jeweils hinein steht. Vor 5 Jahren hatten wir hier nach den ersten ruckeligen Stunden unsere ersten grossen Ruckfender erstanden. Inzwischen sind wir gut ausgerüstet damit und brachten sie sogleich auch alle aus. Sea magiX lag gut vertäut und ohne viel Ruckeln am Steg und wir konnten uns auf diese so lebendige, abwechslungsreiche und einfach sympathische Stadt freuen.
Ein Blick in den Wetterbericht ergab, dass wir wohl mehr als nur einen Tag hier liegen würden. Das bedeutete, dass der Skipper erstmals auf dieser Reise unsere sehr gut verstauten Velos aus der Rumpelkammer ausgrub. Schwupps füllte sich der Salon mit Material, das raus musste, um überhaupt an die Zweiräder dran zu kommen. Was wir nicht alles dabei haben! Es ist immer wieder überraschend, wie viel Platz die Rumpelkammer bietet!
Mit den Velos gings zuerst zur noch immer so romantisch überfüllten Chandlery: eine neue Dinghypumpe musste her. Wir hatten ein Déja-vu-Gefühl: auch 2019 war unser erster Kauf gleich eine neue Pumpe gewesen, nebst den Ruckfendern.
Es sollte nicht das einzige Déja-vu bleiben. Die wunderschönen Gebäude an der Praza Marinara, die grosse Bühne für die Fiesta de Maria Pita vor dem Rathaus, der fröhlich-lebendige Badestrand auf der Nordseite, oder auch die so grosszügig angelegten Velowege mit eigener Joggingspur und Kreuzungen – es ist alles noch immer so fröhlich und sympathisch wie bei unseren letzten Besuchen. Inzwischen haben wir übrigens erfahren, dass die Menschen in A Coruña ihre Stadtpatronin (die Maria Pita) nicht nur an einem Tag oder einem Wochenende feiern – nein, wie es sich für Galizien gehört, ist der ganze Monat August ihr Feiermonat. Es gibt jeden Abend live-Musik unterschiedlichster Art (der Family Rock Abend mit Covers von ACDC über Tina Turner bis zu Queen, mit langen von einer Muppet-Show-Figur mit Erklärungen gefüllten Pausen dazwischen, war ein Erlebnis für sich!) und die Menschen kommen auf der grossen Praza de Maria Pita zusammen, feiern, tratschen, geniessen. Muy simpático.
Am Abend bei Tapas in den kleinen Calles wurden wir von unseren spanischen Nachbarn angesprochen; der Señor hatte einige Jahre in Deutschland verbracht und wollte gerne sein gutes Deutsch aktivieren. Er kommt aus Padrón, wo die vom Skipper so geliebten Pimientos da Padrón her kommen. Jetzt ist auch klar, dass die korrekte Bezeichnung wirklich die Ortsangabe meint, und nicht die Beschreibung «del Padrón», also vom Chef. Mal wieder was gelernt! Und dabei noch viel gut gegessen.
Ein anderes Gespräch mit einem Skipper in der Marina hatte uns eine weitere Velodestination aufgezeigt: ganz in der Nähe des Lidl von A Coruña liegt auch der Partymaterial-Laden «A Traca», der Petarden verkauft. Und wohl seit ein paar Jahren einen starken Umsatz davon mit Seglern macht. Nach eingehendem Studium der diversen Webseiten, Statistiken der Cruising Association und weiteren Informationsquellen war für uns klar, dass der Einsatz solcher Petarden im Falle eines Orca-Angriffs tatsächlich die erwünschte Wirkung haben könnte, nämlich das Vertreiben der Tiere ohne sie zu verletzen und bevor sie das Boot zu stark beschädigen könnten. Von einem separaten Veloausflug zur Küste brachten wir eine Handvoll Kieselsteine zurück, die der Skipper mit Stoffklebband an den Petarden befestigte, damit sie unter Wasser und nicht auf der Oberfläche explodieren. Nun sind wir für den schlimmsten Fall ausgerüstet. Im Wissen, dass es die Pflicht eines Schiffsführers ist, alles zu unternehmen, um Crew und Schiff vor Schaden zu bewahren. Natürlich hoffen wir weiterhin, dass es gar nie zu einem Einsatz der Knallkörper kommen muss, und natürlich verfolgen wir die bekannten Sichtungen der Orcas weiter akribisch, um möglichst gar nicht dort zu sein, wo sie sein könnten. Aber trotzdem – es fühlt sich sofort nicht mehr so hilflos an. Und damit kommt auch die Freude an dieser so schönen Küste wieder zurück. Eigentlich hatten wir sie ja gar nicht mehr besuchen wollen, um die Orcas via Azoren weiträumig zu umfahren. Aber weil uns das Wetter dieses Jahr bisher diese Variante nicht sicher erlaubte, sind wir nun doch wieder hier gelandet. Dann möchten wir die Rias aber auch geniessen können und mit einem etwas weniger hilflosen Gefühl von der einen zur nächsten segeln können.
Wir genossen die Tage in A Coruña sehr, und doch erfasste uns beide eine gewisse Unruhe. Machte es Sinn, noch länger hier zu bleiben? Oder sollten/wollten wir die für Montag versprochene leichte Brise nutzen, um nach Camariñas oder wenigstens Corme zu gelangen? Noch so zwei C’s an dieser Küste, die wir 2019 und 2022 gern bekommen hatten. Andere Boote verliessen die Marina wieder und neue kamen nach. Allmählich begannen wir, so etwas wie Gruppendruck zu spüren. Konnten wir einfach so noch hier bleiben und die Stadt geniessen? So lange die Azoren als potenzielles Ziel bestehen bleiben, werden wir wohl diese Unsicherheit weiter spüren. Ein Absprung von weiter südlich würde die Strecke kürzen (und damit die Länge des benötigten Wetterfensters). Gleichzeitig möchten wir – wenn wir nicht zu den Azoren hinaus fahren – die Rias hier in aller Ruhe geniessen. Wahrscheinlich bräuchten wir irgendwann einen Grundsatzentscheid, um uns Klarheit zu geben. Aber genau dieser Grundsatzentscheid würde dann die grosse Wahlfreiheit, die wir als Luxus empfinden, wieder einschränken. Und so wabern wir hin und her und her und hin, studieren ständig die diversen Wetterberichte und kommen gar nicht richtig zur Ruhe.
Zur Illustration: am Sonntagmorgen packten wir die Velos wieder ein und verbrachten eine Stunde damit, die Rumpelkammer wieder zu befüllen. Wir waren abfahrtbereit. Dann lösten wir je ein Abo für Bicicoruña, den Publibike-Provider der Stadt, und nutzen deren E-Bikes für eine weitere Velotour durch die Stadt und zum Monte de San Pedro hinauf; abfahren wollten wir eben doch noch nicht…
Auch am Montag war bis Mittag noch nicht klar, ob wir nun losfahren wollten. Die Stadt liess uns einfach nicht los. Wir spazierten zur Markthalle und besorgten uns eins der feinen Brote von dort. Dann fällten wir den Entscheid aber doch noch und um halb zwei hiess es Leinen Los. Wir hofften, die Nachmittagsthermik nutzen zu können, um die ca. 30 SM nach Corme zu gelangen. Einmal mehr bedeutete dies ein paar Stunden motoren, bevor wir dann doch noch zwischen den Islas Sisagras hindurch und weiter nach Westen kreuzen konnten. Am Bug von sea magiX flappten die kleinen Windwellen entlang, während uns die grosse Nordwest-Dünung jeweils meterhoch hob und senkte. Delfine besuchten uns immer wieder (und schreckten uns immer wieder auf wegen der Ähnlichkeit ihrer Rückenflosse mit jener der Orcas.)
Es war sonnig, blauer Himmel, leichte Brise, Shorts-Wetter bis ca. 18h – einfach perfekt. Und ob wir trotzdem noch in A Coruña hätten bleiben sollen? Das werden wir wohl nie so genau wissen. Unterwegs, als wir weit genug weg von allem waren – insbesondere von jeglichen sichtbaren Delfinen – konnten wir auch noch unsere neu erstandenen Petarden testen. Es wurde sofort klar: das Beschweren mit den Kieseln macht sicher Sinn. Und: sie explodieren tatsächlich auch unter Wasser auch für uns hörbar. Die Kieselsteine waren also nicht zu gross und die Zündschnur erlosch nicht sofort im Wasser.
Gegen 20h hatten wir die Ria de Corme erreicht. Uns scheint ein Teil mehr bebaut worden zu sein. An der Uferpromenade wurde gerade – wie in Galizien üblich – ein Fest gefeiert, die Möwen kreischten, Fischer fuhren ein und aus und wir legten uns bei ganz leichten Brisen zwischen die anderen Ankerlieger in die Bucht. Es ist schön, so weit westlich zu sein: die Sonne geht hier erst nach 21:30h unter und ermöglicht somit lange Tage und gemütliches Ankommen am Abend. (Dafür geht sie erst nach 07:30h auf, aber das stört uns nicht besonders, so lange wir keine Frühstarts machen müssen.)
Inzwischen ist es nach Mittag am Dienstag, 6. August. In der Nacht und am Morgen regnete und drizzelte es aus dichtem Nebel bei wenig Wind. Bei dem Wetter hatten wir absolut keine Lust, uns aus der gemütlichen Stube hinaus zu bewegen.
Das gab mir Zeit für das Schreiben dieses Berichts. Für den Nachmittag sind jetzt Aufhellungen angesagt. Wahrscheinlich geht es nun bald los in Richtung Camariñas. Oder… wir könnten ja auch noch den Rest des Tages hier bleiben und erst morgen weiter ziehen? Da soll es den ganzen Tag schön oder zumindest trocken sein und nördliche Winde haben? Die Entscheidungsfindung geht weiter – mal sehen, was heute daraus wird.