Brrrr, der Sommer kann auch kalt sein! Als ich zuhause den zweiten Faserpelz als «Arbeitsfasi» für die Einwasserungs- und Aufräumarbeiten einpackte, dachte ich, das sei leicht übertrieben. Und nun habe ich ihn zwei Tage lang unter dem Segelfaserpelz und der dicken Nordsee-Oelzeugjacke getragen. Wir lesen in WhatsApps und online etwas von 30° und Tropennächten in der Schweiz und können nur verwundert den Kopf schütteln…
Aber wir sind unterwegs, mit sea magiX auf dem 14 Grad kalten Wasser des Solents und der Englischen Südküste und so ist auch das englisch-kühle Wetter sekundär.
Am Donnerstagnachmittag warteten wir auf ein wenig Nachlassen des Windes (und um ehrlich zu sein – trotz der Bemerkungen von gerade vorhin – auch auf etwas trockeneres Wetter) und zogen dann den Anker aus dem super haltenden Schlick vor der Osborne Bay. Der Schlick hielt auch sehr gut am Anker… viel Putzen! Aber da hätten noch einige Windstärken mehr kommen können; kein Problem. Der Wetterbericht hatte inzwischen einen Dreher auf Nordwind vorausgesagt für die Nacht, was gegen Bembridge für das nächste Ankern sprach. So segelten wir die 10 SM weiter ostwärts nach Langstone, dessen Bojen Paddy als RYA-Revierkenner uns angegeben hatte (Danke für den Tipp, lieber Paddy!). Bänz meinte noch kurz, der Reeds (die Seglerbibel mit Hafenhandbuch-Angaben) sei «nicht sehr freundlich» über Langhope, aber überhörte dann meine Nachfrage, was mir erst auffiel, als wir in der Einfahrt standen. Dort hatten wir dann sehr starken Gegenstrom weil wir bei auslaufendem Wasser in die schmale Einfahrt hineinwollten. Mit Segel und Motor kamen wir noch mit etwa 3kn über Grund vorwärts, während die Fahrt durchs Wasser um die 7kn anzeigte. Die Bojen liegen genau in der schmalen Durchfahrt, d.h. im wirklich starken Strom, aber Bänz fuhr das Bojenmanöver souverän so, dass ich uns problemlos an der gurgelnden gelben und schön weichen Tonne festbinden konnte. Nachher stellte sich heraus, dass der Reeds sagt «do not attempt to enter at ebb tide and especially not in onshore winds». Wir hatten beides, als wir einfuhren…
Im Bewusstsein, am nächsten Morgen sehr früh loslegen zu wollen, genossen wir den Abend nur noch sehr kurz im kalten Cockpit. Zudem wirkte die Aussicht eher wie November als wie Juli – auch bezüglich des fehlenden Lebens an Land.
Freitagmorgen ging der Wecker kurz nach 5h los und ohne viele Worte (wer will um die Zeit schon gesprächig sein?) liessen wir uns diesmal mit dem Strom hinausspülen.
Ziel war, bei Slackwater, d.h. dem Moment, in dem die Tidenströmung von Ost-West auf West-Ost dreht, etwa 10SM weiter östlich zu sein. Wenn dies gelingt und man einigermassen vorwärts kommt, dann kann man mit einer Tide immer ohne Gegenströmung die ganze Südküste Englands «abspulen», bis nach Dungeness, bzw. noch ein klein wenig weiter nach Dover. Das sind ab Langstone 98SM, also ein ziemlich weiter Weg, den wir so segeln wollten. Wir wussten, dass die Tide in Dover um 20h drehen würde; bis dahin hatten wir also Zeit. Und es ging perfekt auf. Das Wetter war vom Novemberprogramm auf Mai vorwärts gekommen; blauer Himmel mit vielen weissen und grauen Cumuluswölkchen, Wind aus Nord bis Nordwest anfangs zwischen 4 und 5 Bft und später zwischen 3 und 4 und Temperaturen wie im April/Mai, so dass ich am Nachmittag auch noch meine Kappe und den Schlauchschal hervorholte. Aber die Aprilschauer aus den grauen Cumuli blieben aus und weil wir nahe bei der Küste unterwegs waren, blieb auch das Wasser recht ruhig, so dass sea magiX wie auf Schienen durch die zum Teil smaragdgrünen Wellchen pflügte. Am späten Morgen liess der Wind so weit nach, dass der Gennacker hervorgeholt wurde. Der kam aber dann bei Beachy Head beim Anluven wieder runter. Um 20h waren wir noch etwa 4 SM von Dover entfernt; wir hatten den Fahrplan fast eingehalten und mussten nur die letzten 3.5 SM motoren, als der Wind einschlief und der Strom begann, gegen uns zu laufen.
In Dover wollten wir gerne ankern – vor allem wegen der für uns noch immer geltenden Covid-Bestimmungen. Ankern im Hafen ist jedoch nicht mehr wirklich vorgesehen in Dover Harbour. Schliesslich wollen die Marinas ihre Services verkaufen. So ergab sich ein freundliches Gespräch am Funk mit Port Control: «you are fine to stay in the tidal marina with your maximum draft» – «we’d prefer to go to anchor in the outer harbour; we’re a foreign vessel in transit and we’re not supposed to come ashore in the UK. We only want to wait for the tide to cross over to France” – pause… – “please standby, M’am, I have to check with my Duty Manager”. Es dauerte dann nicht lange und bald bekamen wir die Erlaubnis, in den Hafen einzufahren und dort von der Harbour Launch zu einem geeigneten Ort geführt zu werden, wo wir den Anker unter den wachsamen Blicken der Port Authority gut einfuhren. Geht ja… Ich musste dem netten Herrn auf der Launch noch meine Telefonnummer angeben, damit uns die Port Authority erreichen könnte «wenn was wäre», und schon konnten wir den Ankertrunk im ziemlich leeren Hafen geniessen. Ein stillgelegter Disney-Kreuzfahrer liegt da und die Fähren kamen und gingen ungefähr im Stundentakt, aber wir bekamen nicht mehr viel davon mit – es war schon sehr bald wieder Lichterlöschen.