Als wir von Fécamp losfahren – diesmal bei deutlich mehr Wasser unter dem Kiel – bläst eine schöne Morgenbrise mit uns aus dem Tal hinaus. Es ist wieder ein wunderschöner Morgen mit blauem Himmel, Sonne und eben dieser Sommerbrise. Die verlässt uns jedoch schon bald wieder und verwandelt sich in immer neue kleine «Brischen». Es ist wie Segeln auf dem See im Sommer: hier ein Fleckchen Wind aus SE, dort eines aus SW, dann wieder ein Loch und dahinter ein Lüftchen aus Norden. Bänz, unser Leichtwind-Spezialist mit unendlicher Geduld, hängt sich ans Steuer. Ich geniesse die Sonne im Cockpit und schlafe prompt ein. Nicht jedoch, ohne vorher die wunderbare Felsküste bei Etretat von ganz nah bewundert zu haben. Diese Windverhältnisse erlauben Sightseeing-Segeln; das hat auch was Gutes.
Etwa vier SM vor Le Havre fällt dann die True Wind Anzeige von den bisherigen etwa 3-4kn auf 0-1kn und bleibt dort. Das wird dann doch auch dem Skipper zu wenig und wir starten den Motor. Der Entscheid, nach Le Havre zu fahren und nicht weiter nach Honfleur oder Ouistreham basiert vor allem auf der Nähe – wir haben keine Lust, weiter zu motoren als unbedingt nötig.
Für Le Havre habe ich mich diesmal etwas mehr über die Sehenswürdigkeiten informiert als an den bisherigen Orten. Da wir beide etwas Bewegung brauchen konnten, fragten wir die Hafenmeisterin noch, ob man per Velo den Pont de Normandie befahren könne und ob es einen Veloweg oder Velo-freundlichen Weg dorthin gebe. Nun, wir hatten sie offensichtlich überfordert. Entweder inhaltlich (die Vorstellung, per Velo eine etwas längere Strecke als bis zur nächsten Boulangerie zu fahren, passte vielleicht nicht so in ihr Weltbild) oder vielleicht auch sprachlich – unser Französisch ist leider nicht perfekt. Jedenfalls meinte sie nach nur kurzem Zögern, dass das sicher möglich sei und wir müssten einfach dem Port Commercial entlang fahren und danach dann dem Velo-Weg, den wir auf der zur Verfügung gestellten Touristenkarte entdeckt hatten, folgen. Wir hätten wohl schon da misstrauisch werden sollen…
Frohen Mutes gruben wir die beiden Klappvelos aus. Das bedeutet momentan einen ziemlichen Umbau der beiden Achterkojen, die solange wir zu zweit sind als Stauraum verwendet werden. Bis die Velos ausgepackt waren, hatten wir schon einiges an Bewegung bekommen. Ausgerüstet mit Wasserflaschen, der Touristenkarte und der Kamera gings dann los. Wir hatten beschlossen, dass wir zuerst zum Pont de Normandie fahren möchten; gemäss Wikipedia der grössten Seil-Hängebrücke Europas, welche über die Seinemündung Le Havre mit Honfleur verbindet (und eigentlich wollte ich ja Honfleur sehen, das wir vor 27 Jahren als sehr hübsch erlebt hatten, als wir mit der Señorita Helmsman dort waren). Anschliessend würden wir dann den Stadtkern von Le Havre besuchen, welcher nebst Brasilia als einziges anderes Stadtbild zum Unesco-Welterbe erkoren worden war, weil die Stadt quasi in einem Zug nach dem 2. Weltkrieg von einem Architektenteam um einen Belgier neu konzipiert und aufgebaut worden war. Am Port Commercial vorbei radelten wir weiter auf markierten Velowegen durch Quartiere, die mit Namen wie St. Nicolas und dann Quartier de Neige eher an den Winter erinnerten. Sie wirkten etwas trist auf uns; viele geschlossene Geschäfte, einige Garagen oder undefinierbare Werkstätten, wenige Menschen, viele Autos. Die Multikulturalität Frankreichs war hier ebenso klar spürbar wie die Knappheit der Ressourcen für den Strassenunterhalt. Mein Hinterteil schmerzte schon nach wenigen km ob der holprigen Strassen mit den ungefederten, kleinen Rädchen des Klappvelos. Bald hatten wir auch die Aussenquartiere Le Havres verlassen und prompt endete auch der Veloweg. Wir fanden uns auf einer vierspurigen Industriestrasse wieder, welche zu den unzähligen Docks und Ports führt, die dort dem Kanal an der Seine entlang liegen. Entsprechend donnerten hier auch die grossen Containerlaster mit 80kmh an uns vorbei. Wir fuhren gefühlt auf dem Pannenstreifen einer Autobahn, obwohl dies so nicht angegeben oder markiert war. Die Lastwagenfahrer gaben sich grosse Mühe, die beiden verrückten Radler, die sie plötzlich am Fahrbahnrand sahen, rücksichtsvoll zu überholen. Trotzdem schüttelte uns jede Druckwelle jeweils fast vom Velo. Wir waren zwar überzeugt, dass wir irgendwo eine falsche Abzweigung erwischt haben müssten, wollten aber auch nicht umdrehen und auf dem Pannenstreifen gegen den Verkehr zurückfahren und die Strasse überqueren wäre nicht möglich gewesen. So gings eben weiter in der Hoffnung, dass wir dann beim Pont de Normandie, der ja nicht mehr weit sein konnte, wenigstens den Veloweg für zurück finden würden.
Diese Hoffnung zerschlug sich, als wir nach etwa einer Stunde Velofahrt (gefühlt wars deutlich mehr) zum in der Karte angegebenen Kreisel mit der Verzweigung zum Pont kamen: da gab es nämlich nur noch eine Autobahnauffahrt und ganz klar keine Möglichkeit für Velos, weiter zu fahren. Wir fuhren suchend in der Gegend rum, ob wir einen anderen Weg finden könnten, aber da half alles nichts. Der Weg zum Pont de Normandie und die Strasse auf dem Pont danach ist nur per Autobahn zu erreichen. Auf Schotterwegen durchs Gebüsch versuchten wir, wenigstens näher dran zu kommen, um das Bauwerk wenigstens sehen zu können, aber sogar dieser Versuch misslang weitgehend. Wir konnten nur ein paar Blicke auf die Spitzen der Hängeseil-Türme erhaschen. Da gabs nix… Auch unsere Hoffnung, wenigstens ein kleineres Strässchen für die Rückfahrt zu finden, mussten wir irgendwann aufgeben wegen den Gittern und Toren der unzähligen Raffinerien und Öltank-Firmen, welche das in Google Maps gezeigte Weglein versperrten. So radelten wir – inzwischen etwas staubig, müde und enttäuscht – auf der gleichen Strasse (beim grossen Kreisel zur Autobahnauffahrt waren wir wenigstens wieder auf die andere Strassenseite gekommen – es muss ein lustiges Bild gewesen sein mit den beiden Klappvelos zwischen den 40-Tönnern, die aber alle wirklich schön auf uns aufpassten) wieder zurück an den nach Öl stinkenden Tanks, den Chemiewerken und den Raffinerien vorbei nach Le Havre Centre. Wenn auch das Ziel, diese Brücke zu sehen, oder jenes, Honfleur zu besuchen, nicht erreichbar gewesen war, so hatten wir doch in jedem Fall die Bewegung bekommen, die wir beide brauchten.
Der Unesco-Welterbe-Baustil von Le Havre hat uns nicht riesig gefallen; es ist eben Beton-Baustil, zwar gelegentlich mit roten Wänden etwas farbiger, aber nach unserem Empfinden ziemlich monumental und zumindest das Rathaus wirkte sehr klotzig auf mich, obwohl mit dem riesigen Platz davor viel Raum geschaffen worden war. Und doch; der Boulevard de Strasbourg wurde begrünt und hat wegen des Trams hier nur reduzierten Autoverkehr, es gab auch einen schönen Stadtpark, und wir fanden eine Café-Bar, in welcher wir uns einen Pastis gönnten und die vorbei gehenden Menschen beobachten konnten. Für einen Besuch in der Kathedrale reichte uns dann die Energie und Zeit nicht mehr. Sie sieht von aussen aus wie ein grosser Leuchtturm mit einem Kreuz oben drauf und wenn ich es nicht gewusst hätte, wäre ich wohl nicht auf die Idee gekommen, dass dies tatsächlich eine Katholische Kirche sein könnte. Gemäss Wikipedia ist der Innenraum absolut sehenswert wegen der farbigen Glasscheiben, aber eben – wir hatten inzwischen Hunger und fuhren deshalb zurück zum Boot.
Dort lernten wir Julia und Gabriel kennen, welche die Schweizer X-Yacht begutachteten, als wir ankamen, und luden sie dann zum Apéro ein. Gabriel überführt gerade seine schwedische 25-Fuss-Yacht Oy-Oy von Stockholm nach Griechenland und Julia hatte ihren letzten Abend eines Monats Urlaub. Es war ein interessanter Abend mit den beiden jungen Menschen und wir sind gespannt, ob wir Gabriel unterwegs wieder begegnen werden.
Den schönen Abend schlossen wir dann noch zu zweit bei feinstem Rindsfilet vom Grill mit grillierten Auberginen im Cockpit ab und nutzten dabei auch zum ersten Mal unser kleines Solar-Cockpit-Lämpchen, das ein wirklich angenehmes, warmes Licht verbreitet.