Wir haben am Abend vorher noch kurz den Wetterbericht und die Gezeitenströme studiert und sind zum Schluss gekommen, dass ein Start etwa um den Mittag, um wieder nach Süden in die Weser zu kommen, am besten wäre. Für die Nacht sind dann starke Winde und Gewitter angesagt, das heisst, wir wollen noch am Abend dort sein. Das sollte aber gut klappen. In Helgoland wollen wir eigentlich nur kurz einkaufen und Diesel tanken, dann können wir gleich wieder los.
Wir waren aber am Vorabend zu müde, um noch einen genauen Bericht von unserem Wunderprogramm herunter zu laden. Als wir dann morgens um 7h beim Morgentee den Küstenseebericht lesen, merken wir, dass die angekündigte Front schneller unterwegs ist und wir besser etwas früher in Bremen sein sollten, auch wenn der Strom noch mindestens bis 17:30h stark gegen uns laufen wird. So wird das Einkaufen etc. etwas beschleunigt, um zwei Stunden früher los zu kommen.
Einkaufen in Helgoland läuft für uns seit einigen Jahren traditionell etwa gleich ab. Es gibt nahe beim Hafen ein Dreieck von Läden, in welchen wir schon einiges an Umsatz generiert haben: vom Hafen kommend gelangt man zuerst links zur Produktion der Inselbäckerei, mit kleiner Verkaufsstelle. Als wir vor ein paar Wochen hier einkauften, wollte uns der freundliche Herr dort fast nicht glauben, dass wir so viel Schwarz- und Feinbrot mitnehmen wollten. Er wies schon halb verzweifelt immer wieder darauf hin, dass eines der Schwarzbrote 3kg sei, und eines der Feinbrote 1.75kg. Im Nachhinein gebe ich ihm teilweise recht: vom Schwarzbrot hätten wir heute noch einiges, wenn es nicht bei einer Kreuz mal unter dem schweren Parasailor quasi zermalmt worden wäre. Aber es hat sich wochenlang super gehalten und uns für ganz Schottland mit seinem Wattebrot unabhängig gemacht.
Also, zuerst zum Inselbäcker und ihm dort ein Feinbrot abkaufen (und bei den Pains au Chocolat nicht widerstehen können, denn die riechen so super). Dann ein Haus weiter zu Engel, dem Schiffsausrüster. Wer sich darunter nun viele Schäkel, Blöcke, Leinen und Fender vorstellt, der hat weit gefehlt. Schiffsausrüster auf Helgoland führen wegen des zollfreien Sonderstatus der Insel vor allem eines: Alkohol. Engel hat aber daneben auch noch einiges anderes und wir können uns hier wirklich für Wochen mit Getränken in pfandfreien Flaschen, Wein Chateau Carton (an Bord das Allerpraktischste), Bierdosen, Orangensaft, aber auch mit Schinken, Salami, Käse, Gewürzen, etc. eindecken, sowie – was uns wochenlang wie die Könige leben lässt – mit wunderbar gereiftem, superzartem Rindfleisch. Und das Schönste an der ganzen Sache nebst dem für unsere Verhältnisse extrem günstigen Preis: sie liefern die Einkäufe auf den Steg und die Crew muss sie dann nur noch an Bord bringen (wenn man Pech hat und das 7. Boot im Päckchen ist, dann ist das noch anstrengend genug, aber in unserem Fall diesmal kein Problem, da wir schon an der Tankstelle direkt davor sind).
Die letzte Station im Helgoländer Bermudadreieck ist dann noch Rickmers Outdoor- und Wassersportmode, wo gleich auch das Tanken bezahlt wird. Das heisst, wenn man zum Bezahlen in den Laden geht, kommt man oft noch an irgend einem schönen Paar Shorts, T-Shirts oder sonst etwas vorbei, das man eigentlich nicht brauchte.
Dieses Bermudadreieck absolvieren wir dieses Mal in Rekordgeschwindigkeit von etwa 45 Minuten und sind dann bald schon unterwegs nach Süden.
Es wird ein Tag der wechselnden Winde: zuerst kreuzen wir, dann kommt der Parasailor hoch weil es auf Ost-Nordost gedreht hat, und bald kommt der wieder runter, weil es wieder auf 5 Bft aufgedreht und nach Nordnordwest weiter gedreht hat. Der anfangs blaue Himmel wird immer undefinierbarer grau-gelb-weiss-schwarz und wir stellen uns wieder auf Squalls-Segeln ein; das kennen wir ja schon. Beide hoffen wir, dass die angesagten Gewitter nicht noch früher kommen.
Aber sie kommen eben doch. Das erste erwischt uns nur mit einem Streifschuss. Innert Kürze wird es nachmittags um 16h dunkel. Die Segel sind schon stark verkleinert und alles ist vorbereitet, um im Notfall das Gross schnell bergen zu können. Zu meiner grossen Erleichterung kommt dann aber „nur“ Starkregen und keine Orkanböen. Im Regen ist die Sicht auf wenige Meter reduziert – ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt noch den Bug unseres Schiffes sehen könnte. Ein grosser Tanker, der gerade da, wo wir vorbeisegeln, auf Reede liegt, verschwindet einfach. Bänz gibt mir einen Kompasskurs, den ich noch knapp auf dem Instrument sehen kann, wenn mir die Regentropfen nicht in die Augen klatschen, und so kommen wir recht glimpflich durch das Gewitter durch. Blitz und Donner sind weit auseinander – mal Glück gehabt. Mir kommt der Name eines Bootes in den Sinn, den ich kürzlich gesehen habe: „Geht doch!“
Aber die Götter erlauben sich eben ab und zu mit uns Menschlein ihre Spielereien. Heute bin ich überzeugt, dass uns jenes Gewitter einfach in Sicherheit wiegen sollte. Das nächste erwischte uns dann etwa 3 Stunden später so richtig kalt. Inzwischen hatte Bänz das Ruder übernommen und wir waren in einem Fahrwasser, das etwa eine halbe Meile breit ist. Wieder wurde es dunkel „wie in einer Kuh“ und wieder begann alles mit Regen, der sich bald in Sturzfluten ergoss, die ebenfalls wieder die Sicht einfach auslöschten. Aber diesmal kam mit dem Regen und dem sehr nah aufeinander folgenden Blitz und Donner auch der Wind. Innert Kürze hatte er sich verdoppelt und um 100° gedreht. Bänz konnte im Regen den Kompass nicht mehr erkennen und der Winddreher verunmöglichte für einen kurzen Moment die Orientierung. Als ich vom Einrollen der wild schlagenden Genua zum Kartentisch hechtete, staunte ich nicht schlecht: wir waren auf Gegenkurs zurück, woher wir gekommen waren. Kursänderung ansagen bzw. anschreien ist das eine, aber den Kurs dann halten können ohne Orientierung das andere. So versuchte ich mit Handzeichen die Richtung für den korrekten Kurs anzugeben, aber der war plötzlich nicht mehr segelbar, was wir zuerst in dem Chaos auch begreifen mussten. Das dauerte sicher nicht mehr als 1-2 Minuten, aber die kamen uns beiden ziemlich lang vor, bis wir das Schiff wieder unter Kontrolle und genug Fahrt hatten, um in eine gewünschte Richtung steuern zu können. Ein späterer Blick auf diese Stelle in unserem Track im Plotter zeigt einen schönen Kreuzstich. Wir waren – Plotter sei Dank – nie zu weit aus dem Fahrwasser, denn mit seiner Hilfe konnte ich die Wenden immer ansagen, und nur mit dem Grosssegel kreuzten wir, so lange der Starkregen anhielt im Blindflug gegen den Strom Flussaufwärts. Nach den Böen hatte sich der Wind bei etwa 5-6 Bft aus Süden etabliert. Der Starkregen hielt wohl nicht länger als 15 Minuten, danach liess er nach und hörte dann auch wieder ganz auf. Nach etwa einer Stunde getraute ich mich auch wieder, ein wenig Genua auszurollen, und als wir bei den Containerterminals von Bremerhaven ankamen, war wieder alles so, wie wenn nichts gewesen wäre.
Nur unter Deck in unserem Vorratskämmerchen herrschte Chaos. Die sehr starke Krängung und die heftigen Wenden hatten dort alles ziemlich durcheinander gewirbelt, denn wir hatten den Parasailor, der dort normalerweise alles schön festklemmt, noch nicht vom Salon an seinen Platz nach hinten verstaut.
Sehr freundlich durch die Schleuse gewinkt und schon bald im neuen Hafen in einer Box fest, konnten wir beim Ankertrunk die Nerven wieder entspannen. Es ist erstaunlich, wie schnell eine solche Situation auch recht erfahrene Segler wie uns beide ermüden kann. Und ich will mir nicht ausdenken, wie das mit wirklichen Orkanböen gewesen wäre. In unserem Fall erreichten die Böen soweit wir erkennen konnten nicht mehr als 7 Bft, aber wir hatten nicht viel Zeit für und Sicht auf die Instrumente. Wie immer war aber das Unangenehmste sicher die Nähe des Landes; kein Platz zum Ausweichen, Ablaufen oder Manövrieren ist bei Starkwind wirklich problematisch.