Es fühlt sich so an, dabei ist es eigentlich noch deutlich zu früh. Aber seit wir Brügge verlassen haben, sind wir gefühlt im «Heimkehr-Modus». Vielleicht, weil wir die meisten Häfen hier unterwegs schon ein wenig kennen.
Vlissingen zum Beispiel haben wir noch immer in bester Erinnerung von unserer Heimfahrt im Pandemiejahr 2020. Damals waren wir zwar nur für eine kurze Nacht da, aber wir erinnern uns auch heute noch an den überraschend entspannten Abend in jenem Städtchen. So gönnen wir uns – angesichts der Schwachwind-Vorhersage für Mi., 23.8., einen gemütlichen Spazier- und Sightseeing-Tag in dem Hafenort.
Eindrücklich und bedrückend die Beschreibung der diversen Schlachten um die Scheldemündung hier gegen Ende des 2. Weltkriegs. Mehr als 12000 Todesopfer waren hier zu beklagen. In einem Zeitraum von 6 Wochen im Oktober-November 1944… An einem sonnigen Tag im August scheint uns das unvorstellbar, und doch tobt ja auch jetzt in Europa noch immer ein Angriffskrieg.
Vlissingen hat man dann doch auch mal gesehen, aber es wirkt auch heute noch entspannt und freundlich auf uns, mit seiner langen Seepromenade, der kleinen Innenstadt, dem neu entstehenden modernen Wohnquartier am grossen Hafen und dem sympathischen kleinen Sportboothafen Michael de Ruyters mit dem schmalen Eingang und der fröhlichen, jungen Hafenmeisterin, die ihr Büro ganz offiziell in der Hafenkneipe hat.
Über Nacht bleibt die Fussgängerbrücke über den Hafeneingang offen für ausfahrende Schiffe und so können wir dann am Donnerstag, dem 24.8. rechtzeitig für den passenden Strom um 05.00h wieder losfahren. Unter Motor geht’s die ersten Meilen im tiefen Gatt entlang der flachen Küste von Walcheren hinaus nach Nordwesten, bis wir kurz vor der Ecke die Segel setzen können weil der angesagte Ostwind kommt.
Der Tag ist aber gewittrig und sehr wechselhaft, mit teils drehenden Winden aus allen Richtungen. Genau vor der Mündung des Rheins nach Rotterdam, wo die grossen Pötte dicht an dicht hinein und hinaus fahren, schläft die Brise mal gleich wieder ein. Der Motor muss uns vor dem Loch vorbei helfen; danach geht’s wieder weiter, bis zum zweiten Reff im Gross, mit kurzen Motorpausen dazwischen… anstrengend. Als wir Scheveningen am Mittag erreichen, trauen wir dem Wind nicht mehr weiter bis Ijmuiden und fahren hinein. Auch diesen Hafen kennen wir schon recht gut. Ein schmaler Schlauch führt nach hinten wo rechts die Marina und links der alte Fischerhafen liegt. Es empfiehlt sich, sich beim Port Control die Erlaubnis zur Durchfahrt zu holen, weil ein Kreuzen mit einem anderen Schiff in dem Schlauch kaum möglich ist. Und an die Besucherstege ist man aufgefordert, rückwärts hinzufahren, weil es drinnen zu eng ist zum drehen und alle Schiffe aus Sicherheitsgründen mit dem Bug nach aussen da liegen müssen. Ich stelle mir zwar ungern vor, was hier los wäre, wenn wir alle plötzlich wegen eines Brandes oder so aus dem Hafen flüchten möchten… aber die Bedingungen sind klar und wir befolgen sie natürlich auch.
Der Wetterbericht sagt auch für Freitag, den 25.8. tagsüber nicht viel Schlaues bezüglich Wind voraus, und droht einmal mehr mit Gewittern. Grund genug für uns, einen weiteren Sightseeing-Tag einzuschieben und die Abfahrt auf den Abend zu legen.
So steigen wir wenige Meter von der Marina entfernt in den Bus Nr. 28 an dessen Endstation «Norfolk» und lassen uns nach Den Haag chauffieren.
Eine weitere Stadt, die uns mit ihren kompakten unterschiedlichen Vierteln, der lebendigen Altstadt mit Winkeln und Gassen, Beizen und unzähligen Fahrrädern überzeugt. Dicht daneben sind die modernen Glaspaläste von Versicherungen und Banken. Und dazwischen die Parks und Paläste für Politik, Königspalast und natürlich der Friedenspalast mit dem Internationalen Gerichtshof, bzw. die vielen dazu gehörigen Gebäude und Institutionen.
Wir sammeln viele Schritte, Eindrücke und Bilder und sind nach einigen Stunden froh, wieder in den Bus steigen zu können, um nach Scheveningen zurück zu kommen. Städte-Trips machen müde…
Abends um halb sechs legen wir dann von Scheveningen ab, um den aufkommenden Wind für die Weiterfahrt nach Norden bzw. Nordosten zu nutzen. Die anfängliche Bewölkung löst sich mit der Zeit auf und der Wind dreht wie angesagt auf westliche und später – entgegen der Ansage – auf westsüdwestliche Richtungen. Trotzdem reicht es uns noch knapp mit dem Strom bis nach Den Helder, wo wir morgens um 03h ankommen. Die Nächte sind inzwischen auf dem Wasser ziemlich kalt. Ich bin schon bei zwei Schichten Merinoshirts angekommen und auch das Oelzeug gehört für mich nachts automatisch dazu. Nicht nur wegen der häufigen Schauer und der Nacht-Feuchtigkeit sondern eben auch wegen der Kälte. Wir sind noch am Aufräumen und Aufhängen des Oelzeugs, als es schon an der Bordwand klopft: die Polizei möchte wissen, wer denn da nachts unterwegs ist. Sehr freundlich werden unsere Pässe kontrolliert und gefragt, warum wir denn nachts segeln würden. Der Unterton ist klar und wird am nächsten Morgen vom Hafenmeister ausgesprochen: «only lunatics sail at night». Naja, ab und zu kann ich dieser Ansicht ja auch zustimmen. Ich schlafe auch lieber, als nachts zu segeln wenn es so kalt ist. Aber die Polizistin und ihr Kollege akzeptieren problemlos die Antwort, dass wir eben auf den Wind und die Tide gewartet haben, und wünschen uns «so sleep well now». Was wir auch bald befolgen.
Der Skipper will nämlich noch am gleichen Tag weiter. Wir haben uns die fehlende Mütze Schlaf geholt, eine angenehme Dusche genossen und die Waschmaschine mal wieder für eine Wäsche genutzt. Dann sind wir bereit und mit der nächsten Tide nutzen wir nach dem Mittag den inzwischen strammen Südwestwind und segeln durchs Watt hinauf nach Harlingen. Immer mit einem Auge auf den dicken Gewitterwolken und dem anderen auf den roten und grünen Bojen, die uns den Weg dorthin weisen. Auch Harlingen kennen wir schon recht gut. Hier muss man durch zwei Brücken, um in den Innenhafen zu gelangen. Die Äussere wird jeweils bei Bedarf geöffnet. Die Innere zwischen 06:00h und 22:00h jeweils um :25 und :55. Für uns passt es recht gut; wir haben (in Zeebrugge) schon sehr viel länger auf Brücken und Schleusen gewartet. Drinnen im Norderhaven machen wir gezeitenabhängig an der Hafenmauer fest. Der Hafen stellt Fenderbretter zur Verfügung; das ist praktisch so. Trotzdem sind wir froh, dass jetzt Ende August nicht mehr ganz so viel los ist wie im Juli, und sich niemand an uns ins Päckchen legen muss.
Am nächsten Morgen wollen wir eigentlich gemütlich frühstücken, aber ein erneuter Blick in den Wetterbericht führt zu einer kurzfristigen Planänderung: wenn wir nicht bald wieder loslegen von hier hinten im Watt, haben wir die nächsten Tage entweder keinen Wind, oder Wind auf die Nase… Also kurz entschlossen abgelegt und noch gleich die Brückenöffnung um 09:55h erwischt. Mit dem Schiebestrom wirken die 4-5 Beaufort mit Schauerböen ziemlich stark und bald ist das Gross wieder doppelt gerefft und auch die Genua deutlich verkleinert. Wir sind froh, das Seegatt bei Vlieland ohne Kreuzen zu erreichen und kommen auch bei den Gewittern knapp davon. Sie gehen mit Starkregen knapp vor und hinter uns durch, so dass die zahlreichen anderen Boote, die hier ebenfalls unterwegs sind, zeitweise ganz in der Regenwand verschwinden. Uns treffen nur wenige kurze und leichte Schauer. Die Fahrt hinaus ins tiefe Wasser (auch diese Tiefe ist relativ: hier heisst es tief, wenn man mehr als 12 Meter unter dem Kiel hat!) wird dann nochmals nervenaufreibend. Bänz hat sich einen Weg hinaus gesucht, der nicht meilenweit dem Bojenkanal nach Westen folgt, sondern über das eine und andere flachere Gebiet weiter nördlich führt. Flacher heisst dann jeweils, dass das Echolot zeitweise 4.5m und weniger anzeigt, was bei der hier durch Strom gegen Wind entstehenden Welle für meine Nerven seeeeeeehr wenig ist. Es gibt für mich wohl keinen wirksameren Ansporn, jeden Meter an Höhe mitzunehmen, als wenn man mir sagt, dass es im Lee flacher und im Luv tiefer werde. So freue ich mich über jede Bö, die uns etwas anluven lässt, und kämpfe um jeden Meter, immer mit etwas Herzklopfen und einem Auge auf dem Echolot, die Ansage «wir müssen wenden» auf den Lippen. Aber es geht alles gut, auch ohne Panikwende, und nach einer langen halben Stunde sind wir draussen und können auf den Nordostkurs abfallen, mit dem es Richtung Deutsche Bucht geht.
Ein – wahrscheinlich – letztes Mal kommt die Gastlandflagge herunter und wird gewechselt: wir haben schon die deutsche Grenze erreicht. Mit der Verkehrstrennungszone für die Grossschiffahrt links und den flachen Watteninseln rechts segeln wir in der Inshore Traffic zone ostwärts. Der Wind ist weiterhin wechselhaft und Gewitterzellen ziehen immer wieder bedrohlich hinter, neben und vor uns auf, so dass wir irgendwann auch das doppelt gereffte Gross ganz bergen und nur noch mit der Genua dahin gondeln. Das hat den grossen Vorteil, dass unsere Windsteueranlage Leonie das Ruder übernehmen kann. Wegen der Dichte an Bojen, anderen Schiffen und der relativ engen Spur, die uns – teils entlang von Windparks – zur Verfügung steht, bin ich recht häufig dran, sie zu verstellen. Aber das hält nachts wach und warm und stört mich nicht wirklich. Nur ab und zu kommt der Vergleich mit dem entspannten Segeln auf dem offenen Atlantik auf. Da konnte Leonie Kurven fahren, so viel sie wollte – kein anderes Schiff und keine Boje kam uns da je in die Quere. Hier in der Nordsee ist die Weite des Meeres inzwischen sehr begrenzt. Vor allem die vielen und ausgedehnten Windparks fallen uns jetzt mehr als früher auf.; die Durchfahrtswege hier an der Küste werden wohl in Zukunft immer begrenzter und enger werden.
Nach Mitternacht lugt der Mond nochmals unter einer Wolkenbank kurz hervor. Dann geht er dunkelorange am Horizont unter. Zwischendurch reissen die Wolken über uns auf und lassen die Sterne funkeln. Bald kommt wieder ein Schauer, bei dem wir nach dem obligaten Rundumblick für ein paar Minuten unter dem Sprayhood in Deckung gehen und hoffen, dass gerade kein anderes Boot ohne AIS im Weg ist. Solche gibt’s hier eben auch wieder viel mehr als anderswo. Auch grosse Fischerboote sind hier ohne AIS unterwegs; man darf sich wirklich nicht nur auf den Plotterbildschirm verlassen. Morgens um 2h kreuzen wir die Einfahrt in die Jade nach Wilhelmshaven; «den da rechts lassen wir noch kurz durch und dann luven wir an und queren den Bojenkanal, so dass wir drüben sind, bevor der da links da ist»… diese Situationen kennen wir ja inzwischen gut. Auch das Einfädeln in das Weser-Fahrwasser gelingt recht gut. Ganz am rechten Bojenrand spült uns der Strom bei Tagesanbruch in Richtung Bremerhaven. Teils mit 10kn und mehr über Grund rasen wir Weser-aufwärts. Die grossen Tanker, die im gleichen Fahrwasser mit 12 kn Fahrt von hinten daher kommen, brauchen sehr lange, bis sie uns überholen können. Aber jene, die uns von vorne entgegen kommen, sind dafür umso schneller da.
Für die ca. 25 SM die Weser hinauf benötigen wir nur etwa 3.5 Stunden. Und obwohl der Wind eigentlich einen grossen Einfallwinkel hätte, müssen wir die Segel ganz dicht nehmen, weil uns der Strom so vorwärts treibt. Kurz nach 10h morgens, also nur ein paar Minuten mehr als 24 Stunden nach der Abfahrt in Harlingen, bergen wir die Segel direkt vor der Einfahrt in den neuen Hafen Lloyd von Bremerhaven. Der Schleusenchef ist bereit für uns und lässt uns gleich einfahren und schon bald tuckern wir im grossen Hafenbecken zur im-Jaich-Marina.
Ja, es fühlt sich wirklich an wie auf dem Heimweg; auch kein schlechtes Gefühl. Denn von hier aus schaffen wir es ganz sicher rechtzeitig bis nach Rendsburg. Zumal wir inzwischen auch die Bestätigung für unseren Auswasserungstermin erhalten haben: am 15. September, d.h. am Freitag in zwei Wochen kommt sea magiX aus dem Wasser und in die Halle auf der Raderinsel. Aber bis dahin gibt es noch einiges zu sehen und zu tun. Heimwärts schon, aber vielleicht doch in kleinen Schritten ab jetzt.