Ainhoa lacht mich aus, als ich im Marina Office von Santa Cruz de Tenerife anmerke, ich hätte reserviert. Ainhoa meint, «you have to book at least 5 days in advance! (und nicht am selben morgen!)». Das bin ich nicht gewohnt, aber es wiederspiegelt in etwa die Liegeplatz-Situation in den Kanaren. Alle Marinas sind so voll, dass es keinen Platz mehr gibt für spontane Besucher. Hier in St. Cruz geht es trotzdem, obwohl die Mooringleine mit «stern to» resp «bow to» eher aus dem Mittelmeer bekannt ist. Gleich wie im Mittelmeer gibt es eine mächtige Sauerei von der Mooringleine; sowohl auf dem Boot, als auch an Tom, zum Abschluss unserer Überführung von Madeira auf die Kanaren. Ursprünglich war geplant, von Quinta da Lorde direkt auf die Ilhas Selvagens und weiter auf die westlichste Kanareninsel La Palma zu segeln. Gelandet sind wir nun auf Teneriffa, da uns der Wind resp sein Ausbleiben einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.
Michelle: Rundherum so viel Nichts!! Unsere Tage und Nächte auf der Überfahrt von Madeira auf die Kanaren waren geprägt von immer noch spektakuläreren und kitschigeren Sonnenunter- und -aufgängen und allerlei kuriosen Sichtungen während den verschiedenen Wachen: biolumineszente Gebilde im Wasser, Wale, Delfine – das tatsächliche Vorhandensein wurde natürlich jeweils von der nächsten Wache stark angezweifelt. In der ersten Nacht hat die Crew den Skipper ins Dribbeln gebracht, indem sie die vorgegebenen Wachzeiten nicht eingehalten hat. Die nächsten Schichten haben dann wie geplant stattgefunden und uns zu unserem Zwischenziel, den Ilhas Selvagens, gebracht.
Was für ein Anblick: eine kahle, vom Wind leer gefegte Insel mitten im Atlantik! Wir haben einen guten Ankerplatz gefunden, allerdings auf 15m glasklarem Wasser – die beiden anderen Boote an den vorhandenen Bojen hatten es nicht so schön wie wir… Immer wieder mussten sie mit Fendern und Bootshaken die Boje aus Metall resp. Kunststoff von ihrem Boot fernhalten. Tom, Alexandra und ich haben uns zusammen mit den Soldaten der British Army, welche mit ihrer Discoverer kurz vor uns angekommen waren, mit dem Dinghy auf die Insel begeben. Nachdem der Maritime Police Officer unsere Crewliste abgeschrieben hatte, wurden wir informiert, dass um 16 Uhr eine Führung mit einem Ranger stattfinde. Auf dieser Insel inmitten des Nichts wohnen jeweils für einen halben Monat (oder auch länger, wenn das Wetter die Anlandung der nächsten Crew nicht zulässt) fünf Männer: zwei Maritime Officers, zwei Rangers und ein Navy Soldier. Nachdem wir den Tag mit einem Bad im klaren Wasser und einem Zmittag verbracht haben, erfuhren wir auf der Führung allerlei: dass auf der Insel ein grosser Teil der weltweit noch vorhandenen Population von Sturmtauchern nistet; dass die Insel früher als Jagdgrund auf ebendiese Sturmtaucher genutzt wurde; dass die Insel mehrere Versuche der Besiedelung durch ihre Unwirtlichkeit abgewehrt hat und dass der eigentliche Grund für die dauernde Überwachung der Insel wohl eher die Spanier sind, die dort fischen und wer-weiss-sonst-noch-was alles anstellen… Wir waren begeistert von der Insel und diesem Steinhaufen, der sich mitten im Atlantik auftürmt – und von der Gastfreundschaft der Polizisten und Rangers, die unsere Fragen mit Engelsgeduld beantwortet haben. Nach einer ziemlich ruhigen Nacht vor Anker hiess es: Kurs Richtung Kanaren!
Die Entscheidung, wohin auf den Kanaren, liessen wir uns noch offen, da nicht klar war, welche Winde uns begleiten würden. Etliche Motorstunden später fiel wohl oder übel die vernünftigste Entscheidung: direkter Weg nach Tenerife. Für mich bewegten wir uns ab jetzt in sprachlich wieder einfacheren Gefilden (nicht mehr Café con Cheirinho [sprich: Café com schirinjo], sondern Carajillo). Obwohl sich wahrscheinlich ein Grossteil der Crew innerlich schon auf eine Ankunft in La Palma eingestellt hatte (viele Kindheitserinnerungen für Alexandra und mich, unsere Eltern haben uns viele Male dorthin mitgenommen), haben wir uns auch gerne auf Santa Cruz de Tenerife eingestellt.
Die Entscheidung, tags darauf nach La Gomera weiterzufahren, fiel uns auch leicht. Die Überfahrt gestaltete sich durchmischt: zuerst leichte, aber doch schön segelbare Winde und Besuch von einer riesigen Schule von Delfinen (es war wahnsinnig, wie viele Delfin um uns herumschossen und -sprangen – Alexandra hat sogar ein Selfie mit einem Delfin geschossen: ein Delfie!), danach eine Passage unter Motor und zum Schluss (wie der Cruising Guide vorhergesagt hat) ein gutes Stück mit gutem Wind!
Am nächsten Tag hat unser Skipper uns auf dem Landweg im Mietauto über La Gomera chauffiert. Eine unglaublich faszinierende Insel! Auf so wenig Quadratkilometer haben wir so viele verschiedene Landschaften angetroffen: Felshöhlen, in denen Hippies ihre Ferien verbringen; nebelverhangene Lorbeerwälder; windgepeitschte Steilhänge; Basaltsäulen; terrassierte und bebaute Hänge; Bananenplantagen und viiiiiele Kurven.
Die Überfahrt zurück nach Tenerife zeigte sich ebenfalls wie vom Wetterbericht und vom Cruising Guide vorhergesagt: zuerst viel Wind und viel Krängung, danach kein Wind und viel Motoren… Nachdem unsere auserwählte Ankerbucht in der Nähe des Südflughafens zu viel Schwell hatte und die Marina in der Nähe wie schon auf der Hinfahrt über Funk keinen Platz in Aussicht stellte, haben wir einen aussergewöhnlichen Ankerplatz gefunden. Vor einem immensen Industriehafen mit einer kolossalen Hafenmauer haben wir unglaubliche Abendrotszenen und Skippers Ragout aus dem Dampfkochtopf genossen. Nach einer kurzen Nacht (Tagwacht um 5 Uhr) und einem kurzen Intermezzo mit einer vom Anker aufgepickten Stahltrosse beim Ankerauf-Manöver, gab es lange Stunden unter Motor bis Santa Cruz. Bis dahin war die Crew aber wieder so wach, dass sofort nach der Ankunft eine Hektik ausbrach, welche dazu führte, dass über und unter Deck alles sauber gemacht wurde. Beim Abendessen in einer Kneipe bemerkte der Skipper, wie lange er eigentlich schon keinen Fussballmatch mehr geschaut habe, so dass sein Blick trotz des vor lauter Tapas fast zusammenbrechenden Tischs manchmal auf dem Bildschirm haften blieb, welcher ein Champions League Spiel übertrug. Für den nächsten Tag hatten wir grosse Pläne: den Teide bezwingen! Nach dem Durchdringen der Wolkendecke mit dem Mietauto zeigte sich eine superbe Weitsicht. Bei der Talstation der Bahn angekommen wurden wir jedoch enttäuscht – die Bahn war wegen zu starkem Wind nicht in Betrieb. Schon grotesk, zum Segeln hatten wir meist zu wenig Wind und zum Wandern resp Seilbähnli fahren war es schon zuviel. Aber auch ohne Besteigen des mit 3750m höchsten Berges Spaniens zeigte uns die Insel bei der Rundfahrt ihre Vielfältigkeit. Die Kanaren sind einfach nicht zu überbieten an wechselnden Landschaften auf so kleinem Raum!
Der im Prospekt von der Tourist Information angepriesene «schönste Strand von Teneriffa» mit hellem Sand war zwar schon ganz reizend, aber doch irgendwie bizarr, mit den drei Tankern, welche nicht weit vor dem Strand ankerten. Zurück auf dem Schiff wurde das Bild auf der Hafenmauer in Santa Cruz fertig gemalt und dann genossen wir Alexandras Kochkünste und den Rotwein von Teneriffa – ein schöner Abschluss von zwei extrem spannenden und abwechslungsreichen Wochen auf sea magiX im Atlantik mit vielen schönen und eindrücklichen Erlebnissen in unserer Crew.
Bänz: Tags darauf fahre ich mit dem Boot ein paar Meilen südlich nach Radazul, wo ich um 10 Uhr bereits den Termin zum Auswassern habe. Während Tom, Alexandra und Michelle nochmal den Nordteil der Insel mit dem Mietauto erforschen, habe ich das beim Auswassern übliche und weniger lustige Programm: Unterwasser abspritzen und Bürsten, Propeller Reinigen, Ölwechsel an Motor und Getriebe und ganzes Boot Waschen. Nur, dass es da etwas weniger zielstrebig zu und her geht als ich mir das aus Norddeutschland in den letzten Jahren gewohnt bin – mañana eben – Um 16 Uhr, als die Crew auftaucht für ein letztes Bad am Strand, bin ich nur noch reif für eine Dusche und einen grossen Apero.
Diesen nehmen wir ganz unromantisch auf dem Werft-Gelände neben dem aufgebockten Boot. Nach dem letzten Nachtessen gibt es noch kurz Schlaf in der Koje ohne das bekannte Plätschern aber doch mit ein wenig Schaukeln, da das Boot auf dem Lagerbock spürbar bewegt, sobald sich auch nur jemand im Schlafsack dreht. Am Samstag fliegen Tom, Alexandra und Michelle heim. Ich bleibe noch bis Mittwoch auf Teneriffa und kümmere mich um die Pendenzen am Boot, damit Uschi und ich dann Anfangs Dezember bald los können zur Überfahrt in die Karibik.