Eines vorneweg: wir haben mal wieder eine deutliche Lektion in kulturellen Unterschieden und unterschiedlichen Erwartungshaltungen bekommen; dies konkret in Bezug auf unser Bild von Nationalparks. Und das andere ebenfalls vorneweg: unsere Begeisterung für Galizien hat noch immer keine Abnützungserscheinungen.
Bei schönstem Wetter und leider noch immer ohne Wind gings am Montag 5.8. von Muros los. Übrigens problemlos – die Tripleine am Anker war zumindest bei uns nicht nötig. Am Ausgang der Ria kam dann sogar etwas Tageswind, mit dem wir bis zur Illa Ons, einer der Illas Atlánticas des Nationalparks in Galizien segeln können. Das Befahren dieses Gebiets bedingt eine eigene, im Voraus zu besorgende Bewilligung. Und zum Ankern eine separate, zweite. Ankerbewilligungen können jeweils nur für maximal drei Tage beantragt werden. Für uns klingt das nach Restriktionen, die für Abgeschiedenheit und Ruhe für die dortige Flora und Fauna sorgen sollen. Wir sind also gespannt wie Gitarrensaiten, als wir die Nord-Ecke der Insel runden, was denn nun zum Vorschein kommen werde. Und es ist – wie immer wieder – für uns völlig überraschend. Eine schöne, teils bewaldete, teils karge Insel, schöner heller Sandstrand – und Badetouristen in grossen Mengen. Wir ankern gemeinsam mit 5 anderen Segel- und 2 Motorbooten vor dem relativ kurzen Strand, dessen Badezone mit Bojen abgegrenzt ist. Und ein paar 100m weiter vorne ist eine kleine Mole mit etwa 10 Besucherbojen, die alle besetzt sind. An der Mole kommen regelmässig Ausflugsboote an und laden Touristen aus und wieder ein, und auch Wassertöffs rasen durch die Gegend. Wir revidieren unser Nationalpark-Verständnis innert Sekunden und freuen uns über die Lebendigkeit der Gegend. ? Es geht hier vielleicht einerseits schon um die Erhaltung der Artenvielfalt gewisser Spezies (es gibt hier – wie übrigens seit A Coruña in zunehmendem Masse auch schon vorher – sehr viele Vögel. Wobei sie für uns Laien wie ausgewachsene und noch nicht ganz erwachsene Möwen aussehen.), aber ich glaube, es geht vor allem auch darum, möglichst vielen Menschen die Schönheit der Natur zu zeigen und sie so zu deren Erhalt zu motivieren. Wichtigste Einschränkung (für Spanische Verhältnisse, wage ich zu behaupten) ist wahrscheinlich, dass es auf den Inseln keine Autos gibt. Ebenso darf nicht gebaut werden (wofür man aber wahrscheinlich Umgehungswege finden kann, wie wir sehen), nicht angepflanzt und kein Feuer entfacht werden. Sporttauchen und Ankern bedingen Bewilligungen. Alles andere ist auf Tourismus ausgerichtet. Die Frage, ob denn die Inseln noch schöner sein könnten als das, was wir schon gesehen haben, bleibt unentschieden, bzw. wir greifen auf einen echt schweizerischen Kompromiss zurück: vielleicht bei bewölktem Wetter nicht unbedingt schöner, aber sicher ebenfalls sehr schön.
Das Wasser ist jedenfalls so klar, dass ich seiner Verlockung nun doch nicht mehr widerstehen kann und tatsächlich einen ersten – sehr kurzen – Schwimm-Ausflug ums Boot mache. Dabei spielt sicher eine Rolle, dass mich mein lieber Skipper hereingelegt hat. Er behauptet zwar, das sei ein Versehen gewesen, aber naja… er meldete, das Bordthermometer zeige eine Wassertemperatur von 18.6 Grad, was zwar noch immer eigentlich zu kalt aber bei so schönem Wasser vielleicht doch zu verantworten wäre. Als ich zufällig – nach dem Bad – selbst die Wassertemperatur sah, zeigte sie 16.8 Grad… So schnell geht das nun beim besten Willen nicht! Erfrischend war es in jedem Fall.
Abends erleben wir unsere nächste kulturelle Lektion, die jedoch wegen diverser offener Fragen noch nicht ganz abgeschlossen ist. Da brauchen wir noch Input von Menschen aus Galizien oder sonstigen Experten. Jedenfalls tuckert beim Eindunkeln ein Fischer in seinem Boot daher und legt inmitten der inzwischen verwaisten Badezone seine Reusen und zwei Netze aus. Erste Frage: Fischen mit Netzen und Reusen im Nationalpark und Naturschutzgebiet? Bald zieht er von dannen, hinterlässt seine Netze und Bojen, und es dunkelt weiter ein (hier wird es übrigens noch immer erst gegen 22.30h/23h allmählich dunkel, bei trockenem Wetter. Dafür wird’s auch erst gegen 07:00h-07:30h hell). Und es geht nicht lange, da kommt ein nächster Fischer. Auch der legt sein Netz aus in der Badezone. Nah entlang dem Strand. Dann nimmt sein Marinero einen Stock (den Bootshaken?) und schlägt rhythmisch auf den Bootsboden damit, während der Skipper sein Boot dem Netz entlang steuert. So weit ist uns alles klar. Dann aber stellt sich die nächste Frage. Er nimmt sein Netz sogleich wieder hoch (und hat einige Fische drin, die wir auch bei diesem inzwischen schlechten Licht vom Boot aus erkennen können). Und macht sich danach an den Netzen des vorherigen Fischers zu schaffen. Nanu?? Wir kommen auf viele mögliche Interpretationen dieses Verhaltens und wüssten nur zu gerne, was der erste Fischer selbst dazu meinen würde, wenn er es wüsste. Gibt es einen Ehrenkodex, der dies verbieten würde? Oder ist das akzeptiertes Verhalten, da ja vielleicht schon das Auslegen im Nationalpark auch fragwürdig war? Oder sonst einfach akzeptiertes Verhalten – schliesslich ziehen sie alle am gleichen Strick? Die Fragen sind für uns noch ungeklärt, aber sie unterhalten uns vortrefflich. Menschliches Live-Kino in Perfektion.
Die Nacht am Anker ist dann wieder sehr schön. Der Leuchtturm von Ons zieht über der Bucht seine Kreise, die kleinen Wellen schaukeln uns sanft und wir schlafen tief und fest in der inzwischen recht verwaisten Bucht (Viele der anderen Jachten fuhren abends wieder zum Festland. Es bleibt nur ein englisches Boot und ein Belgier, der von vorne bei den Bojen zu uns geflüchtet ist – dort ist wohl noch immer viel Trubel).
Am Dienstagmorgen ist es bewölkt, aber noch immer sehr ruhig. Wir verlegen zur Mole an eine Boje möglichst nah am Land. Die Bojen sind sehr nah bei einander ausgelegt und der Abstand zum nächsten Boot manchmal sehr knapp, da kein Wind bläst, der sie alle ausrichten würde. Trotzdem – es reicht, dass wir niemandem zu nahe kommen, und so können wir das Dinghi wassern und an Land rudern, um uns dort den Touristenströmen anzuschliessen und eine der sehr gut ausgeschilderten Wanderungen zu machen. Wir spazieren zum Leuchtturm, der uns nachts so schön gegrüsst hatte, und hinten rum wieder hinunter. Am Molen-Ende ist ein richtiges kleines Touristendorf, mit Info-Häuschen und der Möglichkeit, Kanus u.ä. zu mieten, diversen Bars und Restaurants, einem kleinen Laden und natürlich Souvenir-Auslagen. Und etwas weiter oben kommt dann noch ein Campingplatz, sowie weitere Häuser und Häuschen, die teilweise sehr neu renoviert und/oder ausgebaut wirken. Der Wanderweg ist nicht etwa ein single trail sondern ein teils gepflastertes Strässchen. Eben, ein völlig anderes Verständnis von Natur- und Nationalparks.
Am Nachmittag verlegen wir die 10 SM weiter südlich zur nächsten Nationalpark-Insel; zur Illa Ciés. Diesmal sind wir ja schon vorbereitet und drum umso positiver überrascht, dass hier der Tourismus irgendwie weniger präsent wirkt. Wir ankern vor der grossen Sandbucht, wassern das auf dem Vordeck mitgeführte Dinghi wieder ein und gehen gleich auf die nächste Wanderung. (Ja, mein lieber Bänz, die km werden angerechnet! ?). Auch hier wählen wir den Weg zum Faro, der mit 2.6km (und etwas später dann mit 3.5km) Distanz angegeben ist. Wir kommen dann aber zum Schluss, dass es wohl in Luftlinie gemessen worden war und die Höhenmeter auch noch fehlen. Jedenfalls sind wir mehr als 2 Stunden lang unterwegs und geniessen die – nach 17h schon stark entvölkerte – schöne Insel mit ihren Ausblicken sehr. Bis sich die Wolken, die schon vorher am Leuchtturm hängen geblieben waren, noch etwas weiter senken, und uns in eine mystisch-neblige Welt versinken lassen, bei der wir nur ahnen können, welcher Ausblick nach Norden zu sehen gewesen wäre. Macht nichts – auch so war’s schön. Ciés hat ebenfalls einen Campingplatz, aber einen sehr professionellen, bei welchem man wahrscheinlich gleich ganze Zelte mit Feldbetten mieten kann. Auch sonst wirkt die Insel weniger hastig touristisiert. Aber vielleicht hängt das auch mit der Tageszeit zusammen – eben, nach 17h sind die Ausflugsboote allmählich am Losfahren für den Heimweg zum Festland.
Abends, nach den wohlverdienten Spaghetti (Kohlenhydrate für die geleerten Sportler-Speicher ??) studieren wir nochmals den Wetterbericht. Es kommt wirklich ein Tief daher, das wohl nebst Regen auch viel Wind mit sich bringen wird. Wir schauen dann morgen, ob wir eine Bucht weiter verlegen, die noch besser nach Süden geschützt ist, oder vielleicht doch nach Vigo oder sonstwohin flüchten wollen.
Am Mittwochmorgen, 7.8., es ist noch windstill und sehr neblig, gibt es die dritte und bisher letzte Fischer-Leben-Lektion. Zum Frühstück legt sich nämlich ein Fischer sehr nah bei uns hin, setzt die Taucherfahne (Tauchen im Naturschutzgebiet – hat der auch eine Bewilligung gebraucht dafür?) und schickt dann zwei Marineros in Kapuzen-Neoprens an Kompressor-Luftschläuchen über Bord. Die verschwinden etwa 45 Minuten lang unter Wasser und kommen dann mit grossen Netzen voll Muscheln, wie wir annehmen, wieder hoch. Bald darauf verlegt der Fischer etwas weiter nach rechts und das ganze Prozedere beginnt von neuem. Dies – wohlgemerkt natürlich – wieder in der Badezone. Bald schon ist die ganze Bucht voll mit diesen Muscheltauchern, so dass wir uns mit unserer Ankerbewilligung etwas deplaziert vorkommen.
Die Badezone wird am Mittwoch nicht stark bevölkert werden. Im Verlauf des Morgens nimmt Nebel, Regen und dann auch Wind stetig zu, bis sich die Muscheltaucher verziehen, und irgendwann plädiere ich fürs Verlegen in einen Hafen. Bänz hat sich inzwischen noch über die Ria von Pontevedra schlau gemacht, an der wir am Montag vorbeigefahren waren. Und so nehmen wir in einer Regenpause bei inzwischen 20-25kn Wind und nur mit der Genua Kurs auf Combarro, das ganz im Norden von Pontevedra liegt. Wieder stellen wir fest, dass die Verhältnisse hier sehr kleinräumig ändern: kaum sind wir ums südliche Kap der Ria (Cabezo de la Mourisca; so schöne Namen!), quengelt es vom Steuer, dass kein Wind mehr sei und man mehr Segel benötige. Und bald danach, zum Glück nur kurz vor dem Inselchen I. Tomba vor Combarra, ist dann wieder fertig Wind. Wir motoren zur Marina, die schon ziemlich voll wirkt. Andere haben anscheinend ebenfalls den Wetterbericht studiert.
Wir werden von zwei Marina-Mitarbeitenden empfangen, die sorgenvolle Mienen machen, weil kein Platz für uns sei. Dann bieten sie uns den Platz am Fuel Pontoon an. Der ist zwar ausserhalb des Hafens, aber auch so für uns wunderbar. Sie helfen sehr professionell beim Festmachen und sind auch sonst unglaublich hilfsbereit und freundlich. Auch die Marina macht einen sehr guten Eindruck auf uns. Sie ist modern, sauber, gepflegt und in den Duschen gibt es sogar verschiedene Brausen; Luxus pur. Combarro ist bekannt als das Dorf der schwebenden Hórreos. Das sind Kornspeicher, die wie Walliser Speicher auf Stelzen stehen. (Ich hatte sie zuerst für Familiengräber gehalten, aber nicht weitersagen…) In Combarro wurden sie auch für Fisch verwendet und stehen deshalb direkt am Wasser, so dass es wohl vom Wasser her aussieht, wie wenn sie schweben würden. Das alte Fischerdorf wurde sorgfältig restauriert und für den Tourismus aufbereitet und ist offensichtlich ein beliebter Anziehungspunkt für Touris. Wir reihen uns in die Völkerwanderung ein und werden prompt gemeinsam mit vielen Spaniern wohl aus allen Ecken des Landes in den engen Gassen verregnet. Unsere Flucht bringt uns zu einem Restaurant auf dem Platz vor , das anscheinend auch von Einheimischen genutzt wird, und wir geniessen dort einerseits die Beobachtung des Dorflebens und andererseits sehr feine Pulpos und Zamburiñas (Jakobsmuscheln).
In der Nacht kommt der Wind dann auch bis hinten zu uns in die Bucht und wir freuen uns, dass wir so bequem an unserem Privatsteg liegen können (zudem hat sich eines der Ausflugsschiffe in die Tankstelle neben uns gezwängt und bietet noch zusätzlichen Spezial-Windschutz).
Heute Donnerstag, 8.8., fängt der Tag schon mit Regen an. Ich mache daraus einen Bürotag und arbeite konzentriert bis am Nachmittag, während Bänz sich um die Wäsche kümmert und dann ebenfalls am Laptop sitzt. Später spazieren wir nochmals durchs verwinkelte Dorf, kaufen ein und schaffen es gerade noch an Bord, bevor das Tief dann wirklich kommt. Es pfeift und heult mit teils mehr als 30kn auch bei uns hinter dem Marina-Gebäude. Dazu regnet es manchmal in ganzen Regen-Wänden. Wir nehmen unser Regenblacheli ab, um weniger Angriffsfläche zu bieten, und auch um die Blache zu schützen. Und verstärken unsere Leinen, bis Sea magiX aussieht, wie wenn sie in einem Spinnennetz hängen würde. Aber so können wir getrost das Wetter draussen vorüberbrausen lassen und uns drinnen auf Blogschreiben, Kochen (der Skipper kocht Paddy’s Wirz-Kartoffel-Eintopf) und andere gemütliche Tätigkeiten konzentrieren. Zum Beispiel auf die Frage, ob der einzige Wein, den wir im Karton und auch in Flaschen gefunden haben, trinkbar genug ist, dass wir einen ganzen 5l-Karton davon kaufen sollen. Anscheinend ist Château Carton in Spanien (noch) nicht so beliebt wie in Frankreich. Dort gibt es inzwischen in den Supermärkten eigene Carton-Abteilungen beim Wein! Wir finden dies aber eine sehr praktische Version für an Bord und haben auch schon einige gute Weine in Kartons gefunden. Der Test wird heute vorgenommen und morgen ausgewertet.