Warten auf die Rückkehr des Passats

Der sonst hier so verlässliche Wind hat sich in der Nacht auf Freitag, als wir unterwegs hierher nach St. Martin waren, anscheinend für etwas länger verabschiedet. Heute Montag-Morgen (27.1.) haben wir einen detaillierteren und einen längerfristigen Wetterbericht heruntergeladen und stellen fest, dass wohl frühestens am Donnerstag, 30.1. vielleicht ein Lüftchen blasen würde, das für etwas weiter als 2-3 Meilen reicht. Wir zielen ja als nächstes in Richtung der US Virgin Islands und die sind etwa 100SM von hier entfernt. Das möchten wir nicht motoren müssen. Unterwegs sind dem aus dem Tritt geratenen Wetter ja schon die Besuche von St. Kitts und Nevis zum Opfer gefallen. Die British Virgin Islands haben wir nicht unbedingt im Programm vorgesehen. Einerseits weil wir diese schon ein wenig kennen, und andererseits auch, weil wir wissen, wie teuer es dort alles ist – insbesondere das komplizierte Ein- und Ausklarieren für nur wenige Tage. Zudem würde es den Abschnitt nicht sehr stark kürzen – vielleicht auf 80 statt 100 SM.

Die Wartezeit hier auf St. Martin gibt uns aber auch die Möglichkeit, unsere noch immer vorhandenen und in den USA bzw. USVI nicht erwünschten Lebensmittel zu verarbeiten: noch immer befinden sich 2 Chorizos und 2 Salamis, sowie ein Päckchen Speckwürfelchen an Bord, die irgendwie alle bis wir dort sind weg müssen. Dass wir so lange nach unserem Einkauf auf Teneriffa ein solches Luxusproblem haben würden, hätten wir uns beide wohl nicht vorstellen können.

Gestern haben wir – ebenfalls im Rahmen der «diese Vorräte müssen mal endlich etwas angegangen werden»-Aktion – erstmals auch eine Gemüsebüchse geöffnet. Natürlich gleich die Allergrösste, die wir damals gekauft hatten. Somit gab es gestern zum Mittag- und Abendessen Reis mit Speckwürfelchen und Erbsen/Rüebli/Bohnen und heute wird’s wohl Kartoffeln mit Chorizo und/oder Speckwürfelchen und Erbsen/Rüebli/Bohnen geben. Vielleicht ist die Büchse dann bezwungen. Und wenn nicht, dann wissen wir eben jetzt schon, was morgen auf dem Menüplan steht… ?. Nur schade, dass wir hier in Grand Case eigentlich im kulinarischen Zentrum von St. Martin liegen. Wobei unser Erkundungsspaziergang gestern das Bild von Marigot bestätigt und ergänzt hat.

Hier liegen genau wie in Marigot die Ruinen und halbzerstörten Gebäude dicht neben solchen, die teils behelfsmässig und teils professionell wiederaufgebaut werden. Die in unserer Erinnerung so sympathischen Bars und kleinen Restaurants direkt am Wasser existieren in dieser Form nicht mehr. Die Bar, welche direkt am Dinghysteg liegt, wurde eigentlich nicht renoviert, aber der Betrieb geht quasi zwischen den Ruinen weiter. Für einen Ti Punch und ein Bier mal an einem Abend (ohne Regen, da kein Dach mehr) geht das ja ok, aber die grosse Kundschaft zieht man in dieser Umgebung wohl kaum an, so.

Und jene Betriebe, die «richtig» wiederaufgebaut haben, wurden gleich sehr schick (und teuer). Grand Case ist wohl daran, seinen Stil recht grundlegend zu verändern. Es ist wahrscheinlich auch die einzige Chance, denn es war deutlich zu sehen, dass die einfachen, teils behelfsmässig wiederaufgebauten Beizen weniger Kundschaft hatten, als die paar Schicken, die in Betrieb sind. Für uns schön zu sehen war aber gleichzeitig, dass der so sympathische Kreolengrill wieder seine Rauchwolken in den Himmel schickt. Auch wenn nicht so viele Kunden dort sassen, wie wir in der Vergangenheit erlebt hatten.

Der grosse Betonsteg, der schon vor Irma ziemlich lädiert war, hätte eigentlich im letzten Quartal 2019 abgerissen und neu gebaut werden sollen. Die stolze Tafel hängt – und der Steg steht noch immer. Auch die Kirche hat noch kein neues Dach. Und ob ihre Glocke vorher schon fehlte, oder ob sie ebenfalls ein Sturmopfer wurde, haben wir nicht herausgefunden. Es wurde mir erst gestern bewusst, dass St. Martin eine Provinz von Guadeloupe ist. Ob dies in einem so zentralistisch organisierten Staat wie Frankreich möglicherweise einer der Gründe sein könnte, warum die nötigen Mittel nur mit grosser Verzögerung und vielleicht auch nicht vollständig dort ankommen, wo sie am meisten gebraucht werden? Wir können uns nur die Fragen stellen – Antworten dazu haben wir noch keine bekommen.

Angesichts der Schwierigkeiten, mit welchen die Menschen hier zu kämpfen haben, wurde uns einmal mehr sehr bewusst, wie glücklich wir beide uns schätzen dürfen, an einem anderen Ort, in andere Verhältnisse geboren worden zu sein. Und ebenfalls, wie schön es ist, dass wir diese Traumreise gemeinsam erleben. So viele Eindrücke, Erlebnisse und Erinnerungen, die uns niemand nehmen kann – das ist einfach unbezahlbar. Ebenso das Gefühl, in aller Ruhe halt ein paar Tage länger auf SXM zu bleiben bis der Wind kommt, im Cockpit unter dem Bimini zu sitzen und die Regenschauer durchziehen zu lassen, mal wieder ein wenig in den Mails aufzuräumen, oder ein gutes Buch zu lesen, oder ein paar Sätze Blog zu schreiben, oder… – das ist der Luxus des Langfahrtsegelns.

Noch ist etwas unklar, ob wir nochmals eine Nacht hier in Grand Case bleiben, oder vielleicht zur kleinen Insel Tintamare tingeln, oder wieder nach Marigot fahren, um von dort einen Bus nach Philippsburg zu besteigen. Hier in Grand Case liegen wir sehr gut. Die Anflugschneise für den (zweiten) Flughafen geht zwar direkt über die Bucht (und ist auch mit zwei gelben Bojen gekennzeichnet, so dass man vielleicht nicht unbedingt den Mast genau dort in die Höhe recken sollte), aber der Flugplan hier ist sehr überschaubar: täglich landet ein kleiner Jet von Air Caraibe und dazwischen ein paar kleine Inselhüpfer. Da ist die aufdringlich laute Musik der einen Schickimicki-Bar störender für uns. Und das Wasser ist halt schon sehr viel ansprechender hier als in der Bucht von Marigot, wo sich sehr viel mehr Yachten tummeln und auch noch das stinkige Wasser der Lagune in die Bucht gelangen kann. Mal sehen, was weiter geht. Wir haben ja Zeit… Luxus pur!


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