Anspruchsvolle Meilen auf dem Weg nach Santa Cruz de Tenerife

Von San Sebastián de La Gomera nach Santa Cruz de Tenerife sind es auf direktem Weg etwa 65 Seemeilen. Ein Klacks für sea magiX, normalerweise, in etwa 10-12 Stunden, einem Tagesschlag zu segeln. Normalerweise. Wir rechnen mit ca. 3 Tagen…

Warum? Nein, nicht weil wir die Freude am Trötschgele entdeckt haben, sondern wegen des hier so typischen Venturi- oder Düseneffekts. Genau wie Wasser wird auch Luft, bzw. Wind, beim Fliessen durch eine Verengung beschleunigt. Wenn also der übliche Nordost-Passat mit seinen normalen 4-5 Bft auf die Kanaren trifft, dann wird er z.B. zwischen Gran Canaria und Tenerife kanalisiert und gewinnt nochmals ca. 2-3 Windstärken hinzu. Dazu kommt die normale Thermik an einer sich im Tagesverlauf stark aufheizenden Küste mit 3000m Höhenunterschied auf kleinem Raum, und schon hat man ab ca. 10h morgens weiss schäumende See, wo vorher noch liebliches dunkelblau vorherrschte.  

Quelle: https://www.esys.org/rev_info/Spanien/Kanaren.html

Hinzu kommt dann noch die Beschaffenheit von Tenerife’s Ostküste, die kaum Buchten mit Schutz gegen Nordost bietet und die Tatsache, dass die Marinas an dieser Küste notorisch keinen Platz für Besucherboote haben. Und so schleichen sich die Segler, die wie wir nun mal wirklich nach Santa Cruz gelangen wollen, jeweils in den dunklen, frühen Morgenstunden in kleinen Schrittchen der Küste entlang nordwärts.

Wir tanzen deshalb jetzt gerade am Anker am hässlichsten und gleichzeitig besten Ankerplatz an Teneriffas Ostküste, ca. 8SM nördlich von San Miguel, wo wir die kurze Nacht auf heute verbrachten. Morgen sind es dann noch etwa 25 SM bis Santa Cruz und zwischen hier und dort gibt es keinen Schutz, bzw. nur volle Marinas. Das heisst: Start heute Nacht etwa um 04h, um in den ca. 5-6 Stunden, bevor der Wind wieder so richtig loslegt, bis vors Loch zu kommen. Watch this space – wir berichten ganz sicher, ob und wie das klappt!

Windvorhersage für heute Mittag. Gegenan motoren mit unserem Boot ist fast nur im dunkelblauen/violetten Bereich machbar.

Unser Ankerplatz derzeit liegt hinten in der Ecke (also ausserhalb) der riesigen Mole eines nicht oder kaum genutzten Industriehafens, den es gemäss Skipper schon vor 5 Jahren in der gleichen wenig belebten Form gab (und der sea magiX auch damals schon schützte). Im oder am Hafen gibt es eine riesige Sand- und Schutthalde, wo in regelmässigen Abständen Lastwagen ihren Kipper ausleeren, begleitet von einer ansehnlichen Staubwolke. Hinter dem Kies-Strand wird gebaut, bzw. eben Schutt abgetragen. Dies am Fuss von drei Windmühlenparks, die seit ca. 9:30h fleissig drehen und Strom produzieren. Dahinter liegt die Landebahn des Flughafens und dazwischen ist die Autobahn. Aber: während die Wellen sich aussen an der (glücklicherweise) überdimensionierten Mole schon so richtig schäumend auftürmen, liegen wir hier ruhig und sicher mit gut eingegrabenem Anker im Sandboden (mit kleiner Ankerboje, nach der Erfahrung von den Ilhas Selvagens und nachdem wir einen verwaisten Molenquader im klaren Wasser gesehen hatten).

Die Nacht auf heute war kurz und unerwartet eindrücklich und hinterliess gemischte Eindrücke von San Miguel bei uns. Aber der Reihe nach: die Überfahrt von La Gomera bis zur Südspitze von Tenerife wurde sehr ruhig. Wie erwartet ging uns der Wind schon nach den ersten 6 SM aus und der Motor bekam seinen Einsatz. Unterwegs begegneten wir diversen Delfinschulen und einmal auch einer Gruppe von grösseren Tieren. Ob das Grindwale waren können wir aber nicht einschätzen. Zu kurz war die Sichtung, trotz Nähe, und zu wenig reaktionsschnell die Crew mit der Kamera.

Die letzten 10 SM bis San Miguel gaben uns dann einen Vorgeschmack für die nächsten 35: obwohl wir noch nicht im Düseneffekt-Gebiet unterwegs waren, sondern nur dem normalen Passatwind entgegen motorten, war es anstrengend, sehr laut, holprig und langsam. Auch bei «nur» ca. 15kn Wind gegenan schafften wir kaum mehr als 3-4kn Fahrt über Grund. Da wird auch die malerischste Vulkaninseln-Küste irgendwann einfach nur noch langweilig…

Von der Marina San Miguel hatten wir auf unsere Reservationsanfrage keine Antwort erhalten. Das erstaunte uns nicht besonders, da wir in den Bewertungen schon viele Kommentare über das Desinteresse der Marinabetreibenden an besuchenden Jachten gelesen hatten. Aber um einen ersten einigermassen ruhigen Zwischenhalt an der Ostküste der Insel einlegen zu können, liegt San Miguel eben schon am richtigen Ort. So klemmte ich mich ans Telefon und freute mich sehr, als «Marinero Dana» tatsächlich antwortete und sich äusserst hilfsbereit zeigte. Ich musste ihn zwar alle zwei Sätze bitten, nochmals das Ganze «muy despacio» zu sagen, was er dann jeweils auch 5 Worte lang machte. Er bemühte sich wirklich sehr, erklärte, dass die «Chica» vom Büro gerade bis Montag nicht da sei, aber er gehe mal die freien Plätze suchen und wir sollten uns kurz vor unserer Ankunft wieder melden, und bat uns dann zur «Gasolinera» zu kommen und dann würden wir auf dem Plan gemeinsam einen guten Platz aussuchen. Der erste freie Platz, den er uns dann gab, war bei 5 Bft Seitenwind und keiner Bootslänge Aushol-Radius nicht machbar. Dass wir dort ohne Schäden nach dem ersten missglückten Anlegeversuch wieder herauskamen, schreibt der Skipper dem Zufall zu, seine Crew sieht den Grund dabei eher beim beherzten Manöver des Skippers gepaart mit etwas Glück.

Am Telefon, nachdem wir beide unsere Nerven etwas beruhigt hatten, gab uns Dana die nächste Nummer an. Dieser Steg lag weiter draussen und war bequem festzumachen. Wir hatten jedoch die Leinen noch nicht alle fixiert, als ein Mitarbeiter der ebenfalls dort liegenden Charterfirma kam und meinte, die Jacht, die hier normalerweise liege, käme wohl bald wieder zurück. Ich bat ihn, dies gleich selbst mit Dana zu klären, woraufhin Dana und der Skipper einen nächsten Platz am Hafeneingang besichtigen gingen. Der wäre tatsächlich einfacher fürs Manöver, aber leider viel zu wenig tief gewesen… und so kamen wir nach ca. 2 Stunden wieder zurück zur Gasolinera, bzw. zum Empfangssteg, den er uns am Anfang nicht hatte geben wollen. So viel Hilfsbereitschaft und Aufwand hatten wir absolut nicht erwartet und waren zutiefst beeindruckt. Zumindest wenn man sich die Mühe gibt, seine 5 Spanischwörter zusammenzusuchen, und das Glück hat, an einen Marinero wie Dana zu geraten, dann gibt es aus unserer Sicht nicht den geringsten Grund, die Marina San Miguel schlecht zu bewerten. Auch die sanitären Anlagen waren ok und sauber und wir lagen – eigentlich – ganz ruhig und gut geschützt im Hafen. Nur wie man in die Box da hinten gelangen soll (und wieder hinaus), wenn man weder Bugstrahlruder noch ein Bugsierboot zu Hilfe nehmen kann, ist uns völlig schleierhaft. Aber um ehrlich zu sein: die Boote, die dort drinnen lagen, sahen alle nicht aus, wie wenn sie häufig bewegt würden…

Wie gesagt lagen wir «eigentlich» ruhig am Empfangssteg, bis jemand in der Nacht vom Dach des Marina Restaurants eine rote Notsignalrakete zündete. Wir waren gerade wieder mit gebrummelten Kommentaren über die Dummheit solcher «Geburtstagsaktionen» in die Koje gekrochen, als uns der Lärm eines Bootsmotors und lautes Geschrei wieder aufschreckte. Wir brauchten ein paar Momente, um zu verstehen, was sich hier gerade im Dunkeln abspielte: ein völlig überfülltes afrikanisches Fischerboot mit 30 oder mehr Menschen an Bord legte gerade an der Gasolinera an. Und so bekamen wir einmal mehr vor Augen geführt, mit welchem Lottosechser wir nur schon durch unsere Geburt zur richtigen Zeit am richtigen Ort bedacht worden waren. Die geballte Energie des Dramas, das sich hier gerade abspielte, war auch in 50m Entfernung spürbar. Die Freude und Erleichterung der Ankommenden, dazwischen das Rufen der Leute von den Blaulichtorganisationen, die sehr schnell da waren, mit «Agua, agua?» und Anweisungen, wohin die Männer (ich konnte keine Frau erkennen, aber es war dunkel und wir blieben an Bord von sea magiX auf Distanz) sich setzen sollten, etc. Nach ca. 2 Stunden war der Spuk quasi vorbei und die Menschen waren irgendwohin weg transportiert worden. Am Morgen lagen dann noch die Habseligkeiten der Asylbewerber auf einem grossen Haufen vor dem Marina Office, bzw. der Marina Bar und auf dem Steg vor dem verwaisten Flüchtlingsboot. Wer sich nun um diese Aufräumarbeiten kümmern wird, ist nicht so klar.

Nachdenklich, und wie erwähnt einmal mehr dankbar für das Privileg unserer Geburt legten wir heute Morgen dann in aller Frühe Leinen los und motorten bis zu dieser hässlichsten, aber besten Ankerbucht, in der ich jetzt im Cockpit sitze und schreibe. Der Wind pfeift durchs Rigg, sea magiX tanzt an ihrer langen Ankerkette und draussen schäumt die See. Wir sind gespannt, ob unsere Rechnung morgen aufgeht.