Offensichtlich sind wir keine gentlemen. Oder jedenfalls seit gefühlt einer Woche nicht mehr. Viel Wind und Wellen auf die Nase und Temperaturen, die den Kühlschrank warm scheinen lassen. Das sind momentan am Mittwoch, 6. Juli die vorherrschenden Eindrücke an Bord von sea magiX. Wir liegen auf Loch Ness vor Anker im Windschutz einer kleinen Ausbuchtung und warten auf ein Nachlassen des Regens und des Windes. In den Wanten pfeift es in allen Tönen und sea magiX tanzt am Anker und präsentiert uns ein Panorama von grünem, wolkenverhangenem Wald in schwindelerregendem Tempo. Von links nach rechts… und rechts… nach links… und zurück. Hundert Meter weiter vorne an der Spitze der Bucht rauscht das Wasser. Ein paar unerschrockene Kajaker (in Überlebensanzügen) haben sich gerade dort ins Wasser gewagt – noch ist unklar, in welche Richtung sie rudern wollen, bzw. wohin sie geblasen werden.
An Bord ist es ruhig: Sandra hat sich in ihr dickes Buch vertieft (da besteht noch kein Grund zur Sorge – sie hat noch etwa 60% zu lesen) und Bänz wurde gerade mitgeteilt, dass er gerne das Boot wieder in eine Baustelle verwandeln darf, solange eine Durchgangsmöglichkeit im Salon zum WC weiter gegeben ist, damit wir nicht durch die Luke ins Vorschiff steigen müssen. Die Umsetzung eines nächsten Pendenzenpunktes wurde dadurch möglicherweise etwas gebremst und er sitzt jetzt im Vorschiff und studiert den Wetterbericht – gibt’s denn nirgends bessere News wenn ich lang genug suche?
Nessie hat sich noch nicht blicken lassen – auch für sie ist es wohl derzeit zu kalt und ungemütlich an der Oberfläche, auch wenn die tief hängenden Nebelschwaden an den Ufern die fast richtige Stimmung für eine Nessie-Sichtung schaffen. Sie hat sich wohl in irgend eine gemütliche Unterwasserhöhle verkrochen.
Die Wartepause kommt mir sehr gelegen – endlich ist Zeit, um hier zu schreiben und ganz viel aufzuholen. Ich weiss, es klingt wie eine sehr faule Ausrede, aber es ist diesmal tatsächlich viel schwieriger, die Gelegenheiten dafür zu finden. Sailing upwind eignet sich nicht für PC-Arbeit.
Mit sailing upwind verbinden wir üblicherweise dynamische Bilder von Action, spritzendem blauem Wasser, tausend silberne Sonnenspiegelungen und braungebrannte Jungs und Mädels in Shorts und T-shirts mit wehendem Haar. Das sind Bilder aus der Karibik. Hier in Schottland ist das same same, but different: die Action besteht darin, sich im plötzlich fast senkrecht gewordenen Cockpit auf die obere Seite hin zu hangeln bei gleichzeitig fest zu gepressten Augen, damit das 11 Grad kalte Wasser die Kontaktlinsen nicht wegspült. Die Sonnenspiegelungen sind hier in tausend Grau- und Grüntöne verwandelt und die etwas älteren Crews sind in 3-4 Schichten Merinowolle, 2 Faserpelze und das schwere Oelzeug mit Rettungsweste gepackt. Bräune ist nicht erkennbar, da Haut möglichst nicht sichtbar sein will. Haare wehen nur, wenn es einem gerade die Mütze oder die Kapuze vom Kopf geblasen hat, und dann auch nur kurz bis sie durchnässt sind.
Ok ok, das klingt jetzt nach totalem Lamento. Es gibt auch Vorteile: Zum Beispiel: unsere Essvorräte im Kühlschrank halten sich ganz lang, auch ohne Kühlung. Oder: wir dürfen mit gutem Gewissen lauter ungesunde Sachen essen (und trinken), denn wir brauchen sicher viel Energie, um warm zu bleiben und uns im Schiff zu bewegen. Die Schoggi schmilzt nicht – oder höchstens wegen Punkt 2.
Hmmmm, hat noch jemand eine Idee für die weiteren Vorteile? Ich denke, der wichtigste Punkt ist jener, dass wir dadurch vielleicht gezwungen werden, vom üblichen Törn-Tempo wieder in den Langfahrermodus zu finden, und eben abzuwarten oder unsere Pläne anzupassen, wenn es gerade zu ungemütlich ist. Das üben wir ja jetzt gerade und haben wir auch vor einigen Tagen gemacht, als der Entscheid fiel, hier her zu kommen. Es war ein weiser Entscheid; die Wetterkarten vom MetOffice für die nördliche Hälfte Grossbritanniens sind alle rot: strong wind warnings rundum.
Ich nutze jetzt also die Zeit, um unsere vergangenen Segeltage Revue passieren zu lassen. Die folgenden Berichte fallen deshalb etwas aus der Reihenfolge – sorry folks!