(Sa., 3.6.) Wünschen kann man/frau ja… Auch wenn das angesichts des gerade von Paddy empfangenen Wetterberichts wohl eher utopisch ist… Ein unfreundliches Tief sitzt weiterhin auch im neusten Bericht (den wir gerade in mehrere SMS zerlegt von ihm über das Satellitentelefon bekommen haben) zwischen uns und den Azoren und wird uns mit grosser Wahrscheinlichkeit eine ziemlich anstrengende zweite Hälfte der Fahrt bescheren. Aber geniessen wir mal den ersten Teil, der für heute Samstag bis übermorgen Montag weiterhin angenehme Verhältnisse verspricht.
Bisher haben wir jedenfalls nichts zu klagen, ausser, dass wir gerade am Motoren sind weil der Wind nun doch ein Bft zu schwach und zu platt von hinten ist. Aber deshalb haben wir ja auch viel Diesel gebunkert. Das Nachfüllen mit der Schüttelpumpe klappt ohne einen einzigen Tropfen zu verschütten. Diesen Schlauch, den man einfach schüttelt, und so den Diesel ansaugt, bis er nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren vom höchsten Punkt in den Tank fliesst, finde ich unglaublich faszinierend.
Wir sind frisch geduscht und fühlen uns frisch und fast munter. Auch in dieser Nacht waren die Schlafphasen für uns beide noch zu kurz, aber ich hatte von 9-12h Freiwache und konnte da noch einiges nachholen. Und eben – das Bad hat auch geholfen. Da gerade nur ca. 3kn (nicht Bft!) Wind briselten, rollten wir die Genua ein, lösten die Schot des Grosssegels, so dass es frei schwingen konnte, und steuerten sea magiX mit der Nase in den Wind, so dass sie mehr oder weniger zum Stillstand kam. Ein wenig Überredung durch Bänz brauchte es schon, aber dann gings mit einer Leine fest ums Handgelenk und immer einer Hand an der Badeleiter ins unendliche Blau – 4000m tief und x-hundert SM weit rundum nichts als Wasser. Als ich schon drin war, fiel mir noch ein, nach portugiesischen Galeeren zu fragen, aber der Skipper hatte vorher einen Rundumblick geworfen und nichts gesehen. Die poetischen Gedanken wurden aber trotzdem sehr schnell unterbrochen: das wunderbar blaue Wasser ist trotz Golfstrom hier draussen schon sehr erfrischend! Trotzdem – zweimal mit Meerwasserduschmittel einseifen, im Salzwasser abwaschen und dann mit dem Süsswasser vom Duschsack abspülen und man fühlt sich wie neu.
Wir sind schon den dritten Tag unterwegs, haben schon die zweite Nacht hinter uns und sind schon viele Meilen weit gekommen. Das erste Etmal (in den 24 Stunden vom Do. 15h bis Fr. 15h) lag bei 150 SM, grossteils gesegelt. Das zweite kommt erst – es ist erst 14h – und wird kleiner sein, weil der Wind nachgelassen hatte. Aber auch gestern kamen wir besser voran als erhofft, weil sea magiX auch bei leichtem Wind, der leicht von vorne oder von der Seite kommt, ganz wunderbar segelt. Nur wenn er von hinten kommt, brauchts ein wenig mehr für sie. Gestern und in der Nacht fühlte es sich teils an, wie wenn sie auf Schienen laufen würde. Ruhiges Wasser, leichte Brise von der Seite, Vollmond mit kleinen Wolken und die unendliche Weite rundum – ein Leckerbissen, wenn man nicht gerade mit tonnenschweren Augenlidern kämpft.
Da bei dieser Wind-Segelkonstellation jedes Grad Abweichung vom Kurs ausmacht, ob man noch fährt, oder nicht, ist dies für Leonie unsere Windsteueranlage zu anspruchsvoll. Und auch Erich (unser elektrischer Autopilot) kann nicht so direkt auf die Windänderungen reagieren. Deshalb haben wir in dieser zweiten Nacht fast alles von Hand gesteuert. Aber seit gestern fühlt sich das weniger gefangen an: Auf vielseitigen Wunsch von der Crew hat Bänz gestern das Problem vom Fixieren der Kompasslupe Steerpilot gelöst. Bisher war das nämlich das grosse Problem bei kurzen Einsätzen von Erich.
Zur Erklärung: beim Segeln nach Kompass richten wir uns nach einer Anzeige, die mit einem Uhrzeiger darstellt, ob man auf Kurs ist, oder nach welcher Seite die Abweichung gerade herrscht. Diese Anzeige ist beim Niedergang montiert (d.h. dort, wo man ins Boot hinunter geht). Der elektrische Autopilot nutzt den gleichen Kompass und somit muss die Anzeige nach der Übernahme fürs manuelle Steuern wieder neu gestellt werden. Nur – wie mach ich das, wenn ich ja gerade das Rad übernommen habe und nun beim Niedergang einstellen sollte? Da reichen meine Arme auch mit vielen Dehnungsübungen nicht hin.
Deshalb war es bei Nachtwachen bisher immer sehr genau zu bedenken, ob man das Steuer Erich kurz übergeben wollte, z.B. um ein Stück Schoggi zur Aufmunterung zu holen. Denn man brauchte eigentlich die andere Person, die gerade ihre wertvollen Schlafminuten genoss, um die Anzeige neu zu stellen. Eigentlich ein praktisches Diäthilfsmittel und sicher gut für die Linie, aber nicht immer so gut für die Stimmung.
Und jetzt – trara…! – der Skipper hat die Doppelwache von gestern genutzt und mit Hilfe der wie immer gut ausgerüsteten Bordwerkstatt ein zweites Steerpilot-Gerät direkt am Steuerstand montiert. Seither kann direkt am Steuer eingestellt werden und kein Guetzli oder Schoggistück ist mehr in den dunkelsten Nachtstunden sicher… So guet! (… fürs Wohlbefinden – nicht für die Linie.)
Ein anderes Thema sind die Schiffsbegegnungen. Wir sind gemäss Plotter ca. 250 SM vom Festland und ca. 510 SM von den Azoren entfernt. Da ist nichts – wirklich nichts um uns herum. Die Schiffsrouten führen ebenfalls eigentlich nicht hier entlang. Und der stündliche, bzw. nachts zweistündliche Blick aufs AIS zeigt ebenfalls im Umkreis von 50 SM fast nie andere Schiffe. Und doch – gestern mussten wir – inmitten dieses grossen Nichts – ein Ausweichmanöver mit dem Tanker Marley fahren. Am Funk abgesprochen wich er ein paar Grade nach Steuerbord aus und wir änderten ebenfalls den Kurs, um auf sein Heck zielen zu können. Hätten wir dies nicht gemacht, wäre es womöglich sehr knapp geworden. Das finde ich äusserst beeindruckend: trotz aller Weite darf der regelmässige Rundumblick nicht vernachlässigt werden. Und da die Tanker und Containerschiffe teils mit 15kn und mehr unterwegs sind, kann es auch bei so guter Sicht wie jetzt doch recht schnell gehen, bis er da ist, weil wir sie wegen der Erdkrümmung von Auge erst sehen können, wenn sie nur noch ca. 5-10 SM entfernt sind. Seit wir mit AIS unterwegs sind, ist das sehr viel einfacher und sicherer geworden, da wir sie auf dem Bildschirm viel früher sehen können. Aber eben – ohne Rundumblick halt auf den Bildschirm nützt auch das beste Hilfsmittel nichts.
Und so tuckern wir (leider noch immer unter Motor, der jetzt eine undichte Stelle an der Kühlwasserpumpe entwickelt hat, und stetig in den Motorraum tropft – gemäss Skipper eine unterwegs nicht sinnvoll machbare Reparatur) weiter durchs unendliche Blau: oben blau, unten blau, dazwischen weisse Fotowolken – ich geniesse es, solange es geht.