(21.6.) «Da hinten kommt eine schwarze Wolke mit Regen!» – «Da drüben ist ein Stück blauer Himmel!» – «Hier um die Ecke nieselts.» – «Habt Ihr vorhin, bevor der Nebel gekommen ist, die schöne Aussicht gesehen?» So und ähnlich hat es 5 Tage lang auf Sao Miguel geklungen. Wir verstehen jetzt, was gemeint ist, wenn man von der Wetterküche Europas spricht. Wir konnten täglich – ja, eher stündlich – das Zusammenbrauen des aktuellen Wetters erleben. Eine faszinierende, wenn auch sehr oft feuchte Welt, die dem Azoren-Neuling viel Flexibilität abverlangt. Die Neulinge wie wir sind daran erkennbar, dass sie anfangs noch ihr ganzes Regenkleidersortiment anziehen, wenn es zu nieseln, tröpfeln oder auch regnen beginnt. Die etwas Erfahreneren, zu denen wir uns inzwischen zählen dürfen, nehmen die Jacke nur noch aus dem Rucksack, wenn es wirklich regnet und kein Baum oder Unterstand für die nächsten 10 Minuten zur Verfügung steht. Und die echten Azoraner erkennt man daran, dass sie bei jedem Wetter in Shorts und Sweatshirt umherlaufen: lange Hosenbeine brauchen zu lang zum Trocknen und für sie ist es momentan noch kühl genug für lange Ärmel, die ja dann am Körper sowieso am besten trocknen.
Nebst viel direkt erlebbarem Wetter (wir sind einig mit dem Autor unseres Wanderführers, Roman Martin: man erlebt nicht alle Jahreszeiten in einem Tag, denn Schnee oder Kälte vom Winter sind wir bisher noch nicht begegnet. Die anderen drei haben sich jedoch in schneller Folge abgewechselt und so für viele spannende Momente gesorgt. Nichts Schöneres als nach dem Regenschauer das Glitzern der Tropfen auf den üppigen Hortensienhecken im Sonnenlicht!) konnten wir auf Sao Miguel auch viele unterschiedliche Welten erleben.
Unsere Tage auf der Hauptinsel der Azoren waren äusserst abwechslungsreich. Die Hauptstadt Ponta Delgada mit ihrer Altstadt und dem Botanischen Garten rund um die Präsidentenresidenz «erspazierten» wir in einem halben Tag und brauchten dann mal wieder mehrere Anläufe und einen Besuch in der Tourist Info, um den Busfahrplan zu verstehen.
Als wir danach den Fahrer auch noch überzeugt hatten, dass wir nicht die kürzeste und deshalb günstigste Route nach Varzea fahren wollten, sondern eben über die Nordseite der Insel «the long way home» bevorzugten, kamen wir zu unserer ersten Inselrundfahrt im Nordwesten. Der kurze Halt in Varzea, in dem wir auf unseren zweiten Bus für die Rückfahrt warteten, offenbarte ein wohl typisches kleines Dorf auf dieser Insel, mit der Café-Bar mit Plastikstühlen und den Pick-ups (mit Holzladefläche) der Landwirte davor, einem kleinen Tante-Emma-Laden, der typischen schwarzweissen Kirche, den kleinen Häusern mit Vorgarten für die Hühner oder wahlweise auch den Hund oder die Katze/n (und an einem Ort gleich auch ein Kalb) und – wenn gerade keine Wolke durchzieht – immer wieder wunderschöne Aussichten auf in allen Grüntönen schimmernde Landschaften und das blau-grün-graue Meer. Und: überall die blauen, meterhohen, wunderschönen Hortensienhecken. Gefühlt jedes Strässchen und jeder Feldweg ist gesäumt von diesen üppigen, oft mehr als mannshohen Blumenhecken, die wohl nur durch Fadenmäher einigermassen im Zaum gehalten werden können.
Tag 2 war schon im Wetterbericht als Regentag deklariert. Nachdem wir am Flughafen unser Mietauto von Sixt (einen modernen Clio à ca. €65/Tag für 3 Tage) in der gemäss Skipper «freundlichsten und unkompliziertesten Übergabe je» geholt hatten, verbrachten wir den Sonntag passend zum Wetter gefühlt im Regenwald. Es gab eine Wanderung zu den Janelas do Inferno. Eingehüllt in eine an der Insel hängengebliebene Wolke mit entsprechendem Nieselregen, führte uns der wie immer gut markierte Wanderweg vom Parkplatz aus zuerst durch grünes Weideland, bevor es durch einen ersten Tunnel ging (Seglerstirnlampen mitnehmen war hilfreich!) und wir auf der anderen Seite in einer völlig anderen Urwaldwelt herauskamen. Riesige Farne, dunkelgrünes Dickicht, moosbewachsene Baumstämme und überwachsene Wasserleitungen, gelegentliche Klettereien und kurze Tunnels führten uns zum Pool eines Wasserfalls. Es ist eine abgeschiedene, dunkelgrüne, sicher immer feuchte und an diesem Tag wirklich nasse Welt, die in dieser tiefen Talfurche der Insel entstanden ist. Auch die Gewalt der Natur wird hier offenbar: der Grund, warum die Rundwanderung am Ausgangsort als eigentlich «temporarily closed» angeschrieben ist, zeigt sich beim Wasserfall-Pool: die andere Talseite ist (wohl bei einem Oscar-ähnlichen Regensturm) einfach abgerutscht. Solchen Erdrutschen begegnen wir immer wieder auf dieser Insel mit ihren steilen Hängen. Die Folgen von Oscar oder seinen Vorgängern sind hier deutlich erkennbar.
Zum Abtrocknen suchten wir uns nach der Rückkehr von dieser Wanderung eine weitere Sehenswürdigkeit heraus: die einzige Teeplantage Europas; Cha Gorreana. Sie liegt auf der Nordseite der Insel, und da gerade der Südwind die Wolken an der Südseite stauten, herrschte im Norden viel schöneres und trockeneres Wetter. Ein etwa 1.5-stündiger Wanderweg führt dort durch und um die Plantage. Die unzähligen Mietautos und sogar Reisecars entladen ihre Passagiere nur unten bei den Gebäuden der Produktionsfirma. Wenige Meter weiter oben hat man die Welt wieder für sich.
Faszinierend ist auch die bald 150-jährige Produktionsstätte des Tees; hier wird noch immer so produziert wie 1883, als die Plantage erstmals mechanisiert wurde. Eine einzige lange Transmissionwelle führt quer durch alle Gebäude. Sie wird von einem grossen Elektromotor angetrieben und an diversen Stellen gibt es Abnehmer, die eine Maschine für einen der Prozessschritte über ihren jeweiligen Riemen antreiben. Der Produktionsprozess für grünen und für schwarzen Tee ist gut beschrieben und könnte sogar im laufenden Betrieb beobachtet werden (als wir da waren, lief aber gerade nichts – keine Erntezeit im Moment). Das einzige, das wir nicht klar herausfinden konnten war, wie die Blätter geerntet werden. Die Vorstellung, dass die Teeblätter wie in Sri Lanka von vielen billigen Ernterinnen von Hand gepflückt werden, scheint uns in Europa und im 21. Jahrhundert eher unwahrscheinlich. Und die ebenmässig zurecht gestutzten Tee-Hecken wirken auch eher maschinell bearbeitet. Aber eine konkrete und glaubwürdige Antwort auf diese Frage konnten wir vor Ort nicht herausbekommen. Irgendwann gibt’s dann wohl eine Internetrecherche – wenn wir mal Zeit haben dafür 😉.
Für die Rundwanderung um den riesigen Krater mit seinen verschiedenen Seen mit programmatischen Namen (der eine heisst «blauer See», der andere «grüner See», die der Legende nach aus den Tränen einer Prinzessin und ihres Liebhabers für ihre verbotene Liebe entstanden seien, und dann gibt’s noch den Canario-See und zwei weitere) von Sete Ciedades brauchten wir fast 5.5h Stunden reine Wanderzeit, plus etwa eine Stunde verteilte Pausen. Es lohnte sich aber (fast) jede Minute. Eindrücklich, wie steil die grünen Kraterwände zu den Seen und Dörfern im Inneren abfallen, und wunderschön, wie ähnlich steiles grünes Weideland nach aussen zum Meer hinunter führt.
Stundenlang wanderten wir auf dem bequemen breiten Weg um den Krater. Immer wieder ging es steil auf- oder abwärts, wenn wir wieder einen der Zacken der Kraterwand erklommen. Gelegentlich gab es auch für Mietautos fahrbare Strässchen, wo sich sogleich andere Touristen in Massen tummelten, aber meistens waren wir mehr oder weniger alleine unterwegs mit den unzähligen lauten Buchfinken, Amseln, Rotbrüstchen und anderen uns weniger bekannten Vögeln. Ein Naturspektakel in Reinform.
Nach diesem Tag mit ausserordentlich schönen Ausblicken hatte es jede weitere Wanderung schwer, uns noch zu beeindrucken. Wir waren quasi gesättigt mit schönen Erinnerungen (und hatten auch müde Beine nach den 20km davor). So bot sich ein Besuch von Furnas mit seinen Fumarolen an. Ein Ort, an dem man sich ganz nah am Bauch der Erde fühlt, aus dem es schweflig herausdampft und im See vor sich hin brodelt.
Von dem in der Erde gekochten traditionellen «Lava Stew» probierten wir nicht, sondern hielten uns an die ausnehmend guten Pasteís de Nata im kleinen Café im Ort. Eine unglaublich dicke Katze in einem der Touristenrestaurants bei den Fumarolen hatte uns misstrauisch gestimmt: ob der Lava Stew von vielen Besuchern vielleicht gleich an sie verfüttert worden war? Spannend war aber das unerwartete zusätzliche Naturschauspiel, als wir beobachten konnten, wie einige Karpfen direkt am Ufer des (nur warme Bläschen bildenden) Sees ihren Laich unter viel Schwanzwedeln ablegten bzw. gleich befruchteten. Auch faszinierend, wie immer wieder Wärme und Schwefeldampf aus den Felswänden entlang dem kurzen Wanderweg stiegen. So nah am vulkanischen Inneren unserer Erde waren wir noch nie gewesen.
Bänz und ich kürzten am Nachmittag die Wanderung entlang der Nordküste zu einem Meerbad ein wenig ab, während Ruth und Kurt den Abstieg dort hinunter eisern durchzogen aber dann doch auch nicht unglücklich waren, die steilen Serpentinen in unserem braven Miet-Clio hinauf fahren zu können. Es herrschte gerade Ebbe und zudem war auch das Wetter nicht so heiss, dass wir unbedingt baden wollten, deshalb kamen die extra mitgeführten Bikinis und Badehosen wieder ungebraucht zurück.
Stattdessen nutzten wir endlich auch den Clio noch ein wenig für etwas mehr Inselrundfahrt, besuchten den Leuchtturm Farol do Arnel im Osten der Insel (wo die Strasse so steil abfällt, dass ein Schild die Touristen warnt, nicht hinunter zu fahren, und wir doch noch zu ein paar steilen Schritten kamen), genossen eine kunstvoll von Kurt zurecht geschnittene, sehr feine Azoren-Ananas und beobachteten die nächste Wolke, die an der Süd-Ecke der Insel vorbeischrammte und ihren Regen dort los wurde. Zurück auf der Südseite konnte uns kein Miradouro mehr zum Aussteigen aus dem Auto bewegen. Einerseits, weil die Aussicht im Nebel und Nieselregen verschwand und andererseits, weil wir alle vier inzwischen die Müdigkeit der vergangenen Wandertage in den Beinen spürten.
Abends gings dann dafür in ein feines, ganz nah bei der Marina gelegenes und ziemlich authentisch wirkendes Restaurant, die «Casa Marisca» für frischen Fisch und Meerfrüchte. Ein schöner Abschiedsabend, denn unsere Gäste reisten am Mittwoch, 21.6., per Flugzeug weiter nach Faial während Bänz und ich einen Arbeitstag geplant hatten.
Am Donnerstag, 22.6. gings dann zu zweit wieder los zur nächsten Überfahrt: ca. 150 SM nach Nordwesten standen auf dem Programm, um Horta auf Faial zu erreichen. Der Ort ist vor allem auf Bänzs Bucket List, da er während der Covid-19-Pandemie im Sommer 2020 auf der Rückreise mit dem Kat von Frank und Gwenda nach ca. zweieinhalb Wochen Überfahrt hier keinen Schritt an Land gehen durfte. Für unseren Zweitagestrip dorthin studierten wir intensiv die Wettervorhersagen von Wetterwelt. Uns störte, dass am Freitagvormittag ein Gewitterband angesagt war. Gewitter finden wir auf dem Wasser beide überhaupt nicht lustig. Da sind einerseits die Blitze, die sich einen so einsam auf der Wasserfläche aufstehenden Mast wohl gerne als Ableiter suchen. Und andererseits die völlig unberechenbaren Windböen, die unvermittelt und stark aus allen Richtungen kommen können. Aber nach dem Durchzug dieser Gewitterfront war sich Dr. Schrader in der Vorhersage auch sehr sicher, dass der Wind auf West bis Nordwest, und somit genau auf die Nase drehen würde für die nächste Zeit. Es wurde deshalb klar: wir mussten da durch, wenn wir Horta in Ruhe sehen wollten. Aber wir suchten uns auch Ausweichmöglichkeiten heraus, um kurzfristig Alternativen zur Hand zu haben: kürzer und weiter nördlich liegt Terceira, und es gibt auch die Möglichkeit, nördlich von Pico im Wellenschutz jener Insel zu segeln (wenn man sich an der Ostspitze rechtzeitig entscheidet) und so eventuell die Flucht nach Velas auf Sao Jorge antreten zu können.
Die Überfahrt bot dann «von allem ein wenig»: zu Beginn mussten wir kreuzen, da der Wind der Insel entlang genau von vorne kam, dann konnten wir ein wenig abfallen und bei trockenem Wetter und halbem Wind Leonie das Steuer übergeben.
Wie angesagt nahm im Verlauf des Nachmittags und Abends die Windstärke und vor allem die Böen zu, so dass wir bald bei doppelt gerefftem Gross und halb eingerollter Genua angekommen waren. Angesichts der Vorhersage von weiteren Zunahmen und stärkeren Böen in der Nacht und Leonies Mühe, mit diesen stark wechselnden Winden zurecht zu kommen, überzeugte ich den Skipper, das Gross ganz zu bergen und nur noch mit der Genua zu segeln. Das entpuppte sich dann als übervorsichtiger Fehler: die Zunahme war moderat und nur mit der trotzdem teils eingerollten Genua (da sie bei dieser Windstärke halt auch nicht überbelastet werden sollte) gondelten wir mit sehr gemütlichen 5 Knoten Fahrt durch die Nacht, weil wir im Dunkeln und bei diesem Seegang das Gross nicht wieder setzen wollten. Wenigstens konnte man in der Koje schön ruhig liegen und wurde nicht wie vorher im für diese Kurse üblichen Schleudermodus durchgeschüttelt. Aber weil auf der ganzen Strecke mehr als ein Knoten Gegenstrom herrschte, kamen wir für unsere Verhältnisse nur sehr langsam vorwärts, was vor allem beim Skipper für grosses Stirnrunzeln sorgte. Trotzdem – es war schön, wieder den unendlichen Sternenhimmel über sich zu haben, wann immer er von den tief durchziehenden Wolken freigegeben wurde, dem Glitzern der aktivierten Algen im Kielwasser zuzusehen und seinen Gedanken nachzuhängen. Immer im Bewusstsein, dass ab 4h der Wind weiter zunehmen und die Gewitterfront aufziehen würde. Auch gelegentliche Delfinbesuche in grossen Rudeln und die Sichtung eines sehr grossen, grauen undefinierbaren Tiers (ob es ein Wal war oder doch ein toter und aufgedunsener Delfin, bleibt für immer ein Geheimnis) sorgten für Abwechslung.
Trotz dem Wissen um die kommende Gewitterfront setzten wir am Freitagmorgen sobald genug Tageslicht war das Grosssegel wieder im zweiten Reff und rollten die Genua noch ein wenig mehr ein. Als die Front dann kam, brachte sie vor allem wieder sehr viel starken Sintflug-Regen. Und weil Leonie mit den heftigen Böen und 90-180-Grad Winddrehern nicht zurecht kommen konnte, wurde manuelles Steuern wieder nötig. Es dauerte nicht lang, bevor ich die ersten Rinnsale auf der Innenseite meiner Vollmontur über den Bauch hinunter laufen spürte… das Wasser suchte sich unerbittlich den Weg ins Oelzeug, wie auch ins Schiff. Die Sicht auf die Instrumente war wieder stark eingeschränkt und der Wind drehte wie erwartet wild im Zickzack umher, bevor er sich – natürlich, nach Murphy’s Law – auf etwa Nordwest einpendelte. Tja, Kreuzen im Gewitter… Der Spuk war nach etwa zwei Stunden vorbei und auch das Tageslicht half, das Ganze weniger bedrohlich wirken zu lassen, als nachts. Trotzdem – entweder in den Böen und bei entsprechendem Flattern, oder beim Schlagen in der anschliessenden Flaute: unser Grosssegel wurde auf dieser Fahrt arg in Mitleidenschaft gezogen. Die ganze Naht entlang der Verstärkung zum zweiten Reff ist aufgebrochen. Das Segel musste umgehend geborgen werden und braucht dringend einiges an Tender Loving Care (TLC) von einem Segelmacher. Aber davon ein andermal mehr, ebenso wie über Horta, das wir pünktlich etwa am Mittag vom Freitag, dem 23.6. erreichten. Ziemlich genau so, wie von Wetterwelt errechnet, und trotz der etwas zu gemütlichen Schaukelphase in der Nacht.
Horta hat ziemlich «hard to get» gespielt, aber wir sind trotzdem inzwischen angekommen. Und nun natürlich besonders gespannt auf diese dritte unserer Azoreninseln.