Mi., 19.7.
Tag 5. Kein Wind und es drizzelt. Der Motor läuft und Erich steuert uns nach Nordosten, wenn er nicht gerade seine Macke auslebt und aushängt, so dass sea magiX einen engen Kreis fährt. Wir hoffen, dass Paddys Angabe, dass heute ein «Rechtsdreher» kommen solle, tatsächlich zutrifft und diese Flaute im Moment vielleicht der «Absteller» ist, bevor es aus einer neuen Richtung wieder etwas Wind gibt. So hatte ich mir das Azorenhoch eigentlich nicht vorgestellt, sondern mit blauem Himmel und der genau richtigen Brise halbem Wind. Ich lerne gerade, dass es im Azorenhoch drin hauptsächlich eines gibt: kurzfristig ändernde Verhältnisse bei relativ leichten Winden. Jedes Wölkchen hat seinen eigenen Wind – oder eben gerade keinen. Das hält fit und wach… aber ist nicht sehr entspannt.
Vorhin versuchte der Skipper gerade, einen Dieselkanister in den Tank zu füllen. Und, wie wenn er auf diesen Moment gewartet hätte, kam in genau dem Moment der Regen. Übung abgebrochen, denn wir wollen kein Regenwasser im Dieseltank. Der Regen ist inzwischen wie gesagt in Drizzle übergegangen, aber der ist noch schwieriger zu umgehen, denn der kommt aus allen Richtungen, problemlos auch unter einen Schirm. Also dieseln wir weiter und hoffen, dass wir unter der Wolke herausfahren können. Nur wirkt die diesmal ziemlich gross – wir sehen ausnahmsweise keinen Rand. Also weiterfahren und abwarten.
«Abwarten» ist ein wichtiges Stichwort, das für mich diese Überfahrt bisher gut charakterisiert: wir warten ab, dass der Regen aufhört, was mit dem Wind unter der nächsten Wolke passiert, dass der Wind von Südwest auf West dreht, ob die momentane Windzunahme nur eine Bö oder doch länger bleibend ist,… etc. Es bewirkt für mich, dass ich ständig «auf dem Sprung» bin, um etwas zu ändern (zB Leonie unsere Windsteuerung einstellen), anzupassen (zB die Segelstellung), abzufangen (den Autopiloten Erich, wenn er abhängt), und so weiter. Das finde ich recht anstrengend, denn dadurch liegt meine Aufmerksamkeit immer teilweise auf der Zukunft statt dem Hier und Jetzt. Es könnte eine Erklärung dafür sein, warum ich diese Überfahrt bisher noch nicht als sehr entspannt erlebt habe.
Gleichzeitig verdeutlicht uns diese Reise auch die unendliche Vielfalt an Gesichtern des Meeres. Grau, grün, weiss, blau, glitzernd, schäumend, ölig-glatt… alles haben wir schon gehabt in den wenigen Tagen.
Tag 1, Sa., 15.7. war geprägt vom Losfahren von Terceira bei schönem Wetter und einem mittleren NNE-Wind nachdem wir aus dem Windschatten der Insel gekommen waren. Es gab Am-Wind-Segeln, dann einen schönen Sternenhimmel und am Tag 2, So. 16.7. Regenschauer mit entsprechend veränderlichen Winden und Windstärken, bis er so schwach wurde, dass wir motoren mussten. Ups – damit hatten wir nicht für schon jetzt gerechnet… ob der Diesel reichen wird? Abwarten und hoffen!
Am Tag 3, Mo. 17.7. konnten wir tagsüber bei leichten Winden segeln, aber abends drehte er so weit zurück auf WSW, dass wir mit der leichten Brise in den hohen und erstaunlich kurzen Atlantik-Wellen nur noch schlagende Segel hatten und uns entschieden, das Grosssegel zu bergen. Es hat inzwischen einen so fragilen Zustand erreicht, dass wir es schonen wollen, damit es uns zumindest noch für diese Überfahrt und lieber noch für die ganze Saison erhalten bleibt. Das nervtötende Schlagen von Segeln in der Flaute bei den hier überraschend konfusen Wellen über einer grossen, langgezogenen Dünung ist nicht nur Gift für die Stimmung an Bord, sondern eben auch für das Tuch an sich, das bei jedem Schlag mit viel Energie in die Lieken (Segelränder) knallt.
So kam es, dass wir in der Nacht auf Tag 4, Di. 18.7., ein weiteres Novum unserer gemeinsamen Segelzeit erlebten: obwohl eigentlich eine Brise da gewesen wäre, mit der wir in diverse Richtungen hätten segeln können, motorten wir ab Mitternacht durch, denn auch für die Genua ist dieses Schlagen natürlich nicht gesund und wir wollen eben in eine Richtung, wo die Segel nicht stehen in den Wellen. Dafür kam dann sofort bei Tagesanbruch der Spi, bzw. der Parasailor hoch und als das wegen einer grossen Wolke mit zu viel Wind nicht mehr ging, versuchten wir es mit der ausgebaumten Genua.
Eigentlich hatten wir mit Am-Wind-Segeln wie am ersten Tag gerechnet… aber wie der Skipper meinte: «wir nehmen alles, wenn wir nicht motoren müssen». Im Moment, am Tag 5, sind wir da aber gerade wieder dran. Tja, Segeln zwingt einen zur Flexibilität…
Momentan denken wir oft an die Crew der «Danya», Christine und Thomas Halbritter. Kurz vor unserer Abfahrt erreichte uns ihre Nachricht, dass sie – ebenfalls am Weg nach Norden – an ihrem Tag 4 soeben entschieden hatten, umzudrehen und wieder zurück nach Horta zu fahren. Wegen technischer Probleme. Puh, also ungefähr jetzt in unserer Fahrt. Das fände ich sehr hart. Gefühlt sind wir schon lange unterwegs und müssten quasi auf halbem Weg sein (sind wir zwar wahrscheinlich noch nicht, aber gefühlt eben schon). Hoffentlich sind sie inzwischen wieder gut in Horta angekommen, die Armen! Und hoffentlich blüht uns nichts Vergleichbares! Die Spannung ist immer da…
Mi., 19.7. (Tag 5), abends: Batteriesparmodus
Inzwischen sind wir gefühlt am Rand des Azorenhochs angelangt. Der Barodruck ist zwar noch immer der gleiche (Anmerkung der Redaktion: das Rätsel des gleichbleibenden Barostands wurde etwas später dann geklärt), aber das Wetter hat geändert: die Schauerböen sind heftiger und dichter bei einander und nach einem wunderschönen Mittag mit den perfekten Segelverhältnissen, hat inzwischen Paddys Vorhersage mit dem kontinuierlichen Rechtsdreher fast in einem Rutsch stattgefunden. Für die perfekten Segelverhältnisse gab es halben Wind mit ca. 3 Bft und nur ganz kleinen Wellen, Sonne mit ein paar Fotowölkchen und angenehme Temperaturen.
Wir sagten uns gerade «so soll es sein!», als die erste grössere Schauerwolke kam, den Wind weiter nach vorne drehen liess und uns zu einem eiligen Segelverkleinerungsmanöver zwang. In schneller Folge kamen dann weitere Verkleinerungen hinzu, bis wir unser empfindliches Grosssegel gänzlich bargen. Wir beschlossen, für die nächsten Stunden in den Batteriesparmodus zu gehen: sowohl fürs Schiff, als auch für uns. Leonie ist am Steuer und der Kurs ist relativ egal (zwischen Nord und Ost), d.h. sie braucht nicht viel Überwachung. Der Skipper versucht zu schlafen, obwohl es gerade nicht so schnell der Bordwand entlang gluckert. Wir haben nachgesehen: der Kurs, den Leonie momentan steuert, würde uns etwa nach Cherbourg führen… Aber es ginge wohl viele Tage bis dahin. Trotzdem – ein gutes Gefühl zu wissen, dass wir irgendwann irgendwo ankommen werden, auch wenn es gerade nicht dorthin fährt, wohin wir eigentlich wollen. Das ist auch eine Möglichkeit, um mit der ständigen Veränderung umzugehen. Und eben eine Energie-sparende. Wir lassen sie geschehen und «nehmen es wie es kommt». Mal wieder Segeln als Lebensschule! Bin gespannt, wie sich diese Nacht entwickelt. Wenn wir sie tatsächlich so gelassen nehmen können, wie jetzt gerade, dann könnte das die entspannteste Nacht bisher werden, statt wie erwartet die anstrengendste.
Do., 20.7., Tag 6, 08h: Ein grosser Dank an Leonie. Und: am Rande des Machbaren
Naja, die entspannteste Nacht wurde es leider doch nicht. Aber der Batteriesparmodus hat sich bewährt. Leonie ist «worth her weight in gold»; sie steuert uns ungerührt durch die grau schäumende aufgewühlte See, während wir unsere Wachen vom Kartentisch aus wahrnehmen. Da gilt es zwar, sich gut festzuhalten, aber wir bleiben trocken und warm, was man vom Cockpit nicht sagen kann. Dort findet gerade eine «Vollwäsche mit Schleudern ohne Schongang» statt. Immer wieder rauschen viele Liter Wasser übers Deck und ins Cockpit. Die Schiffsbewegungen sind recht heftig: gefühlt fallen wir von jedem Wellenkamm ins nächste Tal. Da geht jedes Mal ein Schlag durch den Rumpf, der in den schlimmeren Fällen alles vom Kiel bis zur Mastspitze erzittern lässt. Dazu kommen die Krängung und die Rollbewegungen, wenn uns eine Welle seitlich trifft. Teils knallt das dann wie ein Kanonenschuss, und sea magiX macht auch ab und zu einen «Ausfallschritt» nach steuerbord. Den gleichzeitig mitzumachen ist für ihre Crew aber etwas herausfordernd und führt gelegentlich zu «engstem Kontakt» mit irgendwelchen Bordwänden, Handläufen, Türrahmen oder ähnlichem 😉. Wir haben die Genua so stark verkleinert wie möglich – inzwischen sind wir bei 6 Bft aus NNE angelangt – , der Kurs führt statt nach Nordosten etwa nach Osten, und wir sind nun am Rande des Machbaren für diesen Kurs ohne einen kleinen Fetzen Grosssegel. Der nächste Schritt wäre wohl noch weiter abzufallen vor den Wind und quasi zurück zu fahren, d.h. südwärts. Hoffen wir mal, dass das nicht nötig wird. Trotz allem kommen wir so nämlich unserem Ziel irgendwo in Irland/UK noch immer näher, wenn auch etwas langsamer als erhofft. Ohne Leonie wäre das nicht möglich: der elektrische Autopilot könnte dies vielleicht noch steuern, aber weil er sich das häufige Ausklinken wieder angewöhnt hat, trauen wir ihm beide nicht mehr und müssten ihn draussen im Cockpit hüten, denn wenn er ausklinkt, dreht das Boot rasant in den Wind und die Genua knattert wie eine Fahne im Wind – was auch dieses noch viel neuere und robustere Tuch nicht oft aushält. Deshalb – Leonie sei dank!
Auf der Suche nach der Quelle: Wasser im Schiff!
Fr., 21.7., Tag 7, morgens
«Da plätschert was – im Schiff, nicht draussen!» Im Halbschlaf liege ich in der Koje, meine Freiwache hat soeben begonnen, da dringt diese Wahrnehmung in mein eindösendes Gehirn. Sekunden später kniee ich vor dem Küchenschrank und schaue auf einen kleinen See, der in den heftigen Schiffsbewegungen hin und her schwappt. In der Stunde zuvor hatten wir soeben diese Stelle mit einem Schwamm ausgetrocknet, nachdem im Bilgensumpf (am tiefsten Punkt der Schiffs, wo die Absaugpumpe ansetzt) Wasser gewesen war und wir angenommen hatten, dass dies noch Überreste von vorher waren, die sich dort mit der Krängung gesammelt hatten. Und jetzt war wieder so viel Wasser da – das konnten keine Überreste mehr sein.
Fingerprobe – salzig. Oje, wirklich nicht gut. Wasser im Schiff, ca. 5-6 Tagesreisen vom nächsten Land, bei heftigem Wetter… das ist eine sehr unangenehme Situation!
Systematisch geht es an die Quellensuche. Das Boot hat nicht viele Borddurchlässe. Vorne unter der Vorschiffskoje (und diversen Säcken z.B mit der Sturmfock, einem Ersatzfall, Säcken mit Revierführern, etc.) gräbt der Skipper die beiden Durchlässe für das Echolot und die Logge (ein Rädchen, das bei Bewegung durchs Wasser dreht und so die zurückgelegte Distanz an den Bordcomputer meldet) aus – staubtrocken. Die Seeventile fürs WC und die Dusche ebenso. Ums Ventil unter dem Küchenschrank für den Abwaschtrog schwappt eben der See schon wieder. Das wurde natürlich als erstes soweit möglich getrocknet und auch da sehen wir nichts herausspritzen, wenn auch der Rand nass bleibt. Bänz schliesst es als Quelle aus, ich bleibe noch etwas skeptisch. Aber wenn dies ausgeschlossen ist, dann muss die Suche weiter gehen. Also zum Durchlass beim Motor fürs Kühlwasser, wo auch gleich der Wassermacher und die Salzwasserpumpe ihre Zugänge haben. Die Salzwasserpumpe wird abgestellt und geleert, der Wassermacher ebenso und können bald ausgeschlossen werden. Inzwischen habe ich die Bodenbretter um den Kiel aufgeschraubt: wenn es kein Ventil ist, dann muss das Wasser ja sonst woher kommen. Die schreckliche Geschichte einer anderen Crew, die in Santa Maria nach 6 Horrortagen ankam, will mir nicht aus dem Sinn gehen. Die Crew wusste, dass sich ihr Kiel bewegte und jeden Moment abbrechen konnte, und verbrachte 6 Tage im Alarmbereitschaftsmodus, um innert Sekunden in die Rettungsinsel zu hüpfen… Erleichtert schraube ich die Bretter wieder zu, nachdem ich mich vergewissert habe, dass es bei uns rund um die Kielbolzen nicht nass ist. Nein, unser Kiel ist soweit ich das beurteilen kann so fest angeschraubt und fixiert wie immer. Unterdessen hat Bänz nochmals im Motorraum nachgesehen. Auch da, alles trocken.
Denkpause. Woher nur kann das kommen?
Beim Wassermacher und Boiler hingen ein paar schlecht erklärbare Tropfen an der Bordwand. Denen geht der Skipper nochmals nach – und findet ein weiteres Seelein unter der Achterkoje, in der wir unterwegs normalerweise schlafen. Also, Matratzen ins Vorschiff, Kojenbretter aufschrauben und ausschwammen. Ich werde ins Vorschiff geschickt, um meine (nächste) Freiwache zu schlafen – wie wenn das ginge, solange die Quelle nicht geklärt ist! Aber inzwischen ist es Nacht geworden und der See unter dem Abwaschtrog wächst nicht schnell, d.h. wir sind nicht (mehr) im Panikmodus. Ich versuche, mich mit diversen Meditationstechniken so weit zu entspannen, dass der Gedanke an Schlaf nicht mehr lächerlich wirkt. Bald meldet der Skipper einen Teilerfolg: das Wasser kommt eindeutig von hinten, d.h. von den Backskisten zuhinterst im Cockpit. Eigentlich haben die einen Ablauf via einen Schlauch direkt in den Bilgensumpf. Aber offensichtlich ist da zu viel Wasser, so dass es durchs Loch für die Schläuche auch daneben unter die Schlafkoje und von da nach vorne gelaufen ist.
Zum Glück hat der Wind inzwischen so weit nachgelassen, dass es im Cockpit mehr oder weniger trocken, bzw. vor überkommenden Wellen geschützt ist. Bänz leert die Steuerbord-Backskiste (jene rechts, da wir nach rechts krängen). Dinghi, Fender, Ruder, etc…. und kann dann viel Wasser heraus schwammen.
Ergebnis: der Zufluss zum See unter der Spüle versiegt grossteils. Erleichterung macht sich breit: es scheint kein neues Wasser nachzukommen. Der Skipper kann seine Freiwache mit nur wenig Verspätung in der Achterkoje beginnen. Und wir entspannen uns beide. Nur ein Rätsel bleibt: wie kam so viel Wasser dort hinten hinein? Und könnte das wieder passieren bei ähnlich heftigem Wetter? Es gibt nämlich noch ein Abteil hinten in der Mitte, an das wir unterwegs wirklich nur sehr erschwert herankommen: dort, wo das Ruder aufgehängt ist. Dafür muss zuerst das Fach für die Gasflasche abmontiert werden und das ist auch im ruhigen Wasser sehr knifflig (und funktioniert fast nur, wenn jemand – meistens ich, da ich schmäler bin – in die Backskiste hineinsteigt). Aber da ist der Skipper kategorisch: «Das machen wir dann auf, wenn wir irgendwo an Land sind, und nur im Notfall unterwegs». Ok, akzeptiert… so lange das Seelein unter der Spüle nicht plötzlich wieder wächst.
Zu unserer Wach-Routine ist jetzt also ein weiterer Punkt hinzugekommen, nebst regelmässigem Kontrollieren des AIS und pumpen der Kielsumpfpumpe: Kontrolle der Bilge unter der Spüle. Momentan ist sie – abgesehen von einzelnen Rinnsalen – quasi trocken.
Die Sonne scheint, Leonie steuert, der Wind hat auf eine ganz leichte Brise nachgelassen und ist am Drehen auf eine Richtung, die uns wieder erlauben sollte, nach Irland zu fahren, statt wie die letzten 24 Stunden nach Frankreich… Nach solchen Schreckmomenten kann ich die entspannten, schönen Stunden umso mehr geniessen. Aber wahrscheinlich ginge das auch ohne die Schreckmomente… jedenfalls wäre mir das lieber 😊.
Sa., 22.7., Tag 8: Kleiner Durchhänger bei der Crew
Mal wieder sind wir mit Starkwind unterwegs. Das Azorenhoch haben wir deutlich schon längst verlassen. Momentan bläst uns ein Tiefdruckgebiet Nordostwärts. Leider hat der starke Wind soeben von der angesagten West-Richtung auf WNW gedreht. Der Nord-Einschlag zwingt uns, höher dran zu gehen und so wird die Fahrt deutlich ungemütlicher, wenn wir nicht doch in Frankreich statt in Irland oder wenigstens England landen wollen. Hat sich denn alles gegen uns verschworen? Ich habe gerade einen Durchhänger…
Es sind «nur» noch ca. 260 SM nach Irland, aber die Chance, es zu erreichen, wird gerade kleiner. Land’s End, bzw. die Scilly Islands wären ca. 340 SM. Also noch ca. 68 Stunden, wenn wir einen 5-Knoten-Schnitt halten können. Drei Tage – die können lang werden, wenn man gerade so einen Durchhänger hat. Wenigstens hat der Regen schon wieder aufgehört. Noch ist es grau und neblig/diesig und ich habe soeben die wärmeren T-shirts herausgesucht. Aber ich hoffe, dass mit dem Durchzug dieses Tiefs danach das Rückseitenwetter wieder versöhnlichen Sonnenschein zwischen den Wolken durchlassen wird. Den können wir auch gebrauchen. Unser Wassergenerator Gisela ist heute Morgen zwar stundenlang gelaufen, während wir bei 25-30 Knoten Wind mit ca. 7 Kn Fahrt durch die Wellen rauschten, aber inzwischen mussten wir sie wieder herausnehmen, weil sich ihr Feststellblock gelöst hatte und Leonie sich so ständig darin verhedderte. Lieber weniger Energie als selbst steuern zu müssen! Hoffen wir auf die Solarpanels und sonniges Wetter morgen. Das würde mir sicher auch sehr mit meinem Durchhänger helfen. Der Skipper hat mich verständnislos angesehen: «Wieso Durchhänger? Das sind doch wunderbare Prognosen! Jetzt noch ca. 12 Stunden 6-7 Bft aus West, also räumlich, und dann der Rückgang auf 5-6 Bft für den nördlicheren, halben Wind?! Das läuft ja dann super!» Offensichtlich hat er noch nicht so genug vom Starkwind und dem grauen, kühlen und meist feuchten Wetter wie ich… Aber dass ich eigentlich Schönwetterseglerin wäre, habe ich ja schon früher festgestellt.
Eines unserer Rätsel an Bord ist übrigens inzwischen gelöst: das Barometer zeigte so lange die gleichen Werte, weil die Batterie alle war… tja, jetzt haben wir einen Luftdruck, der zum Wetter passt: 1010, relativ schnell gefallen in den letzten 12 Stunden und weiterhin fallend. Eben – wir haben das Tief ganz offensichtlich erreicht, bzw. es uns. Das andere Rätsel ist noch nicht geklärt. Vorhin fanden wir mal wieder Wasser in der Bilge, bzw. unter dem Küchenschrank. Aber es ist nicht sehr viel, und deshalb weiterhin ohne all zu viel Sorge erklärbar. Fingers crossed!
An Bord ist es gerade relativ ruhig (drinnen…): der Skipper studiert den Reeds, die Seglerbibel für nördliche Atlantikgewässer, mit allen Hafen- und Buchtbeschreibungen in unseren möglichen Landegebieten in Irland. Ich schreibe und werde mich danach wahrscheinlich um die Vorbereitung eines warmen Nachtessens kümmern. Das gibt bei diesem unregelmässig rollenden Kurs dann jeweils die altbekannte «Jagd nach dem fliegenden Rüebli» und ähnliche Szenen. Aber da wir seit dem Start in Terceira (wann war das schon wieder?) immer auf dem gleichen (Steuerbord-)Bug unterwegs sind, kommen die flüchtenden Gemüseteilchen jeweils nicht weit. Sie schlagen an der Bordwand auf und können da wieder eingesammelt werden – wenn nicht gerade der Topf in die gleiche Richtung abhaut, oder sonst wo eine weitere Hand hilfreich wäre. Die Koch-Turnübungen bauen aber auch ein erhöhtes Körperbewusstsein auf: wer gewöhnt sich in der Küche an Land schon an, Schubladen mit der Hüfte offen zu halten, die Kniee rechtzeitig vor der nächsten Welle ganz in Vorlage zu beugen, sich mit einer Hand zu halten und mit der anderen den Kochlöffel aus der Schublade zu grübeln und gleichzeitig mit dem Ellbogen eine gerade davonfahrende Schüssel zu bremsen? Vielleicht ein Therapieprogramm für meine Beweglichkeit im Alter!
So., 23.7., Tag 9: Golfstrom, wo bist Du? Oder: Sommer, wo bist Du?
Seit dem Start haben wir immer wieder wechselnde Strömungen erlebt, und fast immer waren/sind sie gefühlt gegen uns. Oft mit einem Knoten und mehr, gemäss Plotter. Das heisst, wir fahren z.B. mit 6 Knoten durchs Wasser, aber weil das Wasser mit einem Knoten in die Gegenrichtung «fliesst», kommen wir nur mit 5 Knoten über Grund vorwärts.
Einer der erwarteten Ströme hier in dieser Gegend wäre der Golfstrom, der mit uns nach Nordosten ziehen sollte. Bisher sind wir ihm aber noch nicht begegnet – weder als spürbare Strömung, noch bezüglich der Wassertemperatur. Die zeigt momentan 14.7 Grad. Brrrrr… Kein Wunder ist die Luft inzwischen auch bei kühlen 18 Grad im Schiff angekommen. Für draussen sind die üblichen irischen Kleidungsstücke inzwischen nötig: Schal, Mütze, Merinowolle – und natürlich das Oelzeug… Ob sich der Golfstrom dieses Jahr für eine andere Route entschieden hat? Wir hoffen nicht! Wahrscheinlich begegnen wir ihm schon noch.
Inzwischen hat der Wind wieder ein wenig auf 17-24 Knoten nachgelassen und wir werden nur mit teils eingerollter Genua zu langsam für Gisela, unsere Wassergeneratorin. Und: wir wollen vorwärts kommen – auch der Skipper hat allmählich genug von dem ständigen Stampfen Am Wind, das drohen könnte, wenn wir zu lange hier «herumhängen» – dh., langsamer als 5kn über Grund sind. Also doch das Grosssegel setzen? Wir essen mal zuerst etwas zu Mittag und entscheiden dann. Inzwischen wissen wir, wie schnell und stark sich hier die Verhältnisse ändern. Noch 145 SM bis Baltimore, falls das klappt, und die Sache bleibt spannend!
Mo., 24.7., Tag 10: Change of Plans
Nach unserem ursprünglichen Plan hätten wir jetzt am Montag um kurz vor Mittag allmählich in Sichtweite der irischen Küste kommen sollen. Dem ist aber nicht so: statt nach Irland zeigt unser momentaner Kurs jetzt auf die Scilly Islands, UK. Gemäss Plotter noch 88 SM bis zum Waypoint in ihrem Süden, und somit weniger als 20 Stunden… aber das kann sich nochmals deutlich ändern.
Kaum hatte ich gestern die 145 SM bis Baltimore erwähnt, als der Wind mal wieder so richtig aufdrehte auf Bft 6 und die Frage des Grosssegels gleich beantwortete. Gleichzeitig drehte er aber auch innert weniger Minuten – auf die Nase… wir schauten uns an: «nee du, das brauche ich nicht – gegen 6 Bft und inzwischen eine beachtliche See gegenan kämpfen ist nicht im Plan, wenn es Alternativen gibt. Somit verlängerte sich unsere Reise um weitere 12-16 Stunden und wir fielen ab auf die Scillies. Einmal mehr ein Test unserer Flexibilität. Allmählich kämen wir beide gerne mal irgendwo an. Andererseits gefallen uns die Scilly Islands sehr und sind ebenfalls ein lohnenswertes Ziel. Wir durchleben gerade wieder eine Übung in Gelassenheit. Ändern können wir es sowieso nicht, also bringt es auch nichts, sich zu ärgern. Dann segeln wir eben auf die Scillies!
Es folgte ein weiterer Tag mit starkem Wind (meistens um 24-26 Knoten mit langen Böen bis 30), Drizzle und grau-weisser, aufgetürmter See. Als wir die Sole Bank erreichten, bei welcher der Meeresboden von vorher 1000m auf ca. 130m Tiefe hoch kommt, wurden die Wellen noch beeindruckender. Aber Leonie steuerte uns ungerührt da hindurch und wir konnten unsere Wachen am Kartentisch im Trockenen verbringen und mussten nur für gelegentliche Rundumblicke die Köpfe hinausstrecken. Hier hatte der Schiffsverkehr wieder stark zugenommen und plötzlich begegneten wir wieder regelmässig irgendwelchen Frachtern, Tankern und auf den Bänken auch vielen Fischern.
Auch Gisela konnte sich wieder austoben: unsere Geschwindigkeit durchs Wasser war oft bei 7.5 Knoten und sie lieferte – unter ständigem Schnattern – viel Strom für die Batterie.
Inzwischen (Montagnachmittag, 24.7.) ist die lang ersehnte (und von Paddys Vorhersage explizit versprochene) Rückseite endlich angekommen: wir haben blauen Himmel und Schönwetterwölkchen und der Wind ist auf ca. 16 Knoten zurück gegangen. Dafür scheint er weiter östlich drehen zu wollen. Bitte nicht – wenn er auf Nordost oder Ost dreht, haben wir nicht mehr viele Alternativen! Nochmals 24 – 36 Stunden länger und nach Frankreich? Nur wenn er nicht zu weit östlich dreht. Hoffen wir mal, dass der jetzige Nordwind die nächsten 20 Stunden durchhält und die See sich ein wenig beruhigt. Ändern können wir es sowieso nicht…
Mi., 26.7. Juhui!
Der Wind hat nicht vorwärts nach Ost, sondern rückwärts nach West gedreht. Aber er hielt durch bis wir gestern, Di., 25.7., bei Tagesanbruch auf der Insel St. Agnes in der Cove an ihrer Südseite den Anker fallen lassen konnten.
In der Bucht waren schon etwa 6 andere Boote; ziemlich gewöhnungsbedürftig für uns nach all den Tagen, an denen wir weit und breit nicht mal im AIS ein anderes Boot gesehen hatten! Es waren 10 anspruchsvolle Tage und Nächte gewesen, mit sehr vielen Wechseln, viel Segeln Am Wind oder bei ebenfalls anstrengendem halbem Wind, weniger Motor als erwartet und erfreulicherweise keinen Schäden an Mensch oder Boot. Sogar das Grosssegel hat durchgehalten, wenn auch mit vielen ziemlich durchscheinenden Stellen. Wir sind froh, diese Überfahrt gut gemeistert zu haben. Wegen des ursprünglichen Plans, nach Irland zu segeln, wurde die Reise etwas länger als üblich: der Zusatzbogen machte etwa 100 SM aus. Seit Terceira waren es ca. 1250 SM (d.h. ca. 2500 km), und davon mussten wir ein wenig mehr als 13% motoren (ca. 170 SM). Unterwegs sahen wir gelegentlich in einiger Entfernung den Blas von Walen (aber nur wenn wir nicht gerade über Wellenberge kletterten), bis etwa 45° Nord auch immer wieder mal Portugiesische Galeeren, öfters grosse Schulen von Delfinen und jeden Tag Seevögel – auch an jenen Tagen, an denen wir wirklich «in the middle of nowhere» waren. Das beeindruckt uns immer wieder, wie weit hinaus diese Vögel kommen, und mit welcher Eleganz und Präzision sie in den Wellentälern und über die Kämme sausen.
In den gelegentlichen wolkenlosen Nachtstunden spannte sich der Himmel über uns mit unzähligen Sternen und der Milchstrasse. Oft konnten wir unseren Kurs mit Hilfe des kleinen Wagens und des Nordsterns überprüfen. Am meisten liebte ich jedoch die Morgendämmerung – nichts Schöneres als das Erwachen eines neuen Tages (jedenfalls wenn es nicht einfach nur ein helleres Grau wird 😉), das Schärferwerden der Konturen der Wellen und die unendliche Weite rundum.
Und doch – es ist auch schön, wieder angekommen zu sein. Die Cockpitdusche gleich nach dem Ankermanöver tat sehr gut. Und noch besser war bald danach das Nickerchen in der ungewöhnlich ruhigen Koje. Auch für einen Dinghy-Landgang auf St. Agnes und einen Spaziergang rund um die kleine Insel reichte es. Im Vorbeifahren gingen wir noch auf einen kurzen Schwatz bei einer Moody 44, deren Name wir wiedererkannten von Sao Miguel: Esti war ebenfalls soeben aus den Azoren angekommen. Annelie und Paul luden uns auf einen Drink an Bord ein; wir konnten gemeinsam auf Annelies Geburtstag anstossen. Aber schon bald war Nachtruhe bei uns, obwohl es noch taghell und erst etwa 20h war. Wir hatten ein wichtiges Rendezvous mit unseren Kissen.