Die Rehabilitierung des Ankerns ist geglückt. Sowohl die Nacht vor Herm, als auch die folgenden in Alderney und jene auf heute in Folkestone waren allesamt ruhig, angenehm und – das wichtigste – vertrauensbildend. Sollte aufgrund der Erfahrungen von den Iles Chausey, Les Ecrehou oder auch Sark der Eindruck entstanden sein, dass Ankern keine Option mehr ist, so liegt auch der Crew daran, die ebenso schönen Seiten jener Nächte nochmals hervor zu heben. Die erwähnten Orte jener Übernachtungen waren sicher unter den anspruchsvolleren, die man sich aussuchen kann, aber dafür lagen wir jeweils mitten im Meer, umgeben von der unendlichen Weite und den eindrücklichen Kräften des Meeres mit seinen unaufhörlichen Gezeitenwechseln. Diese Erlebnisse gibt es nirgends sonst in jener unverdünnten und deshalb umso beeindruckenderen Form.
Die Nacht auf Herm steht als gutes Beispiel dafür. Auch, als der Wecker um 04:45h losging und wir beim Vorbereiten für die Abfahrt zusehen konnten, wie sich allmählich Konturen von Land und Wasser zu unterscheiden begannen, erste Vögel ein schläfriges Zwitschern von sich gaben und das Wasser mit uns begann, nordostwärts zu strömen – es sind bleibende Eindrücke, die so entstehen. Noch im Dunkeln steuerten wir an den Untiefen vorbei hinaus und konnten bei zunehmendem W-Wind dann den Kurs auf Alderney nehmen. Die Sonne löste den Mond ab und als wir – schneller als unsere vorsichtige Berechnung ergeben hatte – die berühmte Durchfahrt «The Swinge» erreichten, wo uns der Strom mit dem Wind zum Eingang von Braye Harbour spülte – erstrahlte Alderney so richtig in der Morgensonne. So hatten wir diese Insel noch nicht oft gesehen.
Ziemlich überrascht waren wir, als wir sahen, wie voll die grosse, von einer hohen Mole vor den inzwischen beachtlichen Wellen geschützte Hafenbucht war. Ausnahmslos jede der 70 Besucherbojen und auch jede der orangen Bojen für Locals waren besetzt, und vor und hinter den Bojenfeldern lagen unzählige Ankerlieger. Es war klar – auch hier war ankern gefragt. Wir suchten uns einen Platz möglichst weit innen an der Strandseite und waren froh, dass der Anker schnell und stark griff, denn inzwischen waren wir auch im Hafen bei den angesagten 5-6 Bft aus Südwest angekommen. Sea magiX tanzte in grossen Bögen um ihre Ankerkette und verschaffte uns so den nötigen Abstand auch von jenen französischen Seglern, die wie üblich ihren ersten Ankerversuch gefühlt auf Tuchfühlungsdistanz machten. Es ging nicht lang, bevor sie ihn wieder hoben und sich einen anderen Platz in einem grösseren Loch suchten. Unsere heftigen Schwojbewegungen haben eben auch Vorteile.
Angesichts des Schwells im Hafen bei diesem Wind überzeugte ich den Skipper, mit dem Hafentaxi an Land zu fahren, statt mit unserem Dinghy. Die Hoffnung, dass das trockener gehen würde erfüllte sich dann zwar nicht – der Hafentaxi-Fahrer hatte wohl noch nicht so viel Übung bei solchem Wetter. Aber dafür bekamen wir die Antwort auf unsere Frage, warum denn der Hafen so voll sei: es war der letzte Tag der Alderney Week. Ach sooooo! So kamen wir unverhofft an jenem Abend noch zum Blick aufs Höhenfeuer, Feuerwerk und «All-Night-Rave-Music», nachdem wir tagsüber einen sehr ausgiebigen Spaziergang rund um die Nordost-Seite der Insel gemacht, im «The Campania Inn» sehr feine, frische Fish n Chips genossen und in der vom Ansturm etwas überforderten Dusche mal wieder heiss geduscht hatten. Trotz dem vielen Wind und Schwell im Hafen hatten wir eine gute Nacht am Anker – eben, Rehabilitierung 😉.
Die Fahrt hinüber nach Cherbourg, wieder mit früh getimtem Start wegen des starken Stroms im Alderney Race, wurde am Sonntagmorgen recht kurz und zügig. Teils mit mehr als 11 Knoten über Grund stoben wir ostwärts und waren nach weniger als 4 Stunden morgens um halb zehn schon wieder fest an einem Fingersteg in der grossen Marina von Cherbourg. Die Stromwellen, -Wirbel und -Schnellen in dieser Enge sind immer wieder sehr beeindruckend und auch die ungeheure Beschleunigung fasziniert. Hier wird einmal mehr die mächtige Kraft des Meeres sehr spürbar. Wehe dem, der hier bei starkem Wind gegen den Strom anzukämpfen versucht!
Cherbourg an einem Sonntag in der Sommerferienzeit ist unerwartet verschlossen und verlassen. Etwas überrascht über die vielen verlotternden, zu verkaufenden oder auch nur für die Ferien geschlossenen Läden spazieren wir durch die Altstadt und dann zur Cité de la Mer. Das ist ein Ausstellungskomplex rund um das Meer, mit diversen fixen und wechselnden Ausstellungen, Aquarien und vielem mehr. Mir imponiert besonders die Fotoausstellung mit Leinwand-grossen Bildern von den drei Photographen Yann ARTHUS-BERTRAND, Jean GAUMY und Sebastião SALGADO.
Da leider auch das uns in bester Erinnerung gebliebene Restaurant «Le Plouc 2» sonntags und montags geschlossen hat, gibt’s die Assiette Fruits de Mer für den Skipper und das «Menu Croisière» für die Crew in einem der Restaurants an der Front. Das scheinen die einzigen zu sein, die sonntags geöffnet sind. Sehr zufriedenstellend, auch wenn der Service vom Ansturm etwas überfordert scheint. Wir stellen mal wieder fest, wie gut es uns geht.
Am Montag, dem 14.8., legen wir nachmittags nach meinem Arbeitstag wieder ab von der Marina: es soll guten Wind und schönes Wetter geben für eine Nachtfahrt nach Rye an der englischen Südküste. Der Skipper möchte gerne dort trockenfallen und sea magiX mal wieder von unten ansehen. Der Plan geht leider in mehrfacher Hinsicht nicht ganz auf: zuerst werden wir – unerwarteterweise – von Regen und Nieselwetter begleitet. Dann schläft der Wind bei der Pointe Barfleur abrupt ein und wir müssen motoren. Zurück nach Cherbourg macht keinen Sinn wegen des starken Stroms, der noch viele Stunden ostwärts läuft. Also weiter ostwärts, mit der Option, in Fécamp oder auch Le Havre zu landen. Etwas später kommt dann wieder Wind, mit dem wir anluven und nordostwärts fahren können. So kreuzen wir den starken Grossschiffs-Verkehr etwa um Mitternacht auf der ostwärts-Spur des Verkehrstrennungssystems und ca. 2 Stunden später die andere Richtung. Das bekannte Gefühl von Spiessrutenlaufen stellt sich wieder ein, aber wir erwischen gute Lücken zwischen den Schiffsgruppen und schaffen es unbehelligt in die Inshore Traffic Zone. Leider schläft auch hier der Wind wieder ein und wir werden zu langsam: wir schaffen es nicht mehr, auf Hochwasser am Eingang zum Fluss nach Rye zu sein. Ein Telefonat mit dem Harbour Master ergibt, dass sie den Zugang hinein nur noch Hochwasser plus-minus eine Stunde zulassen (und nicht HW +-2h, wie im Reeds steht). «There have been too many incidents.» Als er dann auch noch mitteilt, dass die Plattform fürs Trockenfallen am Eingang zum Fluss nicht mehr zur Verfügung stehe, ist die Enttäuschung gross. Dann macht es eigentlich auch wenig Sinn, hier vor dem Eingang zu ankern und auf das Nachts-Hochwasser zu warten. Inzwischen ist die Sonne heraus gekommen und sea magiX segelt schnell unter Gennacker der Küste entlang. Ok, dann halt eben nicht Rye. Wir nutzen den Ost-Strom und den schönen Segeltag und nehmen das blaue Tuch erst kurz vor Folkestone wieder herunter.
Hier waren wir noch nie und wollen mal sehen, wie es hier aussieht, oder ob wir die 6 SM weiter ins grosse Dover sollen. Folkestone war früher ein wichtiger Eisenbahn-Fährhafen, wurde aber vor einigen Jahren verkauft und wird seither nicht mehr kommerziell als Hafen genutzt. Entsprechend stimmen auch die Tiefenangaben im Reeds nicht mehr, die wohl auf ausgebaggerten Zuständen beruhten. Aber wir finden trotzdem hinter der grossen Hafenmole ein Plätzchen, wo wir den Anker fallen lassen können und auch bei Niedrigwasser noch genug unter dem Kiel haben werden. Der Schwell vom Südwestwind kommt zwar anfangs noch um die Ecke, gemeinsam mit der Tide, aber wir geniessen trotzdem eine weitere ruhige und friedliche Nacht am Anker, sanft geschaukelt vom leichten Schwell und am Mittwochmorgen, 16.8. vom goldenen Morgenlicht geweckt.
Der 16.8. wurde sogar vom British Met Office als «endlich mal wieder ein Sommertag für Südengland» beschrieben. So konnten wir bei wunderbaren 2-3 Bft aus Ost und Südost am Nachmittag mit dem Strom nordwärts segeln. Abdrift ins Luv – eine der schönen Seiten der Gezeitengebiete 😊. Beim Frühstück hatten wir besprochen, dass wir bei dem leichten Wind mit dem Strom versuchen würden, bis Ramsgate zu kommen, um dann am nächsten Tag den angesagten starken Nordostwind für die Fahrt nach Calais zu nutzen. Es läuft sehr schön und auch das Wetter macht endlich mal wieder auf Sommer. So sind wir schon bald am Punkt, wo es nach Ramsgate hinein ginge. Und der Skipper hat absolut keine Lust darauf, jetzt schon die Segel zu streichen… was könnte man denn mit diesem Wind noch so anfangen? Hinüber nach Frankreich wäre ungemütliches Kreuzen. Hinauf an die Nordseite der Themsemündung wäre zu weit, um rechtzeitig vor dem angesagten Starkwind dort oben zu sein… Also dann eben in die Themsemündung hinein! Es folgen sechs Stunden konzentriertes Gennackersegeln und Navigieren zwischen den Sänden, mit vielen Halsen und viel Segeln am Limit der möglichen Kurse mit dem Genni.
Aber wir schaffen es und sind etwa um 21h rechtzeitig für den beginnenden einlaufenden Strom bei Sheerness, wo der Fluss enger wird und der Bojenkanal den Weg leitet. Einige Meilen segeln wir noch nur mit dem Gross weiter, dann schläft auch diese letzte Brise ein und der Motor muss ran. Von Boje zu Boje hangeln wir uns den Fluss hinauf. Ab und zu werden wir von grossen Frachtern überholt oder einer kommt uns entgegen. Die Gerüche und Geräusche der Industrie am Fluss begleiten uns. Gelegentlich ist es schwierig, die relevanten Seezeichen im Lichtermeer zu finden. Nach dem letzten Werft- und Containerhafen von Tilbury Docks und einige Meilen vor dem Thames Barrier wird es ruhiger.
Ab hier sind auch die Seezeichen sehr viel spärlicher und die Kurven müssen im Marschland erahnt werden. Bei schlechter Sicht und ohne Plotter wären wir hier ungern unterwegs, und schon gar nicht nachts. London VTS überwacht per Radar die Themse und leitet den Verkehr auf dem Fluss. Kurz bevor wir uns sowieso für die Durchfahrt durch den Barrier bei VTS melden müssten, werden wir am VHF aufgerufen. «Sea magiX, London VTS». Ab jetzt bin ich im ständigen Kontakt mit dem sehr höflichen Herrn am Funk, der uns freundlich aber bestimmt darauf hinweist, dass wir uns doch bitte an die richtige Seite des Fahrwassers halten sollten, als der Skipper mal wieder eine Kurve schneiden will… Wir hatten ja gesehen, dass kein Grosser kam. Aber eben – die Überwachung funktioniert und unser AIS hilft uns zwar, die anderen zu sehen, aber verrät uns auch an die Behörden, wenn wir nicht ganz brav sind. Dem VTS-Funker ist es vielleicht ein wenig langweilig so mitten in der Nacht (inzwischen ist es etwa 1h nachts) und er versucht, Optionen für uns zu finden, um das Tageshochwasser nahe bei St. Katharines Dock abzuwarten. Die Schleuse vom Dock öffnet nämlich nur zwischen 06:30h und 21h bei Hochwasser plus-minus zwei Stunden und nicht um 03h morgens zu unserer Ankunftszeit; diesen kleinen Schönheitsfehler an unserem spontanen Plan entdeckten wir erst etwas spät als wir schon im Bojenkanal waren. Er versucht uns diverse Varianten schmackhaft zu machen: an einer Barge der London Port Authority längsseits gehen, am Wartesteg vor der South Dock Marina auf der Innenseite, oder auch an einer anderen Barge weiter unten. Wir sehen uns alle die Varianten an, verwerfen sie jedoch allesamt, sobald wir sehen, mit welcher Wucht die Wellen uns an die diversen Festmacher knallen würden. Zudem sind die Bargen viel zu gross und hoch für uns – das würde wohl die Reling eindrücken. Schliesslich fahren wir dann doch hinauf zu den Wartebojen vor St. Katharines Dock. Die sind gemacht für Jachten und auch wenn die VTS das Gefühl hat, wir wären dort vielleicht für die Clipper im Weg und es wäre zu unruhig und hätte vielleicht bei Niedrigwasser auch nicht genug Tiefe – zuletzt ist es dann die einzige Option. Tiefe haben wir weitaus genug hier, der Clipper-Verkehr (die grossen Wasserbusse werden so genannt) beginnt erst so richtig ab etwa 9h morgens und wir vertrauen auf die Fahrfähigkeiten der Clipper, die sich dort in der Nähe an den Landesteg legen.
Der Anblick der hell beleuchteten Tower Bridge, ganz für uns allein, mit sea magiX im Vordergrund, entschädigt uns vollumfänglich für das allmählich spürbare Schlafmanko, nachdem wir uns gegen 03h morgens an einer der Bojen festgemacht haben. Ein Dankeschön und Abmelden an den VTS-Funker und schon bald geht’s – für eine weitere gute Nacht an einer Boje im stark strömenden Gewässer – in die Kojen. London, wir kommen!