Channel Islands

Die Boje hat gehalten – aber ab Mitternacht bis ca. 04:30h gleichzeitig sehr insistent an die Bordwand geklopft, als der Strom gedreht hatte und der Wind uns auf die Boje drückte. Heldenhaft stieg Bänz immer wieder hinaus aufs Vordeck, um mit diversen Um-Binde-Aktionen nach Möglichkeiten zu suchen, für Ruhe zu sorgen. Kaum war er jeweils wieder unter die warme Decke gekrochen, als es schon wieder auf der einen oder anderen Seite polterte. Die Boje ist zum Glück aus hartem Plastik und nicht aus Metall, aber trotzdem fährt einem jeder Knaller durch Mark und Bein auf dem Boot. Einerseits wegen des Lärms und andererseits weil wir beide wissen, was das fürs Polieren des Freibords bedeutet.

Mit nur sehr wenig Schlaf war es deshalb am nächsten Morgen sehr hilfreich, dass uns wunderbarer Sonnenschein und klare Sicht begrüssten, als wir uns bei Hochwasser von der bösen Boje lösten und Kurs in Richtung Sark nahmen. Diesmal mit mitlaufendem Strom und halbem Wind statt Kreuzen erreichten wir die kleine Insel relativ bald, mussten dann aber trotzdem die letzte Meile bis zur Dixcart Bay wieder gegen den Strom kreuzen. Um Sark sind die Ströme jeweils anders, und lokal nochmals verschieden zu den grösseren Strömen im Stromatlas. Wir schaffen’s trotzdem und können den Anker etwas entfernt von anderen Ankerliegern südwestlich der Dixcart Bay bald fallen lassen. Hier sollten wir sehr gut vor dem angesagten Westwind geschützt sein. Und staunen deshalb nicht schlecht, als die Böen – teils aus Südwest, statt West – auf 25 Knoten und mehr aufdrehen. Vielleicht Fallwinde? Naja, der Anker scheint zu halten. Es wird trotzdem sehr rollig, denn auch ein unerwartet starker Schwell setzt in die Bucht hinein – und der Strom wirkt auch noch, trotz Landschutz… Komplizierte Angelegenheit hier!

Nach der sehr kurzen Nacht von Les Ecrehou und der schon auf den Chausey gestörten Nachtruhe brauchen wir Erfrischung. Kurz entschlossen geht’s zur Cockpitdusche, bzw. davor auf einen (ganz kurzen!) Sprung ins kalte Wasser. Ich denke fest an Paddy, der uns dies letztes Jahr ungerührt vorgemacht hatte, nehme eine Leine ums Handgelenk wegen der mir unheimlichen Strömung und tauche ein… brrrrr, sehr erfrischend! Es sind gemäss Thermometer auch nur 15.4 Grad. Aber einen Vorteil hats – alles andere danach, z.B. auch das Abspülen mit vom Motor geheiztem Süsswasser, fühlt sich unglaublich warm und angenehm an. 😊

Auch diese Nacht wird nicht ruhig – denn auch hier wirkt der Strom gegen den Wind und wir hängen plötzlich verkehrt herum in der Bucht. Irgendwann in der Nacht entfährt mir ein Schimpfwort… auf Französisch würde man wohl sagen «j’en ai marre!». Für die nächste Nacht, und lieber für zwei, fordere ich ultimativ einen Aufenthalt an einem Steg, in einer Marina oder sonst wo, wo weder Strom noch Winddrehungen ein Problem sein können und man sea magiX ohne Sorgen ein wenig alleine lassen kann, um an Land die Beine zu vertreten. Ich glaube, auch der Skipper hat Lust auf mal wieder eine ruhige Nacht. Oder vielleicht einfach nur auf eine weniger genervte Crew… jedenfalls tümpeln wir am Mittwoch dann bei Niesel- und Nebelwetter und ganz wenig Wind sehr gemütlich mit dem Strom in Richtung Guernsey. Einen Moment lang kommt wieder Spannung auf, als der Wind gänzlich einschläft, genau als wir vom Strom beim Little Russel über eine Stromschnelle geschoben werden und verkehrt herum an einem Südquadranten vorbei driften. «Ich habe keine Fahrt mehr um zu steuern!» – «Jetzt stell uns doch nicht ständig in den Wind! Klar kannst du dann nicht steuern!» – «In welchen Wind?! Es hat keinen mehr! 1.5kn ist nicht Wind sondern Strom…»  😉 So und ähnlich klingt es einige Minuten lang, bis ich den Skipper so weit habe, dass ich den Motor starten und die 200m weiter tuckern darf, um dort wieder ins gekräuselte Wasser mit ca. 4-5 Knoten Wind zu kommen… Tja, Geduld war noch nie so meine Sache. Und schon gar nicht, wenn der Strom mit mir umherfährt und nicht ich mit dem Boot!

Bald haben sich aber die Gemüter wieder beruhigt und wir segeln weiter zwischen dem beachtlichen Verkehr hindurch an St. Peter Port vorbei zum Eingang zur Beaucette Marina.

Im Beschrieb im Reeds steht deutlich, dass die Marina eine sehr enge Einfahrt habe. Sie wurde 1969 in das Gestein eines ausgedienten Steinbruchs gesprengt. Damals hatte man noch kleinere Boote. Jedenfalls ist es wirklich beeindruckend, auf den schmalen Spalt hin zu fahren und zu hoffen, dass man da hinein trifft. (Natürlich gibt’s hier auch noch ordentlich Querstrom.) Ohne Absprache via VHF mit dem Marina-Büro geht das nicht – hier können keine zwei Boote kreuzen, nicht mal ein Dinghy hätte noch neben uns Platz. Aber drinnen in der kreisrunden Marina liegt man dann absolut geschützt wie in Abrahams Schoss.

Endlich können wir (beide) wieder mit gutem Gefühl von Bord gehen und sea magiX alleine lassen. Ausgerüstet mit viel Infomaterial von der Marina suchen wir sogleich die nächste Bushaltestelle und lassen uns nach St. Peter Port chauffieren. Ein Softeis schlecken. Auf die vielen Boote am Wartesteg vor der Schwelle der Victoria Marina schauen, lange im (eigentlich gerade schliessenden) Shipchandler «schneugge», durch die High Street schlendern und kurz vor Ladenschluss im Co-op noch einen frischen Salat und ein Baguette kaufen… Wir geniessen ein paar Stunden lang das Touristenleben. Am Ende verpassen wir den geplanten Bus zurück, weil wir das Schild gleich neben der Haltestelle nicht beachtet haben, das den Bushalt zwischen 18h und 07h morgens für aufgehoben erklärt. Macht nichts – zurück beim Terminal finden wir einen anderen, der uns auch heim bringt.

In dieser Nacht schlafe ich lange, tief und fest, und bin danach wieder mit dem Seglerleben versöhnt. Irgendwo wird es ja vielleicht auch wieder eine Bucht und eine Wetterkonstellation geben, bei der ich wie früher entspannt am Anker liegen kann. Trotzdem bin ich froh, dass wir angesichts der «Kein-Wind»-Prognose für Donnerstag beschliessen, nochmals einen Tag in Beaucette zu bleiben.

Donnerstag-Morgen herrscht das schon fast gewohnte graue Nieselwetter. Der Landausflug wird auf den Nachmittag verlegt. Vorher erhält sea magiX mal wieder die ihr gebührende Aufmerksamkeit. Bänz poliert vom Steg aus den Rumpf überall dort, wo er hin kommt, und wo die Boje von Les Ecrehou ihre Spuren hinterlassen hat, bis die Poliermaschine den Geist aufgibt. Ich widme mich unter Deck mit Mr. Proper, Schwamm und Staubsauger den typischen neuralgischen Stellen und rücke dann mal mit Süsswasser und «Elbow Grease» den vielen Orten mit Schimmel-Pünktchen an der Decke auf den Leib. Überall an den Stellen, die oft mit Kondenswasser feucht sind auf diesem Törn, beginnen solche kleine Pilzfarmen zu wachsen. Noch haben sie erst Fliegensch…-Grösse, sind aber hartnäckig und schlecht wegzurubbeln. Ich verstehe, warum Bänz seit den Azoren immer wieder mal mit einem Trocknungsgerät liebäugelt. Auf dieser Reise war es bisher schon sehr feucht auf dem Schiff und es gab wenige richtig trockene Tage zum Durchlüften. Aber wir haben eigentlich schon so ein Gerät – im Keller fürs Winterlager. Und jetzt noch ein zweites kaufen, das wir doch nur in Marinas mit Strom einsetzen könnten? Eher nicht. Dann doch lieber zwischendurch mal alles wegrubbeln, was ich erwische.

Am Nachmittag klart der Himmel tatsächlich wie versprochen auf und wir können unsere Beine etwas ausgiebiger vertreten, als das am Mittwoch möglich war. Der Skipper gräbt die Klappvelos von zuhinterst in der Rumpelkammer aus. Die sind seit Portugal noch nie zum Einsatz gekommen in diesem Jahr; ca. 2700-2800 SM oder so haben sie schon hinter sich. Da wäre es ja nicht schlecht, wenn sie mal zum Zug kommen könnten.

Dem Strandweg entlang geht’s los, von einem Fort zum nächsten. Guernsey hat gefühlt hier an der Nordseite an jeder Ecke ein Fort aus dem 17. Oder/und 18. Jahrhundert. Dazwischen liegen wunderschöne Sandstrände (mit vielen unerschrockenen Badenden), felsige Küstenabschnitte und gelegentliche Deponien. Warn-Tafeln halten die Besucher mehrsprachig davon zurück, unbedacht in einen Schiess-Stand zu spazieren und sorgen mit einem Schreibfehler in der deutschen Übersetzung für Erheiterung.

Für verworfene Hände und Fast-Herzstillstände sorgen wir Festland-Europäer immer wieder, wenn wir versehentlich auf die falsche Strassenseite gelangen. Stimmt – rechts schauen, links fahren! Die bestehen hier ja auf die englische Linksverkehr-Welt. Kombiniert mit der ungewohnten Rücktrittbremse und den sowieso schon kippeligen kleinen Velos ergeben sich immer wieder mal Adrenalinschübe auf allen Seiten.

Guernsey ist grösser als es im ersten Moment erscheint. Zu Fuss wären wir sicher nicht sehr weit gekommen. Mit den Velos schaffen wir immerhin eine Runde um die Nordspitze und inland zurück nach St. Peter Port, kaufen dort nochmals im Waitrose-Supermarkt mit überwältigend vielfältigem Angebot mehr frisches Gemüse und Brot ein und sind froh, noch bei Sonnenlicht bequem im Cockpit von sea magiX den wohlverdienten Apero geniessen zu können, bevor es ans Kochen, Wäsche waschen und Rumpelkammer-Wiedereinräumen geht. Ein anstrengender, aber sehr ergiebiger Tag. Und das beste: es gab zwei warme Duschen! Je eine morgens und abends. So ein Luxus!

Auch für Freitag ist wenig Wind angesagt. Für Samstag dann umso mehr, ca. 5 Bft aus Südwest, der uns hinauf nach Alderney blasen sollte. Am Sonntag möchte ich in Cherbourg ankommen, denn am Montag habe ich mal wieder einen Arbeitstag, für den ich gute Internetverbindungen benötige. Damit wir mit dem hier wirklich starken Strom in die richtige Richtung (Strom und Wind beides hinauf nach Nordosten) segeln können, müssen wir deutlich vor Hochwasser hier bei Guernsey los. Das können wir nicht von der Beaucette Marina aus, denn dort brauchen wir genug Tide, um über den Sill zu kommen. So ist klar, dass wir am Freitag einen erneuten Versuch mit Ankern machen werden.

Kaum zeigt die Messlatte am Eingang zur Marina etwas mehr als 2m über dem Sill, geht’s los hinaus ins Nieselwetter. Mit dem noch eine knappe Stunde lang südwärts ziehenden Strom segeln wir wieder den Little Russell hinab und dann – ebenfalls mit der inzwischen drehenden Strömung ostwärts in Richtung Sark. Aber der Wind ist wirklich so schwach, dass es auf diesem Kurs fast kein Vorwärtskommen gibt und die Segel wieder in die Lieken knallen. Also Halsen und etwas anluven: der Skipper hatte sowieso schon mit der Shell Bay auf Herm geliebäugelt. Wir schlängeln uns zwischen den Felsen hindurch hinein und setzen den Anker auf etwas weniger als 7m, ziehen ihn mit 30m Kette fest ein und hängen nun – mit nur einem einzigen holländischen Nachbarn – gemütlich, aber mit dem Heck zum leichten Wind in der Bucht. Schwell hat’s auch hier wieder, wie auf Sark. Aber der stärkere Wind soll erst in der Nacht kommen. Wer weiss – vielleicht rehabilitiert diese Bucht bzw. diese kommende Nacht das Ankern in Strömungsgewässern wieder ein wenig in meiner Meinung? Auf gut Baselbieterdeutsch: «mir wei luege»…

(Anmerkung der Redaktion: kaum hatte ich diese Zeilen fertig geschrieben, als mir ein Wirbel im Wasser ca. 30 m vom Boot entfernt auffiel. Oh Schreck – da ist ein Stein, der bei jetzt fallender Tide allmählich zum Vorschein kommt! Auf dem Plotter ist der nicht wirklich als solcher zu erkennen… aber in der Navionics-App hat jemand die Bemerkung ergänzt, dass dies tatsächlich ein grösserer Felsen ist, den schon viele Yachties «geküsst haben». Wir verzichten aufs Küssen und verlegen weiter hinaus, wo der Strom halt auch stärker zieht… Na, das war schon mal ein nicht so guter Start für die Rehabilitierung! Aber: zum Glück haben wir das noch bei Tageslicht gesehen.)


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