Unsere Trekkingschuhe haben in London einiges an Sohle verloren; so viele Schritte gabs wohl auch auf den Azoren nur ganz selten… Und wir erwischten 1.5 wirkliche Sommertage, mit entsprechend vielen Touristen wie uns. Aber das konnte das Erlebnis, wieder einmal mit dem eigenen Boot vor dem Dickens Inn im St. Katharines Dock festzumachen, nur noch vergrössern.
Vor 32 Jahren waren wir erstmals gemeinsam mit der Senorita Helmsman hier gewesen und seither auch mit der X-99, aber noch nie mit unserer X-37 sea magiX. Und auch wenn sich die Boote etwas verändert haben, und auch wir die eine oder andere Falte zugelegt haben, so ist gleichzeitig einiges unverändert: die überwältigende Kulisse, das noch immer wunderschön mit Geranien dekorierte Dickens Inn und – besonders wichtig – die äusserst nette Marina-Crew.
Auf unserer Sightseeing-Wanderung immer in der Nähe der Themse stellen wir dann fest, dass sich die Stadt seit unseren letzten Besuchen (ohne Boot) nochmals sehr verändert hat. Alles, das wir von früher auf der Südseite des Flusses als etwas schmuddelig und heruntergekommen in Erinnerung hatten, ist inzwischen in viel Stahl, Glas und Beton umgebaut worden. Für die Touris gibt es den Thames Path, dem man fast pausenlos dem Ufer entlang folgen kann. Und für uns besonders beeindruckend: London hat anscheinend sehr viel für den Veloverkehr unternommen. Wir begegnen unzähligen Publibike-Stationen, sind immer wieder beeindruckt von den sehr gut ausgebauten Velowegen mit eigener Verkehrsführung, freuen uns über die Bilder von Geschäftsleuten mit wehenden Blazer-Flügeln, beim Pedalen telefonierenden Businessladies mit Stöckelschuhen und ganz vielen anderen Fahrradfahrenden und bemühen uns sehr, immer zuerst rechts zu schauen beim Strassenüberqueren.
An den engeren Stellen staunen wir über die Flut von Touristen, schlängeln uns dazwischen durch und suchen die eine oder andere ruhigere Ecke. Im kleinen Garten von St. Martin in the Fields gibt’s Gratis-Sommerkonzerte; jetzt gerade klassische Country-Musik. Wir gönnen uns ein Bier und lauschen der Jackson Line, die selbst auch offensichtlich Spass an ihren Songs und ihrer Stimmgewaltigkeit haben.
Auch Charing Cross wirkt aufgeräumt und herausgeputzt. Ob das noch immer die Folgen der Krönung von König Charles sind?
Ab ca. 16:30h füllen sich die Trottoirs vor den Pubs mit Geschäftsleuten beim Afterwork-Drink. Alle wollen die schöne Abendsonnen-Stimmung geniessen. Teils ist kaum mehr ein Durchkommen und der Gedanke, irgendwo dort selbst nochmals einen Halfpint zu ergattern, wird nach einiger Zeit verworfen. Dafür finden wir etwas später in der Nähe von Blackfriars das Fish!-Pub, wo es die obligaten Fish n Chips gibt, für welche dieses Pub scheint’s schon diverse Auszeichnungen gewonnen hat. Für London äusserst ungewöhnlich können wir das Essen sogar draussen im Hinterhof geniessen.
Auch am nächsten Tag wird nochmals gewandert – diesmal Flussabwärts. Wir erforschen das ebenfalls in den letzten Jahren wohl aufgewertete Quartier von Wapping, staunen (nur ein wenig) über die Preise für die hier zur Miete oder zum Verkauf ausgeschriebenen Wohnungen (800 GBP für eine 1-Zimmer-Wohnung… pro Woche) und fragen uns, wie sich das die Menschen hier leisten können. Aber die Antwort ist eigentlich auch klar – wer es schafft, hier im Business Fuss zu fassen, wird es sich – vielleicht mit etwas Hängen und Würgen – schon irgendwie leisten können. Aber die Konsequenz ist wohl, dass kein Spielraum mehr besteht und man entweder in der «Rat Race» mitmacht, oder beiseite gespült wird. Wir führen uns einmal mehr vor Augen, wie privilegiert wir sind, dass wir zumindest im Moment aus jenem Hamsterrad einen Ausstieg gefunden haben.
Am Nachmittag vom Freitag, dem 18.8. liessen wir uns nach einem an Eindrücken sehr reichen Städtereise-Aufenthalt wieder aus St. Katharines Dock hinausschleusen. Dabei rutschte die Heckleine vom Poller, gerade als Bänz mit voller Kraft daran hing. Ich sah nur aus den Augenwinkeln, wie der Skipper rückwärts ins Cockpit kippte, konnte das Boot wenige Zentimeter vor dem Schleusentor doch noch abbremsen und mich dann um meinen etwas benommen da sitzenden Mann kümmern.
Die Reaktion des Hafenmeisters, der das Missgeschick mitbekommen hatte, war einmal mehr unglaublich sympathisch und hilfsbereit; es sei wohl keine so gute Idee, draussen an der Boje zu hängen, falls Bänz dann dringende Medizinische Hilfe benötige. Sie würden uns deshalb anbieten, die nächste Nacht gratis in St. Katharines Dock übernachten zu können und erst mit dem Hochwasser am Samstag loszufahren. Dazu muss man wissen, dass die Nacht in SKD die teuerste ist, die wir uns je geleistet haben: wir haben mit unseren 37 Fuss Länge dafür GBP 127 bezahlt. Im Vergleich zu einem Hotel an dieser Lage noch immer sehr günstig, aber eben – es kommt auf den Vergleich drauf an… Wir lehnen das überaus freundliche Angebot dankend ab. Der Skipper hat einen harten Kopf und versichert mir auch beim 100. Nachfragen, dass es «nur eine grosse Beule» geben werde und er weder doppelt sehe, noch Übelkeit oder sonstige mögliche Anzeichen für Schlimmeres bemerkt. So verbringen wir eine weitere Nacht an den Bojen vor dem Dock und können etwas erstaunt beobachten, wie sich die sechste Boje erst nach einigen Stunden nach Hochwasser wieder zeigt. Gut zu wissen, dass da in der Ecke zur Navy Pier noch eine Sechste hängt, deren Kette zu kurz ist, so dass sie je nach Wasserstand nicht oben aufschwimmt!
Am Samstag kurz vor der Morgendämmerung geht’s dann wieder los, Fluss-abwärts zwischen den allmählich Konturen gewinnenden Hochhäusern hindurch, an vielen neu entstehenden Wohnblöcken mit 20 und mehr Stockwerken vorbei, diesmal durch «Span Charlie» beim Thames Barrier und bis etwa wieder bei den Tilbury Docks der Wind stark genug wird, dass wir segeln können.
Mit der Tide geht’s hinaus bis um die Ecke nach Queenborough. Hier wollen wir ankern und die nächste Tide abwarten, mit der wir aus der grossen Mündungsbucht hinausfahren können. Gefühlt «in the middle of nowhere» fällt der Anker auf knapp 3m Tiefe – es ist am Steigen – und wir versuchen, ein wenig nach- und vorzuschlafen. Aber als die Strömung stärker wird und auch der Wind auf mehr als 20kn zunimmt, wird es doch wieder zu ungemütlich hier draussen. Der Wind schiebt uns über die Ankerkette, an der wir verkehrt herum hängen wegen des starken Stroms. So bekommen wir keinen Schlaf. Da es auch wenig Sinn macht, jetzt eine Stunde lang weiter hinein nach Queenborough zu segeln, nur um dann die Tide mit uns zu haben und gleich wieder hinaus umzukehren, legen wir trotz Gegenstrom eben früher los und fahren Kurs Ost, an die Ecke von North Foreland.
Bei schönstem Wetter verabschieden wir uns unter doppelt gerefftem Gross und halb eingerollter Genua von den britischen Inseln. Mit böigen 5 Bft geht es auf das Verkehrstrennungsgebiet zu, das hier eine nächste Schwierigkeitsstufe erlangt: es gibt nämlich einen Drehpunkt, die Boje «Foxtrott 3», um welchen die Schiffe, die ihren Kurs in die Themsemündung hinein ändern wollen, ihre Drehung vollbringen.
Es folgen spannende Stunden, in denen wir immer wieder mal auf das Prinzip Hoffnung setzen müssen, jedenfalls wenn sich ein Bug hartnäckig auf uns zu dreht und lange braucht, um die leichte Überdrehung wieder zu kompensieren. Der Skipper: «das kommt gut, der geht 0.4 SM hinter uns durch» und die Crew: «aber warum sehe ich dann noch immer seine Steuerbordseite?»… Eben, es hat dann jeweils doch geklappt. Nach den Fahrspuren mit der Drehung und jenen ohne Drehung kommt dann an jener Stelle noch die Aufteilung der Spuren in ein Y, aber hier waren wir zum Glück schon durch bevor die nächste Gruppe an Schiffen kam. Gegen Mitternacht hatten wir alle Spuren gequert und konnten beruhigt Kurs auf Zeebrügge nehmen und uns abwechslungsweise auch ein wenig schlafen legen, wobei die diversen Sandbänke vor dieser Küste doch auch einiges an Aufmerksamkeit vom Navigator und gutes Ausschau halten nach Bojen, die wir nicht rammen wollen, verlangen.
Wir treffen bei schönstem Tagesanbruch vor der riesigen Hafenmole von Zeebrügge ein, gerade als auch der Wind allmählich einschläft. An Zeebrugge haben wir beste Erinnerungen von 2020, als uns der Hafenmeister der einen Marina hier, «Jos» heisst er, sehr freundlich und liebenswert willkommen hiess, nachdem wir vorher wegen der Corona-Pandemie überall eher misstrauisch oder etwas abweisend empfangen worden waren. Spontan kam die Idee auf, dass wir ja auch zum Yacht Club Brügge hineinfahren könnten, denn der und die Marina von Jos gehören offensichtlich zusammen. Ein kurzer Anruf (07h morgens an einem Sonntag), und Jos bestätigte, dass wir auch dort einen Liegeplatz bekommen könnten. Gleichzeitig war die grosse Schleuse gerade offen und unsere Anfrage, ob wir mit einer grossen Barge «New York» gleich hinein könnten, wurde positiv beantwortet. Also spontan schnell in die riesige Schleuse. Die weiteren Abklärungen, wie denn das mit den Brücken danach sei, etc., liefen erst ab, als wir schon drinnen waren (ich hatte nur noch kurz gefragt, ob wir denn auch wieder hinaus kommen könnten, falls die Brückenöffnungen nicht klappen würden).
Da es sich bei den Brücken um vielbefahrene Verbindungen handelt, werden die aber nicht einfach so wegen einer kleinen Segeljacht geöffnet. Es ist eine Autobahnbrücke, sowie eine Eisenbahnbrücke und danach noch die Landstrasse… Wir wurden deshalb auf 14:30h vertröstet, wenn die Brücke für non-commercials aufmacht. Dann kam die Mitteilung, es werde 15:30h. Und dann gings eben doch noch bis nach 16h. Leider konnten wir nicht an Land, denn unser Kiel stand etwa einen Meter vor der Spundwand im Schlick unten an. So hängten wir uns mit dem Bug an eine Leiter an der Spundwand und mit dem Heck an einen der Beton-Festmacher-Poller für die Grossen. Hier lässt es sich wunderbar ein wenig nachschlafen und auf die Brückenöffnungen warten. Es ist schön, dass wir dabei so entspannt bleiben können und nicht in Stress und Aufregung geraten, wenn die Durchfahrtszeit jeweils weiter hinaus geschoben wird.
Als es dann endlich klappt, fahren wir hinter einem Baggerschiff «DC Brugge» hinten nach. Auch er, äusserst freundlich, und wünscht uns einen schönen Sonntagabend nachdem wir überall durch sind.
Beim Yacht Club werden wir von einem Clubmitglied willkommen geheissen. Gleich mit einer Entschuldigung für den von Möwenschissen total verdreckten Steg – wir sollten doch etwas später weiter nach vorne verlegen, wo sie geputzt haben, aber jetzt gerade besetzt ist mit einem mobilen Personenlift. Es findet nämlich gerade ein Sailability-Day statt, an dem der Yachtclub Menschen mit Behinderungen das Segeln ermöglicht. Fasziniert und zutiefst beeindruckt beobachten wir, wie die Menschen sich in den Booten zurecht finden. An der Bar werden wir ebenfalls sehr freundlich empfangen, bekommen ein ganz kaltes Anlegerbier und werden sogleich von den Mitgliedern und Sailability-Besuchern in Gespräche verwickelt. Lisbeth, die seit 20 Jahren von einem Unfall mit einem betrunkenen Autofahrer ab dem Brustwirbel gelähmt ist, zeigt uns ihren für sie umgebauten Van, in den sie vollkommen selbständig via eine Rampe von hinten mit ihrem elektrischen Rollstuhl hinein fahren kann, dort einklinkt, und dann mit umgebautem Steuerrad, Blinkern und Lichtern in der Kopfstütze und vielen weiteren Details ihren Van problemlos durch die Gegend fährt. Ihre fröhliche Offenheit und die Selbstverständlichkeit, mit der sie uns alles erklärt und zeigt, ist unglaublich erfrischend. Und gleichzeitig auch ein wenig demütigend. Wie oft sind wir uns der Leichtigkeit, mit welcher wir uns bewegen können und der Freiheit, unser Leben so zu verbringen, wie wir gerne möchten, gar nicht so bewusst!
Auch die Empfehlung eines Clubmitgliieds für das Bistrot du Phare, das wir per Klappvelo in weniger als einer Viertelstunde erreichen, entpuppt sich als Volltreffer. Wir staunen nur kurz über den vollen Veloparkplatz davor, dann ist klar, dass Brügge wohl eine wirklich Velofreundliche Stadt ist. Romantisch geht es dann bei allmählich fallender Dunkelheit entlang von Kanälen und durch schmale Gassen zum Yachtclub zurück. Wohlgenährt, total entspannt und froh, an einem so sympathischen und schönen Ort gelandet zu sein, geniessen wir eine wunderbar ruhige Nacht am Steg des Brügge Yacht und Zeil-Club.
Der Brügge-Sightseeing-Tag findet am Montag, ebenfalls bei schönstem Sommerwetter, aber diesmal nicht zu Fuss sondern grossteils per Klappvelo statt. Das wohl häufigste Verkehrssignal, das wir sehen (und beachten) sagt, dass hier zwar Einbahn (oder sogar Fahrverbot) gelte, aber uitgezondert sind Fietsen (Velos) und Mofas.
Die Stadt mit Unesco-Welterbe-Status gefällt uns wirklich sehr. Wir besuchen die auf unserer Touristenkarte markierten Highlights, klettern die 336 Stufen zum Glockenturm hoch, bestaunen die Kathedrale, deren Schlichtheit mit ihrer Grösse kontrastiert, schlendern durch die schönen Gassen des Hansequartiers, geniessen ein Tagesmenü mit Moules (für den Skipper) und flämischem Ragout für die Crew, beschnuppern den Kräutergarten des zweitältesten Spitals Europas (gemäss einem Guide, dem wir im Vorbeifahren kurz zuhörten), und lassen die Stadt mit ihren vielen Kanälen, schönen Blumen, fröhlichen Menschen und vielen kleinen Bistrots, Cafés und Restaurants auf uns wirken.
Nach einigen Stunden ist der Speicher voll mit Eindrücken und Bildern und es zieht uns wieder zurück zum Yachtclub und sea magiX, die man übrigens vom Glockenturm aus sehen konnte.
Auch an diesem Abend werden wir wieder freundlich begrüsst. Diesmal ist es die junge Trainercrew, die diese Woche das Segeltraining für Kinder durchführt. Wir fühlen uns fast wie zuhause beim Segelclub Murten und hoffen, dass Gäste bei uns ebenso freundlich begrüsst und willkommen geheissen würden. Anscheinend sind wir hier schon eine kleine Rarität. Pro Jahr kommen etwa 5 Segeljachten wie wir als Gäste hier vorbei… 😊
Der Dienstag steht dann ganz im Zeichen des «Wieder-Hinauskommens». Am Montagabend erklärt uns der Herr von Zeebrugge Lock, dass er noch keine Angaben für Dienstagmorgen habe, ob und wann ein Grossschiff durch die Brücken gehe. Dienstagmorgen heisst es zuerst, wir sollten für 12:00h bereit sein. Später wird dann auf 13.30h korrigiert. So verbringen wir den Vormittag an Bord mit Aufräumen (die Klappvelos müssen wieder zurück in die Rumpelkammer), Bericht schreiben, gemütlichem Frühstücken, etc., bevor es dann wirklich pünktlich um 13:30h durch die erste Brücke und um 13:40h durch die nächsten zwei geht. Gemeinsam mit «DC Brugge», den wir schon vom Sonntag kennen, warten wir danach dann fast 2.5 Stunden lang darauf, in die grosse Schleuse fahren zu können. Zuerst muss sie von 8 uns entgegen kommenden Schiffen geleert werden, dann fährt unsere Gruppe ein: die «Piranha» mit 577 Fuss Länge, die «Emerald Leader» mit 591 Fuss, die «DC Brugge» mit knapp 300 Fuss, ein Schlepper mit einer gelben Sonderzeichenboje im Schlepptau, die Bugsierer für die beiden grossen Frachter, ein kleines Motorboot und wir… puh, da lohnt sich das Schleusen wenigstens!
Etwa um 17h ist es dann geschafft. Wir fahren aufs offene Wasser hinaus, rufen nochmals beim Hafenmeister Jos an, um uns für den schönen Aufenthalt zu bedanken, und setzen die Segel für Vlissingen. Leider herrscht tatsächlich so schönes Sommerwetter, dass wir mit der ultraleichten Brise von hinten nicht genug vorwärtskommen, um noch rechtzeitig in Vlissingen über die Schwelle (den «Drempel» 😊) zu kommen. Bald läuft der Motor wieder. Aber es ist ein wunderschöner Abend, sonnig, warm und friedlich und wir freuen uns, so schöne Tage erlebt zu haben.