Ein «sommerlicher Witterungsabschnitt»

Es ist Dienstag, 25.6., kurz vor 8 Uhr morgens, wir steuern mit eigentlich räumlichem Wind aber wegen des Stroms halbem Wind auf die Richtmarken «Vogelsand» zu und haben soeben die «Kugelbake» bei Cuxhaven passiert. Es geht hinaus in die Nordsee!

Hinter uns liegen drei schöne Tage auf der Elbe. Sabrina, unser drittes Crewmitglied stiess am Samstagnachmittag planmässig in Glückstadt zu uns und brachte wärmeres, trockeneres Wetter mit. Im Wetterbericht des Deutschen Wetterdiensts hiess es, wir bekämen für die nächsten Tage einen «sommerlichen Witterungsabschnitt». Im Versprechen war auch schon klar die Begrenzung enthalten: es ist nur ein Abschnitt, nicht der richtige Sommer. Aber wir nehmen alles gerne, was wir bekommen.

Zu dritt klebten wir den zweiten Dichtungsstreifen auf der Regen-/Sonnenplane ab. Diesmal mit normalem Kontaktkleber, der leider gelb bleibt und durchscheint, aber dicht ist besser als schön. Der Belohnungseisbecher mundete dann trotzdem sehr.

Mit dem ablaufenden Wasser hüpften wir noch am Abend um die Ecke in die Stör, nach Wewelsfleth. Ein kleiner Steg, an dem wir schon oft ein Plätzchen gefunden haben, wunderschön gelegen und noch immer sehr sympathisch. Der Hafenmeister wollte Bänz nicht ganz glauben, dass er mit zwei Frauen an Bord unterwegs sei. Sabrina und ich schauten deshalb auch noch in der gut gefüllten und leicht angeheiterten Hafenmeisterstube vorbei und verteidigten dabei auch noch gleich die Ehre der Schweizer Nati-Fussballmannschaft, auch wenn wir beide von Fussball sehr wenig Ahnung haben.

Am Sonntag gings bei schönstem Wetter und angenehmen 3 Bft NW-Wind Elbe-aufwärts. Première; wir setzten erstmals das nagelneue Gross-Segel. Ich wurde dabei in den Mast hinauf gehievt, um die Saling-Nocks am Segel anzuzeichnen, damit wir dort die Schutz-Kleber anbringen konnten, wo das Segel sonst an der Saling (die Querverstrebungen im Mast) reibt. Es wäre für jemanden, der Höhenangst-frei ist, sicher ein schöner Ausflug in aussichtsreiche Höhen gewesen. So war ich nur dankbar, als ich ganz verschwitzt wieder das Deck unter den Füssen hatte.

Schon bald hatten wir Stadersand erreicht; ebenfalls ein kleiner Wassersportverein als Nebenfluss zur Elbe mit Gästesteg. Wir fanden einen freien Platz am Aussensteg, nachdem wir im Innenhafen zuerst festgemacht, dann aber ausgerechnet hatten, dass wir in der Nacht mit nur noch ca. 50cm Wasser im Schlick stecken würden. Ohne feste Wand, an die man sich in solchen Fällen anlehnen kann, könnte das doch etwas ungemütlich schräg werden. Der Segelsportverein Stadersand stellt – wie viele der uns so sympathischen Vereine hier an der Elbe – sehr freundlicherweise gratis Leihfahrräder zur Verfügung. Wir schnappten uns drei davon, pumpten und schraubten noch kurz daran mit den ebenfalls zur Verfügung gestellten Werkzeugen, und radelten dann zum schönen Städtchen Stade hinauf. Die denkmalgeschützte Altstadt von Stade ist äusserst beschaulich um die Schwinge gebaut. Am Kanal gabs kurz vor der Caféschliessung noch eine Limonade bzw. einen Eisbecher. Ein sommerlicher Ferienausflug – perfekt. Das schon am Vorabend angesprochene EM-Spiel Deutschland-Schweiz verfolgte Bänz dann einsam via WiFi beim Häuschen des Stadersander Segelvereins am Laptop.

Für Montag war ein weiterer Sommertag mit nur sehr wenig Wind angesagt. Wir liessen uns von der Elbströmung Elbe-abwärts tragen und dümpelten bis nach Glückstadt, wo wir einen Zwischenhalt einlegten, um die nächste ablaufende Tide abzuwarten. Es reichte für einen Einkaufsbesuch bei Lidl und Edeka, die beide in angenehmer Spazierdistanz vom Hafen liegen. Mit der nächsten ablaufenden Tide segelten wir dann in den Sommerabend bis Cuxhaven. Faszinierend, wie sich die Elbe bei Brunsbüttel öffnet und wie das offene Meer wirkt. Die Sände kanalisieren den Fluss zwar weiterhin und sorgen so für genug Tiefgang für all die riesigen Containerschiffe und für genug Strömung für freudige «Speed over Ground»-Fotos, aber da sie meistens mit etwas Wasser bedeckt sind, wähnt man sich hier schon im offenen Wasser. Am Ufer segelt man am grünen Deich mit weissen Punkten, die «Bäaaah» sagen, entlang und begegnet ab und zu einem klassisch rot-weissen Leuchtturm, oder freut sich über einen Kirchturm, der knapp über den Deich hinausragt. Obwohl wir die Elbe inzwischen recht gut kennen, sind wir immer wieder fasziniert von diesem Tor zum Meer.

Dies auch im Amerikahafen, in den wir mit dem Gross-Segel noch oben hineinsegelten. Der Amerikahafen heisst so, weil im vorletzten Jahrhundert die Auswanderer hier losfuhren. Wir glauben noch heute ein wenig dieser Aufbruchs- und Abschiedsstimmung dort zu spüren, wenn wir dort sind. Auch dort ist der LCV äusserst sympathisch offen und freundlich für Gäste.

Am Dienstagmorgen gab es einen abgeschwächten Frühstart: wir brauchten noch ca. 4 Stunden auslaufende Tide, um ins tiefere und offene Wasser zu gelangen und rechneten uns deshalb einen Start um 08:00h aus. Im Vereinshaus des LCV gibt es eine Dusche und ein WC. Hier sorgte ein Crewmitglied eines Traditionsseglers für Stau und frustriert aufgebende andere Segler. Da diese Schiffe offenbar eine Stunde früher starten wollten, war ab 07h dann aber Bahn frei für uns. Wir kennen die sanitären Einrichtungen auf Helgoland recht gut und leben auch sonst nach dem Prinzip «never miss an opportunity» für eine Dusche. So legte eine wohlriechende und schön frisierte sea magiX-Crew noch vor 8h in Cuxhaven ab und segelte hinaus aufs offene Meer in Richtung Helgoland. Eine Abkürzung durch die Elbmündung nach Norden führt durch das schön benannte «Lüchterloch»; ein schmales Fahrwasser nach Nordwesten.

Mit dem leichten räumlichen Wind (also Wind von seitlich hinten) setzten wir sehr bald unser zweites neues Segel; den Gennaker. Der neue ist ein wenig grösser als sein Vorgänger, hat dafür aber einen Schlauch, den man nach oben aufzieht, um das Segel zu öffnen, bzw. beim Bergen darüber hinunterzieht und dadurch die Wind-Angriffsfläche reduziert. Wir hatten uns im letzten Jahr entschieden, unseren Parasailor zu verkaufen und diesmal stattdessen mit diesem grösseren Genni und einem traditionellen Spi zu fahren. Der Parasailor hatte ebenfalls einen Schlauch, aber unten einen riesigen und sehr schweren Korb und war für unsere Zweiercrew bei bewegtem Wasser schwer zu bergen gewesen. Auch unser neuer Genni hat einen Korb, aber der ist viel kleiner und leichter. Mal sehen, wie sich diese Kombination bewährt. Beim schönen ruhigen Wetter auf dem Weg nach Helgoland, und mit dem Luxus von Sabrina als dritter Person an Bord, war das Handling jedenfalls problemlos. Auch der Spi hatte seinen Auftritt. Der hatte in den letzten Jahren ein dunkles Kellerdasein gefristet, weil wir nebst dem Genni und dem Parasailor nicht auch noch einen Spi mitgenommen hatten. Nun durfte die grosse weisse Blase, die noch von früheren Regatta-Zeiten im Namen des CCS dessen Logo trägt, wieder stolz vor sea magiX stehen und das Boot hinter sich herziehen.

Die Seemeilen bis Helgoland flogen mit dieser Segelparade nur so vorbei und schon bald nach Mittag erreichten wir die einzige Hochseeinsel Deutschlands mit ihren farbigen Häuschen. Sie präsentierte sich passend zu ihrer Flagge, deren grün-rot-weiss steht für «Grün wie das Land, Rot ist die Kant’ und Weiss wie der Sand».

Ich war froh, dass wir bei der Tankstelle gleich den inzwischen gegen null tendierenden Dieseltank füllen konnten, und auch die drei zusätzlichen Kanister mit je 20l sind jetzt voll. Nun haben wir Diesel für etwa 70 Stunden motoren… auch wenn das nicht wirklich das Ziel ist, bei einem Segelboot. Auch schön war, beim Tanken die Info zu bekommen, dass der zur Tankstelle gehörende Seglerbekleidungsladen nicht wie vom Skipper vorsorglich gedroht um 16h, sondern erst um 18h schliessen würde. So konnten wir zuerst und ohne Stress zum Schiffsausrüster «Engel» gehen, der tatsächlich um 16h schliesst.

Wer beim Schiffsausrüster an Leinen, Schäkel und sonstiges Schiffszubehör denkt, liegt unschuldig falsch. Da die Insel Helgoland Zoll- und Mehrwertsteuerfrei ist, haben sich viele Geschäfte dort auf den Zollfrei-Einkaufstourismus spezialisiert. Es ist auf der Insel alles ein klein wenig teurer als am Festland, aber weil die Steuer wegfällt, wirkt es dann wieder billiger. So sind alle glücklich und haben das Gefühl, einen guten Deal gemacht zu haben. 😊 Engel bietet nebst dem üblichen Duty Free Angebot auch Dosen und Flaschen ohne Pfand an. Das ist für all jene wie uns, die Deutschland verlassen werden, von Relevanz. Zudem gibt es bei ihm auch exzellentes argentinisches Rindfleisch für Fleischliebhaber, wenn auch in grossen Packungen und für kleine Crews deshalb nicht super geeignet. Und dann noch den feinen Rum, für den man in der Schweiz locker das Doppelte bezahlt. Wir konnten unseren Bedarf für die nächsten Wochen und Monate gut decken, bevor es dann auch noch zu «Rickmers» ging, dem schon erwähnten Bekleidungsshop.

Mein altgedienter, aber inzwischen ziemlich unansehnlicher Windstopfasi sollte hier eine farbenfrohe Nachfolge finden. Ansonsten konnten wir aber den meisten Versuchungen dieses von uns schon oft besuchten Ladens widerstehen… ob das ein Zeichen zunehmenden Alters ist, oder einfach, dass wir so oder so schon zu viel Zeugs an Bord mitschleppen?

Der anschliessende Spaziergang um die Insel führte uns am «Lummenfelsen» vorbei. Dort nisten nebst den kleinen, wendigen schwarzen Lummen vor allem auch die Basstölpel in quasi greifbarer Nähe zum Spazierweg mit ihren Jungen. Vor zwei Jahren hatten wir hier, etwa einen Monat früher im Jahr, fasziniert beobachtet, wie die Jungtiere sich aus den Eiern kämpften und ganz schnell flaumig wurden. Diesmal waren sie schon grösser, vor allem, weil der Flaum nun dicker und länger geworden war. Aber flugfähige Federn sind das noch nicht – der Flaum würde sich wohl vollsaugen und das knuddelige Jungtier im Wasser versenken. Wie die Vögel wohl wissen, wann der Moment für den ersten Flugversuch gekommen ist? Offensichtlich sind wir noch zu früh – wir konnten jedenfalls keinen solchen Moment beobachten.

Am Rückweg kamen wir am Café-Restaurant … vorbei, dessen Tische draussen den ganzen Abend in der Sonne blieben, und gönnten uns dort den feinen, traditionellen Helgoländer Pannfisch (Fischfilets mit Dijonsenf-Sauce und Bratkartoffeln. Absolutes Diätmenü, aber man kann ja nicht alles haben…). Das hatten wir in all den Jahren erst sehr selten erlebt, dass man bis abends um 21h im T-shirt und Shorts auf Helgoland umher spazieren kann. Aber die Luft ist weiterhin kühl und so meldete sich die Hühnerhaut, sobald wir im Schatten waren.

Für Mittwoch, den 26.6. hatte unser ganzes Päckli angemeldet, dass sie um 08h starten wollten. (Auf Helgoland liegt man immer im Päckchen, d.h. mehrere Schiffe längsseits aneinander. Wenn dann einer von weiter innen früher los will als die anderen, meldet er dies bei den Neuankömmlingen rechtzeitig an. Das klappt normalerweise problemlos und führt sympathischerweise zu Kontakt unter Seglern.) Wir hatten diese Zeitangabe gleich auch als Abfahrtszeit für uns genutzt und so legten wir pünktlich um 07:55h ab. Es ging los auf dem Weg aus der deutschen Bucht!

Wir hatten einen wunderbaren Segeltag bei schönstem Wetter und ca. 3-4 Bft räumlichem Wind. Der Gennaker (das etwas kleinere farbige Segel mit dem Bergeschlauch) stand schon bald und blieb die nächsten 20 Stunden oben. Der Weg aus der Deutschen Bucht führt für Sportboote in einem ca. 5-10 SM breiten Korridor zwischen den Ostfriesischen Watteninseln und einem VTS (Verkehrstrennungssystem) für die Grossen, quasi einer Autobahn mit einer Nordost- und einer Südwest-Spur. Als Sportboot darf man diese Autobahn zwar queren, soll dabei aber möglichst senkrecht zur Spur fahren, aber man darf nicht darin segeln. Quasi als Fussgänger auf der Autobahn. So zickzackten wir unseren Weg in diesem Streifen nach Südwesten, überquerten bald die Grenze zu den Niederlanden, genossen den schönen, langen Segeltag und konnten den Genni auch noch stehen lassen, als es gegen 01 Uhr morgens doch noch dunkel wurde.

Wegen der Halsen klappte das angedachte 2-Stunden Wachsystem nicht ganz, aber die Abend- und bald danach (schon etwa um 03h) die Morgen-Dämmerungen waren so schön, dass dies den Ruf des Kissens schon fast übertönte. Leider schlief der Wind etwa 20 SM vor Vlieland dann doch noch ein und wir mussten ein paar Stunden motoren. Dies führte zum Entscheid, doch nicht bis Den Helder durchzuziehen, sondern bei Vlieland ins Wattenmeer zu zielen.

Vlieland selbst ist ein kleiner Hafen, der notorisch zwischen Mai und September immer voll ist. Man kann davor ankern, aber weil mögliche Gewitter angesagt waren, wollte ich ungern die nächste Nacht nach der Nachtfahrt am Anker verbringen. Etwa 25 SM weiter östlich von Vlieland liegt Harlingen am Festland. Ein betonnter Weg führt mit ein paar Windungen durchs flache Wasser dort hin. Es ist sinnvoll, dabei mit der Tide zu fahren, d.h. am Weg nach Harlingen mit der auflaufenden Flut und am Weg von Harlingen wieder hinaus mit der ablaufenden Ebbe. Die Rechnung ging für uns bestens auf: einerseits war der Wind wieder da, als wir bei der Einfahrt zwischen den Inseln angekommen waren, und andererseits war gerade Niedrigwasser in Vlieland, d.h. die Tide war am Drehen und begann uns schon bald mit nach Harlingen zu tragen. Es war eine schöne, zügige Fahrt auf der «Blauwe Slenk» durchs Watt bis zum ursprünglich-freundlichen Städtchen Harlingen und schon bald nach 11h konnten wir im Noorderhaven nach 2 Brücken an der X-342 von Hans und Nicolina aus Kampen ins Zweierpäckchen gehen.

Ein wenig Ausschlafen, Aufräumen, durchs Städtchen Spazieren, und schon war auch der Donnerstag vorbei. Für Freitag, den 28.6., war stärkerer Wind aus West und Südwest angesagt, und zudem lagen die Tidenzeiten etwas ungünstig in Bezug auf die Brückenöffnungszeiten. So ergab sich ein gemütlicher Landtag für unseren Hochzeitstag, mit Einkaufen und einer eigentlich dem Deich entlang geplanter Wanderung, die wir dann aber in Ermangelung eines Fusswegs etwas ins Inland verlegten. Auf dem Radweg gings den verblühten grossen Tulpenfeldern und diversen Kanälen entlang, an vielen Schiffswerften und auch der Autobahnunterführung unter dem Kanal der Stande Mast Route vorbei. Ich hatte mir die Wanderung zwar etwas anders vorgestellt, aber interessant war sie trotzdem. Unsere Nachbarn luden mich beim Zurückkommen dann auf einen lokalen Schnaps ein, und so lernte ich noch den «Berenburg»-Genever mit Kräutern kennen und hatte vor dem Abendessen schon ein wenig vorgeglüht. 😉 Das Hochzeitstag-Essen im Café Restaurant Noorderpoort konnten wir dann alle gleichwohl geniessen, auch wenn es recht laut war um uns herum mit einer grossen Gruppe deutscher Motorfans.

Inzwischen ist Samstagmorgen, der 29.6. Ich sitze im Cockpit und schreibe. Rundum haben sich die Reihen gelichtet. Hier legt man zwischen 8h und 9h los, egal ob dann die Tide gegenan steht oder nicht… Unser Plan ist, am Nachmittag auch wieder loszufahren in Richtung Den Helder und vielleicht dann weiter einmal mehr durch die Nacht nach Süden. Das trockene Wetter mit für uns praktischen Winden soll nur noch bis Dienstagabend halten. Danach ist der «sommerliche Witterungsabschnitt» wohl wieder vorbei. Mal sehen, was aus diesen Ansagen dann wird… wir haben ja Zeit, ein immer wieder neu zu schätzender Luxus!