Rauschefahrten entlang der holländischen Küste nach Belgien

Die Ausfahrt aus der kleinen Marina von Den Helder wäre fast missglückt. Ich hatte gerade angesichts der schmalen Durchfahrt in den Vorhafen etwas Gas gegeben und der Bug zeigte genau auf das Loch, als uns von aussen ein Polizeiboot/Marineboot «anblaffte». Wie immer funkten sie zwar auf Holländisch, aber die Botschaft war unmissverständlich – wir können da jetzt nicht raus. Volle Fahrt zurück und ein Skipper, der ich weiss nicht wem aufmunternd sagte «zieh, zieh, zieh!», und wir schafften es gerade noch, die Nase wieder einzuziehen und rückwärts in die Marina zurück zu kommen. Eigentlich hätte uns das auch klar sein können; draussen war nämlich soeben ein riesiges Kriegsschiff vorbeigezogen, mit der gesamten Mannschaft an der Reling. Kaum waren wir wieder drinnen, brabbelte der Funk wieder etwas auf Holländisch. Und die Typen, die uns von oben auf dem grossen Küstenwache-Schiff zugeschaut hatten, riefen und winkten nach draussen. Gerade als ich leicht verzweifelt mal rief, dass eigentlich ein englischer Funkspruch hilfreich wäre, kam dann auch «All ships, the harbour is now free again» und das Polizeiboot fuhr nochmals vors Loch und winkte. Na also, internationale Verständigung funktioniert ja dann doch noch…

Wir reihten uns dann hinter die Marine ein und schauten zu, dass wir im Luv (auf der Windseite) des Kriegsschiffs und seines Begleittrosses blieben; das Schiff wurde nämlich zur Feier des Auslaufens mit dem Feuerlöschboot eindrücklich bespritzt und die Dusche hätte uns wohl glatt versenkt.

Draussen empfing uns Sonne, eine perfekte Brise aus W-NW für einen Kurs nach SW und Sommersegeln par excellence. Bei mitlaufendem Strom spulte sea magiX die Meilen nur so ab, während wir es uns gut gehen liessen. Der Kurs war knapp an der Grenze von dem, was Leonie steuern kann; ein Kn mehr oder weniger Wind macht bei diesem Kurs sehr viel aus bezüglich Windwinkel zur Windfahne, mit welcher sie steuert, so dass die Bögen doch recht gross wurden. Trotzdem richteten wir sie bald so ein, dass sie das Steuer weitgehend übernahm und wir nur noch daneben sitzen und gelegentlich an den Stellschrauben drehen oder an den Schoten ziehen mussten. Mit dem Solarpanel produzierten wir genügend Strom für Kühlschrank, Geräte, etc., so lange die Sonne richtig schien. Die Küste, der wir entlang segelten, ist nicht so berauschend für unseren Geschmack: Sanddünen und Hochhäuser wechseln sich ab. Mittagsschläfchen, aufs Meer hinaus schauen, Steuern, Lesen… die Stunden flogen vorbei, ohne dass wir es richtig merkten und wir hatten Ijmuiden schon bald erreicht. Angesichts der noch immer guten Verhältnisse war ohne grosse Diskussion klar, dass wir nach Scheveningen weiterfahren würden. Am Nachmittag drehte der Strom und der Wind begann, wie angekündigt nachzulassen. Unsere Fahrt über Grund nahm stetig ab, obwohl wir durchs Wasser noch immer mit 5.5-6kn unterwegs waren. Früher als erwartet zeigte sich bald die Funfair aussen an Scheveningen. Zuerst das auf eine Pier wie in Südengland hinaus gebaute Riesenrad, dann ein Turm mit Aussenwendeltreppe und Kran, über welchen ich mich noch wunderte. Genau als wir daran vorbei fuhren, wurde die Funktion des Krans dann verdeutlicht: zu meinem Schrecken fiel ein Mensch aus dem Karbäuschen oben. Mir stockte der Atem, bis ich verstand, dass der wohl mit einem Bungeeseil angebunden war. Er vollführte dann noch einige rasante Auf- und Ab-Flüge, bis er sanft wieder zum Land bzw. zum Turm gedreht wurde und sich dort wohl irgendwo an der Wendeltreppe wieder in eine aufrechte Position bringen konnte. Neee du, das brauch ich wirklich nicht!

Die Einfahrt in die Marina Scheveningen führt durch einen sehr schmalen Einschnitt aus dem Vorhafen. So schmal, dass keine 2 Schiffe drin kreuzen können. Bänz holte deshalb über Funk die «Permission to enter» (die in perfektem Englisch gegeben wurde) und wir tuckerten durchs Nadelöhr in den Innenhafen. Die Marina ist zwischen den Blöcken gut eingebettet und geschützt, ein langer schmaler Schlauch. Die Visitors legen sich auf der einen Seite ins Päckchen. Der Schlauch ist so schmal, dass schon davor angeschrieben steht, man solle rückwärts hineinfahren, was wir dann auch machten. Teils lagen schon so dicke Päckchen da, dass nur noch ein Schiff hindurch passte – für uns reichte es aber noch und wir fanden ein Plätzchen etwas weiter hinten längsseits an einem Belgier.

Inzwischen war es doch schon wieder ca. 21h geworden. Wir genossen noch kurz einen Ankertrunk/Abenddrink, studierten kurz das Wetter und die Tide nochmals (vor 10h gehen macht keinen Sinn – wow, richtig Ferien!) und schon bald danach war Ruhe im Schiff. Frische Luft und schnelles Segeln macht einfach müde…

Am Samstagmorgen empfing uns ein weiterer sonniger Tag und wir konnten den Morgen richtig geniessen, weil uns die Tide ein spätes Losfahren nicht vor 10h beschert hatte. Andere waren schon viel früher auf und losgefahren und so verlegten wir kurz in eine Lücke, um unseren belgischen Nachbarn zu beruhigen. Mit Leihvelos vom Hafenmeister fuhren wir dann nach Scheveningen hinein, um frische Brötchen in der nächsten Bäckerei zu bekommen. Scheveningen und Den Haag sind inzwischen zusammen gewachsen. Die Bäckerei lag dann im Haag, anscheinend.

Es präsentierte sich uns ein hübsches Städtchen, das mich sehr an England erinnerte. Schmucke Backstein-Reihenhäuser mit Erkern und vielen Blumen. Perfekte Velowege (holländisch, nicht britisch), und um diese Zeit noch wenig Verkehr. Die erste Bäckerei, bei der wir landeten, hatte ein lange Schlange auf der Strasse. Es handelte sich dabei sowieso nicht um jene, die der Skipper auf Google Maps gefunden hatte, und so radelten wir weiter. Wir fanden sie dann auch und stellten fest, dass sie tatsächlich sehr ansprechend aussah und auch sehr freundliches Personal hatte. Unsere Einkäufe füllten dann auch gleich den Korb des einen Fahrrads. Am Rückweg kamen wir noch an einem der vielen Gemüse- und Früchtestände vorbei, die alle am Öffnen waren, und gönnten uns von dort noch weitere Leckereien.

Die kurze Fahrt mit dem Velo gab uns ein positives und freundliches Bild von Scheveningen. Man hätte durchaus auch einen Tag lang bleiben und Den Haag erforschen können, aber uns zog es weiter südwärts, so lange NW-Wind angesagt war. So legten wir dann gemütlich nach 10h ab und konnten draussen bald wieder Vollzeug setzen. Nach den ersten Tagen immer mit dem zweiten Reff war dies ganz schön, gleich ohne Reff zu setzen. Die See glitzerte und das Wasser sprudelte entlang der Bordwand. Mit 9kn über Grund und mehr rauschten wir bis nach 14h südwärts, an der Einfahrt zum grössten Hafen Europas vorbei (eine halbe Meile vor einem Frachter, der gerade heraus kam), bis der Wind allmählich nachliess und der Skipper zu quengeln begann: «kein Wind, es fährt nicht mehr…». Die Crew verordnete ihm ein Nickerchen und danach dann den Gennacker. Das weckte gleich wieder ein paar Lebensgeister und brachte auch wieder Fahrt ins Schiff.

Wir tingelten mit dem Genni südwestwärts, während sich hinter uns die graue Wolkenbank allmählich verdichtete und verdunkelte. Natürlich drehte der Wind genau dann wieder auf und die Wolke begann, auf uns herabzunieseln, als wir beim Fahrwasser nach Zeebrugge hinein/hinaus ankamen. Dies ist Fahrwasser-Kreuzen für Fortgeschrittene. Nicht nur machte das Fahrwasser genau dort, wo wir darauf trafen, einen Knick, so dass die Fahrtrichtungen der grossen Pötte viel schwieriger zu berechnen waren. Sondern zusätzlich trennte sich genau hier das Fahrwasser in zwei Arme, die zwar auf der Papierkarte, nicht aber auf dem Plotter gleich abgebildet waren. Und zudem tummelten sich unzählige AIS-Signale in dem Gebiet. Grosse und wirklich grosse Frachter, kleinere Tanker, ein Kabelverlegungsschiff mit Wachhund-Boot, diverse Fischer, einige Segler, etc., und jeder hatte ein AIS-Signal. Der Strand von Rimini ist dagegen eine verlassene einsame Wüste…

Zwei Frachter konnten wir noch richtig berechnen und vor uns durchziehen lassen, beim dritten, der mit 17kn und 990 Fuss Länge daher gebraust kam, nützte alles Abfallen und Genni-Hinter-dem-Gross-Zusammenhalten nichts – das wurde zu knapp. Wir nahmen den Genni ins Cockpit runter und halsten weg, um ihn durchzulassen. Dass dahinter bald schon wieder der nächste kam (wegen des Nieselregens von Auge kaum sichtbar), machte das anschliessende Queren des Fahrwassers unter Motor nur etwas spannender, nicht aber angenehmer. Auf der anderen Seite angekommen konnte der Gennacker wieder gesetzt werden, nur um bald wieder herunter zu müssen, weil wir nun in den zweiten Arm des Fahrwassers gerieten und uns dort ein Tanker mit «nur» 600 Fuss Länge entgegen kam. Nun ging es noch darum, im mit Gennackersegel gefüllten Cockpit die Schoten für die Genua zu finden und dann zweimal zu Halsen, um den Fischern auszuweichen, dann flüchteten wir uns ins seichte Wasser. Ich hätte nie gedacht, dass es mir einmal in untiefem Wasser wohler sein würde als im Tiefen, aber hier waren wir wenigstens vor den grossen Pötten sicher.

So segelten wir selig über diverse Sandbänke, die aber nie weniger tief als 6.5m wurden, auf die Küste zu, schlugen dann dort eine Ecke in Richtung Oostende und schwindelten uns gegen 22h an diversen in der nigelnagelneuen Karte von 2019 nicht eingezeichneten Bojen vorbei in den Hafen hinein. Im North Sea Yacht Club bekamen wir noch ein Plätzchen in zweiter Reihe zugewiesen, in das uns der Skipper gekonnt hineinmanövrierte (ich hatte kurzfristig entschieden, dass mir diese Parklücke zu knifflig sei). Dann gab es statt Filet-Goulasch-Stroganoff einfach einen Ankertrunk mit Fertig-Kartoffelsalat und noch etwas Büroarbeit mit Wind- und Wetterbetrachtungen. Auch der Blog wurde noch kurz fertig geschrieben – danke für die diversen Rückmeldungen; das motiviert!

Während unter dem Kiel wohl nicht mehr viel Wasser ist (das Echolot zeigte noch 1.9m als wir es ausschalteten) und in den Wanten weiterhin der NW3-4 tönt, legen wir uns jetzt in die Kojen und schauen, was uns der Sonntag bescheren wird.

Bilder von Oostende kommen dann vielleicht morgen noch – je nach Abfahrtszeit. Momentan deutet die Tide auf einen Start gegen 8.30h hin – mol luege.


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