Stay at home! und nochmals und nochmals. Fast wie ein Prediger betet der Prime Minister der Bahamas diese Anforderung in seiner Sonntag Abend Ansprache herunter. Die Bahamas sind nun seit 10 Tagen im Ausnahmezustand. Am Freitag, 20. März wurde der Lockdown ausgerufen – das war der Tag der Heimreise von Manfred und Monika – und am folgenden Montag darauf mit dem Curfew, der generellen Ausgangssperre zur Eindämmung der wilden Verbreitung des Covid-19 Virus für eine Woche verschärft. Erlaubt sind nur Essential Services (Lebensmitteleinkauf, Tanken von Wasser und Diesel, Arztbesuch, Apotheke, Wäscherei) und Notfälle. Bier, Wein und Stärkeres wird in Liquor Stores verkauft und zählt weder zu Lebensmitteln noch zu Notfällen. Da habe ich eindeutig den letzten Moment verpasst, um mich einzudecken. Alles andere habe ich, das heisst Grundnahrungsmittel und Hygieneartikel für etwa 2 Monate und Wasser-, Diesel- und Benzintanks sind alle voll.
Also kein Grund zur Panik. Die ersten Tage habe ich aber Mühe, bin nervös und grüblerisch, analysiere und entwerfe tags und nachts die schlimmsten Szenarien, wie es weiter gehen könnte. Und dazu die Enttäuschung und der Frust, dass mit der weltweiten Pandemie gleich auch unsere Reise und Atlantikrunde automatisch beendet ist, und dass Uschi daheim und ich hier
getrennt mit den Bedingungen kämpfen. Glücklicherweise legt sich nach 3-4 Tagen die Aufregung etwas. Ich komme wieder zu Schlaf, normaler Verdauung und besser geregeltem Tagesablauf.
Nun also nach 10 Tagen Alleinsein in meinem paradiesischen Gefängnis kündigt der Prime Minister die Verlängerung der Ausgangssperre bis am 8. April an und ruft alle eindringlich auf, sich daran zu halten. Etwas anderes kann er ja gar nicht und habe ich auch nicht erwartet. Die Bahamas haben mit ihren rund 400 Inseln verstreut über ein riesig grosses Gebiet auch schon 14 Infektionsfälle. Allerdings beschränken sich diese vorerst auf New Providence mit Nassau und Grand Bahama – die Ballungszentren und Kreuzfahrt-Hochburgen. Trotzdem, die neue Meldung stinkt mir.
Ich gehe den Frust an mit der Aufnahme einiger älterer Pendenzen am Boot und siehe da, es klappt. Montagmorgen, es ist der 30. März, nehme ich mir das Seeventil des Motorkühlwassers vor. Dieses lässt sich schon länger nur noch mit mittlerer Gewalt schliessen. Ich habe es bislang nicht gewechselt, weil dazu das Boot eigentlich aus dem Wasser sollte. Nun bereite ich aber alles sehr gewissenhaft vor, demontiere was möglich ist, um möglichst Platz im Motorraum zu haben, lege Ersatz- und Dichtmaterial bereit und habe sogar Leckstopfen und Lenzpumpe zur Hand. Dann wird das Seeventil mit entsetzlichem Quietschen und Knirschen zugedreht – zu gemurkst trifft es besser – und der Schlauch demontiert. Nun kommt der Moment, kurz volle Konzentration und das alte Ventil aus dem Saildrive Gehäuse rausgeschraubt und das Neue gegen den kräftigen Wasserstrahl wieder eingedreht und angezogen. Puuuaahhh, geschafft, und es sind nur 2-3 Liter Salzwasser in der Motorbilge. Jetzt noch Winkel, Schlauchanschluss und Schläuche wieder montieren. Luftfilter und Kabel zurück an ihrem Platz anschrauben und nach 1 Stunde mit Frischwasserspülung und Trocknen schnurrt der Motor wieder mit einem wunderbaren Kühlwasserstrahl, den ich nun bei Bedarf wieder abschliessen kann.
Nach diesem Erfolg gibt es erst mal Mittagessen und dann gleich das nächste heikle Projekt. Das heisst Ankerwirbel. Dies ist das Verbindungsstück zwischen Anker und Kette und sorgt dafür, dass sich die Kette nicht vertörnt, wenn das Boot bei wechselndem Wind oder Gezeitenströmung um den Anker herumdreht (Fachsprache – Schwojen). Dieser Ankerwirbel hat eine Schwachstelle: er hat nur ein Gelenk, das auf und ab wirkt, aber nicht links und rechts. Bei seitlichem Zug auf den Anker kommt jeweils grosse Last auf das Konstrukt, und es kann sich verbiegen oder brechen. Mein Wirbel ist schon etwas krumm, weshalb ich einen Ersatz bestellt habe, der aber – Corana sei Dank – zuhause blockiert ist. Ich habe aber schon früher einen etwas filigraneren Wirbel mit 2 Gelenken besorgt, den ich nun einbauen will, wenn ich da länger bei wechselnden Winden am Anker bleibe (bleiben muss). Das Problem: das Teil ist am Anker, der das Boot hält, 6m unter Wasser und 30m entfernt vom Bug. Also Zweit-Anker klar gemacht mit langer Trosse und den Anker mit der Wisch eingezogen. In dem Moment wo der Anker aus dem Sand ausbricht, fliegt der Zweit-Anker über Bord und greift zum Glück, sobald ich genug Trosse gefiert habe. Tönt alles einfach, ist allein aber etwas aufwändiger, wenn keiner am Steuer steht und wenn nötig etwas nach hilft. Nun wird der Wirbel gewechselt und alle Schrauben gut angezogen und mit Loctite gesichert. Dann kommt Teil 2 der Aktion der etwas heikler ist: nun muss ich den Zweit-Anker von Hand einziehen, da die Ankerwisch nicht brauchbar ist. Also mit langsamster Fahrt voraus eingekuppelt, Autopilot in die richtige Richtung ein, nach vorne gehechtet und Trosse sowie Anker eingeholt, nach hinten gehechtet ans Steuer und mal ganz ruhig an den neuen Ankerplatz – etwas näher am Strand und etwas besser geschützt – gefahren. Da, wo es mir auch für die erwartete Winddrehung passt, lasse ich den Anker ganz gemütlich mit der Fernbedienung wieder fallen, gebe auf 5m Wassertiefe komfortable 33m Kette und ziehe den Anker mit kräftigem Rückwärtsschub in den Grund. Puuaahh, nun habe ich mir einen richtigen Ankertrunk verdient, trotz des rationierten Biers!
So, zwei heikle Projekte erfolgreich abgeschlossen unter strikter Einhaltung von «Stay at home» und den anderen Auflagen. So kann ich zufrieden in die zweite Woche Curfew starten. Vereinsamen tue ich ja auch nicht, mit viel Unterhaltung über Funk, vom Cockpit zu Besuchern mit dem Dinghi und den ganzen elektronischen Kanälen. Schwimmen und Schnorcheln ums Boot entspricht übrigens auch den Vorgaben – Ein Tauchgang zum Anker zeigt, dass dieser zusammen mit etwa 3 Meter Kette tief und nun unsichtbar im Sand eingegraben ist – diese Nacht sollte ich gut schlafen.