«Wer hat denn da die Kühlschranktüre offen gelassen?» fragt Sandra am Freitagmorgen, dem 1.7., beim Aufstehen. Sie hat recht – es ist s..kalt, grau und regnerisch. Trotzdem – wir sollten nach Stromness, denn wir haben uns bei Border Force für heute 12h dort angemeldet. Das Einklarierungs-Prozedere nach dem Brexit kommt uns gerade bekannt vor; wir kennen solche Abläufe gut aus der Karibik. Wie von den einschlägigen Government-Webseiten instruiert, habe ich am Abend zuvor, bevor wir an der Boje festgemacht hatten, die National Yachtline angerufen, um uns anzumelden und nachzufragen, wie denn das sei wenn man zuerst an einer Boje und dann erst in einem Hafen festmachen wolle. Nick, der freundliche Herr am anderen Ende meiner Telefonleitung entschuldigt sich x-mal für die unklaren Anweisungen, die er uns gibt: «I know it’s really complicated and it shouldn’t be like this, but it is what it is. And tomorrow, when you arrive in Stromness, you needn’t call me again…” Wir haben also eine separate Email sowohl an Border Force, d.h. Customs, als auch an die Immigration Behörden geschickt mit allen unseren Daten und Angaben. In Stromness dürfen wir dann nicht von Bord bevor wir sowohl von Border Force, als auch von Immigration die Clearance bekommen haben. Aber ob und wann jemand an Bord käme für eine Kontrolle könne er uns nicht sagen – «we have lots of pleasure boat traffic arriving from abroad at the moment». Davon haben wir bisher nicht viel gesehen, aber weiter südlich stimmt das sicher. Nun, zu unserem grossen Erstaunen erhalten wir dann tatsächlich kurz bevor wir Stromness erreichen, die Clearance aus Lerwick. Sehr lapidar aber freundlich, und mit der Bitte um Bestätigung des Erhalts. Alles klar – das hat nun doch besser funktioniert als erwartet. Schnell kommt die gelbe Q-Flagge («wir wollen einklarieren») runter und die Orkney-Flagge hoch.
Wir sind noch am Ankertrunk als die Victoria, die freundliche Harbourmasterin vorbei kommt, um die Hafengebühr einzukassieren. Für Tanken jetzt reicht es ihr aber nicht mehr – sie muss zurück in ihren richtigen Job für den Nachmittag. Aber der Skipper kann sie überreden, um 17.30h ausserhalb ihrer eigentlich geplanten Zeit nochmals zu kommen, weil uns 11h morgen Vormittag wegen den Strömen etwas zu spät scheint. Super nett! Und es klappt dann auch – sie ist sogar ein paar Minuten früher da als abgemacht.
Die Zeit dazwischen nutzen wir für Spaziergänge, etwas Büro-Arbeit, eine Wäsche waschen und vor allem – eine laaaaaaange Dusche. Sandra ist extra Münz machen gegangen und hat uns je eine 1-Pfund-Münze besorgt. Wir nutzen diese bis zum letzten heissen Tropfen unter der Dusche, aber das ist tatsächlich schon fast zu lang. Nach dem dritten Mal Einseifen traue ich mich nicht mehr so richtig, dabei hätte es noch mindestens für 2 weitere Durchgänge gereicht. Es sind wohl ca. 10 oder sogar 15 Minuten und der Duschraum sieht nachher aus wie ein Dampfbad. Genuss pur nach fast 5 Tagen ohne (warme) Dusche!
Stromness ist noch immer pittoresk, wenn auch die Spuren von Covid-19 hier an einigen geschlossenen Läden sichtbar sind. Die Hauseingänge sind möglichst farbenfroh dekoriert und es scheint, dass beim letzten Wettbewerb um den schönsten Winkelgarten das Motto «Gummistiefel» gegeben war. Am Rückweg kommen wir noch an einem Dudelsack-Minikonzert vorbei; lots of local colour.
Abends geht’s – auf Wunsch des Restaurantbesitzers erst spät um 21.30h – zum Geburri-Znacht für Sandra ins Hamnavoe. Das heisst scheint’s «Safe Haven» und ist wirklich gemütlich. Die Bedienung entpuppt sich als Bernerin, der Restaurantbesitzer ist Ire und der Koch und Küchenchef ist halb Koreaner, halb Brite. Das ergibt eine spannende Mischung aus Koreanischer und Schottischer Küche, mit viel Liebe und Sorgfalt zubereitet und führt zu exzellenten Resultaten. Die junge Crew hat das Restaurant erst vor einer Woche eröffnet; wir wünschen ihnen viel Erfolg für die Zukunft.
Als wir am Sa., 2. Juli aufwachten, trommelte der Regen aufs Deck und wiedereinmal war jeder Körperteil, der sich unter dem warmen Duvet hervorwagte, sofort ziemlich kalt. Dafür gab es keinen Wind. Was tun? Eigentlich war geplant, das knappe Wetterfenster nach Westen zu nutzen, bevor der Westwind zu stark zunahm. Aber ein wenig Wind brauchten wir schon, um die ca. 90 SM bis Cape Wrath zu kommen. Das Fenster hatte sich soeben auf Montag-Dienstag verschoben. Wir beschlossen, auf Orkney zu bleiben, und eventuell nach Norden z.B. nach Westray zu kommen, um von dort aus einen besseren Kurs nach Westen zu haben.
Mit ganz wenig Wind tümpelten wir so zwischen den Inselchen im Scapa Flow umher, machten kurz in Lyness fest, um dann bald wieder loszulegen für St. Margaret’s Hope. Gemütliches, entspanntes Segeln in der geschichtsträchtigen Orkney Bucht.
Am Abend rissen die Wolken wieder auf und präsentierten St. Margaret’s Hope im schönsten nördlichen Licht – so können die Orkneys eben auch sein. Unterdessen wurde unter Deck mein Laptop auseinander geschraubt – er braucht einen neuen Akku. Ein unangenehmes Gefühl, wenn da die Innereien meines ganzen Berufslebens auseinander genommen werden. Ob er wieder läuft nach dem Zusammenschrauben? Aber es klappt bestens und vielleicht reicht es auch noch, dass Tom, unser nächster Mitsegler nach Sandra, die Lieferung mitbringen kann.
Am Sonntag pfiff es wieder in den Wanten als wir aufwachten und das Trommeln aufs Deck klang insistent. Nix da mit Frühstart, um nach Norden zu kommen fürs Wetterfenster morgen. Zudem hatte sich dieses Wetterfenster gerade in Luft bzw. Wind aufgelöst: auch Mo/Di war nun Starkwind aus West angesagt. Mit etwas Nachhelfen durch die Crew kam der Skipper irgendwann zum Schluss, dass die Situation eine Planänderung erforderte: wir gaben die Idee auf, oben um Schottland rum zu segeln und beschlossen, wieder nach Süden zurück, in den Moray Firth und durch den Caledonian Canal zu fahren. Noch an der Boje wurde die Orkney Flag geborgen und die Schottische gehisst.
Die Ausfahrt aus der engen Bucht wurde bumpy: der starke Wind kam genau von vorne und unser Motor musste uns durch die kurzen, scharfen Wellen schieben. Jedes Wellental ein Schlag, der durchs ganze Schiff dröhnte, jeder Wellenkamm eine Dusche ins Gesicht… es gibt Gemütlicheres.
Diesmal ergibt der Kurs über den Pentland Firth eine Rauschefahrt; nur mit einem kleinen Fetzen Genua und doppelt gerefftem Gross kommen wir mit dem Strom auf einen Speed von mehr als 12kn über Grund… der Skipper strahlt.
Um die Ecke in den Moray Firth müssen wir wieder anluven – und schon sind wir wieder am Upwind-Segeln. Aber das Thema wurde ja schon erwähnt.
Trotzdem fahren wir an Wick vorbei noch ca. 10 SM weiter nach Lybster; ein winziger Fischerhafen, der gut geschützt vor West- und dem angesagten NW-Wind in einem Felseinschnitt liegt. Die beiden Lobster-Fischer am Quai staunen ein wenig über die verrückten Touristen, die da mit dem grossen Boot in ihren kleinen Hafen kommen, warnen uns aber sehr freundlich vor den Felsen auf der anderen Seite der engen Einfahrt und räumen noch schnell vor unserem Festmachen ein paar Lobster Pots von den Pollern weg, so dass wir die Leinen anbinden können. Drinnen könnten wir, meinen sie, an einem der Boote längsseits gehen, aber wir müssten auf mindestens half tide warten um hinein- und dann auch wieder heraus zu kommen. «Oh aye, you’d need at least half-tide for that. But it’s soft mud this side, so you could just try…” (Im O-Ton klingt das aber anders!)
Wir bleiben an der Spundwand draussen, obwohl die etwas ungünstig nach aussen gebogen ist und unsere Relingsstützen sich daran stossen könnten. Half Tide könnte vielleicht für einen Fischer reichen, aber wahrscheinlich nicht für uns.
Am Strand liegen einige tote Basstölpel aufgereiht da – was wohl ihr Problem ist? Wir spazieren hinauf ins Dorf – ein paar Schritte tun uns allen sicher gut; die Beinmuskulatur wurde ja bei den Turnübungen und Kreuzschlägen der Meilen hinter uns nicht so stark beansprucht.
Lybster selbst, oben auf der Kante, ist wie ausgestorben. Wir freuen uns über jedes Lebenszeichen, finden aber nicht sehr viele davon. Das einzige noch offene Pub (wir nehmen an, es sei offen, weil die Türe offen steht. Aber das könnte natürlich auch einfach sein weil sie vom Wind aufgestossen worden war…) hat zwar Licht, aber kein Mensch ist da. Das Hotel ist offensichtlich geschlossen; bis vor kurzem muss es aber noch offen gewesen sein, denn es sind Covid-19-Regeln angeschlagen. Diverse verlassene Autos mit platten Reifen stehen am Strassenrand und irgendwo kärchert ein Mann im Kampfanzug seine Hauswand – wie wenn es nicht so schon feucht genug wäre. Sogar die Kirche ist verschlossen.
Wir nutzen die nur hier oben funktionierende Telefonverbindung, um einen neuen Wetterbericht herunterzuladen (und die Anmeldung für den Caledonian Canal zu bezahlen) und verziehen uns dann bald wieder hinunter ins trockene und von Sandras Kochen wohlriechende Schiff.