Samstagmorgen begrüsste uns morgens in Dover strahlender Sonnenschein. Die weissen Felsen von Dover leuchteten, eine ganz sanfte Brise strich ums Boot und vom Land her hörte man die ersten Kinder im Wasser kreischen. Stimmt, ist ja Sommer, auch wenn das Thermometer morgens ca. 14 Grad zeigt – sowohl fürs Wasser als auch für die Luft. Solche technischen Details halten «real English children» nicht vom Planschen im Meer ab, wenn der Kalender den 11. Juli zeigt. Ich sitze in der Sonne im Cockpit, geniesse meinen heissen Tee und schreibe Bericht, während der Skipper unter Deck dem Wetterbericht ein paar Knoten Wind zu entlocken versucht. Die kommen gemäss Wetterwelt nur sehr spärlich daher. Trotzdem heben wir nach dem Mittag den (wieder im Jahrhunderte-alten Schlick sehr fest eingezogenen) Anker, um mit der passenden Strömung den «Sprung» ans Festland anzugehen. Frankreich ist sehr gut sichtbar und bei diesem Wetter scheint es wirklich nur ein Katzensprung da hinüber zu sein. Nur den Schiffsverkehr sollte man dabei nicht vergessen. «Permission to leave the harbour via the West entrance?» – “Yes, M’am, you are cleared to go, please keep a sharp lookout for small craft in both directions.” Und schon motoren wir in Richtung Ost-Süd-Ost und lassen einen weiteren Quarantäne-Schritt hinter uns. Die Erleichterung ist vor allem bei Bänz sehr gross; er hat seit dem 20. März in verschiedenen Ländern fast 3.5 Monate Quarantäne-Bedingungen hinter sich und kann es kaum erwarten, in Frankreich anzukommen und unbesorgt an Land gehen zu dürfen.
Vorbei an wohl einem der letzten noch betriebenen Feuerschiffe, mit starkem Seitenstrom geht’s ins Traffic Separation System, quasi die Autobahn für die dicken Pötte. Zuerst kommen sie von links, dann sind wir im Mittelstreifen und dann muss man rechts schauen. Aber erstens ist das alles viel weniger aufregend mit AIS und dessen genauen Angaben und zweitens haben wir den Eindruck, dass auch hier Covid-19 wirkt und viel weniger Verkehr ist als auch schon. Trotzdem; das Bild im AIS-Monitor mit uns als Mäuschen zwischen den grossen Schiffen auf der Autobahn ist noch immer beeindruckend.
Wir können relativ bald mit etwa halbem Wind segeln (nachdem ich dem Skipper das Versprechen abgeknöpft habe, bei einem Flautenloch den Motor zu nehmen und nicht auf der Autobahn rum zu eiern, bis wieder Wind käme. Es wurde jedoch nicht nötig, das Versprechen einzulösen) und queren den Ärmelkanal gemütlich bei schönstem Wetter und nur ganz wenigen Ausweichmanövern (einige Grade höher oder tiefer steuern genügt) in ca. 3 Stunden. Auf der französischen Seite spült uns der Strom quasi direkt in die Einfahrt nach Calais und schon bald hängen wir vor den Marina-Toren an einer Boje und warten auf die Brückenöffnung, die weniger als 30 Minuten nach unserer Ankunft schon stattfindet. Nebst uns fahren noch zwei weitere ausländische Boote (Belgier) und viele Franzosen in den Hafen ein. Am Land ist Samstagabend-Chilbi mit vielen Ausflüglern; von Social Distancing ist nicht viel zu sehen.
Vom sehr jungen Marina-Mitarbeiter lassen wir uns die hier geltenden Regeln erklären: Maskenpflicht in Restaurants am Weg zu und vom Tisch und auch in den Läden. Draussen sei keine. Weil sein PC gerade «bloqué» sei, könne er uns keine Ein- und Austrittskarte für die Marina geben, aber falls seine Chefin noch rechtzeitig vor 20h eintreffe und den PC deblockieren könne, würde er uns noch eine bringen. Wir sind nicht gestresst; ich freue mich vor allem auf eine erste Dusche seit dem Pub in Hamble (dazwischen gabs nur Katzenwäsche, denn für die Cockpitdusche war es mir einfach zu kalt) und bin froh, dass ausser den beiden genannten Regeln alles andere «tout normal» sei. Ausgiebig und heiss geduscht sitzen wir beim extra auf nach der Dusche verschobenen Ankertrunk im Cockpit, als der junge Mann tatsächlich daher gejoggt kommt und uns die Karte bringt. Das ist echter Service! So geht’s nach dem Ankertrunk noch auf einen Spaziergang nach Calais. Die Restaurants sind voll, vor den Frittenbuden steht man Schlange, Freunde begrüssen sich mit Umarmungen, es wird flaniert und geschäkert – wir haben den Eindruck, es sei mehr los als vor ziemlich genau einem Jahr, als wir das letzte Mal hier waren. Corona? Was ist das? Etwas verunsichert geniessen wir trotzdem den Spaziergang; schliesslich waren wir seit Hamble am Mittwochmittag nicht mehr an Land.
Auch für mich hat sich an diesem Tag der Kreis dieser Reise geschlossen. Wir haben sehr viel Schönes erlebt in dieser Zeit, es gab keine groben Unfälle, wir wissen, dass wir gut und gerne so lange gemeinsam mit sea magiX unterwegs sein können und wollen, und wir können trotz sehr ungewöhnlich erschwerten Bedingungen sea magiX unbeschadet und nur von vielen Stunden Sonne und Salzwasser gezeichnet nach Hause bringen. Der Pilot war rundum gelungen und wir wissen jetzt, wie wir eine nächste längere Reise irgendwann in Zukunft angehen wollen.
Eigentlich ein sehr erfolgreiches Fazit, das keinen Grund zur doch noch vorhandenen Wehmut gibt. Es ist halt eben das Ende dieses Abenteuers und nicht wie vor einem Jahr sein Anfang. Und ich brauche jetzt wohl noch ein wenig Zeit, um diesem Ende seinen gebührenden Raum zu geben. Die ca. zwei Wochen, die wir bis Rendsburg etwa planen, werden genau richtig sein dafür.
Angesichts der weiterhin sehr spärlichen Windvorhersage ignorieren wir am Sonntagmorgen die Brückenöffnungen (die letzte an diesem Morgen ist um 08:39h) und geniessen stattdessen die von Bänz in der nächsten Boulangerie geholte ganz frische Baguette, bevor es zum Einkauf im Supermarkt geht (wo die Ausländer nebst dem Personal die einzigen sind, die Masken tragen). Jetzt sind wir wieder ausgerüstet mit Bier, Chateau Carton in rot und rosé (wir hatten in England einen Easy Drinking Rosé gekauft, der sowohl wie Himbeersirup aussieht, als auch so schmeckt. Mir stellt sich die Frage, wozu es «Easy Drinking» Wein geben muss. Ein etwas fragwürdiges Konzept, finde ich.), sowie mit frischem Salat, Früchten und Brot. An Bord sind noch grössere Mengen von Büchsen und Grundnahrungsmitteln aus Bänzs Lockdown-Zeit in den Bahamas. Damit wären wir wohl für mehr als noch zwei Wochen gut versorgt und somit ist nicht viel Einkaufen im Programm. Es wird eher darum gehen, diverse Varianten der Verwertung von Büchsen zu finden, bevor sie uns vollkommen verleiden. Eine andere Art der kulinarischen Herausforderung als sonst, aber der stelle ich mich gerne, wenn zwischendurch ein Glas Rotwein oder Rum zu Unterstützung bereit steht…
Der weitere Plan ist, am Sonntag mit der Nachmittags-Tide nach Dünkirchen zu schippern und dann trotz weiterhin wenig und auch wenig passenden Winden möglichst bald die belgische und holländische Küste hinauf nach Deutschland zu segeln. Mal sehen, was aus diesen Plänen wird.