„Na, das kann ja mal lustig werden!“ wird sich der eine oder die andere gedacht haben, als wir am Montagabend etwa um halb acht aus dem Hafen von Wick gekommen sind. Es blies mit etwa 5Bft aus dem altbekannten Südosten und dazu kamen die unangenehmen Stromwellen, die in dieser Gegend nicht zu unterschätzen sind. Wir waren auch aus diesem Grund um diese Zeit losgefahren, denn dann war der Strom zwar nicht ideal für unseren generellen Kurs nach Südosten, aber wenigstens mit dem Wind. Trotzdem waren die Wellen beachtlich und wie üblich kurz, das heisst schwer auszusteuern, so dass der Bug immer wieder mal eintauchte und unsere brave Seamagix viel kaltes Wasser zur steuernden Crew schaufelte. Eine Stunde später oder so wurde dem Ganzen dann noch der Regen beigesteuert, der eigentlich noch gefehlt hatte. Und mit den dunklen, tief hängenden Wolken wurde es ausnahmsweise auch in dieser hohen nördlichen Breite mal so richtig dunkel, dass man weder Wellen noch Schiff und Segel mehr sehen konnte. Etwas Gutes hatte der Start in diesen Verhältnissen: uns war allen klar und die Hoffnung gross, dass es nur noch besser werden könnte. Und so war’s dann auch; zuerst liess etwa um Mitternacht der Regen bis auf etwas Drizzle und Nebel nach, dann stellte der Wind kurz ab um auf südlichere und somit passendere Richtungen zu schwenken und dann wieder aufzudrehen und im Verlauf des Morgens lichtete sich auch der Nebel und machte strahlendem Sonnenschein Platz. Das war auch gut so – wir waren alle drei ziemlich müde, denn an Schlaf war bei dem Geholpere und Getöse nicht zu denken gewesen, auch wenn wir uns jeweils für unsere 1,5 Stunden Freiwache wirklich in die hüpfenden Kojen gelegt hatten. Bei diesen Verhältnissen konnten wir Leonie nicht einsetzen und mussten somit Zweierwachen fahren, was jeweils die 90 Minuten Freiwache für die dritte Person ergab. Am Morgen nahm der Wind wieder auf 5-6 Bft zu, so dass wir das Grosssegel irgendwann ganz herunternahmen. Nur mit dem halb eingerollten Vorsegel lief SeamagiX noch immer sehr gut auf unserem für die nächsten Tage geltenden Kurs von etwa 120 Grad. Da wir inzwischen ausserhalb des Bereichs des starken Stromes waren, hatte sich auch das Wellenbild beruhigt und die Schaumkronen kamen alle nur noch aus einer Richtung. So konnte Leonie nun doch übernehmen und sofort entspannte sich die Lage an Bord merklich.
Trotzdem: es war anstrengend… Jedes Kästchen auf der Luvseite ergoss sich über den Unglücklichen, der es zu weit geöffnet hatte, um zum Beispiel einen Becher rauszunehmen. Oder im kleinen Bad, in welchem das Reserve-WC-Papier ebenfalls auf der Luvseite zu finden war, kamen einem alle Sonnencremes, Mückensprays und Verbandsmaterialien wie Geschosse entgegen, wenn man das Türchen nicht schnell genug wieder zugedrückt hatte. Schlafen im Vorschiff war schwierig bis unmöglich: die Wellen, die sich über den Bug und die Vorschiffsluke ergossen, zusammen mit dem lauten Sprudeln des Wassers, das entlang dem Schiff rauschte, plus die heftigen Bewegungen, bei welchen man immer wieder mal den Kontakt mit der Matratze vollständig verlor – ich hatte öfters den Eindruck, ich sei in einer grossen Waschmaschine im Schnellwaschgang. Was waren wir froh um den noch schnell in Thurso für 20 GBP erstandenen Schlafsack und das Leesegel im Salon! Auch wenn der Schlafsack penetrant muffig nach dem Laden roch, in dem wir ihn gekauft hatten. Während wir im Vorschiff mit der Waschmaschine kämpften, „genoss“ Tom in der Achterkoje das Schäumen des tanzenden Diesels im Tank unter seinem Ohr. Das ständige Gluggern und Blubbern regte wohl in seinem Unterbewusstsein seine Blase ständig an. Der Gang aufs WC war aber ebenfalls jeweils eine sportliche Leistung, bei der jeder nachher froh war, wenn dabei weder am Schiff noch an der Person etwas in die Brüche gegangen war…
Aber unsere diversen Wetterberichte hatten alle vorher gesagt, dass der Wind auf südliche und dann südwestliche Richtungen drehen würde und am Mittwoch dann auch abnehmen sollte. So wussten wir, dass dies eine begrenzte Zeit des Rodeo sein würde, und konnten uns darauf einstellen. Auch, dass die Sonne ab Dienstagmorgen wirklich quasi ununterbrochen schien, war für die Stimmung an Bord von grosser Bedeutung. Trotzdem – niemand hätte diese Verhältnisse gerne länger gehabt als unbedingt nötig. Es wurde uns allen einmal mehr klar vor Augen geführt, dass bei solchen Fahrten das schwächste Glied fast immer die Belastungsgrenze der Menschen ist, und nur in den selteneren Fällen das Boot, wenn Letzteres gut gewartet und gepflegt ist.
Im Verlauf des Mittwochmorgens liess der Wind dann von seinen 5-6 auf 4-5 Bft nach und drehte auch weiter auf Süd, wie angekündigt. Sofort wurde das Wellenbild ruhiger und die Fahrt sehr viel angenehmer. Allmählich wurde von vollem Oelzeug mit Stiefeln und Rettungsweste auf Kleider ohne Oelzeug umgestellt und bis am Donnerstagmorgen war es sogar mir warm genug, um eine Cockpitdusche zu nehmen (mit heissem Tee danach). Nicht nur die Luft, sondern auch das Seewasser war deutlich wärmer geworden im Vergleich zu den 11 Grad, die Tom im Scapa Flow so geschockt hatten. Und der Süsswasser-Duschsack wurde im Verlauf eines sonnigen Tages wirklich richtig warm. Trotzdem – karibische Verhältnisse sind doch noch deutlich komfortabler.
Die Nächte waren – abgesehen von der Startnacht – jeweils wunderschön. Gegen 23h ging im Osten der Mond dunkelorange und gross am Horizont auf und schien danach hell wie ein Scheinwerfer. Im Norden und Westen wurde es meist etwas dunkler, so dass die Sterne klarer zu sehen waren. Auch der Milky Way wurde gegen Mitternacht etwas sichtbarer. Gegen 04.00h kam die Sonne – am zweiten Tag eher verhalten und am dritten Tag mit einem roten Farbschauspiel vom Feinsten. Ab und zu erschreckten wir einen schlafenden Vogel, der dann flügelschlagend das Weite suchte. Ansonsten war man alleine mit sich und seinen Gedanken.
Abgesehen von den unzähligen Oelplattformen mit ihren Wachhunden, den SAR- und Versorgungsbooten, war es ruhig und unkompliziert. Die SAR-Boote der Plattformen riefen uns gelegentlich am VHF auf und baten um grössere Abstände, aber sonst hatten wir selten Schiffsbegegnungen. Auch in der dritten Nacht, in welcher die Anzahl Plattformen ab- und der Verkehr an Tankern und Cargoschiffen merklich zunahm, mussten wir pro Wache selten mehr als ein Ausweichmanöver fahren.
Die beiden wichtigsten Langfahrt-Themen Energie und Wasser konnten wir auch auf dieser Überfahrt so problemlos lösen, dass wir selbst staunten. Bei dem schönen Wetter lieferten sowohl das bewegliche Solarpanel, als auch unsere fröhlich vor sich hin surrende Wassergeneratorin Gisela so viele Ampèrestunden (man merkt, ich habe das Elektrik-an-Bord-Buch doch dabei auf meinem Kindle), dass wir den Wassermacher, Kühlschrank und alle möglichen Stromfresser immer wieder einschalten konnten bzw. mussten, um den produzierten Strom zu nutzen. Sehr komfortabel so! Bisher haben wir also noch wenig gefunden, was unsere PoC-Learnings ergänzen würde.
Aus meiner Sicht sind nur wenige Themen noch offen. Eines davon sicher die Frage, wie ich meine beruflichen Verpflichtungen mit einer noch längeren Abwesenheit als bei diesem PoC in Einklang bringen kann. Die Internetverbindungen haben in den abgelegenen Nord-Schottischen Gebieten schlecht funktioniert, was die Planung von „Arbeitszeiten“ verunmöglichte. Zudem habe ich den Weg noch nicht gefunden, um nicht die Erholung des Urlaubs durch ständiges „Im-Dienst-Sein“ zu unterminieren, aber auch nicht so vollständig auszuklinken, dass es für das tolle Team zuhause problematisch wird. Vielleicht ist es eine Lösung, dafür zu sorgen, dass ich etwa alle zwei Wochen einen Arbeitstag einlege. Fixe Zeiten bestimmen wird – zumindest aufgrund der jetzigen Erfahrung mit Schottland – wohl nicht gut möglich sein. Hier wird das PoC wohl noch weitere Lösungen liefern.
Nach ziemlich genau 72 Stunden, d.h. 3 Nächten und 3 Tagen, haben wir die 450SM gesegelt und sind in Esbjerg mit seinen stillgelegten oder zu bearbeitenden Bohrinseln vor dem Hafen angekommen. Davon waren es nur 38 SM unter Motor, entgegen unseren Erwartungen. Auch die jeweiligen Etmale waren beachtlich – es ergibt sich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 6kn; wir sind sehr zufrieden mit unserer Seamagix und auch sehr mit Leonie: sie hat sehr brav und unkompliziert den grössten Teil der Strecke gesteuert. Das ist wirklich Gold wert!