Es ist deutlich geworden, dass unser PoC-Gedanke von allen beteiligten Instanzen ernst genommen wird; auch von Neptun und Aeolos.
Von „Wetterwelt“ haben wir uns einen 42-Stunden-Wetterbericht heruntergeladen und eine Route von Borkum diesmal innen an der Terschelling Traffic Separation Fahrrinne nach Osten, bis zu ihrem Ende nördlich von Wangerooge und dann mit scharfer Linkskurve nach Norden auf Helgoland gelegt. Wind ist Bft 4-5 mit Böen bis 6 angesagt; zuerst aus Süd bis Südwest und dann auf West drehend. Um den Strom in der Ems und im Riffgatt am Weg hinaus nicht gegenan zu haben, legen wir eine Startzeit von 08h am Ende der Fahrrinne zum Hafen fest. „Wetterwelt“ rechnet uns eine Ankunftszeit von 20:52h in Helgoland aus, was ich mit etwas Skepsis zur Kenntnis nehme. Es sind doch immerhin mal wieder mehr als 80 SM und der Strom wird lange gegen uns sein. Und die Querung von Fahrstrassen kennen wir ja schon mit ihren Tücken.
Beim Losfahren ist es grau „mit Sonnenhoffnung“ und es bläst ein für uns perfekter Wind mit 3-4 Bft aus Süd. Als wir ins flache Riffgatt einfahren, um den Weg nach Nordosten zu nehmen, hat er auf 4-5 Bft aufgefrischt und wir sind wieder unter der dafür bei uns üblichen Besegelung von 2 Reffs im Gross und 1/3 eingerollter Genua unterwegs. Aber mit Wind von hinten ist das recht leicht zu steuern, zumal es in dem Gatt (Gatts sind schmale Fahrwasser in Tidengebieten, die meist mit Tonnen bezeichnet sind und einen Weg durch die Untiefen zeigen.) trotz seinem dramatischen Namen mal komfortable Wassertiefen von 6-8m hat, was meine Nerven schont. Ich fange bei anderen Gatts bei 4m Wassertiefe an, sehr nervös zu werden.
Kaum sind wir durch das Gatt und können nach Nordosten abdrehen, wird es hinter uns dunkel mit Regenstreifen. Wir schätzen den Weg der Wolke richtig ein und bald hat uns der Schauer mit seinen Böen erreicht. Ohne sie vollständig zu entlasten, kann ich die Genua alleine nicht verkleinern. Aber wenn ich sie entlaste, schlägt sie stark im – eben starken – Wind und das tut dem schönen neuen Tuch wirklich nicht gut. Mir wird vom Skipper – und von mir selbst, vor allem als ich merke, wie müde meine Arme werden – ein neuer Teil vom Fitnessprogramm mit Kraftaufbau in den Armen verordnet. Mal sehen, ob ich bis in einem Jahr mit Popeye wetteifern kann. Spinat mag ich ja schon.
Die Schauerböen folgen sich nun in munterer Reihenfolge. Genua einrollen, Leonie neu einstellen (sie hat das Ruder bald nach dem Gatt übernommen), eine bleibt draussen, einer hütet die Navigation J, dann wieder Genua ausrollen und weiter geht’s. Ich vermute hier eine Abmachung zwischen Bänz und den Meeres- und Windgöttern, um mir die Freuden des Squalls-Segeln zu zeigen, ich nehme an, damit ich sehe, „dass das ja auch gut geht“. Derweil frage ich mich, wie ich je die Genua alleine bändigen können werde und ob ich mir das wirklich – dann noch typischerweise nachts – über längere Zeit antun will. Ein grosser Unterschied würde aber auf dem freien Wasser bestehen: Leonies zwangsläufige Kursänderungen teils um 20 Grad, könnten dort problemlos missachtet werden. Hier geht das nicht, weil wir links die Fahrstrasse mit den dicken Pötten haben und rechts die Ostfriesischen Inseln. Da ist nicht so viel Platz um Kurven zu fahren. Und ein weiterer Unterschied wäre dann wahrscheinlich auch die Temperatur. Obwohl wir uns in diesem Sommer hier in Nordeuropa wirklich nicht beklagen können, ist es halt trotzdem etwas mühsam, im vollen Oelzeug mit Rettungsweste und Stiefeln an den Leinen zu ziehen, bis einem der Schweiss in Bächen runterläuft. In der Karibik bzw. am Weg dorthin stelle ich mir das etwas angenehmer vor, wenn das Regenwasser am T-shirt oder der leichten Jacke einfach wieder trocknet.
Bei einer dieser Squall-Aktionen geht auch für Bänzs Zugkraft die Rollreffleine der Genua zu schwer und er nimmt die Winsch zu Hilfe. Wie auch er instinktiv eigentlich wusste, ein Fehler: als wir sie kurz danach wieder ausrollen wollen, geht sie nicht auf. Die Reffleine hat sich zwischen der Umlenkrolle und dem Schiff so richtig tief verklemmt. Das ist höchst unangenehm, denn das bedeutet, dass wir das Segel in diesem Zustand weder vergrössern noch verkleinern können und die nächste schwarze Wand naht schon wieder von schräg links… Natürlich dreht auch der Wind in diesem Moment und wir sollten Halsen, aber das geht nicht, sonst würde ich meinen Liebsten vom Vorschiff fegen.
Einige (kleine) Flüche und etwa eine halbe Stunde später hat Bänz auch dieses Problem mit diversen Leinen und Umlenkungen, viel Kurbeln und wieder Freigeben, und einigem an Adrenalin und „Elbow-Grease“ gelöst. Gerade rechtzeitig vor dem nächsten Squall.
Der Wind pendelt sich auf eine Stärke in den oberen Bereichen von 5 Bft ein und wir nehmen für längere Zeit das Grosssegel herunter; Leonie steuert sofort ruhiger und gerader und auch die Schiffsbewegungen werden runder.
Gegen Abend, etwa 12 SM vor Helgoland, lässt er ein wenig nach und schon kommt das Gross wieder hoch. Und wie ich befürchtet hatte, ist auch gleich der Wind wieder da. Nun wird es für Leonie doch zu viel, bzw. ihre Kursausschläge machen den Navigator so nervös, dass ich alle 2 Minuten eine Kurskorrektur vornehmen soll. Als ich beginne, um des feine Verstellrad zu fürchten, mit welchem die minimalen Korrekturen gemacht werden, übernehme ich das Steuer wieder von Hand. Das entpuppt sich bald als weiteres Krafttraining für meine sowieso schon müden Arme, denn nun wird’s nochmals recht heftig bis zur Insel. An der ersten roten Tonne kurz vor Helgoland rauschen wir in gefühlten 5m Höhe und zwei Bootslängen Abstand vorbei; es hat sich eine recht aufgewühlte See aufgebaut.
Wir staunen über einen Segler, der uns unter Motor bei diesen Bedingungen entgegen kommt, und stellen uns die „Diskussion“ an Bord vor, als wir buchstäblich seinen ganzen Vorder-Rumpf inklusive Kiel sehen können, bevor er wieder mit dem Bug in die Welle eintaucht und nur noch der Mast und das Heck zu sehen ist. Und siehe da – hinter uns dreht er ebenfalls auf unseren Kurs ab und kommt auch nach Helgoland herein. Die Furcht vor der Scheidung oder vielleicht einfach die Aussicht auf eine Nacht Rodeo? Wir wissen es nicht, können uns aber alle möglichen Szenarien ausmalen.
In Helgoland sind wir bald im Päckchen als zweites Boot angebunden und am wohlverdienten Ankertrunk. Die im Logbuch eingeschriebene Zeit für „Motor aus“: 20:45h. Ich gebe ja gerne zu, dass meine Skepsis gegenüber der Angabe von Wetterwelt unbegründet war, aber dass es dann so genau stimmen würde, das ist nun doch schon fast unheimlich!