Living in the moment

(West-)Irland; Land der Kontraste, der schnellen Wechsel, des vergänglichen Moments, des Hier und Jetzt oder hic et nunc… einmal mehr zeigt uns diese dramatische Insel, wie schnell sich alles ändern kann und wie wenig Einfluss wir darauf haben.

Gestern hatten wir hier in Valentia den Sommertag des Jahres. Heute, am 1. August-Geburtstag unseres Heimatslandes ist am gleichen Ort hier in Irland wieder Weltuntergangsstimmung. Was den Unterschied so faszinierend macht, ist das jeweils Extreme; die Intensität der Farben und der Lebenslust bei Schönwetter und das drückend-graue Ende der Welt wenn die nächste Front durchzieht. Und wir? Wir sitzen gemütlich im trockenen Boot, gucken ab und zu sorgenvoll zu unserer Regenblache, deren Gummistropps allmählich ausfransen und widmen uns den Krimis, der Internetrecherche oder diesem Bericht, was gerade beliebt – wie schon öfters gesagt; Luxus pur.

Mit meinem letzten Bericht hatte ich wohl versehentlich die Götter mit meinem «Aufgegangenen» Hochmut etwas zu sehr provoziert. Am nächsten Tag zahlten sie es uns heim: wir starteten gemütlich am Vormittag, um den mitlaufenden Strom 15 Seemeilen weiter vorne im Blasket Sound zu erwischen. Der Wind hatte auf Südwest gedreht, wie angekündigt, aber die hohen Berge hinter Brandon und das Wissen um den gut eingefahrenen Anker hatten uns eine wunderbar ruhige Nacht ermöglicht. Bald nach der Ausfahrt aus der Bucht begann sich die Welt um uns in Nebel zu hüllen und der Wind drehte etwas auf, zu 4-5 Bft und weiter auf die Nase. Nach einer Stunde gesellte sich der Drizzle hinzu und die Wellen wurden kürzer und höher wegen des Strom-gegen-Wind-Themas; wir bewegten uns mal wieder in einer Waschmaschine mit wenigen Hundert Metern Sicht (so dass es gerade noch reichte, den Lobster Pot-Bojen auszuweichen), begleitet von grossen Schwärmen von Guillemots und einzelnen Puffins und sonst mit dem Gefühl, die einzigen anderen Lebewesen auf dieser Wasserwelt zu sein.

Eine Wende brachte uns zum Eingang der Bucht von Smerwick Harbour, ca. 5 SM vor dem Kap in den Blasket Sound. Wir schauten uns an: weiter oder hier hinein? Der Entscheid war schnell gefällt, denn eigentlich machte das Segeln so schon nicht mehr so viel Spass. In der grossen, nach Nordosten offenen Bucht sind mehrere Ankerplätze eingezeichnet. Wir suchten uns jenen, der am besten gegen N- und NW-Wind geschützt sein sollte, denn es war angekündigt, dass nach dieser Front der Dreher um fast 180 Grad auf NW kommen würde.

Im zweiten Versuch hielt der Anker auch dort, aber es war mir nicht so wohl, denn wir lagen wie vom Yachting Pilot instruiert recht nah bei der felsigen Küste und ich hatte ständig das Bild vor mir, wie sich der Anker zwischen zwei Felsen und etwas Kelp festgeklemmt hätte aber nicht wirklich eingefahren sei, obwohl wir mit viel Motorkraft daran gezogen hatten. Das ganze doppelte Manöver fand dann auch noch im inzwischen eingetroffenen «rain, heavy at times» statt – am Ende tropfte es so richtig aus unseren Oelzeugen. Die Götter hatten uns gezeigt, wie ein Plan auch noch weniger gut aufgehen könnte. 😊 Nur schemenhaft konnten wir ein wenig von Smerwick und der Bucht erkennen – unsere Welt war vom Nebel eingehüllt wie in Watte.

In der Nacht, bzw. am frühen Morgen um 3h drehte der Wind dann genau wie angekündigt, nur etwas weiter als erwartet, nämlich auf Nordost. In der Koje hörte ich ganz genau, wie die Ankerkette am Boden über die Felsen schleifte, während sich sea magiX neu ausrichtete – jetzt mit dem Heck zum nahen, felsigen Land… Nach einer Stunde hielt ich es nicht mehr aus und nutzte eine Pause im leisen Sägekonzert des Skippers, um die altehrwürdige Frage zu stellen «schläfst du?» 😊 Auf dem Plotter stellten wir den Ankeralarm ein und schauten in die noch dunkle Nacht hinaus, ob wir eine «unerlaubte» Rückwärtsbewegung erkennen könnten. Mehr konnten wir in dem Moment nicht wirklich tun. Aber während es neben mir bald wieder ans Späneproduzieren ging, konnte ich die Bilder von dem jetzt nur noch an einer Kelpwurzel hängenden Anker nicht aus meinem Kopf bekommen und hörte bei jeder Schleifbewegung der Kette über den Felsboden genau hin, während sich das Bild noch beunruhigender ausmalte und die Kelpwurzel dünner wurde in meinem Kopf… Die Götter rächten sich richtig, gleich ein zweites Mal. Für einmal war ich richtig froh, als es früh zum Aufstehen und Aufbruch ging. Wir hatten einmal mehr die Wechselhaftigkeit von Irland erlebt – und auch wieder das Extreme dabei; Winddreher um 180° sind hier normal, aber fürs Ankern nicht so einfach.

Im ähnlich übertriebenen Stil ging es gestern, am 31.7., dann wieder weiter; während wir aus der Bucht segelten, riss der Himmel allmählich auf und präsentierte uns den gestern kaum erkennbaren Ankerplatz von Smerwick im schönsten Morgenlicht.

Auch die Fahrt durch den Blasket Sound mit den nadelförmigen Blasket Islands wurde spektakulär beleuchtet. Und wie zur Versöhnung hatten wir dann eine wunderbar gemütliche, sonnige Raumschotsfahrt – teilweise aufgepeppt mit dem Gennacker – unter Begleitung von mehreren Delphinschulen zur Einfahrt von Valentia Island. Es reichte schön, um das Oelzeug zu trocknen.

Valentia Island formt mit dem Festland mehrere perfekt rundum geschützte Buchten und hat in Knightstown eine lange Pier mit Schwimmsteg, die wohl mal als Marina geplant war aber irgendwie nie fertig gestellt wurde. Die Pier ist bestens funktionsfähig, nur gibt es keine Facilities und auch die eigentlich fertig gebauten Strom- und Wassersäulen sind nicht angeschlossen. Aber man kann daran festbinden und das Boot alleine lassen, ohne sich um die für heute 1.8. angekündigten 180°-Winddreher kümmern zu müssen, und das ist im Moment gerade aus meiner Sicht ein schlagendes Argument für diesen Ort.

Der Sonntag gestern, August Bank Holiday Sunday, entwickelte sich zum absoluten Sommertag für diese Gegend. Die Menschen tummelten sich im und auf dem Wasser, spazierten über die Pier, genossen ihre Pints im «Royal Valentia», dessen Tische draussen bis auf den letzten Platz besetzt waren, und genossen ganz offensichtlich den Sommertag. Wir taten es ihnen gleich (nein nein – ins Wasser bringt mich hier wirklich nur ein Notfall!) und bewegten mal wieder unsere Beine nach mehreren Tagen ohne Landgang durch die von Fuchsienhecken gesäumten Strässchen und machten uns unsere Gedanken über das Legen des ersten Transatlantic Cables, das 1916 von hier aus erstmals bis nach New York gelang. Wie lange die Menschen damals wohl daran gearbeitet haben, ein solches Kabel – wohl in x Versuchen mit «Zurück auf Feld 1» wenn es brach – über die ca. 2500 SM lange Strecke zu legen? Aaaabsolut zufällig kamen wir auch am Valentia Ice Cream Parlour vorbei; der Sommertag war perfekt.

Abends, bei wunderbarer Sonnenuntergangs-Stimmung, drehten wir das Boot noch um, damit es mit dem Bug in den für heute angekündigten Wind lag. Und konnten dann ganz ruhig mit einem halben Ohr registrieren, dass es wie angekündigt in der Nacht tatsächlich begann, von Süden her zu pfeifen – und zu regnen.

Heute Morgen gab es dann den nächsten Kontrast: die schöne Landschaft, die ich gestern noch begeistert versucht hatte, in Bildern festzuhalten, war wieder verschwunden – eingehüllt in Nebel-, Drizzle- und Regenwolken.

Dazu pfiff es wieder aus südlichen Richtungen in den Wanten. Bei dem Wetter segeln gehen? Wozu? Wir haben keine Eile und müssen nirgends hin gegen den Wind; da zeigt sich unser Luxusleben wieder. Stattdessen beschlossen wir, mal wieder eine richtig warme Dusche zu suchen. Der Campingplatz in Knightstown öffnete heute am Bank Holiday Monday erst am Nachmittag. Deshalb nahmen wir die (wohl aus Amsterdam importierte, denn mit «God met ons III» angeschriebene) Fähre hinüber ans Festland und spazierten teils im Drizzle 5km nach Caherciveen, wo es eine funktionierende Marina hinter einer Barre gibt. So weit sind wir wohl noch nie für eine Dusche gegangen; es war uns beiden offensichtlich ein wichtiges Bedürfnis. Und so streckte ich die Wahrheit auch ein wenig, als uns der Hafenwart dort fragte, ob wir auf einem Boot seien (und eigentlich meinte, auf einem Boot in seiner Marina). Ich konnte wahrheitsgemäss mit «ja» antworten und jegliche genaueren Angaben weglassen und so kamen wir für je 3€ zu unseren langersehnten und sehr wohligen heissen Duschen. Wäre ja auch sehr schade gewesen, nach diesem langen Weg wieder weggewiesen zu werden.

In Caherciveen stärkten wir uns dann in einem der ganz wenigen an diesem Tag geöffneten Cafés mit einer Cholesterinbombe für mich (Full Irish Breakfast, mit allem Drum und Dran aber ohne Baked Beans) und einer viel dezenteren mediterranen Version für Bänz, kauften im Aldi und Supervalu mal wieder Brot und Salat und wenige weitere Essentials und beschlossen dann angesichts des inzwischen wieder aufgezogenen Nebels, per Taxi zur Fähre zurückzufahren. Kaum an Bord angekommen (Nach einem kurzen Gespräch mit unserem neuen Stegnachbarn «Pat». Hier kommt man sehr schnell mit den anderen Seglern ins Gespräch; das gefällt uns sehr, auch wenn wir uns noch etwas angewöhnen müssen.) folgte die richtige Front und schüttete wie aus Kübeln auf unser Deck und Blacheli herunter, die eingangs erwähnte Weltuntergangsstimmung kreierend; zum Glück waren wir nicht nochmals eine Stunde lang zurück spaziert!

Wir lernen es noch, aber gestern und heute ist es uns recht gut gelungen: im Moment sein; das Hier und Jetzt so erleben, wie es gerade ist, und nicht etwas erzwingen wollen, das jetzt gerade nicht ist. Lebensschule eben; in einem Land, wo der Sommer weniger als 12 Stunden dauert, gelten andere Regeln. We live and learn.


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