Von unserer Überfahrt von Süd-Irland nach Galizien nehmen wir verschiedenste Eindrücke und Erinnerungen mit.
Die perfekten Bedingungen zu Beginn, mit erfreulich passendem Wind, wenig Seegang und schönstem Sonnenschein am Donnerstagnachmittag. Die Vollmondnacht auf Freitag, mit heller Beleuchtung, glitzernder Mondspiegelung, Delphinbegleitung über weite Strecken und dem unendlichen Sternenhimmel über uns. Auch der Freitag nochmals mit Sonne und Wärme und raumem Wind für viele lange Genackerstunden.
Dann die anspruchsvollere Nacht auf Samstag, mit sehr variablen, drehenden Winden, grösseren Wellen und wenig Licht wegen der zunehmenden Bewölkung, bis zum dicken Nebel am Samstagmorgen bei Windstille und Motor-Gebrumme. Einmal mehr wieder die Fantasie-Gebilde im Nebel und zugleich auch ein Radarsignal (aber kein AIS) direkt vor uns, das sehr erratisch kreuz und quer fährt. Unheimlich, wenn so nah etwas sein sollte, das wir weder sehen noch hören (auch weil bei uns ja die Maschine gerade brummt), und mit dem wir nicht zusammenstossen wollen. Dann hebt sich plötzlich der Nebel und siehe da, es ist eine 36-Fuss-Segeljacht mit back stehenden Segeln unter Motor. Ob bei denen alles ok ist? Wir ändern den Kurs und fahren auf sie zu, können mit dem Fernglas den Namen am Heck entziffern und über VHF nachfragen. Es dauert, dann bekommen wir Antwort. Ja, alles ok bei ihnen. Sie zielen nach Vigo. Ob sie bei dem Schlingerkurs, den sie gerade fahren, dort dann auch ankommen? Wir hoffen es für sie.
Dann die Fahrt am Samstag, als wir zwischen zwei Windsystemen stecken und immer wieder mal motoren müssen, bis sich der angesagte Westwind durchsetzt: Am-Wind-Segeln.
Das volle Oelzeug und warmer Faserpelz sind wieder gefragt. Im Logbuch der Eintrag «es wird unruhiger». Eine freundliche Bezeichnung für die wieder anstrengende Bergsteiger-Fortbewegung in der schrägen und holprigen Welt. Im Vorschiff liegen geht nicht mehr; dort sammelt man gerade Flugstunden wenn sich sea magiX durch die Wellen kämpft. Die Salonkojen sind jetzt beide gefragt und es braucht gelegentlich viel Vertrauen in die Aufhängung des Leesegels; was würde passieren, wenn bei einer heftigeren Welle eine der Aufhängungen nachgeben würde? Wäre wohl etwas schmerzhaft, die Landung irgendwo weiter unten!
In der dritten Nacht auf Sonntag frischt es weiter auf; wir reffen. Und hoffen, dass es nicht schon jetzt weiter südlich dreht, da das im Wetterwelt-Meteoprogramm so für Montag angesagt war. (Aber die Daten sind natürlich inzwischen veraltet und die Wettersysteme können sich auch schneller bewegen als vorausgesagt. Das wäre Pech für uns.) Wir sind aber den Berechnungen voraus, weil sea magiX wirklich mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 6kn rechnen darf und wir in den Schwachwindphasen motort haben.
Nach dem teilweisen Einrollen (d.h. Reffen) der Genua gesellt sich ein zusätzliches unangenehmes Geräusch zu den anderen: der Stahlkorb für die Roll-Leine ist ein paar Millimeter zu tief montiert und reibt dann mit viel Energie am Gelcoat im Bug vorne. Es klingt, wie wenn wir bald dort vorne ein Loch bekämen. Eine unerfreuliche Vorstellung, aber eigentlich völlig übertrieben. Trotzdem – das muss bei Gelegenheit geändert werden. Schon am Samstag hatte sich ein anderes Geräusch bemerkbar gemacht. Ein helles Knacken bei Be- und Entlastungsbewegungen des Riggs. Paddy stellt fest, dass die Diagonalwanten nicht mehr wirklich dicht (also straff) sind. Ob das ein strukturelles Problem geben könnte? Wir glauben/hoffen nicht. Und orten das Knacken auch weiter unten irgendwo am Mast. Unter den momentanen, anspruchsvollen Bedingungen können wir ihm sowieso nicht nachgehen. Ein weiterer Punkt für die Pendenzenliste wenn wir wieder irgendwo an einem ruhigen Ort sind.
Am Sonntagmorgen sind es nur noch 80 SM von den ursprünglichen 490 bis Cedeira. Den ganzen Tag lang rauschen wir mit 7kn und mehr durch die Wellen. Leonie (unser Kosename für die Windsteuerung) konnte auf dieser Überfahrt nur sehr wenig Steuer-Arbeit übernehmen; unsere Wachen bestehen meistens aus 2 Stunden am Ruder. In der Nacht auf Sonntag war meine Konzentration dann auch gegen Ende der Wache jeweils dahin (ich finde es sehr anstrengend, nach Instrumenten zu steuern, wenn ich nicht viel sehe: mit zunehmendem Alter kommt da die zunehmende Nachtblindheit zum Tragen. Auch die extra für solche Situationen mitgenommene Autofahrbrille hilft da nicht viel; nach zwei Minuten ist sie salznass und die Sicht getrübt) und die Ablösungszeiten wurden verwischter; die Wachen überlappten sich mehr.
Näher an der Küste gesellt sich ein weiterer Punkt zu den Tagesthemen: seit etwa einer Woche ist genau die Gegend, in der wir jetzt sind, der Hotspot für Orca-Angriffe auf Segeljachten. In der letzten Woche fanden hier an der Nordwest-Ecke Spaniens mehr als 10 unfreundliche Interaktionen mit Orcas statt, die seit 2020 Segelschiffe angreifen und anscheinend recht gezielt ihre Ruder an-/abbeissen, bis das angegriffene Schiff so beschädigt ist, dass es abgeschleppt werden muss. Eine Jacht ist schon gesunken und die Crew musste aus der Rettungsinsel gerettet werden…
Eine äusserst unangenehme Vorstellung! Traurigerweise bewirkt dies, dass wir hier jetzt vor Schreck zusammenzucken, wenn wir eine Delphinflosse sehen (und davon gibt es auch jetzt noch viele), anstatt uns zu freuen. Wir haben ein PAL-Gerät von Professor Dr. Boris Culik vom Maritimen Technologie-Institut besorgt und es hängt bereit für den Notfall, aber eigentlich möchten wir es wirklich nur im Notfall einsetzen, denn wir kennen ja auch die Kontroverse um das Thema Unterwasser-Umweltverschmutzung durch Lärm. Das Gerät sendet im Wasser auf einer für Orcas relevanten Frequenz Signale, die für die Tiere als Warnsignale gelten. Es wurde für die Ostsee entwickelt, um dort den so traurigen Beifang von Schweinswalen bei der Fischerei zu verhindern und ist dort anscheinend seit 2013 sehr erfolgreich im Einsatz. Nun wurde es bzgl. Frequenz für die Orcas angepasst und wir hoffen, dass es helfen würde, uns bei einem Angriff zu schützen. Aber eigentlich ist es uns sehr viel lieber, gar nicht in die Situation zu kommen, in der es eingesetzt werden müsste. Und ob wir es dann schnell genug im Wasser haben, und ob wir dann nicht schon ein beschädigtes Ruder haben, bis die Tiere sich davon beeindrucken lassen, und wie gross bei unserem filigranen Schiff ein Schaden dann wäre, und und und… Jedenfalls wird nun beim Steuern nicht nur nach den hohen Wellen, den starken Böen und nach zu nahen Begegnungen mit den grossen Frachtern und Tankern Ausschau gehalten, die hier ums Cabo Ortegal ziehen auf dem Weg zur Nordsee, sondern eben auch nach schwarzen Finnen von Orcas. (Vgl. die Webseiten orcaiberica.org und https://www.theca.org.uk/orcas)
Mein Vorkochen erweist sich einmal mehr als nützliche Vorbereitung; wir konnten auch bei ziemlich bewegter Fahrt jeden Abend ein warmes Znacht geniessen. Da ich mit vier Abendessen gerechnet hatte, und wir am Sonntag schon recht sicher sein können, dass wir noch am gleichen Tag irgendwo ankommen werden, gibt es da sogar ein warmes Mittagessen. Wir sind mal wieder auf Backbordbug, das heisst, die Steuerbordseite (rechts im Schiff) mit der Pantry (Küche) ist oben. Die altbekannte Situation stellt sich wieder ein, dass Kästchen nur sehr vorsichtig mit vorgehaltener Hand geöffnet werden mit der bangen Frage «was kommt mir wohl jetzt alles entgegen, wenn ich hier aufmache?». Auch wenn wir versuchen, alles so einzurichten, dass Dinge noch irgendwo anhängen vor dem Abflug, sind Überraschungen immer mal wieder möglich. Ein Hoch auf die Erfinder von Antirutsch-Ringen an Tellern und Tassen; die haben das Austeilen von Essen oder das Einschenken eines Tees oder einer Suppe sehr erleichtert. Was wir dann aber beachten sollten ist, dass das Essen im Teller der Gravitation folgend abrutscht, während der Teller sich brav still hält… Die Sauerei entsteht dann einfach andernorts. 😉
Ein anderes Thema auf Überfahrten ist meistens die Energiefrage: wenn wir nicht motoren müssen, wie erhalten wir die Batterieladung genügend, um den Bedarf der laufenden Geräte (Kartenplotter, Instrumente, nachts die Lichter, AIS/Radar, etc.) zu decken? Nun, inzwischen sind wir mit den beiden fix auf dem Bimini installierten Solarpanels und bei bewölktem Himmel dazu noch den Mobilen schon so gut ausgerüstet, dass Gisela, unsere Wassergeneratorin am Heck gar nicht so oft zum Einsatz kommt, oder dass wir sogar einen Energie-Überschuss produzieren und möglichst viele Geräte angeschlossen werden müssen. (Staubsaugen, nur um Energie wieder loszuwerden?) Am Sonntag darf sie aber mal wieder mitfahren (weil es bei diesem holprigen, schnellen Kurs für die mobilen Solarpanels nicht gut passt) und vor sich hin schnurren und kommt bei unseren längeren über-8-Knoten Passagen durchs Wasser so richtig ins Schwitzen (und Rasseln). Wir können den Wassermacher und den Kühlschrank parallel laufen lassen und haben noch immer einen Energie-Überschuss. Eindrücklich, wieviel Power die Sonne liefert, auch wenn sie von Wolken verdeckt ist!
Auch der Wassermacher hat das Leben an Bord bei solchen Passagen verändert. Vorbei sind die Zeiten, als wir noch vor der Abreise viele Wasserflaschen an Bord schleppten. Wir haben noch immer einen kleinen Notvorrat, einen vollen Wassertank, aus dem falls nötig auch getrunken werden kann und vor allem die Meerwasserentsalzung, die bei genügend Energieversorgung bei Bedarf auch stundenlang laufen kann. Wassersparen und Energiemanagement sind die vordergründigsten Themen an Bord und daneben natürlich die physische Sicherheit. Segeln ist wirklich eine verdichtete Form des Lebens. Für mich ist dies ein Teil seiner Faszination, nebst natürlich dem Reisen und Erleben anderer Gebiete und Kulturen.
Deshalb freue ich mich (und die anderen natürlich auch), als wir Sonntagnachmittags beschliessen können, dass wir nicht mehr so viel Vorhaltewinkel fahren müssen, sondern wirklich direkt auf unseren Wegpunkt an der Einfahrt zur Bucht von Cedeira abfallen können. Auch das feierliche Bergen der irischen und Setzen der spanischen Gastland-Flagge gehört in diesen Abschnitt.
Es sind nur noch 20SM (bei den noch immer hohen Geschwindigkeiten etwa 3 Stunden), aber wir sehen von der Küste noch gar nichts; nur Wolken, aus denen ab und zu grobe Böen auf uns herabfallen und weitere Reffs erfordern. Sind wir wirklich richtig? Die Zweifler schauen mal am Radar nach, ob da ein Echo kommt. Ok, doch, kommt. Galizien ziert sich halt ein wenig und macht es spannend. Erst wirklich kurz vor der Küste, weniger als eine Stunde vor dem Landfall, hebt sich allmählich eine dunklere Kontur von den Wolken darüber ab.
Spanien hat ja sein Hoch in die Schweiz exportiert. Wir finden hier wieder irisches Wetter vor, bei etwas wärmeren Lufttemperaturen. Das Wasser ist dafür aber wieder genau gleich kalt wie dort oben, 500 Meilen weiter nördlich: 14.9 Grad Celsius. Denn hier fehlt der Golfstrom, der uns in der Biskaya vielleicht noch ein wenig entgegenkam, aber nicht direkt an der Spanisch-Portugiesischen Atlantikküste entlangläuft. Wir erinnern uns auch an die Bemerkung im «RCC Pilot Atlantic Spain and Portugal»: “Galicia is the wet corner of Spain – it has much the same climatic feel as southwest England.” Na, das kennen wir ja schon und können damit umgehen.
Um punkt 21h Bordzeit (22h Lokalzeit) befinden wir uns auf der Richtlinie des Sektorfeuers von Cedeira. Es beginnt, einzudunkeln, aber noch sind die Konturen gut erkennbar. An den Felsen an der Einfahrt vorbei, im Wellenschutz der Punta Chirlateira das Grosssegel bergen, dann links hinein in die geschützte Bucht – wir sind da, wo Bänz und ich schon vor drei Jahren ebenfalls angekommen waren. Ohne Orca-Angriff, ohne Schäden oder Unfälle, nur glücklich und zufrieden, dass wir eine so schnelle und gute Überfahrt hatten. Es waren 492 SM, davon 52 unter Motor, in ziemlich genau 80 Stunden.
Der Anker fällt und hält schnell und gut, der Apero wird genossen, dann folgt mal wieder mit Gruppendruck noch ein Bad im nachtschwarzen 14.9-Grad-Wasser, das beim Eintauchen auch nur einer Zehe wie wild zu leuchten beginnt. So starke Biolumineszenz haben wir zuletzt 2020 in den Spanish Virgin Islands erlebt; das ist echt eindrücklich. Aber regt trotzdem nicht zu längerem Verweilen an; die Erfrischung ist eben auch markant und unterscheidet sich stark von der Karibik 😊.
Sehr schnell nach dem Bad im leuchtenden Wasser ist es dann still an Bord – wir haben alle einen dringenden Termin mit dem Sandmännchen und schlafen tief und fest, Sekunden nachdem die Köpfe die Kissen berührten. Oder vielleicht noch vorher.