Die Nacht auf den Dienstag, 28.6. war nass mit starken Schauern aber der Wind nahm nie auf mehr als 4 Bft zu. Dass wir hier so weit im Norden sind macht sich zwar einerseits bei den kühlen bis kalten Temperaturen bemerkbar, aber andererseits auch mit der Kürze der Dunkelheit. Fasziniert beobachte ich in meiner 02-04h-Wache, wie die Nacht sich verzieht und dem Tag durch die Wolken hindurch Platz macht. Beim Packen in der Schweiz hatte ich es noch für kaum denkbar gehalten, dass ich sie gebrauchen könnte, aber ich bin schon in dieser ersten Nacht dankbar um meine Merino-Unterwäsche. Das ist die andere Seite des Segelns hier oben, aber da kann man ja etwas dagegen tun mit dem Zwiebelprinzip. Als ich das nächste Mal nach ein paar Stunden Schlaf den Kopf hinaus strecke, begrüsst mich dann aber blauer Himmel, glitzernde See und wunderbarer räumlicher Wind; der Skipper hat Kaiserwetter für unseren Hochzeitstag organisiert 😉. Auch Leonie kommt nun ab und zu zum Zug, da inzwischen ein konstanter Wind mit ca. 4 Bft aus südlichen Richtungen bläst, mit dem sie relativ gut zurechtkommt.
Wir schlängeln uns zwischen den hier dicht beieinanderstehenden Ölplattformen hindurch, geniessen die Sonne und den Wind und das schöne Gefühl, vorwärts zu kommen. Schön wäre es, wenn die nächsten paar Tage auch so bleiben würden, aber das hat uns «Wetterwelt» leider nicht ganz so versprochen. Na, auch das gehört dazu – akzeptieren, was kommt, denn wir können es sowieso nicht ändern.
Abends nimmt der Wind dann etwas zu und Sandra und ich bergen das Grosssegel, um nur noch mit der Genua (dem Vorsegel) so platt vor dem Wind dahin zu gondeln. Die Segel-Bergeaktion, bzw. das Auftuchen (auf dem Baum falten und festbinden) gestaltet sich bei den inzwischen beachtlichen Wellen als sportliche Aktion, die vielleicht ein paar wenige der Schritte, die wir gerade nicht laufen, wieder gut macht. Sandra meint am Schluss «Na, einen Schönheitspreis würden wir dafür nicht gewinnen, aber immerhin, wir habens geschafft.»
Nur mit dem Vorsegel unterwegs wird die Stabilität des Schiffs auf dem Wasser reduziert. Oder anders gesagt – sea magiX beginnt mal wieder mit dem altbekannten Korkenzieher-Gondeln: während hinten eine Welle das Heck anhebt und leicht schräg legt, sticht vorne der Bug ins Wellental hinunter und dreht zur Welle hin, sie richtet sich auf dem Kamm wieder auf und gleich beginnt das Spiel von vorne. Drinnen ist diese Bewegung sowohl sehr spür-, als auch sehr hörbar. Spannend, welche Geräusche ein Boot alles produzieren kann: der Niedergang (die Holztreppe am Schiffseingang) knarzt unaufhörlich; im Geschirrkasten rutschen die Brettchen hin und her und knallen laut in die Kästchentüre; im Ofen rutscht eine Gratinform mit weiteren drin scheppernd hin und her; die (natürlich Essig- und Öl-)Flaschen im Salontisch klirren; das Wasser im Wassertank brodelt unter dem Salonbank; im WC quietscht das Abfallkübelchen über den Rubbelboden; im Rigg knackst etwas (die Baumnock?) bei jeder Welle laut, ab und zu meldet sich das VHF-Radio mit lautem Rauschen; die Wellen bzw. das Wasser gurgelt der Bordwand entlang und dann ist da noch das rhythmische Sägegeräusch von vorne – ach so, das ist nur das Schnarchen des Skippers auf Freiwache.
Der Mittwoch, 29.6., beginnt mit leichter Bewölkung und weiterhin konstanten 5 Bft aus SSE. Ab und zu blinzelt die Sonne zwischen den Wolken durch und es bleibt trocken; so sehr, dass sich der Skipper eine kleine Seewasserdusche für die Taufe seiner neuen Bordschuhe holt. Sandra und ich sind da einfach nur glücklich, dass es nicht regnet.
Unser Iridium-Handy bringt die frohe Botschaft von Paddy, dass wir weiterhin mit den 5Bft aus SSE rechnen dürfen, was uns weiter optimistisch sein lässt.
Nachdem der Wind ein wenig von ca. 20 auf noch ca. 17kn nachgelassen hat, nutze ich die ruhigere Fahrt während meiner Freiwache, um einen Trockenshampoo-Versuch zu starten. Mit mässigem Erfolg: ich sehe danach (nochmals) 10 Jahre älter aus, weil es sich nicht mehr vollständig ausbürsten lässt und das Cockpit ist ebenfalls frisch gepudert. Learnings: nächster Versuch nur bei Windstille, sicher wieder draussen und eventuell mit einer Bürste, die danach einfach auszubürsten ist. Aber das Gefühl auf der Kopfhaut nach 2 Tagen quasi nonstop Kappe tragen, ist sehr viel angenehmer als vorher. Also doch nicht ganz erfolglos, dieser Versuch und durchaus ein Tipp für weitere längere Überfahrten.
Der Tag verläuft ruhig – teilweise fast zu ruhig für unsere Verhältnisse; so leichter räumlicher Wind ist für Leonie eine sehr grosse Herausforderung und somit wird viel von Hand gesteuert. Bis es dem Skipper irgendwann nochmals zu wenig wird und der Parasailor raus kommt. Er darf stehen bleiben und uns ein paar weitere schöne Bilder und Eindrücke ermöglichen, bis die Dämmerung und mit ihr die sehr hohe Luftfeuchtigkeit dem Spiel ein Ende bereiten.
Die Nacht und der Donnerstag werden wieder wechselhaft mit Regenschauern und schwachem, bzw. wechselndem Wind. Motor an, Motor aus, Handsteuerung, Leonie einstellen, Motor an und alles wieder von vorne… Allmählich merken wir, dass Land in der Nähe ist: wir sehen wieder viele Vögel. Leider auch bemerkenswert viele tote Basstölpel. Da stimmt was nicht – haben die auch eine Art Vogelgrippe? Auch die nächste grosse Windfarm kündigt Landnähe an; im Gegensatz zu Bohrinseln stehen Windfarmen eher näher am Land.
Der wechselnde und schlecht vorhersehbare Wind beschert uns diverse Planänderungen on the spot: Wick, dann Stromness, dann wieder Wick, dann wieder Stromness wechseln sich ab als mögliche Landungs- und Einklarierungsorte. Irgendwann kommt genug Wind auf, um mit dem Gennacker nordwärts zielen zu können. Wick ist aus der Wahl gefallen und es geht nun definitiv zum Pentland Firth mit seinen bis zu 8 Knoten Tidenstrom. Wenn uns der Wind nicht im Stich lässt, sollten wir gerade noch rechtzeitig zum mitlaufenden Strom an der Ecke sein.
Aus Erfahrung mit früheren solchen Beschleunigungen durch Tidenströmung bestehe ich darauf, dass wir diese «most fearsome passage» ohne den inzwischen gesetzten Gennacker queren. Was ich nicht bedacht hatte ist, dass der Wind diesmal genau von hinten kommt – wie auch der Tidenstrom. Unser zunehmender Fahrtwind hebt den true wind von hinten fast auf und das Boot wird schwer zu steuern, da es kaum Fahrt durchs Wasser macht. Mit einem Vorhaltewinkel von ca. 60° treiben wir so bei plötzlich aufhellendem Himmel und teils schönster Sonne über den täuschend lieblich wirkenden Pentland Firth, knapp an Swona vorbei und in den Cantickle Sound ganz im Süden der Orkneys… – und werden mit nur etwa 2 Minuten Vorwarnung von wirklich dickem Seenebel verschluckt. So viel Sonne so plötzlich geht gar nicht; da muss schnell wieder Nebel her. 😊 Mit Radar und Plotter tasten wir uns in den Inselschutz. Anweisung des Navigators: «wenn ihr Land seht, bitte sofort wenden».
Bald taucht der winzige Hafen von Long Hope vor uns aus dem Nebel auf. Wir kennen ihn von früher und würden gerne drinnen festmachen, aber da ist kein Platz mehr für uns. Nebst dem Lifeboat und einer dicken Motorjacht liegt noch ein verlotternder alter Segler in der einen tieferen Ecke. Dafür sind davor beide Visitor’s Buoys frei und wir schnappen uns eine davon.
Wir sind fest nach 3.5 Tagen Überfahrt über die Nordsee. Eine problemlose, wenn auch sehr wechselhafte und dadurch unruhige Fahrt von 487 SM, davon 79 unter Motor, liegt hinter uns. Den Ankertrunk haben wir uns verdient und die durchgehend ruhige Nacht danach wird sehr genossen.