Auf in die Nordsee – Jedem Wölkchen sein Wind

Montag, 27. 6.

Wir verliessen Helgoland nach der letzten warmen (für die Damen) und kalten (für den Mann) Dusche und einem feinen Brötchen-Zmorge noch vom Inselbäcker. Der frühe Tagesstart um 06.00h hatte sich zwar als Fehlalarm entpuppt: wir hatten extra den Wecker gestellt, damit wir die Dänen im Päckchen neben uns um 06.15h pünktlich rauslassen konnten und standen – wie auch die Crew des Ausbildungsschiffes aussen an uns im Päckli – rechtzeitig im Regen im Cockpit. Nur bei den Dänen rührte sich nichts… Als Bänz klopfen und nachfragen ging, meinten sie, sie hätten sich umentschieden und würden nochmals einen Tag bleiben. Tja, wie Sandra meinte: an alles hatten sie gedacht, nur nicht daran, uns das auch noch mitzuteilen. Aber da wir schon mal auf waren, wechselten wir mit dem Ausbildungsschiff die Seite, nahmen noch die erwähnte Dusche (ob bei den Herren beim nächsten Mal wenn wir vielleicht wieder in Helgoland sind die Duschen repariert sein werden? Es wirkte nicht so, wie wenn hier schnelle Besserung geplant wäre: das Blatt, auf dem die frohe Botschaft für die Herren stand, war sorgfältig laminiert worden… Für Helgoland sind die paar Segler wohl nur an Pfingsten wichtig, wenn sie zu Hunderten zur Helgoländer Woche kommen), und waren dann um ca. 08:30h bereit für unseren Start, nachdem dieser Schauer sich auch wieder verzogen hatte.

Im ruhigen Wasser bei nur ganz leichter Brise motorten wir gegen den Strom durch die Enge zwischen der Insel und der Düne nordwärts, warfen einen letzten Blick auf die Lange Anna mit ihren Tausenden von Vögeln und stellten uns allmählich auf die nächsten 4-5 Tage auf dem Wasser ein.

Am Abend zuvor hatten wir noch kurz die Wach-Einteilung besprochen und uns für 2-Stunden-Wachen jeweils alleine im Turnus entschieden. Das bedeutet, dass Bänz von 0-2h dran ist, dann 02-04h Uschi, dann 04-06h Sandra und so weiter; jede/r hat so im Verlauf eines Tages vier Wachen immer zu den gleichen Zeiten. Das kann sogar ich mir merken, und vor allem auch mein Wecker, der mich schön brav immer eine Viertelstunde vorher weckt.

Der Tag war geprägt von äusserst leichten und sehr wechselnden Winden; jedes Wölkchen (und davon gabs am Montag sehr viele – es war bewölkt bis bedeckt) brachte seine eigene Windrichtung und -Stärke und einige davon auch noch ihren persönlichen Regen mit. Für unsere Windsteuerung Leonie war das nichts – bei so leichtem Wind fast von vorne kann sie nicht steuern. Das bedeutete, dass wir entweder von Hand steuerten, wenn gerade ein wenig Wind da war, oder mit dem Autopiloten motorten, wenn es mal wieder abgestellt hatte. Wir waren vom Wetterbericht her darauf gefasst, aber trotzdem stellte sich nach der x-ten Stunde mit dem Dieselbrummen allmählich der eine oder andere Zweifel ein, ob wir denn die ganze Nordsee per Motor queren müssten. Und schon kam wieder ein neues Wölkchen mit eigener Brise daher und wir konnten wieder ein paar Meilen segeln. Wir bekamen gerade vorgeführt, dass das «Einstellen auf die Routine» nicht nur bedeutet, sich an die Wachen und die im sich bewegenden Schiff komplizierteren Abläufe zu gewöhnen, sondern eben auch daran, dass hier das Wetter und die See bestimmen, was läuft. Der gewünschte Kurs von 310° kann mit der Brise dieses Wölkchens gerade nicht gesegelt werden? «Na, dann steuern wir eben die 290°, die gehen, und schauen dann später weiter.» Ein wichtiger und schöner Prozess des Loslassens von unserem sonst so kontrollierten und geplanten Landleben.

Eine müde Taube nutzt unser zusammengelegtes Bimini für eine Erholungspause. Wir wollen sie nicht zu lange in die falsche Richtung mitnehmen, aber etwa eine Stunde lang reagiert sie weder auf die versuchte Handfütterung durch den Skipper, noch auf freundliche «du bist hier mit uns in die falsche Richtung unterwegs»-Hinweise. Dann irgendwann wagt sie es wieder und schwingt sich grusslos auf den Heimweg hinaus. Sie ist das einzige Tier, dem wir an diesem Tag näher begegnen.

Zum ersten Mal für diese Reise kommt das Iridium-Telefon zum Einsatz, das über Satelliten die Kommunikation mit dem Land ermöglicht. Leider beginnt sich das Gerät allmählich zu verabschieden. Noch ist der Display lesbar – wenn man ihn mit beiden Händen fest zusammendrückt. Da bleibt dann aber keine Hand mehr frei, um den «on»-Knopf zu drücken. Also sogar für eine so kleine Sache wie das Handy lesen wird Teamarbeit wichtig… Auch die Nachrichten am Handy zeugen von wichtiger Teamarbeit: an Land begleitet uns wieder Paddy und schickt regelmässige Updates über das zu erwartende Wetter (bzw. den Wind). Wie schon bei der Atlantiküberquerung 2019 sind wir sehr froh um diesen Landstützpunkt – danke, Paddy! Und schön, dass er keine Hiobsbotschaften schicken muss; wir erwarten für die nächsten Tage keinen Starkwind oder Sturm.

Das sogenannte Eindunkeln nach Mitternacht, bzw. die Morgendämmerung hier oben ist einfach faszinierend. Dunkel wird es eigentlich fast nicht – jedenfalls nicht, wenn das Wetter so schön ist wie in dieser «Nacht» gerade.


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