Vorhin musste ich kurz den Kalender öffnen, um nachzusehen, welchen Wochentag wir heute haben. Auch habe ich mich schon gefragt, ob mein Laptop meinen Fingerabdruck in einer Woche noch erkennen wird – es bildet sich schon die typische Segler-Hornhaut. Klare Zeichen, dass wir schon gut in dieser anderen, von anderen Fragen und Themen bestimmten Welt angekommen sind.
Am Nachmittag nahm Bänz erstmals das Iridium-Telefon in Betrieb und fand darauf schon vier SMS von unserem lieben Seglerfreund Paddy mit kurzen Windangaben. Er verspricht uns Südwind ab morgen Donnerstag und empfiehlt, deshalb weiter auf Nordkurs zu bleiben und erst morgen auf West zu drehen. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass da jemand unsere Position verfolgt (die wird immer wenn wir AIS eingeschaltet haben, von SOLAS Schiffen weiter gegeben und ich nehme an, Paddy findet uns dann auf marinetraffic.com) und gleichzeitig das Wetter im Auge behält. Bis jetzt stimmt aber auch die von Bänz mit dem Wetterberichtsprogramm herunter geladene Prognose bestens. Schade, denn spätestens für Freitag sagt die auch Regen voraus…
Inzwischen sind wir etwa auf der Höhe von Rattray Head angekommen, d.h. an der Schulter von Schottland. Rattray Head kommt in jedem Küstenwetterbericht als Orientierungspunkt vor. Aber für uns würde der Küstenwetterbericht nicht gelten. Wir sind zwar etwa auf jener nördlichen Höhe, aber etwa 130 SM östlich davon, mitten in der Nordsee.
Unsere Etmale (d.h. zurückgelegte Strecken) waren in den ersten beiden Tagen je etwa 110 bis 120 SM und am Abend stellt Bänz fest, dass wir mit ca. 300SM seit Helgoland schon das Äquivalent von einer Biskaya-Querung hinter uns haben. Die liegt mir momentan für nächstes Jahr nämlich etwas auf dem Magen. Aber wenn wir natürlich solche Verhältnisse auswählen könnten, dann würde sich das Magen-Knurren wohl bald als Hunger auf mehr entpuppen.
Diese Nacht war wieder wie die erste; angefangen mit einem wunderschönen Sonnenuntergang in eine Wolkenbank hinein, über das ruhige Segeln mit wenigen Knoten Wind und somit ruhiges Wasser und somit Leonies Diensten, bis hin zu den kaum sichtbaren Sternen, wegen der allgemeinen Helligkeit war alles wieder so, wie ich es mir träumen würde. Dazu kommt, dass der Skipper viel Sikaflex in die Ankerwinsch-Befestigung geschmiert hat, und ich keine Sorgen mehr um unsere Koje habe.
Gegen Mitternacht drehte dann der Wind auf Nord-Nordwest, so dass ich mit Leonie eine Wende fuhr und wir auf Kurs West gehen konnten, um nicht weiterhin auf Spitzbergen zu zielen. Etwas später musste Tom dann den Motor nehmen, weil auch diese Brise eingeschlafen war.
Wir brummen nun zwischen den Ölfeldern hindurch und in allen drei Wachen kamen Delfine zu Besuch. Gibt es etwas Schöneres als die Eleganz und die Geschwindigkeit dieser Tiere? Die Gruppe (kommen Delfine in Schwärmen oder wie heissen die Gruppen?), die am Morgen zu uns gestossen ist, nachdem wir wieder Segel gesetzt haben, bleibt stundenlang bei uns. Auch nachmittags um 14.30h, als wir den 0-Meridian überqueren, sind sie noch da. Wir bemerken sie schon fast nicht mehr, auch wenn wir uns immer wieder neu über ihre Kapriolen freuen. Zum Abschied machen sie dann aber noch ein Schlussbouquet, das wir so noch nie gesehen haben. Sie springen hoch aus dem Wasser und platschen wieder zurück, machen Rollen und Salti in der Luft und drücken für unsere Begriffe pure Lebensfreude aus.
Morgens gabs eine Cockpit-Dusche: zuerst den Kopf in den mit Nordsee-Wasser gefüllten Kessel gesteckt und die Haare gewaschen, sowie den Rest eingeseift, und dann mit dem Dusch-Sack vom Sprayhood mit ein wenig Süsswasser abgespült. Sehr erfrischend und nun sind auch die Frisuren wieder etwas weniger „dynamisch“ als zuvor.
Ansonsten stellen wir fest, dass die Tage extrem schnell vorbei gehen. Bei ruhigen Kursen etwas schreiben, kochen, navigieren oder auch nur träumen oder schlafen, und schon wieder ist ein Tag vorbei. Bänz richtet die Solarpanels nach der Sonne und nimmt auch noch Gisela in Betrieb, so dass wir schon nach Abnahmemöglichkeiten für all den produzierten Strom suchen müssen. Der Wassermacher läuft, und unsere Trinkwasserflaschen werden gefüllt. Trotzdem haben wir noch immer Stromüberschuss; „das ist schon fast dekadent“, meint er.
Ein Blick auf den Plotter ergibt, dass es schon weniger als 100SM bis Fair Isle sind, und unser momentaner Kurs mit dem Parasailor genau auf die Insel zeigt. Gemäss SMS von Paddy bleibt uns der momentane südliche Wind bis Mitternacht erhalten. Kann denn das schon so bald vorbei sein?
Ich stelle beim Herunterladen der Fotos fest, dass ich bisher fast nur Sonnenuntergänge fotografiert habe. Und Tom hat ganz viele Sonnenaufgänge und Bohrinseln. Beide haben auch viele Delfine. Das sagt doch eigentlich schon fast alles über unsere bisherige Überfahrt. Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben… gerade als es darum geht, nun auch Leonie mit dem Parasailor bekannt zu machen, stellt Bänz das erste grössere Problem fest: das Führungsrohr mit dem Lager hat sich bei Leonie gelöst. Es geht sogleich ans Reparieren. Leonie und der Parasailor verstehen sich jedoch auch nach der Reparatur nicht besonders gut… hier ist noch Optimierungsbedarf.