Zwischen a Coruña im Norden und Vigo im Süden dieses Küstenabschnitts von Galizien liegen die sogenannten Rías. Nördlich die Rías Altas und südlich von Fisterra (einem der vielen Kaps Finisterra Europas) die Rías Bajas. Das sind jeweils tiefe Buchten mit individuellen Charakteristiken, Dörfern und Städt(ch)en am Ufer, vor den Atlantikwellen geschützt, d.h. mit mehr oder weniger glattem Wasser, und trotzdem meistens noch im Wind zum Segeln – ein rundum perfektes und wunderschönes Segelrevier, das wir in vollen Zügen geniessen wollen auf unserem Weg nach Süden.
Von a Coruña gings am Freitag, 19.8. deshalb beizeiten los mit genereller Südwest-Richtung. Wir schlichen wegen der noch immer herrschenden Orca-Angriffsgefahr nah entlang der Küste – wirklich nah. Das nennt sich in den Yachting Pilots jeweils dann «rock-hopping», also Felsenhüpfen. Unsere Hoffnung war, dass die Killerwale nicht in das deutlich seichtere Wasser kämen, oder, dass wir sie im Falle eines Falles an den Felsen abstreifen könnten. (Naja, nicht wirklich, aber die Vorstellung ist bestechend.) Der Pal hing in Alarmbereitschaft weiterhin an der Heckreling bereit und wir spielten die Ablaufschritte im Falle eines Angriffs immer wieder mündlich durch. Zu unserer grossen Erleichterung haben wir bis heute, am 25.8., d.h. fast eine Woche später, keinen Angriff erlebt, obwohl für jene Tage und im Gebiet zwischen a Coruña und dem Kap Fisterra, in dem wir uns bewegten, mehrere unfreundliche Begegnungen gemeldet wurden. Die Bilder von den durch solche Angriffe abgebrochenen und abgerissenen Rudern (also dem oft relativ frei hängenden Steuerblatt eines Segelbootes) in den einschlägigen Facebook- und Webseiten sind ziemlich eindrücklich. So ist es wohl natürlich, dass das Thema in diesen Tagen immer präsent war. Ein grosser Vorteil der Rock-Hopping-Tendenz ist, dass man dann mehr von der Küste sieht. Also eigentlich, in Paddy’s Worten, eine win-win-Situation.
Nach dem Rummel in Santiago de Compostela und auch der grösseren Dichte an Zivilisation in a Coruña war es dann ein ziemlicher Kontrast, die Nacht in einer kleinen Bucht an den Islas Sisargas zu verbringen. Dort waren wir ganz allein, abgesehen von einigen Vögeln und Fischen. In der Nacht zeigte sich dann auch, warum der Ankerplatz nicht viel populärer ist mit seiner Schönheit: der Wind schlief ein und gleichzeitig baute sich ein markanter Schwell auf, der sea magiX recht heftig rollen liess. Schlafen bei starkem Schwell will gelernt und geübt sein und diese Nacht gehörte nach der Überfahrt eindeutig wieder zum Lernprozess für uns alle. Der Trick ist, sich in eine stabile Lage zu bringen, z.B. die Recovery Position aus dem Nothelferkurs, und sich dann nicht gegen die Bewegungen zu wehren, sondern sich «mitrollen» zu lassen. Nur birgt das die Gefahr, dass man dann plötzlich gegen die Bordwand oder im Falle einer Doppelkoje gegen den Kojengefährten gerollt wird. Das geht ja noch für mich. Aber wenn der Skipper umgekehrt droht, mich zu überrollen, übernimmt mein Überlebensinstinkt und ich wache auf… Es war eine unruhige Nacht.
Morgens präsentierte sich die Umgebung eingehüllt in geheimnisvolle Nebelschwaden, die sich dann bei zunehmender Sonneneinstrahlung auflösten und als Wolken über dem Land hängen blieben.
Weiter gings entlang der Küste bei viel Schwell und nicht viel Wind, vorbei an den eindrücklichen Brechern der Untiefen am Eingang bis in die wolkenverhangene Ría de Camariñas. Die Kombination von Schwell und wenig Wind habe ich schon einmal beschrieben: rollen, Anlauf holen, Segel füllt sich, abrollen, Baum knallt auf die andere Seite und Windströmung ist wieder abgewürgt. Der Skipper wurde deshalb zur «persönlichen Baumbremse» und verbrachte den grössten Teil des Tages mit der Hand an der 6-fach umgelenkten Gross-Schot. So kann man auch Krafttraining betreiben.
In Camariñas verbrachten wir einen zusätzlichen Tag; einerseits, weil uns die Bucht sehr gefällt. Und andererseits auch, weil am Sonntag der Wind fehlte. Wir wollten eigentlich eine Wanderung zum Leuchtturm am Cabo Villán an der äusseren Ecke unternehmen, aber als sich die Wolken mit Nieselregen auf den Ort senkten, verliess uns der Enthusiasmus und wir kehrten nach einem Rundgang durch das ziemlich verschlafen wirkende aber auch hier sehr aufgeräumte Städtchen bald wieder zu sea magiX zurück.
Am gleichen Ort ankerten auch die beiden deutschen Yachten «Shakti» mit Maria und Ecke aus Friedrichshafen und «Boaty McBoatface» mit Rolf und Wolf, die alle vier auf einen interessanten und gemütlichen Apero zu uns an Bord kamen. Shakti hatte wenige Tage zuvor nördlich von a Coruña einen Orca-Angriff mit entsprechendem Ruder-Schaden und herausgerissener Steuerseil-Umlenkrolle erlebt. Es war einerseits interessant und lehrreich, von ihren Erfahrungen zu hören und andererseits sehr schön, dass wir uns auch über viele andere Themen austauschen konnten. Ein gelungener Abend.
Der nächste Segeltag von der Ría de Camariñas ums Kap Fisterra in die Ría de Muros war geprägt von viel Sonnenschein und vielen Stunden Gennacker-Segeln bei später mehr Wind und wieder nah an der Küste. Das Kap Fisterra (also Finis Terrae, d.h. Ende der Welt) ist eines von vielen an der Atlantikküste Europas, wo die Menschen den Eindruck hatten, hier ende die ihnen bekannte Welt. Es ist aber eigentlich falsch benannt, denn das Cabo Toriñano wenige Meilen nördlich davon ragt noch ein wenig weiter nach Westen hinaus ins Meer. Auch für uns hat Fisterra mehrere wichtige Bedeutungen. Einerseits, weil südlich dieses Küstenabschnitts in den letzten Wochen keine Orca-Angriffe gemeldet wurden. Andererseits aber auch, weil hier der stabilere Nordwind beginnt, mit dem wir südwärts segeln möchten. Auch, weil hier eine Wettergrenze zu sein scheint, die jeweils sonnigeres Wetter verspricht. Zudem, weil für viele Jakobsweg-Pilger eigentlich dies der Endpunkt ihrer Reise ist/war, wenn sie hier an der Küste eine Jakobsmuschel suchen gingen. Und schliesslich, weil ab jetzt unser Kurs nur noch nach Süden und kaum mehr nach Westen führen wird.
Wir liessen uns vom Nordwind am Kap vorbei weiter südwärts blasen und steuerten in die Ría de Muros. Und weil es gerade so schön lief im wieder glatten Wasser, gings gleich bis an den Kopf der Bucht nach Freixo vor Anker.
Hier erlebten wir zum ersten Mal das sogenannte DAA: «Dolphin-Assisted Anchoring». Die Ría de Muros hat ihren eigenen Hausdelphin: «Confi», der uns auf der letzten Meile des Wegs begleiten kam und auch, als wir ankerten, nicht vom Boot wich. Während ich den Bugfender vorne montierte (ein «Gummikissen», das verhindert, dass der Anker mit seiner schweren und harten Spitze vorne ans Schiff schlagen kann) schaute er interessiert zu und blies mir ab und zu seine Abluft ins Gesicht. Und besonders eindrücklich wurde es dann beim Anker-Fallen-Lassen: ich musste aufpassen, dass ich den Anker nicht versehentlich auf ihn fallen liess und einen Moment abpassen, in dem er gerade etwas weiter weg vom Bug war. Kaum war die Kette gespannt, nutzte er sie als sein persönliches Spielzeug und rieb seinen Rücken und Bauch daran. Mit dem inzwischen schon fast routinemässigen Kurzbad am Heck vor der Cockpitdusche (das Wasser hat weiterhin 14.5 Grad aber wir haben uns wohl tatsächlich schon ein wenig an die Kälte gewöhnt) warteten wir, bis er uns eine Weile lang verliess. Es war uns dann doch etwas unheimlich, auf so naher Tuchfühlung mit einem 2-3m langen und sehr viel schwereren Wildtier mit vielen Zähnen in der Schnauze im Wasser zu sein. In der Nacht hörten wir ihn immer wieder an der Kette und am Rumpf reiben und schnaufen; offensichtlich hatte er Gefallen gefunden an sea magiX. Ein eindrückliches Erlebnis!
Die Nacht war auch so nicht ganz so ruhig wie angenommen. Wir hatten uns anscheinend den windigsten Flecken in dieser Ría ausgesucht und die Böen pfiffen heftig von den Bergen herab aus dem direkt vor uns liegenden Flussdelta. Trotz grossen Vertrauens in unseren Anker sorgten die ausladenden Tanzbewegungen von sea magiX mit ihren Zentrifugalkräften für einen leichten Schlaf, der wie gesagt auch noch vom Delphin Confi unterhalten wurde.
Am Dienstag, dem 23.8. war ein lang geplanter Arbeitstag für mich im Programm. Um besseren Zugang zum Land und Internet zu ermöglichen, aber auch, um dem Rest der Crew mehr Flexibilität zu geben, während sie quasi vom Schiff verwiesen wurden, verlegten wir am Morgen früh vom Ankerplatz in die kleine Fischer-Marina von Freixo. Die Stege dort sind offensichtlich nicht gedacht für Boote in unserer Grösse, aber am Kopf des einen Steges konnten wir trotzdem für den Tag festmachen. Beim Anlegemanöver legte sich Delphin Confi nochmals so richtig ins Zeug, bzw. zwischen Boot und Steg. Fender spielen? Anscheinend für Confi Teil eines normalen Arbeitstages. Am Marina-Eingang hängt ein Schild mit Informationen zu Confi, siehe Bild. Wir haben seinen Namen also nicht einfach frei erfunden. Wir wundern uns aber ein wenig über die etwas realitätsfremden Anweisungen; nicht wir hatten uns Confi genähert, sondern umgekehrt. Wie sollte man da jeden Kontakt und jede Reaktion auf ihn vermeiden?
Während ich an Bord den Rest des Tages bis halb fünf grösstenteils unter Deck im virtuellen Meeting-Raum verbrachte und dabei ca. 5 GB Roamingdaten nutzte, erlebten die beiden Herren einen – so wie’s tönte – abwechslungsreichen und teils anstrengenden Landtag. Per Klappvelos gingen sie auf Erkundungs- und Einkaufstour und stellten dabei fest, dass der Weg auf der Autobahn deutlich schneller und direkter, dafür aber etwas lärmiger und exponierter war als der Uferweg. Sie fühlten sich berechtigt, auf der grossen Strasse per Velo unterwegs zu sein, nachdem sie einen Jogger dort gesehen hatten… Den sonnigen und warmen bzw. heissen Nachmittag verbrachten sie dann am Strand und tatsächlich auch im Wasser, wie sie mir später stolz berichteten.
Kaum war mein Meeting beendet, wurde schon emsig an Bord aufgeräumt, Wasser aufgefüllt und los gings – eigentlich hatten wir vor, an dem schönen Abend noch die paar Meilen nach Muros am Ausgang der Ría zu segeln, aber dann präsentierte sich die Bucht von Esteiro kurz vorher im besten Licht und wir liessen dort am noch immer sehr belebten Sandstrand den Anker fallen, stiegen bald nach dem Tages-Bad ins Dinghi und suchten an Land – etwas weniger erfolgreich als erwartet – eine Tapas-Bar oder ein Restaurant. Dienstags scheinen in Esteiro die Restaurants alle geschlossen zu haben. Trotzdem – wir kamen dann doch noch zu unserem Essen.
Am Mittwoch, 24. August, feierten wir mit einem (nach den üblichen Morgenwolken) sehr sonnigen, windigen und Gennacker-gefüllten Segeltag Paddy’s Geburtstag. Wir hatten vor gehabt, die Ría de Arousa zu «ersegeln», aber der Wind spielte nicht ganz mit. Fast hätten wir vor Santa Uxía (ausgesprochen «Santa Uschia») geankert, aber dann gings doch noch weiter hinein. Zwischen den Viveiros (grosse im Wasser verankerte Holzplattformen, von denen die Seile hängen, an welchen Muscheln wachsen) schlängelten wir uns zur Ila de Arousa hindurch und ankerten dort auf der Südseite von San Xulián de Arousa zwischen Felsen, Blechbojen und zwei anderen Seglern, die jedoch bald danach verschwanden. Der eine freiwillig, der andere trieb ab, nachdem der Wind gedreht und sein Anker nicht gehalten hatte.
Die Ila de Arousa wirkte stark bretonisch auf uns, mit abgerundeten rosa Granitfelsen, spürbarem Tidenhub und dadurch interessante entstehende Felsformationen und auch mit dem goldenen, schrägen Abendlicht beim Landgang. Zu Paddys Geburtstagsessen folgten wir der Empfehlung eines Locals ins Restaurant «La Salga» und genossen ausgezeichnete Fisch- und Jakobsmuscheln-Gerichte. San Xulián selbst ist ein überschaubar kleiner Ort, der sich auf beide Seiten der Isla de Arousa erstreckt. Auf der Südseite eher beschaulich (und windgeschützt); auf der Nordseite betriebsamer mit grosser Fischer-Marina und Werft. Auffallend dabei am Nordhafen die gerade nicht in Betrieb befindlichen Festzelte; bis zum nächsten der 4000 Feste Galiziens kann es nicht lang dauern. Die Ría de Arousa gefällt uns sehr. Sie wirkt wie ein grosser See als eigenes Segelrevier mit Inseln und Inselchen, diversen Buchten, Städtchen und unzähligen Viveiros. Hier könnten wir wohl noch ein-zwei Tage verbringen, aber der Nordwind bläst und es gibt ja noch immer mehr zu sehen in Galizien.
Mit eben dem inzwischen frischen Nordwind geht’s dann am Donnerstag, 25.8., in Sausefahrt weiter südwärts zum Naturschutzgebiet der Inseln Cíes und Ons vor der grossen Ría von Vigo. Fürs Ankern dort benötigt man als Segler eine online lösbare Erlaubnis, welche die Anzahl ankernder Schiffe wohl begrenzen soll. Wir hatten schon vor drei Jahren hier unseren Kulturschock erlebt, als wir lernten, wie unterschiedlich die Spanier/Galizier und die Schweizer den Naturschutz verstehen. Trotzdem war es auch diesmal wieder eindrücklich zu sehen. In den beiden Ankerbuchten lagen insgesamt wohl etwa 20 Jachten und ich bezweifle, dass jede davon einen solchen Anchoring Permit gelöst hatte. (Wobei für den nächsten Tag, d.h. fürs beginnende Wochenende keine mehr zu haben waren; also tatsächlich ausverkauft war.) Die Jachten fallen aber bezüglich Naturschutz deutlich weniger ins Gewicht als die im Viertelstundentakt daher brausenden Katamaran-Fähren, die jeweils viele Besucher hin und her schaufelten. An Land gibt es zudem ein Restaurant, Souvenirläden und auch eine grosse Camping-Anlage mit teils fix installierten Zelten. Wieviel Ruhe die Natur da noch bekommt, ist uns nicht ganz klar.
Wir beschliessen, angesichts der Windprognose und weiterer Südwärts-Pläne nicht hier am windigen Strand zu übernachten, sondern geniessen nur ein schon lange versprochenes Zvieri mit improvisierten Erdbeertörtchen, bevor es – jetzt mit gerefftem (verkleinertem) Grosssegel und halb eingerollter Genua – hinüber in die Bucht von Vigo geht. Gleich links am Eingang liegt Cangas, wo wir vor dem gut besuchten Badestrand den Anker fallen lassen.
Wir wissen, dass Frank Lamprechts mit seiner neu erstandenen Jeanneau 37.3 («At Last») hier liegt. Mit ihm und seiner Frau Gwenda war Bänz im Pandemie-Juni 2020 mit dem Kat «Moving Two» von Florida via Bermuda und die Azoren zurück nach Portugal gesegelt. Ich freue mich, ihn nach so vielen Erzählungen endlich auch persönlich kennen zu lernen. Und es klappt tatsächlich. Nach dem inzwischen schon fast erträglichen Bad im 16-Grad-Wasser geht’s bald ins Dinghi und an Land und wir verbringen – mal wieder inmitten der Musik und dem Gekreische eines Lunaparks (Cangas feiert eines der 4000 galizischen Feste) – einen Abend mit viel Erzählen, Erinnerungen, gegenseitigem Updaten und spannendem Austausch. Ein gebührender Abschluss für die schönen Wochen hier in Galizien. Morgen solls dann heissen «Adiós Galícia, und holà Portugal».