Geschüttelt und gerührt im Nebel nach Porto

Als wir am Freitag, 26.8. von Cangas losfahren, bricht gerade ein sonniger, aber noch windstiller Tag an.

Am Ausgang der Ría von Vigo gibt’s dann die ersten paar Knoten Wind aus Nord. Und gleichzeitig einen eindrücklichen Schwell aus Nordwest, der sea magiX von Fussreling zu Fussreling rollen lässt. Ohne Segel geht das nicht; da werden wir ja zu Butter geschlagen im Boot. Aber mit Segeln geht es auch nicht besonders gut, denn bei jeder zweiten Welle wird die Strömung im Segel abgerissen, der Grossbaum schlägt wild und laut, und wir bleiben (fast) stehen.

Es folgt ein langer Meilensammel-Tag, bei dem wir mit dem Genacker vor dem Wind kreuzen. Unser Halse-Winkel (der Winkel, den wir im Zickzack vor dem Wind hin und her kreuzen) ist riesig, weil sonst das Grosssegel nicht steht. Auch der schon fast verzweifelte Versuch mit dem Parasailor, gesetzt als Spi mit Spibaum und Gross, um das Rollen zu verringern, auch dieser Versuch bringt uns wenig weiter, denn so will er nicht stehen bleiben und fällt immer wieder ein.

Gleichzeitig mit uns sind aus der Bucht von Vigo viele andere Jachten losgefahren, unter anderen auch die Shakti mit Maria und Ecke. So können wir immer wieder den Erfolg unserer diversen Versuche messen, wenn wir unsere Position mit jener der anderen Boote vergleichen, die andere Besegelungen gesetzt haben und langsamere, aber direktere Kurse fahren, oder auch mit jenen, die sich unter Motor durchschütteln lassen. Wir unterhalten uns mit dem Erfinden aller möglichen Begründungen für unsere schnellen Fahrten in weniger passende Richtungen: «uns gefällt’s im tiefen Wasser besser»; «wir wollen unser Unterwasserschiff im noch kühleren Wasser reinigen»; «so nah am Land hat’s uns zu viele Bojen» oder «wir sammeln schon mal die Meilen bis Porto auf Vorrat». Aber keine davon greift wirklich und die Stimmung bei einzelnen an Bord wird gegen Abend allmählich etwas gereizter, weil einfach gar nichts nützt. Wir rollen und schütteln viele Stunden lang dahin, auch an einer kleinen Windfarm vorbei, die in der Karte mit «Floating Wind Farm» markiert ist und tatsächlich so aussieht. Wie das genau funktioniert, können wir uns nicht genau vorstellen, aber die Windräder drehen jedenfalls in der Brise. In Póvoa de Varzim treffen wir dann abends nicht lange vor den anderen Jachten ein, die alle ebenfalls genug vom Schüttelkurs haben.

Ab sofort sind wir im Land des weichen «sch», in dem ein o oft zum u wird, wo man «obrigado/a» sagt, statt «gracias» und «bom día» statt «buenos dias». Nur das «hola» ist noch immer das gleiche, bei anderer Schreibweise. Kaum haben wir uns ein wenig ans Spanisch-Radebrechen gewöhnt, geht’s zum nächsten Schwierigkeitsniveau. Auch als noch immer Sprachen-affine Linguistin finde ich Portugiesisch eine grosse Herausforderung. Aber wir wissen aus Erfahrung, dass wir mit Englisch, Berndeutsch und einem Lächeln hier schon ganz viel erreichen können. Die Gastlandflagge wurde rechtzeitig unterwegs gewechselt und jetzt am Abend im Hafen kommt auch die Zeit-Umstellung; Portugal hat UT+1, das heisst ab jetzt sind wir eine Stunde hinter der Schweiz unterwegs.

Am Samstagmorgen geht’s bald wieder los – wir wollen vor Hochwasser in Porto sein, um nicht gegen den sehr starken ablaufenden Strom in die Flussmündung und über die Barre stolpern zu müssen. Schon beim Aufstehen war klar, dass dies heute ein grauer Tagesstart wird: es herrscht pottendichter Nebel. Shakti ruft uns beim Auslaufen noch an: ob wir auf der Flucht seien. Sie bleiben ein-zwei Tage in Póvoa und besuchen Porto von hier aus; sie haben für ein paar Tage genug vom Roll- und Schüttelkurs. Der Skipper meint, wir seien gestern schon so viele Meilen gesegelt, dass wir eigentlich schon in Porto sein müssten. Wir hoffen auf leichten Südwestwind, mit dem wir Am Wind gut südwärts segeln können und freuen uns darauf, eine unserer Lieblingsstädte wieder mit dem Fahrrad und zu Fuss besuchen zu können. Schon zwischen den Molenköpfen in Póvoa de Varzim wird klar, dass der Nebel heute wirklich dick ist. Man sieht kaum von der einen Mole zur anderen. Mit scharfem Blick auf den Radarbildschirm, viel Ausguck nach den kurzfristig auftauchenden Fischerbojen und -Fähnchen und vollem Vertrauen in den Plotter geht’s bei tatsächlich angenehmem Wind und wenigen Kreuzschlägen zügig nach Porto.

Kommentar des Skippers: «spätestens bei diesen Bedingungen würden wir wohl mit der traditionellen Koppelnavigation an Grenzen kommen». Interessant und gleichzeitig erschreckend ist, wie schlecht wir andere Jachten im Radarbild erkennen können, wenn sie kein AIS haben und sie und wir auch nur leicht krängen: das Radar-Echo wird nicht direkt zurück zu uns reflektiert, weil die reflektierende Fläche nicht senkrecht zu uns steht. Da war doch mal was im Physik-Unterricht vor langer Zeit? Genau; Einfallwinkel gleich Ausfallwinkel… Kurz vor der Mole von Porto lichtet sich die Suppe ein wenig und ganz allmählich «enthüllt» sich Porto vor uns, während wir zur Marina steuern.

Kaum angekommen werden gleich die beiden Klappvelos ausgegraben und schon bald geht’s los zum Sightseeing in dieser tollen Stadt, vorbei am sympathisch ursprünglichen Fischerdorf São Pedro da Afurada mit den traditionellen Wäscheständern und den kleinen Strässchen, in denen abends alle vor der Türe sitzen und das Leben besprechen.

Paddy besucht die Churchill’s Destillerie, in der Bänz und ich vor drei Jahren eine interessante Führung (und Degustation um 10h morgens ;-)) bekommen hatten, während der Skipper und ich mit den Klappvelos unsere Bekanntschaft auffrischen mit dem hiesigen so beliebten Kopfsteinpflaster und vor allem mit den immer wieder überraschend steilen Strässchen und unverhofften Treppen, sowie den verwirrenden Einbahnstrassen. Freundlich winkt der Polizist Bänz noch an der Autokolonne vorbei. Ich komme zwei Bootslängen mit hängender Zunge hinterher, aber da zeigt seine Geste eigentlich etwas anderes als gerade noch bei Bänz. Naja, ich «habs vor lauter Strampeln nicht gesehen» und fahre noch schnell hinter ihm durch und hoffe einmal mehr auf die so merkliche Entspanntheit der Menschen hier. Wir strampeln von Aussichtspunkt zu Aussichtspunkt (was jeweils viele Höhenmeter dazwischen bedingt, denn die Aussicht ist natürlich am besten von möglichst weit oben) und geniessen es, auf die Dächer von Porto und ihre vielen Gesichter zu schauen, den wuselnden Menschenmassen an der Praça do Ribeiro zuzuschauen und einen Porto Tonico zu schlürfen.

Abends nutzen wir die Bolt-App mit grünen  E-Trottinetts, um mit unseren zwei Velos zu dritt in Richtung São Pedro da Afurada zurück zu kommen. Eine Wohltat, einfach auf dem schnellen Ding stehen zu können und per Daumendruck die ca. 3 Kilometer zurück gefahren zu werden – jedenfalls wenn die Strasse normal geteert ist und man nicht mit den noch kleineren Rädchen auf Kopfsteinpflaster durchgeschüttelt wird, bis man nur noch Zickzack sieht! Bald geht es darum, wer das Trotti fahren darf und wer mit dem Velo weiter strampelt… Ich komme erstmals in den Genuss, u.a. weil bei mir das Herunterladen der App und ihre Bedienung sehr gut funktioniert, während Paddy immer wieder die Rückmeldung bekommt, er sei zu jung fürs Trottifahren. Dabei hatte er doch gerade erst Geburtstag?! Hmmmm…

In dem bei allem Tourismus noch immer sehr traditionell wirkenden Fischerdorf São Pedro de Afurada hatten wir vor drei Jahren die abendlichen Fisch-Grilladen, insbesondere Sardinen, kennen- und sehr schätzen gelernt. Diesmal meinte die äusserst hilfsbereite Marina-Mitarbeitende Marlène, es sei nicht Sardinen-Saison und so ist es dann auch. Die mit Sardinen übervollen Grills fehlen diesmal, aber es wird trotzdem noch immer viel grilliert, gefeiert und genossen in den kleinen Strässchen von Afurada. Wir gesellen uns beim einen Restaurant do Pescador hinzu und bekommen statt Fischgrill eben eine feine Calderada, während allmählich der Nebel in die Strässchen zurück schleicht. Bänz überrascht den Chef mit seinem super Portugiesisch bei der Café-Bestellung («um cafe com cheirinho») und unser junger Tischnachbar spricht uns mit «Grüezi» an und erzählt, dass er seit einem halben Jahr in Thalwil arbeitet und bei Horgen wohnt. Small world…

Der Sonntag, 28.8. ist nochmals ganz der Stadt Porto gewidmet. Vormittags, noch mit ein paar Nebelresten, die wie Watte am Douro-Ufer hängen, geht’s per Velos und Trottinett zum museumsreifen Tram No. 1, das von der Praça Infanta zur Flussmündung mit der Mole fährt. Der eine kleine Wagen wird voll gefüllt mit Touristen und viel können wir vor lauter Festhalten nicht sehen, aber das gehört einfach zum Touristenprogramm dazu. In die Altstadt kehren wir (etwas schneller und bequemer) per normalen Bus Nr. 500 zurück und spazieren dort gleich zur Kathedrale und dem Bischofspalast für einen weiteren wunderschönen Ausblick über die Stadt. Auch den Bahnhof mit seinen schönen Kachel-Bildern wollen wir Paddy zeigen. Danach trennen sich unsere Wege wieder und Paddy geht auf eine 6-Brücken-Flussfahrt, während wir unsere Klapp-Stahlrösser wieder aktivieren.

Douro-Ufer, Stadtfriedhof, diverse Aussichtspunkte und immer wieder die wunderschönen alten Häuser mit Kachelwänden, die langsam wegen fehlender Mittel für den Unterhalt zerfallen. Und natürlich – unzählige Höhenmeter hinauf und hinunter, Einbahnen, Kopfsteinpflaster-Strässchen und Wege, die plötzlich in Treppen enden.

Was ist es denn eigentlich, was diese Stadt, in der sogar der McDonalds in einem schönen Gebäude residiert, so speziell macht? Wir finden kein einzelnes, simples Merkmal, aber die Stadt ist ja auch nicht simpel. Am Schluss einigen wir uns darauf, dass es die vielen verschiedenen, teils gegensätzlichen Facetten sind, die sie ausmachen: die wunderschönen, aber teils fast zerfallenden Häuser (die alle in den Quartieren, in denen wir am Sonntag unterwegs waren, noch bewohnt sind); die verwinkelten kleinen Strässchen mit winzigen Bars und Restaurants der Altstadt; die repräsentativen, grossen Gebäude und Plätze mit grossen Bäumen; das Gewusel der Touristen am Flussufer, aber auch der maritime Einfluss mit dem Douro. Und in all dem das Leben und die entspannte Freundlichkeit der Menschen, die hier wohnen und unterwegs sind. Am Flussufer wird es teils recht eng mit all den flanierenden, diskutierenden und fotografierenden Menschen, den fliegenden Händlern, die ihre Waren verkaufen wollen, den Flussfahrt-Anbietern, die Passagiere anlocken wollen, den Bars und Restaurants, deren Tische schon fast auf der Strasse stehen und den Trottinetts, Velos und Autos, die da noch dazwischen durch fahren. Trotzdem haben wir in all den Stunden unterwegs keine einzige unfreundliche Situation beobachtet. Porto, we still love you!


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