Der wahre Luxus – oder wie man die tausend Regenarten der Bretagne geniessen kann

Wir haben ihn gefunden und genossen, den wahren Luxus. Es ist für uns der Zustand, nichts zu müssen und einfach nur zu sein. Gestern bedeutete das, einen Tag lang an einer Boje «in the middle of nowhere» zu hängen, gemütlich aus dem Trockenen unter der Regenblache hervor zu spähen und nach neuen Namen für die nächste neue Regenart zu suchen, die sich gerade präsentierte. Der Regen hier – soviel ist mir inzwischen klar geworden – ist ganz eng verwandt mit seinen keltischen Geschwistern in Irland und Schottland. Es gibt hier – genau wie dort – nicht DEN Regen, sondern eben tausend Arten. Von ganz leichtem Nieseln, das auf dem Wasser nicht mal zeichnet, aber sehr schnell alles durchnässt, über die schon andernorts erwähnte «petite pluie», via banale Bindfäden zu einer Form, die wir erst hier kennen lernten: den «averses orageuses», die nichts mit Gewittern zu tun haben, sondern sich so anfühlen (und vor allem tönen unter der Regenblache), wie wenn jemand oben einfach eine Schleuse geöffnet hätte und nun alles Süsswasser auf einmal ablässt, das sich da oben gerade so gesammelt hat. Um Bannalec zu zitieren: in der Bretagne lernt man, dass es immer noch stärker regnen kann, wenn man schon dachte, das sei nicht mehr möglich.

Bannalec habe ich mir gestern ebenfalls zu Gemüte geführt. Einfach einen Tag lang Krimi gelesen (naja, von ca. 11h bis ca. 19h, mit Koch- und Essensunterbrechungen – also eigentlich nur einen halben Tag lang, wenn es um die Gewissensberuhigung geht. Aber eben; da ist er wieder, der Luxus; ich habe nicht mal ein schlechtes Gewissen!). Das habe ich mir seit vielen Monaten nicht mehr geleistet und konnte es jetzt deshalb umso mehr geniessen.

Auch der Skipper fand den Tag sehr entspannt. Er konservierte wieder den Wassermacher, den wir wohl bis Dienstag/Mittwoch nicht einsetzen werden, baute den Gyro-Kompass für den Autopiloten ein (damit der in Zukunft besser auf Wellenbewegungen reagiert und sich nicht davon zu grossen Bögen aufschaukeln lässt), holte im richtigen Moment die neue, grosse Gasflasche aus der Versenkung, als die Alte mitten in der Zubereitung des Rühreis mit Speck zum Brunch leer war und fand diverse Manuals, die er noch nicht studiert hatte. Ach ja, der Autopilot: der hat den in meiner Familie besonders ehrenvollen Namen Erich bekommen. Danke Paddy für den Vorschlag von vor einigen Tagen! Die Logik ist bestechend: entweder ER steuert, oder ICH. Und wie gesagt, in meiner Familie sicher noch mit Stichworten wie Verlässlichkeit und Geradlinigkeit verbunden, wenn nicht vielleicht sogar manchmal mit etwas Sturheit… ??

Gestern war also gemütliches, um nicht zu sagen genüssliches Aussitzen des Regentages an einer Boje im Flüsschen Aulne in der Ost-Ecke der Rade de Brest angesagt.

Vorgestern waren wir von L’Aber Ildut frohen Mutes in Erwartung von 3-4-5 Bft aus West/Südwest gestartet, als die Strömung schön südwärts durch den Chenal du Four zog. Leider entpuppte sich unsere Erwartung als ziemlich überhöht; schon bald nach dem Start fielen die anfänglichen 6kn Wind auf 5, 4 und 3 zurück. Bei 1-2kn mitlaufendem Strom war das nicht mehr genug, um überhaupt noch irgendwas steuern zu können und zudem drohte uns der Mit-Strom vor dem Ende des Chenals auszugehen und auf die Nase zu drehen. So musste wiederwillig mal wieder der Diesel zu Hilfe genommen werden, bis wir unten an die Ecke kamen. Von dort hatten wir ja eigentlich weiter bis in die Bucht von Douarnenez segeln wollen, aber auch dafür war zuerst zu wenig Wind und dann zu viel Gegenstrom. So gings eben durch den Gaulet de Brest in die riesige Bucht «Rade de Brest» hinein. Dort drin ist es – abgesehen von dem noch immer spürbaren Strom – wie auf einem See: böiger Wind aus allen Richtungen, kleine Wellen, schöne Ufer. Auch mit einem wunderbaren Uferweg, den ich sehr gerne erwandern würde. Weil es gerade so schön läuft, segeln wir bis in die Ost-Ecke der Rade de Brest und in die Rivière de l’Aulne hinein. Der Reeds lobt diesen Fluss in den höchsten Tönen und wir pflichten ihm – nachdem wir an den Schiffsfriedhöfen der WWII-Marine vorbei sind – vollkommen bei. Dichter Wald säumt das Ufer in allen möglichen Grüntönen; dazwischen kleine Büchtlein mit Booten an Bojen oder am Ufer, Steinhäuser, viel Schilf, glattes Wasser und ab und zu ein paar Enten, die gemächlich zur Seite wedeln wenn wir kommen. Nach einigen Kurven finden wir eine freie grosse Boje zwischen anderen Booten, binden uns dort an und geniessen einen wunderbaren Abend. Es stört uns nicht im Geringsten, dass hier quasi kein Handyempfang ist: manchmal zeigt sich ein winziger Balken, dann wieder keiner… wer braucht schon Handy oder Internet hier in dieser geschützten Gegend? Dass es morgen regnen und winden soll, wissen wir ja schon. Leider entpuppt sich der Platz dann doch nicht als ganz so perfekt, als in der Nacht der Strom kehrt und wir viel zu nah an die anderen Boote gelangen und gleichzeitig ständig mit unserer Boje zusammenstossen, die aus Glasfiber ist und somit einen Heidenlärm macht. Morgens in einer Regenpause legen wir von unserem Platz ab und fahren eine oder zwei Flusskurven weiter aufwärts bis nach Trégarvan, wo wir dann die perfekte Regen-Aussitz-Boje finden und den oben beschriebenen Tag geniessen.

Heute Samstag Morgen hatten wir dann sogar den Wecker gestellt und wir nutzten bei zwar noch grauem Himmel und sehr hoher Luftfeuchtigkeit, aber ohne wirklichen Regen, die zweieinhalb Stunden vor Hochwasser, um noch weiter Flussaufwärts zu fahren. Die Aulne hat uns einen weiteren, zauberhaften Aspekt der Bretagne erleben lassen. Der Fluss, und schon bald nur noch das Flüsschen schlängelt sich durch Eichenwälder, bebaute Felder, wilde grüne Wiesen oder Schilfstrecken, vorbei an schön gepflegten Häuschen oder auch geheimnisvoll romantisch wirkenden (Druiden-?) Steinhäusern durch die Landschaft. Obwohl es immer enger wurde, reichte der Wasserstand weiterhin bis zur Schleuse, wo uns der freundliche Schleusenwärter in Empfang nahm und die alte Schleuse für uns in Betrieb setzte. Hinter der Schleuse ist das Flüsschen kanalisiert und der Wasserstand sollte ca. 2.5-3m sein. Der Schleusenwart meinte zwar, es sei wegen der Trockenperiode der letzten Wochen möglicherweise etwas weniger, aber er tröstete uns damit, dass es keine Steine gebe da unten und alles nur weicher Schlick sei… Als wir dann aber im Kanal unterwegs waren, zeigte unser Echolot immer mehr als 3 bzw. sogar 3.5m. Vielleicht hatte der gestrige Regen-Tag seinen Beitrag dazu geleistet.

Wir legten in Port Launay direkt vor der Patisserie-Boulangerie an; Brotbacken ist somit ein weiteres Mal verschoben. Es folgte ein diesmal sehr viel erfolgreicherer Veloausflug hinauf nach Châteaulin. Der Reeds nennt das Örtchen «a charming country town» und hat es genau getroffen mit der Beschreibung. Bis hierher könnte man mit dem Boot fahren, d.h. 2km weiter als wir sind, aber der Platz in Port Launay sogar mit Landstrom von einem verwirrten Automaten, der mir 4 Jetons schenkt, hat uns gut gefallen und wir verlegen nicht nochmals. Durch Chateaulin hindurch fahren wir dem Treidelpfad entlang weiter Flussaufwärts an zig Schleusen vorbei. Sie wurden anscheinend als Wirtschafts-Ankurbelungsmassnahme um 1811 herum gebaut, bzw. der gesamte Brest-Nantes-Kanal, und dann aber nie genutzt. Bei den Schwellen faszinieren uns aber am meisten die Rutschbahnen für Kanufahrer – die müssen hier nicht jedesmal auswassern und wieder einsteigen, sondern können anscheinend durch kleine Rutschbahnen hinunterrutschen. Ob es Flussaufwärts auch geht, können wir uns nicht ganz vorstellen. Leider probiert es gerade niemand aus, als wir da unterwegs sind.

Einkaufen im grossen Leclerc, ein feines frisches Baguette mit Salami am Bänklein am Kanal und zu guter Letzt einen schönen Pastis in der Bar in Chateaulin, inzwischen in der Sonne, und ein weiterer perfekter Tag geht allmählich zur Neige. Mal wieder ein Danke an die diversen Rückmeldungen von unseren lieben «Followers»; ja liebe Barbara, wir sind wirklich im Genussland angekommen.

Für morgen ist die Rückfahrt auf dem Fluss geplant und strategisch nahes Ankern bei Brest, um dann am Montag dort einen Bürotag einlegen zu können. Und wenn das Wetter mitspielt, wäre bald danach der Sprung in die Biskaya angedacht. Mir wei luege – es ist wirklich sehr schön, keine Zeitnot zu haben!


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